Analytiker wachen über den ungetrübten Weingenuss

 

Wer das nagelneue Werk der Firma Cork Supply in São Paio de Oleiros bei Porto betritt, erblickt zunächst nur modernes Analyse-Equippment wie Gas-Chromatographen und Massenspektrometer. Müssten die Besucher raten, was in diesem Werk hergestellt wird, kämen sie nicht ohne weiteres auf Flaschenkorken. Um deren Qualität zu kontrollieren, scheuen die Hersteller aus gutem Grund heute keinen Aufwand. Denn ihr Produkt war in den 90er Jahren wegen des muffigen Geschmacks, der so manchen edlen Tropfen ungenießbar machte, allenthalben in Verruf geraten. Winzer und Weinabfüller begannen, sich nach alternativen Flaschenverschlüssen umzuschauen. Chemiker fanden bald heraus, dass der unangenehme Beigeschmack von winzigen Spuren von 2,4,6-Trichloranisol (TCA) herrührte, das Bakterien aus chlorhaltigen Verunreinigungen des Korks oder Spülmittelresten in den Weinfässern synthetisieren. Abhilfe konnte da nur strikte Hygiene bei der Ernte, bei der Aufbereitung und bei der Verarbeitung des Korks schaffen.

Das beginnt damit, dass bei der Korkernte ein etwa zehn Zentimeter breiter Streifen am Fuß der Korkeichen, der mit Erde kontaminiert sein kann, von vornherein ausgesondert wird. Er wird zu Korkfußböden und anderen Bauprodukten verarbeitet. Gelagert werden die für die Stopfenherstellung vorgesehenen Korkplanken auf sauberen Betonfußböden. Die Verarbeitung des Rohkorks beginnt nach einer Stabilisierungszeit von mindestens sechs Monaten mit zweimaligem Kochen in Wasser bei 100 Grad. Dabei werden Verunreinigungen ausgewaschen und eventuell noch in den Ritzen des Korks vorhandene Mikroorganismen abgetötet. Durch das Kochen gewinnt der Kork um etwa 30 Prozent an Volumen und wird flexibler. Die mindestens vier bis fünf Zentimeter starken Korkplanken werden dann in schmale Streifen geschnitten, aus denen quer zur Wuchsrichtung, das heißt in Längsrichtung des Baumstammes Stopfen-Rohlinge ausgestanzt werden. Zum Teil geschieht das noch in Handarbeit. Die Rohlinge werden dann nach Qualitäten sortiert und auf die gewünschten Größen zugeschnitten. Bevor sie das Werk verlassen, unterliegen sie einer sehr strengen Qualitätskontrolle, deren Ablauf im Rahmen des internationalen CQC Cork Quality Council (www.corkqc.com) vereinheitlicht wurde.

Die CQC-Richtlinien schreiben für Stichproben eine Mindestgröße von 250 Korken aus fünf verschiedenen Ballen von einer Lieferung von 100.000 Korken vor. Unterproben von je 50 dieser Korken werden für 24 Stunden in Wein eingelegt. Dann wird der TCA-Gehalt des Weins mit einer Empfindlichkeit von mindestens 1 ppt bestimmt. Überschreitet nur eine Unterprobe 1,5 ppt, wird die ganze Lieferung ausgesondert. Stolz berichtet das CQC, dass seine Mitgliedsunternehmen den TCA-Gehalt der Korken seit dem Jahre 2001 um 84 Prozent reduziert haben (siehe Schaubild). Im letzten Untersuchungszeitraum wiesen 93 Prozent der untersuchten Korkproben einen TCA-Gehalt unterhalb der Nachweisgrenze auf. Bei 5 Prozent der Proben lag der TCA-Gehalt zwischen 1,0 und 2,0 ppt. Der Rest wurde wegen höherer TCA-Gehalte verworfen. Nach Aussage des führenden amerikanischen Önologen Christian Butzke ist TCA heute für die Weinhersteller „kein wichtiges Thema“ mehr. Wobei zu beachten ist, dass TCA außer durch Korkstopfen auch aus anderen Quellen in Getränke gelangen kann. Mitunter konnte es sogar in Mineralwasserflaschen mit Kunststoff- oder Aluminium-Verschlüssen nachgewiesen werden.

In Portugal ist die Korkenherstellung allerdings viel mehr als eine Frage der Technik. Es geht um die Erhaltung einer wirklich nachhaltigen Form der Landbewirtschaftung. Im südportugiesischen Alentejo tragen die lichten Korkeichenwälder zu etwa 60 Prozent zum Einkommen der Bauern bei. Die restlichen 40 Prozent stammen aus der Viehwirtschaft. Außer für die Korkproduktion sind die trockenen und nährstoffarmen Böden des Alentejo kaum zu gebrauchen. Das Holz der Korkeichen ist sehr hart und brüchig und ist deshalb für anspruchvolle Verwendungen nicht geeignet. Ihre Rinde hingegen liefert einen nach wie vor hochgeschätzten Werkstoff mit unnachahmlichen Eigenschaften. Da Kork zu 90 Prozent aus Luft besteht, liegt seine Dichte bei nur 0,12 bis 0,2 Kilogramm je Kubikmeter. Dennoch ist er für Flüssigkeiten und Gase undurchlässig und dazu druckelastisch und säurebeständig.

