Das Leben ist ein Wunder

Deshalb ist ewiges Leben im Diesseits nicht möglich

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Edgar L. Gärtner

Wir finden immer mehr Gründe für die Vermutung, dass unser Universum, bestehend aus Milliarden von Galaxien und Abermilliarden von Sternen sowie Unmengen von frei schwebendem Staub aus „heller“ und „dunkler“ Materie, nur deshalb nicht im Chaos versinkt, weil überall und zu jeder Zeit die gleichen physikalischen Konstanten (Naturkonstanten) wie die Gravitationskonstante, die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, das Plancksche Wirkungsquantum, die Elementarladung und so weiter gelten. Hinzu kommen geometrische Konstanten wie die Kreiszahl Pi und die Proportion des Goldenen Schnitts. Das Leben konnte nur entstehen, weil es eine Feinabstimmung zwischen all diesen Konstanten gab und noch immer gibt. Durch Zufall beziehungsweise das Wechselspiel zwischen Mutation und Selektion kann diese Feinabstimmung nicht erfolgen. Sie verweist vielmehr auf eine höhere Intelligenz, die beim Namen zu nennen allerdings Glaubenssache ist.
Es gibt nicht wenige Quantenphysiker, die darauf hinweisen, dass unser Universum nicht autonom bestehen kann, sondern letzten Endes durch einen Willen zusammengehalten wird. Dieser Wille hat einen Namen: Liebe. Doch was ist Liebe: Ein Wort oder das Wort? Lichtquanten? Eine Anziehungskraft? Ein Verhältnis? Eine Software? Geist? Gefühl? Sicher etwas von alledem. Was aber ihr Wesen ausmacht, bleibt ein Geheimnis. Es erscheint nach wie vor gerechtfertigt, wenn nicht geboten, die Entwicklung des Universums und die Entstehung des Lebens als Wunder zu betrachten. Die wissenschaftliche Forschung wird sicher nach und nach dahinterkommen, wie alles im Detail zusammenhängt. Doch die Frage „Warum?“ wird sie wohl niemals beantworten können. Es gilt nach wie vor das Diktum des großen Pioniers der Mikrobiologie Louis Pasteur: „Omne vivum ex vivo“. Noch nie wurde die Entstehung selbst primitivster Lebewesen aus unbelebter Materie beobachtet. Wir Menschen können Lebewesen zwar manipulieren und töten, aber nicht neu erschaffen oder wiederherstellen.
Dennoch gibt es auch heute immer wieder Versuche, Tote wieder zum Leben zu erwecken. Vor zwei Jahren ging der Fall einer 14-jährigen unheilbar an einer seltenen Form von Krebs erkrankten jungen Britin durch die Weltpresse. Diese hatte vor Gericht zum ersten Mal das Recht erstritten, ihren Leichnam einfrieren zu lassen. Die junge Frau, von deren Namen nur die Initialen JS bekannt sind, hatte im August 2016 erfahren, dass es für sie keine Chance gab, ihrer rasch fortschreitenden Krebserkrankung lebend zu entkommen. Sie hatte daraufhin im Internet nach passenden Anbietern für eine Kryo-Bestattung gesucht und dabei die in Scottsdale/Arizona ansässige Alcor-Stiftung ausfindig gemacht. JS hoffte, dass die medizinische Heilkunst eines Tages soweit fortgeschritten sein werde, dass ihr wiederaufgetauter Körper geheilt werden kann. In einem Brief an den für ihren Fall zuständigen Richter Peter Jackson schrieb sie: „Ich bin nur 14 Jahre alt, ich will nicht sterben, aber ich weiß, dass mein Leben bald zu Ende geht. Ich denke, dass die Gefrierkonservierung mir eine Chance gibt, geheilt und wieder zum Leben erweckt zu werden.“
Der Richter sprach im Hospital mit JS und entschied, im Einklang mit dem geltenden britischen Recht, dass nicht das noch unmündige Kind, sondern allein seine Mutter über das Schicksal des Leichnams bestimmen durfte. Der Vater von JS, der sich schon vor Jahren von der Mutter hatte scheiden lassen und seit 2008 keinen direkten Kontakt mehr mit seiner Tochter unterhielt, hatte sich zunächst dem Wunsch des Mädchens widersetzt. Er fürchtete, JS werde sich wohl in einer fremden Welt und einer völlig verzweifelten Situation ohne Verwandte und Freunde wiederfinden, sollte sie tatsächlich eines Tages wieder aufwachen. Am Ende gab er aber doch dem Wunsch seiner sterbenskranken Tochter nach. Das Mädchen starb am 17. Oktober 2016 in der ruhigen Gewissheit, nicht begraben, sondern eingefroren zu werden. Das ist immerhin ein Trost für die Hinterbliebenen. Sein präparierter Leichnam gelangte mit einem Flugzeug in die USA. Auf Wunsch des Gerichts wurde der Fall erst danach bekanntgemacht.
