Angesichts der unendlichen Geschichte der Novellierung einer Verpackungsverordnung, die jeder vernünftige Mensch abschaffen würde, erlaube ich mir, einen älteren Artikel ins Netz zu stellen, der zeigt, welcher Erkenntnisstand bereits vor sechs Jahren erreicht war.
Mülltrennung ist kein Dogma mehr
Die Duales System Deutschland AG (DSD) wird nun gleich von zwei Seiten in Frage gestellt: technisch erweist sich die Abfalltrennung in den privaten Haushalten als unsinnig und juristisch ist das DSD als Monopol nach Ansicht des Bundeskartellamtes nicht haltbar.
Die Deutschen dürfen wieder träumen. Nachdem sich die deutsche Umweltpolitik in den letzten zehn, zwölf Jahren in Form der Quotenregelungen der Verpackungsverordnung offenbar mehr um die Belange von Müllsammlern als um die Entlastung der Umwelt und der Bürger gekümmert und dadurch die Mülltrennung zu einer der wichtigsten (unbezahlten) Freizeitbeschäftigungen gemacht hat, scheint neuerdings wieder die Frage erlaubt, ob Abfallpolitik nicht auch das Ziel haben darf, den Bürgern das Leben leichter zu machen, ohne dabei das Ziel der nachhaltigen Umweltschonung aus dem Auge zu verlieren.
„Die Abfallwirtschaft kann sich heute wieder stärker den Bedürfnissen der Bürger widmen“, erklärt Prof. Jürgen Hahn, der zuständige Abteilungsleiter im Berliner Umweltbundesamt (UBA). Hahn verweist dabei auf eine in diesem Sommer erschienene Studie über die Zukunft der Abfallentsorgung, die Martin Kaimer und Diethard Schade an der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg erstellt haben. Darin stellen die beiden Wissenschaftler fest, dass die mit der deutschen Verpackungsverordnung (VerpackV) von 1991 und dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrW/AbfG) von 1996 verbundenen Bemühungen, die Endverbraucher zu einem ressourcensparenden Umgang mit ausgedienten Verpackungen und anderen Abfällen zu erziehen, fehlgeschlagen sind.
Das Dogma der Mülltrennung wird immer mehr zu einer logistischen Herausforderung, vor der immer mehr deutsche Privathaushalte kapitulieren müssen – zumal, wenn sie jetzt in der Wirtschaftskrise ganz andere Sorgen haben. Nur mithilfe komplizierter Anleitungen in Form von Broschüren und Entsorgungsterminkalendern gelingt es überhaupt, einigermassen den Überblick zu bewahren. So müssen Grünabfälle getrennt erfasst und über längere Zeiträume bis zur Abholung aufbewahrt werden, was im Sommer zu Ungeziefer- und Geruchsproblemen führen kann. Papier, Glas, Altmetalle, Altkleider etc. müssen zu Sammelcontainern oder zu kilometerweit entfernten Recyclinghöfen gefahren werden. Verpackungen aus Kunststoff, Aluminium, Weissblech und Verbundmaterialien sollen in die Gelben Tonnen, die in der Regel nur einmal im Monat abgeholt werden. Batterien, Leuchtstoffröhren, Lack- und Medikamentenreste müssen getrennt aufbewahrt und zu einem Schadstoffmobil oder einem Recyclinghof gebracht werden. Nur der verbleibende Restmüll wird noch wie früher abgeholt, heute aber meist in längeren Abständen. Trotz aller von den Haushalten zeitaufwändig und unentgeltlich erbrachten Vorleistungen steigen die kommunalen Abfallgebühren.
Kein Wunder, dass die Ergebnisse des Sortiereifers zu wünschen übrig lassen. In den Gelben Tonnen finden sich nach empirischen Untersuchungen bis zu 50 Prozent Abfälle, die dort nach der Absicht der Gesetzgeber nicht hingehören. Umgekehrt gelangt in die Grauen Restmülltonnen ein vergleichbarer Prozentsatz von Verpackungsabfällen mit dem Grünen Punkt. Um Verpackungskunststoffe und andere Wertstoffe sinnvoll aufbereiten zu können, ist eine mühsame und kostenträchtige Nachsortierung nötig. Deshalb regen Kaimer und Schade an, in Zukunft (wie vor dem Aufbau des Dualen Systems) nur noch Papier, Karton, Glasflaschen und Textilien sowie größere Kunststoffverpackungen, deren werkstoffliche Verwertung sich rechnet, getrennt zu sammeln. Alles andere soll mit hohem Nutzungsgrad thermisch verwertet werden.
