Fillon, der Anti-System-Kandidat wider Willen

von Edgar L. Gärtner

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Bildquelle: Frederic Legrand – COMEO / Shutterstock.com Schafft er es?

Französische Präsidentschaftswahlen und Terror. Nach den Wahlen wird es soziale Unruhen geben.

Der französische Präsidentschaftswahlkampf strebt seinem Höhepunkt zu. Aber die Schlagzeilen der Massenmedien spiegeln das kaum wider. Statt durch den Wahlkampf werden die Franzosen durch muslimischen Terror in Atem gehalten. Am vergangenen Wochenende war es ein versuchter Terroranschlag am Terminal A des Flughafens Orly-Sud. Dieser etwas amateurhaft anmutende Anschlagsversuch, der mit dem Abschuss des Attentäters Ziyed Ben Belgacem durch eine Armeestreife endete, geschah nur wenige Wochen nach einem versuchten Anschlag auf eine Militärstreife vor dem Louvre und nur zwei Tage nach einer Schießerei an einer Schule in der südfranzösischen Parfumstadt Grasse und dem Platzen einer Paketbombe im Pariser Sitz des Internationalen Währungsfonds. Um das Bild zu vervollständigen, muss man hier auch die Enthauptung von zwei Muslimen durch einen radikalisierten Familienangehörigen auf offener Straße mitten in Paris anführen.

Ziyed Ben Belgacem, der mit einem Benzinkanister, einem Feuerzeug und dem Koran in das Terminal kam, war nur mit einem kleinen Schrotrevolver des Kalibers 22 LR bewaffnet. Mit solchen Kleinkaliberwaffen, die man bis vor wenigen Jahren in Frankreich noch ohne Probleme im Versandhandel bekam, kann man eventuell Kleintiere töten, aber unter normalen Umständen keine Menschen. Wohl deshalb entriss der Täter dem einzigen weiblichen Mitglied der Militärstreife das Sturmgewehr des Modells FAMAS mit dem NATO-Kaliber 5,56 Millimeter und wurde danach von den beiden männlichen Mitgliedern der Streife erschossen. Was der Täter genau vorhatte, wird noch ermittelt. Er scheint Alkohol- und Drogenprobleme gehabt zu haben und war bislang nur wegen Eigentumsdelikten aufgefallen und auch verurteilt worden. Nach Aussage des Pariser Staatsanwalts François Molins schrie der Mann beim Angriff: „Posez vos armes. Mains sur la tête. Je suis là pour mourir par Allah. De toute façon, il va y avoir des morts!“ (Legt eure Waffen nieder. Hände hoch! Ich bin da, um durch Allah zu sterben. Es wird auf jeden Fall Tote geben.) Das zeigt, wie schnell auch verzweifelte Amateure gefährlich werden können, wenn sie sich zu einer gewissen Religion bekennen.

Der liberal-konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon nahm diesen Vorfall zum Anlass, eine Verlängerung des in Frankreich nun schon seit dem Herbst 2015 bestehenden Ausnahmezustands zu fordern. Ähnlich wie Fillon hat sich auch die Kandidatin Marine Le Pen geäußert. Den linken Kandidaten (einschließlich Emmanuel Macron) scheint dieses Klima der Unsicherheit hingegen nichts anhaben zu können. Sie predigen weiterhin auf demagogische Weise ihre sozialen Utopien. Als kaum weniger utopisch erscheint aber auch das Autarkie-Programm Marine Le Pens. Sie möchte die Staatsausgaben, die schon jetzt die prozentual höchsten aller westlichen Industrieländer sind, sogar noch deutlich erhöhen. Diese sollen nach dem Austritt aus dem Euro-System durch die renationalisierte französische Notenbank direkt finanziert werden.

Fillon hat wohl schon, als er von 2007 bis 2012 unter Nicolas Sarkozy das Amt des Premierministers bekleidete, begriffen, dass der wuchernde Staatsapparat die Hauptursache der Wachstumsschwäche der französischen Wirtschaft ist. 21,6 Prozent der französischen Werktätigen arbeiten im öffentlichen Dienst gegenüber (nach Angaben der OECD) nur 10,3 Prozent in Deutschland. Um von diesem Missverhältnis wegzukommen, bedarf es nach Fillon eines Schockprogramms. Um mindestens eine halbe Million möchte er die Zahl der Beamten zurückfahren, falls er gewählt wird. Gleichzeitig möchte er zur Rente mit 65 und zur 39-Stunden-Woche zurückkehren. Sein Konkurrent Macron möchte sich demgegenüber mit dem Abbau von 120.000 Beamtenstellen begnügen und die inzwischen sakrosankte 35-Stunden-Woche nicht antasten. Offensichtlich möchte er sich nicht mit den in Frankreich nur im öffentlichen Dienst starken Gewerkschaften anlegen. Freunde Fillons haben ausgerechnet, dass es 133 Jahre bräuchte, bis Frankreich auf diesem Wege das Deutschland von heute eingeholt hätte.

Auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ist eine wachsende Zahl von Franzosen von staatlichen Zuwendungen abhängig. Nach einer Studie des nationalen Statistikamtes INSEE ist in Frankreich der Konsum der privaten Haushalte bereits zu einem Viertel „sozialisiert“. Fillon möchte die Franzosen wieder ermutigen, sich selbständig zu machen, indem er darauf hinweist, dass nach den Zahlen von Eurostat im Jahre 2011 in Deutschland 86.000 Arbeitsplätze schaffende Unternehmen neu gegründet wurden gegenüber nur 28.000 in Frankreich. Seither hat sich das Verhältnis noch weiter zuungunsten Frankreichs verschlechtert. Um bürokratische Hindernisse für Innovationen und Investitionen zu beseitigen, möchte Fillon das kiloschwere französische Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) von derzeit 3.500 auf 150 Seiten eindampfen.

Abgesehen von der von ihm als Premierminister durchgesetzten Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre war Fillon in Frankreich bislang nicht durch Radikalität aufgefallen. Doch durch die Tatsache, dass sein moderates Reformprogramm für die Präsidentschaftswahlen ein von der sozialistischen Justiz gesteuertes Kesseltreiben gegen ihn ausgelöst hat, wurde Fillon Schritt für Schritt in die Position des einzigen Anti-System-Kandidaten gedrängt. Entgegen der Erwartung seiner Bedränger hat er nicht aufgegeben, sondern seine Position bekräftigt.

Währenddessen wurde sein Konkurrent Emmanuel Macron in Berlin hofiert. Aber die Weihen, die er dort durch Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Jürgen Habermas empfangen hat, werden ihm in Frankreich wohl wenig nützen. Zu groß sind dort noch immer (oder schon wieder) die allergischen Reaktionen gegenüber Ratschlägen aus Deutschland. Auch Macrons Ratschlag, sich einfach der muslimischen Masseninvasion zu ergeben, stößt bei den meisten Franzosen auf Kopfschütteln. Die Regierung Hollande hat es wegen starken Widerstandes vor Ort nicht einmal geschafft, das Angela Merkel zugesagte Kontingent von 24.000 „Flüchtlingen“ aufzunehmen, sondern nur etwa ein Zehntel davon. Nur bei den (allerdings tonangebenden) postmodernen Bobos der Großstädte findet Macrons Vision einer europaweiten Multikultipolitik regen Anklang. Fillon hingegen hat im Laufe seiner politischen Karriere lernen müssen, dass der Islam keine Religion wie andere ist, sondern in erster Linie eine totalitäre Ideologie, die bekämpft werden muss.

Die klassischen Meinungsforschungsinstitute sehen nach wie vor das Scheitern Fillons im ersten Wahlgang voraus. Doch diese Institute haben sich in der letzten Zeit wiederholt geirrt. Das kanadische Institut Filteris hingegen sieht auf der Basis der Auswertung der Sympathiewerte im Internet François Fillon nach wie vor vorne. Ob es Fillon wirklich schafft, Frankreich noch vor der angelaufenen Umvolkung und Partition zu retten, steht freilich in den Sternen, denn nach dem Vollzug des Brexit wird ihm bei der Durchsetzung seiner angekündigten Reformen wohl kein Druck aus Brüssel mehr helfen können, weil es dann in der EU eine deutliche Mehrheit für die Vergemeinschaftung der Staatsschulden geben wird – eine Politik, die Emmanuel Macron mit seiner Forderung, ein EU-Finanzministerium zu schaffen, ausdrücklich unterstützt. Frankreich wird nach den Wahlen auf jeden Fall eine Periode sozialer Unruhen erleben – sei es wegen des Widerstands der Linken gegen Fillons Reformen oder auch wegen der Schwierigkeiten seines wichtigsten Gegenspielers, ohne Parlamentsmehrheit eine stabile Regierung zu bilden. Sollte Fillon übrigens nicht in die Stichwahl kommen, könnten nicht wenige der liberal-konservativen Rechten in der von ihnen verabscheuten Marine Le Pen das kleinere Übel ausmachen. Immer mehr Äußerungen deuten in diese Richtung.

(zuerst erschienen am 20. März auf ef-magazin.de.)