Was in Europa noch als Sensation gehandelt wird, ist in den USA längst zu einem gängigen Geschäftsmodell geworden. Die schon seit 1972 bestehende amerikanische Alcor-Stiftung bietet Mitgliedern die Ganzkörper-Cryopreservation „auf ewig“ derzeit für 200.000 US-Dollar (ungefähr 173.000 Euro) an. Die so genannte Neurocryopreservation ist hingegen schon für 80.000 US-Dollar zu haben. Die Menschen können in den USA frei entscheiden, ob ihr Leichnam traditionell begraben, eingeäschert, dem „Seemannsgrab“ Ozean übergeben oder eben eingefroren werden soll. Die letztgenannte Alternative ist sicher nicht die preiswerteste und wird bislang entsprechend selten gewählt.
Ob die Hoffnung realistisch ist, einen eingefrorenen Leichnam irgendwann einmal wieder zum Leben erwecken zu können, steht auf einem anderen Blatt. Zwar kann man ein still stehendes Herz durch rasches Eingreifen, das heißt durch festen Druck auf das Brustbein oder die Anwendung eines Defibrillators wieder zum Schlagen bringen. Zwar gibt es auch glaubhafte Berichte von Herzpatienten, die dem Hirntod entronnen sind. Aber außerhalb eines OP-Saals hat wohl noch niemand einen Herzstillstand länger als zehn Minuten überlebt. Obwohl wenige Minuten nach dem klinischen Tod an einem Körper vermutlich noch kaum chemische und physikalische Veränderungen eingetreten sind, ist es dann nicht mehr möglich, ihn wieder zum Leben zu wecken.
Es bleibt für uns bis heute ein Geheimnis, was genau den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht. Früher glaubten die Menschen, die Seele fahre beim Tod aus dem Leib. Sie machten deshalb bis ins christliche Mittelalter Löcher in die Bestattungs-Urnen oder Gruften, damit die Seele der Verstorbenen ungehindert in den Himmel aufsteigen konnte. Doch selbst nach der heute in der katholischen Kirche noch gültigen Lehre des heiligen Thomas von Aquin (Hylemorphismus) ist es nicht möglich, die Seele irgendwo zu lokalisieren und vom Leib zu trennen. Wahrnehmbar ist das übrigens in Form der Nichtlokalität unseres Bewusstseins. Wir wissen schlicht nicht, was wir tun können, um einen äußerlich intakten Leichnam wiederzubeleben.
Davon abgesehen, ermöglicht es uns die moderne Gefriertechnik immerhin, unsere Keimzellen (Eier und Spermien) oder auch die Produkte ihrer Verschmelzung, die Embryonen, tendenziell unbegrenzt bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff zu konservieren. Das macht sich die Reproduktionsmedizin bei der künstlichen Befruchtung längst zunutze. Es geht dabei aber immer nur um die Nachkommenschaft, nicht um die Wiederbelebung oder Lebensverlängerung eines gegebenen Organismus. Um die Nachkommenschaft geht es übrigens auch bei der im Prinzip möglichen Rückzüchtung ausgestorbener Tierarten wie des Mammuts aus fossiler DNA. Deshalb gibt es bis auf weiteres so etwas wie ewiges Leben nur in Form der Gene, nicht aber in Form fertiger Organismen. (Die Universalität des genetischen Codes weist wiederum auf den Schöpfungsakt einer höheren Intelligenz hin.) Kommerzielle Anbieter von Kryo-Beerdigungen wie die erwähnte amerikanische Alcor-Stiftung gehen aber davon aus, dass man durch die Verfeinerung der Gefriertechnik irgendwann nicht mehr nur einzelne Zellen oder Organe, sondern ganze Organismen im lebensfähigen Zustand halten kann. Ob das je gelingen wird, bleibt aber nach allen bisherigen Erfahrungen äußerst fraglich.

(Zuerst veröffentlicht am 5. September in: ef-magazin.de und am 16. September 2018 in: The European)