Bedingungsloses Grundeinkommen fasziniert nicht nur Linke

Edgar Gärtner

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Am 5. Juni werden die Schweizer über die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ abstimmen. Die Initiative fordert für die über 18-Jährigen eine Einkommensgarantie von 2.500 sFr im Monat. Finanziert werden soll die Wohltat durch eine kräftige Erhöhung der Mehrwertsteuer, durch die Plünderung der Pensionskasse und durch Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten (unter anderem durch die Streichung von Agrarsubventionen). In der Schweiz sorgt diese Forderung für heftige Diskussionen. Die Deutschen haben zurzeit wegen der „Flüchtlingskrise“ zwar andere Sorgen. Aber auch hier gibt es immer wieder ähnliche Vorstöße wie in der Schweiz. Und sie ernten viel gutmenschliche Sympathie.
Die Idee, allen Bürgern eines Staates ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zu garantieren, ist keineswegs neu. Schon der englische Staatsmann und spätere christliche Märtyrer Thomas Morus schlug in seinem gerade 500 Jahre alt gewordenen satirischen Zukunftsroman „Utopia“ eine Art BGE als Alternative zur Bestrafung von Dieben vor. Im 19. Jahrhundert griffen etliche sozialistische Reformer in England und Frankreich die Idee eines staatlichen Unterhalts unabhängig vom Vermögen und der Arbeitsleistung der Bürger auf. Im 20. Jahrhundert erwärmten sich schließlich sogar mehr und mehr liberale Ökonomen für die Idee. Allen voran der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, der Begründer der radikal-liberalen Chicago-Schule. Dieser schlug im Jahre 1962 eine freilich an die Erwerbseinkommen geknüpfte negative Einkommenssteuer vor. Er gedachte dadurch nicht nur die Armut überwinden zu können, sondern auch die Auswüchse der auf unterschiedliche Ressorts verteilten Sozialbürokratie.
In Deutschland machte sich die inzwischen bereits auf den Hund gekommene Piratenpartei bei der Bundestagswahl von 2013 für ein BGE stark. Doch auch in der CDU und der ihr nahestehenden Konrad-Adenauer-Stiftung wird das Konzept schon seit etwa 10 Jahren wohlwollend diskutiert. In der SPD hingegen gibt es starke Vorbehalte gegenüber dem als „Stilllegungsprämie“ für Arbeitnehmer geschmähten BGE, weil es die Gewerkschaften überflüssig machen würde. Bei der Partei Die Linke scheinen hingegen die Sympathien für das BGE zu überwiegen. Die Parteivorsitzende Katja Kipping war früher Sprecherin des Netzwerks Grundeinkommen. Die Grüne Jugend setzt sich für das BGE ein. Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung lehnt das BGE hingegen ab, während es in der Partei durchaus Sympathien für das Konzept gibt.
In jüngster Zeit haben sich etliche Top-Manager von Großkonzernen beziehungsweise Aussteiger aus dem Top-Management zum BGE-Konzept bekannt. Insbesondere der ehemalige Daimler-Manager Jan Bredack, der nun vegane Kost verkauft, machte von sich reden. „Man sollte nicht arbeiten müssen, um überleben zu können, sondern, um sich in die Gesellschaft einzubringen“, sagte er kürzlich der Berliner Zeitung. Zuvor hatte bereits Telekom-Chef Timotheus Höttges in der Wochenzeitung Die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen geworben. In der Frankfurter Allgemeinen setzte sich SAP-Vorstand Bernd Leukert für ein „staatlich garantiertes faires Grundeinkommen“ ein. Lange war sich Götz Werner, der Gründer der Drogerie-Kette dm, mit seiner BGE-Initiative Unternimm die Zukunft eher wie ein Rufer in der Wüste vorgekommen. Nun bekommt er offenbar immer mehr Gesellschaft aus dem Unternehmer-Lager. Finnland und die Niederlande schicken sich gerade an, das BGE unter wissenschaftlicher Begleitung auf nationaler oder zumindest auf lokaler Ebene auszuprobieren.