Bund, Länder und Kommunen, so Prof. Jürgen Hahn vom UBA, hätten im letzten Jahrzehnt zuviel Hirnschmalz auf die Lösung nebensächlicher Probleme wie die stoffliche Verwertung ausgedienter Verpackungen verwandt und dabei die wichtigste Herausforderungen der Abfallwirtschaft aus dem Auge verloren: Die Umsetzung der schon 1993 erlassenen Technischen Anleitung Siedlungsabfall (TASi) und des darin enthaltenen Verbots der Ablagerung unbehandelter organischer Abfälle ab 2005 und das in einem „Eckpunktepapier“ der Bundesregierung für 2020 vorgesehene Gebot der kompletten Verwertung aller Abfälle.
Nach der Ablagerungsverordnung vom Januar 2001 sind für die Vorbehandlung sowohl die Müllverbrennung als auch mechanisch-biologische Verfahren zugelassen, sofern sie die strengen Grenzwerte der 30. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) für Dioxine, Schwermetalle und andere Schadstoffe einhalten. Bis jetzt wird in Deutschland aber nur etwa die Hälfte der rund 30 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle dem entsprechend entsorgt.
Angesichts dieser Lage droht Rainer Baake, Staatssekretär im Bundesumweltministerium (BMU): „Die Kommunen hatten 13 Jahre Zeit, sich auf die neuen gesetzlichen Bestimmungen einzustellen. Wer das geltende Recht bis Juni 2005 nicht beachtet, bekommt Besuch vom Staatsanwalt!“ Um die „Behandlungslücke“ rasch zu schließen, setzt das BMU nun offenbar verstärkt auf kostengünstige Alternativen zur klassischen Müllverbrennung wie das bislang umstrittene Trockenstabilatverfahren der mittelständischen hessischen Firma Herhof.
Dieses Verfahren nutzt die bei der siebentägigen Verrottung von unsortiertem feuchten Hausmüll in geschlossenen Rotteboxen entstehende Wärme zu dessen Trocknung. Der trockene Abfall lässt sich in vollautomatischen Sortieranlagen leicht von nichtbrennbaren Bestandteilen wie Batterien, Metallteilen, Glas, Keramik, Steinen und Sand befreien. Diese können sinnvoll verwertet werden. Die Anlage in Aßlar im hessischen Lahn-Dill-Kreis trennt zum Beispiel Scherben von Weiss-, Braun- und Grünglas so sauber, dass sie die Spezifikationen der Glashütten erfüllt. Das übrig bleibende organische Material (Trockenstabilat) eignet sich wegen seines hohen Brennwertes als Ersatzbrennstoff für Zementwerke und spezielle Feuerungsanlagen oder als Rohstoff für die Synthesegaserzeugung.
Prof. Jürgen Hahn vom UBA bescheinigte der Firma Herhof in einem Schreiben vom 16. Mai 2002: „Das Trockenstabilatverfahren mit stofflicher und energetischer Nutzung organischer Abfälle und differenzierten Recyclingmöglichkeiten für die anorganischen Fraktionen erfüllt bereits heute die Anforderungen, welche die Bundesregierung für 2020 geplant hat.“
Umwelt-Staatssekretär Rainer Baake lobte in diesem Frühjahr gar Herhofs Vision, den Haushalten in Zukunft ihre Abfälle ungetrennt und kostenlos abzunehmen, diese vollautomatisch zu sortieren und vollständig zu verwerten und die Abfallbehandlungskosten durch Rohstofferlöse zu decken. Indem sie für die EXPO 2000 in Hannover die vollautomatische Sortieranlage SORTEC entwickeln liess, hat die DSD AG ungewollt selbst dazu beigetragen, dieser Vision näher zu kommen und sich selbst überflüssig zu machen.
Edgar Gärtner
Kasten:
DSD-Monopol im Visier
Das deutsche Bundeskartellamt hat Ende August gegen die DSD AG ein förmliches Verfahren nach § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eingeleitet, da die Firma, an der neben den großen Handelsgesellschaften auch die Entsorgungsunternehmen beteiligt sind, die mit dem DSD sogenannte Leistungsverträge abgeschlossen haben, 95 Prozent des Marktes der Entsorgung von Verkaufsverpackungen beherrscht und alternativen Anbietern von Entsorgungsleistungen den Marktzutritt verwehrt. „Sollte das DSD unsere Bedenken nicht ausräumen, wird es ab 2006 in der jetzigen Form nicht mehr weiterexistieren“, erklärte Ulf Böge, der Präsident des Kartellamtes am 23. August in Bonn vor der Presse.
Sein Amt habe bislang im Rahmen seines Ermessensspielraums das Nachfragekartell toleriert, erläuterte Böge. Inzwischen seien aber Entwicklungen eingetreten, die ein Abgehen von dieser Praxis verlangten. Dazu zählten neben den Vorgaben der EU-Kommission (vgl. CR Nr. 10/2001) auch die Ergebnisse einer Durchsuchung der Geschäftsräume mehrer Handelsverbände, die den Verdacht erhärteten, dass diese ihre Mitglieder zum Boykott alternativer Entsorgungsdienstleister wie BellandVision und Interseroh aufgerufen haben.
eg
(erschienen 2002 in: Chemische Rundschau Nr. 17/6. September 2002)