Allerdings erfordert die Nutzung der Korkeichen viel Geduld. Erst wenn sie 20 bis 25 Jahre alt sind, können sie zum ersten Mal geschält werden. Die erste Ernte taugt aber noch nicht für die Weinkorkenherstellung. Erst die späteren Ernten nach jeweils neun Jahren liefern Kork, der für Flaschenverschlüsse geeignet ist. Die Eichen können dann etwa 150 Jahre lang genutzt werden. Immerhin verdienen Korkeichenschäler im Alentejo um die 100 Euro am Tag. Allerdings nur zwischen Mai und August, weil sich die Rinde nur in der warmen Jahreszeit vom Stamm lösen lässt. Sänke der Korkabsatz, würde sich das Alentejo bald entvölkern.

Aber gerade bei Flaschenverschlüssen droht der portugiesischen Korkenindustrie Gefahr – und zwar vor allem durch den Vormarsch von Kunststoff-Stopfen und Aluminium-Schraubverschlüssen bei Weißweinen der unteren Preisklassen. Zurzeit werden auf der Welt jährlich etwa 18 bis 19 Milliarden Weinflaschen abgefüllt. Davon werden über 12 Milliarden mit Stopfen aus Naturkork oder Agglomerat verschlossen, 2,3 Milliarden mit Plastik-Stopfen und 3,7 Milliarden mir Alu-Drehkapseln. Während der Marktanteil von Kunststoffverschlüssen in den letzten Jahren wieder zurückging, sind Alu-Drehverschlüsse weiter im Vormarsch. Sie gelten als komfortabler Verschluss für preisgünstige Weißweine, die zum sofortigen Verzehr bestimmt sind. Aber auch auf Rotweinflaschen aus Australien, Neuseeland und Südafrika sieht man sie seit einigen Jahren immer öfter.

Deshalb fährt APCOR, der Verband der portugiesischen Korkindustrie, unterstützt von der EU und Umweltverbänden wie dem WWF und dem NABU, zurzeit eine PR-Kampagne (www.natuerlichkork.de), um das Image des Flaschenkorken im Vergleich zum konkurrierenden Schraubverschluss aufzuwerten. Der portugiesische Familienkonzern Amorim, der führende Korkenhersteller der Welt, ließ sich von den Wirtschaftsprüfern von Pricewaterhouse Coopers in einer Öko-Bilanz bescheinigten, dass bei der Herstellung eines Naturkorkens 24mal weniger CO2 frei wird als bei einem Alu-Schraubverschluss und dass Korkeichenwälder obendrein fast fünf Tonnen CO2 je Hektar binden. Ob das reicht, um den Vormarsch der Aluminium-Kapseln aufzuhalten, steht dahin.

Es steht bei Weinkennern ohnehin außer Frage, dass Naturkorken für schwere, lange lagerfähige Rotweine am besten als Flaschenverschluss geeignet sind, weil sie die gewünschte Nachreifung beziehungsweise Alterung guter Weine durch Mikro-Oxidation ermöglichen. Sie bieten aber keinen Vorteil bei Weinen für den täglichen Bedarf, die gar nicht altern sollen. Tatsächlich haben Korkverschlüsse vor allem bei Weinen höherer und mittlerer Preislage vor allem auf dem amerikanischen Markt in jüngster Zeit wieder zugelegt, wie das CQC auf seiner Homepage stolz meldet. In Europa ist das Bild hingegen uneinheitlich. Während vor allem das Weinland Frankreich dem Korken die Treue hält, ist der Anteil der Weinflaschen mit Korkstopfen in Deutschland deutlich gesunken.

In Portugal spielt die Korkindustrie in der aktuellen Schuldenkrise die Rolle eines Rettungsrings der Volkswirtschaft. Denn es handelt sich dabei um den einzigen Industriezweig des Landes an der Peripherie der EU, der auf dem Weltmarkt führend ist. Der Weltmarktanteil der portugiesischen Korkindustrie liegt zurzeit bei 54 Prozent. Portugal exportiert jährlich etwa 10 Milliarden Flaschenkorken und andere Korkprodukte im Wert von über 900 Millionen Euro. Das sind immerhin 3,5 Prozent des gesamten Exportwertes des Landes. Andere traditionelle Industriezweige Portugals wie die Textil- und die Lederindustrie erlebten hingegen seit der Euro-Einführung einen stetigen Niedergang.

Edgar L. Gärtner

(zuerst veröffentlicht in: ChemiePlus, Heft 5/2011, az-Medien, CH-Aarau)