Frankreichs Präsident als Plaudertasche

 

 

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(Bildquelle: Frederic Legrand – COMEO / Shutterstock.com)

Edgar L. Gärtner

Der sozialistische französische Staatspräsident François Hollande wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal als Lehrbuchbeispiel für einen Karrieristen gelten, der alles daransetzte, um mit mehr oder weniger sauberen Tricks ins höchste Staatsamt zu gelangen, der aber, einmal dort angekommen, dieses Amt mit seiner zu klein geratenen Persönlichkeit nicht ansatzweise ausfüllen kann und deshalb am Ende die Flinte ins Korn wirft. Das zeigt sich nicht zuletzt an seiner Kommunikationspolitik. Rätselhaft war diese schon immer. Aber nicht wenige seiner politischen Gegner und Beobachter glaubten zunächst, dahinter verberge sich eine besonders raffinierte Strategie. Inzwischen ist aber klar geworden: Er hat überhaupt keine.

Neu ist, dass dieses Mal nicht die Volksmasse, sondern der Staatspräsident höchstpersönlich proklamiert, dass der Kaiser nackt ist. Und zwar in einem dicken Gesprächsband von fast 700 Seiten, den zwei in Frankreich als Stars gehandelte Skandalreporter der linken Pariser Tageszeitung „Le Monde“ vor kurzem veröffentlicht haben: Gérard Davet und Fabrice Lhomme: „Un président ne devrait pas dire ça“ (Ein Präsident dürfte so etwas nicht sagen). Hollande gewährte den beiden „investigativen“ Journalisten insgesamt 61 Interviews, die insgesamt 100 Stunden in Anspruch nahmen, und verzichtete ausdrücklich darauf, das, was die beiden daraus gemacht haben, gegenzulesen.

Einige französische Kollegen haben sich darüber aufgeregt, dass Hollande sich darin abfällig über die französische Justiz und insbesondere über die Richter sowie über farbige Fußballspieler in der französischen Nationalmannschaft äußert. In Deutschland hat die FAZ am 17. Oktober zur Kenntnis genommen, dass Hollande darin offen zugibt, dass Frankreich im Jahre 2013 mit der EU ein geheimes Abkommen geschlossen hat, das es den Franzosen erlaubt, weiterhin das im Vertrag von Maastricht festgelegte Ziel, das Defizit des Staatshaushaltes unter drei Prozent des BIP zu halten, abzuweichen, ohne dafür gescholten oder bestraft zu werden. Wie früher jeder ordentliche Kuhhandel erfolgte diese Abmachung selbstverständlich per Handschlag, ohne irgendwo schriftliche Spuren zu hinterlassen. Nach Hollande sollte sich die französische Regierung, damit bei kleineren EU-Mitgliedsstaaten kein Argwohn aufkommt, darin lediglich verpflichten, öffentlich an der Drei-Prozent-Grenze festzuhalten. Die EU-Kommission wollte ihm dafür im Gegenzug nicht die Schuld für die Nichteinhaltung des EU-Beschlusses in die Schuhe schieben. Warum sollte die EU auch dagegen einschreiten? Ist Frankreich doch mit einem Staatsanteil am BIP von bald 60 Prozent auf dem von der EU-Kommission befürworteten Weg in den Geldsozialismus weiter vorangeschritten als Deutschland. Aber es ist gut, aus berufenem Mund bestätigt zu bekommen, was man schon länger vermutet hat.

Am interessantesten sind aber Hollandes Ausführungen über den Islam und die Migrationskrise. Wobei man wissen muss, dass die wahlberechtigten Einwanderer aus Nordafrika, insbesondere Algerien bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2012 zu 95 Prozent für ihn gestimmt haben. Hollande sieht eine wachsende Flut von (illegalen) Einwanderern, die deren Integration ins staatliche Erziehungswesen zur Sisyphusarbeit macht. „Man bringt die einen dazu, Französisch zu lernen. Aber in der Zwischenzeit sind schon wieder viele neue angekommen und die Arbeit beginnt von vorn. Das muss bald ein Ende haben.“ Und er gibt offen zu, dass der Islam ein besonderes Problem darstellt. Die Verschleierung sei ein Zeichen für die Versklavung der Frauen. „Wir können nach einer Serie von Attentaten mit inzwischen Hunderten von Todesopfern nicht zulassen, dass Migranten weiterhin ohne Kontrolle nach Europa kommen.“

Vor allem fürchtet er eine dauerhafte Spaltung (Partition) der französischen Gesellschaft. Diese sei bereits weit fortgeschritten, wie die wachsende Zahl von No-Go-Areas zeige. Offen zeigt er Verständnis dafür, dass sich die Franzosen weniger über ihren Kaufkraftverlust oder über die hohe Arbeitslosigkeit aufregen als über die vielen bärtigen Männer und verschleierten Frauen, die in den Vorort-Zügen den Koran studieren und den Einheimischen böse Blicke zuwerfen.

Hollande kennt also sehr gut die Probleme und Gefahren der (illegalen) Masseneinwanderung. Aber er lässt trotzdem alles weiterlaufen, als sei nichts gewesen. Darin unterscheidet er sich nicht von seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel. Doch während sich diese über längere Zeit im Glanz (bestellter?) schmeichelhafter Umfragewerte sonnen konnte, ist Hollandes Sympathiewert inzwischen auf vier Prozent abgestürzt. Das heißt, dass wohl nur noch die zu ihm stehen, die ihm direkt oder indirekt ihren Job verdanken. Kein Staatspräsident vor ihm ist je so tief in der Wählergunst gesunken. Und schon im kommenden Jahr stehen Neuwahlen an. Aber aufgrund der Verteufelung Marine Le Pens kann es als beinahe sicher gelten, dass das schon seit etlichen Jahrzehnten mehrheitlich politisch eher nach rechts orientierte französische Volk auch weiterhin von und mit links regiert werden wird. Am Ende vielleicht auch durch einen äußerlich gemäßigten muslimischen Freimaurer („Bruder“), der dem zerrissenen Land Ruhe und Ordnung verspricht – eine nicht unrealistische Vision, die Michel Houellebecq in seinem Erfolgsroman „Unterwerfung“ ausbreitet.

(Zuerst veröffentlicht am 31. Oktober 2016 auf ef-magazin.de)