Ernüchterung stellt sich freilich ein, wenn man die vorgeschlagenen BGE-Modelle durchrechnet. Da ist zunächst das vom ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus vorgeschlagene „solidarische Bürgergeld“ von 800 Euro brutto monatlich. Dieses soll den Staat jährlich 583 Milliarden Euro kosten. Als Althaus sein Konzept bei der Konrad-Adenauer-Stiftung vorstellte, betrugen die Sozialausgaben jährlich 735 Milliarden Euro. Das von ihm vorgeschlagene BGE käme also günstiger. Allerdings schlug Althaus auch vor, die staatliche Rentenversicherung abzuschaffen. Nach dem Auslaufen der bislang durch die Zahlung von Beiträgen erworbenen Rentenansprüche kämen also weitere Kosten hinzu.
Das von Götz Werner vorgeschlagene BGE-Modell geht von einem monatlichen Grundeinkommen von 1.000 Euro aus und würde jährlich rund 1.000 Milliarden Euro kosten. Finanzieren möchte Werner diese Summe kaufkraftneutral durch die Umstellung der verschiedenen Arten von Steuern und Sozialabgaben auf eine einheitliche Konsumsteuer, die dann zwölfmal höher wäre als die heutige Umsatzsteuer. Götz Werner geht selbst davon aus, dass ein solcher Radikalumbau des Steuersystems nur schrittweise erfolgen könnte und deshalb längere Zeit in Anspruch nähme.
Eine ganz andere Rechnung machte im letzten August die Süddeutsche Zeitung in Anlehnung an den verstorbenen liberalen Wirtschaftsprofessor Horst Siebert auf: Um alle Sozial- und Versicherungs-Leistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Wohngeld, Kindergeld, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung überflüssig zu machen, müsste das monatliche BGE danach pro Person mindestens 1.500 Euro betragen, was mit Staatsausgaben von anderthalb Billionen Euro verbunden wäre. Doch das ganze Volkseinkommen in Deutschland betrug im Jahre 2013 gerade mal 2,128 Billionen Euro. Das BGE fräße also über zwei Drittel des Volkseinkommens auf. Über die derzeitigen Sozialkosten von schätzungsweise 800 Milliarden Euro hinaus müssten also noch rund 700 Milliarden durch Steuererhöhungen aufgebracht werden. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung, weil die derzeitigen Sozialausgaben nur zu etwa 35 Prozent steuerfinanziert sind. Statt um 700 müssten die Steuern also um über 1.200 Milliarden Euro erhöht werden. Das hieße: Im Vergleich zu den Steuereinnahmen des Jahres 2014 in Höhe von 644 Milliarden Euro müsste die Steuerbelastung glatt verdoppelt werden. Diese Rechnung hat auch den Vorstand der grünen Heinrich-Böll-Stiftung beeindruckt.
Doch die unzumutbar erscheinende Verdoppelung der Steuerbelastung ist nur ein Argument, das gegen das BGE spricht. Viel problematischer als die geschätzten Kosten ist das hinter den BGE-Vorschlägen stehende Menschenbild. Es ist das Menschenbild von Jean-Jacques Rousseau und Karl Marx. Danach ist der Mensch von Natur aus gut. Sobald die kapitalistische Entfremdung der Arbeit überwunden sei, käme dieses Gute wieder zur Geltung. Durch das BGE vom Zwang befreit, auch unattraktive Arbeitsangebote anzunehmen, könnten die Menschen sich wieder besser der Pflege ihrer Talente und Neigungen widmen, erklärt der Leipziger Sozialwissenschaftler Georg Vobruba. Der Arbeitsmarkt werde erst dann zu einem richtigen Markt. Solche Utopien finden im heutigen Deutschland ein dankbares Publikum. Mit der Realität haben sie freilich wenig zu tun, auch wenn von solchen Autoren angeführte Meinungsumfragen zu bestätigen scheinen, dass die meisten Menschen nach der Einführung des BGE freiwillig weiterarbeiten würden. Tatsache ist aber, dass viele Menschen unangenehme Jobs nur deshalb annehmen, weil sie ihre Familien durchbringen und anderen nicht zur Last fallen wollen. Es geht um die Menschenwürde.
Alle geschichtlichen Erfahrungen zeigen, dass Menschen, die die Verantwortung für ihr Leben an den Staat abtreten, sich weder frei noch glücklich fühlen. Die meisten Menschen möchten stolz auf ihre Leistung sein und nicht zu Almosenempfängern werden. In Verbindung mit der Abschaffung des Bargeldes und der Implantierung von RFID-Chips würde das BGE überdies zum idealen Instrument der totalitären Kontrolle aller Lebensbereiche. Wenn der Staat Faulheit in Form des BGE belohnt, fördert er die Ausbreitung von Untugenden wie Neid und Zwietracht, der ideale Nährboden für die Zementierung jeder Fremdherrschaft durch die Politik des „Teile und herrsche“.

(zuerst veröffentlicht in: ef-online am 7. März 2016)