Claude Allègre: Ma vérité sur la planète ; Editions Plon, Paris 2007. ISBN: 978-2-259-20675-4. 240 S. € 18,-
Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven spielt eine wichtige Rolle in der Klimaforschung und wird infolgedessen nicht selten in den Massenmedien zitiert. Aber nur wenige von denen, die heute davon ausgehen, dass das letzte Wort über die Erklärung des aktuellen Klimawandels schon gesprochen ist und es geradezu für unmoralisch erklären, noch an der Schuld des Menschen zu zweifeln, scheinen bereit zu sein, Lehren aus dem Schicksal des Namensgebers des Bremerhavener Instituts zu ziehen. Unsere Schüler lernen, dass Alfred Wegener der Urheber der Theorie der Kontinentalverschiebung ist. Diese beruhte nicht zuletzt auf der durch den Augenschein gestützten Vermutung, dass Afrika und Südamerika vor vielen Millionen Jahren einmal zusammengehangen haben müssen.
Heute dient diese später als „Plattentektonik“ bekannt gewordene Theorie als Standarderklärung für Bewegungen der Erdkruste wie die Verschiebung der Kontinente, die Auffaltung von Gebirgen, den Ausbruch von Vulkanen und die Entstehung von Tsunamis. Als Alfred Wegener seine Theorie im Jahre 1910 erstmals vorstellte, stieß er jedoch bei den Geologen auf höfliche Skepsis, wenn nicht auf kalte Ablehnung, denn er war von Hause aus selbst kein Geologe, sondern „nur“ Meteorologe und Geograf. Den vermeintlichen Todesstoß erhielt Wegeners Theorie vom führenden britischen Seismologen Sir Harold Jeffreys, der mithilfe von viel Mathematik herleitete, warum die von Wegener angenommene Verschiebung der Kontinente unmöglich sei. Erst in den 70er Jahren, als Wegener schon lange auf einer Grönlandexpedition, sich für einen Kameraden opfernd, gestorben war, setzte sich die Theorie des geologischen Amateurs allgemein durch.
Der inzwischen emeritierte führende französische Geophysiker Claude Allègre, der unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin für einige Jahre die undankbare Aufgabe des Erziehungs- und Forschungsministers übernommen hatte, zieht in seinem vor wenigen Monaten erschienenen Buch „Ma vérité sur la planète“ (Meine Wahrheit über unseren Planeten) eine Parallele zwischen der Situation Alfred Wegeners und der heutigen Lage solcher Klimaforscher, die sich wie sein Parteifreund, der ebenfalls emeritierte Geograf und Klimatologe Marcel Leroux, lieber auf das verlassen, was ihre Augen (in Gestalt von Satellitenfotos) sehen, als auf die undurchschaubare Mathematik rein numerischer „Klimamodelle“, die als Grundlage für Computersimulationen dienen.
„Das Wort ‚Konsens’ sollte aus dem Vokabular der Wissenschaft gestrichen werden“, folgert Claude Allègre aus der unglücklichen Geschichte der Theorie Alfred Wegeners. Denn es gibt viele weitere Fälle, in denen Außenseiter am Ende recht behielten. Allègre selbst möchte sich als versierter Naturwissenschaftler der „Konsensmeinung“ des Weltklimarates IPCC, die dem Spurengas Kohlenstoffdioxid (CO2) eine Schlüsselrolle in der Atmosphäre zuschreibt, nicht anschließen. Er hält deshalb auch die „Klimamodelle“, die sich darauf stützen, nicht für brauchbar. Und er bezweifelt die Aussagefähigkeit des in diesen Modellen in den Vordergrund gerückten Parameters „globale Durchschnittstemperatur“. Denn die verstreuten Messwerte, aus denen diese berechnet wird, sind wegen des möglichen Einflusses städtischer Wärmeinseln höchst umstritten. Erst kürzlich musste die NASA ihre Temperaturreihe korrigieren. Nun erscheint auf einmal nicht mehr das Jahr 1998, sondern 1934 als das wärmste Jahr der Neuzeit. Die Korrelation zwischen dem CO2-Gehalt der Atmosphäre und der Temperatur wird, sofern überhaupt vorhanden, immer schwächer.
Allègre entwickelt seine Kritik der derzeit als politisch korrekt geltenden „repressiven“ Ökologie und eine darauf aufbauende Skizze einer freiheitlichen, „evolutiven“ Ökologie am Beispiel des „Ökologie-Paktes“, den der bekannte französische Fernseh-Moderator Nicolas Hulot im Frühjahr dieses Jahres während des letzten französischen Präsidentschafts-Wahlkampfes in die Diskussion brachte. Dieser „Pakt“ wurde von allen Bewerbern für das Präsidentenamt (selbst von der kommunistischen Kandidatin und vom Rechtsausleger Jean-Marie Le Pen) unterschrieben. Die gesamte politische Klasse Frankreichs gibt sich heute also grün. „Würde das Programm Nicolas Hulots umgesetzt“, warnt Claude Allègre, dann bekämen wir in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr einige Hunderttausend zusätzliche Arbeitslose in der Automobilindustrie, im Transportgewerbe, in der Landwirtschaft. Es käme zu einem System der Rationierung, das Frankreich seit der deutschen Besatzung nicht mehr erlebt hat.“
Der Geophysiker nimmt sich auch den ihm persönlich bekannten früheren US-Vizepräsidenten Al Gore vor, den er offen einen „Truand“ (Ganoven) nennt, weil dieser sich in Wirklichkeit mehr um seine Milliardengeschäfte mit heißer Luft als um die Zukunft des Planeten sorge. Allègre zeigt, dass die Machenschaften Al Gores (Angstmache und Ablasshandel) durch das in der Rio-Deklaration von 1992 schlecht definierte „Vorsorgeprinzip“ gedeckt werden. Vor allem die EU sei nach und nach davon abgerückt, Vorsorgemaßnahmen von wissenschaftlichen Risikobewertungen abhängig zu machen. So könnten nun beliebige Ängste als Rechtfertigung für teure Ersatzhandlungen im Namen der Vorsorge dienen.
Was das Thema „Klimawandel“ angeht, hält Allègre nicht viel vom Vergleich globaler Durchschnittstemperaturen. Vielmehr verweist er auf den schon genannten französischen Klimatologen Marcel Leroux, der aufgrund der Auswertung Tausender von Satellitenfotos feststellte, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Zirkulation kalter Luftmassen, die an den Polen entstehen, beschleunigt hat. Diese Beobachtung weise eher auf eine bevorstehende Abkühlung als auf eine Fortsetzung des leichten Erwärmungstrends der vergangenen 150 Jahre hin. Was auch kommen möge, es sei auf jeden Fall vernünftiger, sich daran anzupassen, als sich für einen ebenso teuren wie aussichtslosen Widerstand gegen den Wandel zu entscheiden, betont Allègre. „Es besteht weder für Frankreich noch für Europa die Notwendigkeit, die CO2-Emissionen drastisch zu senken, denn der ökonomische und soziale Preis, der dafür bezahlt werden müsste, ist zu hoch. Das umso mehr, als es keinerlei Anzeichen für ein ähnliches Vorgehen der USA, Chinas und Indiens gibt“, schließt Allègre. Das sieht die theoretische Physikerin Angela Merkel anders. Warum nur?
Edgar Gärtner (in: Chemische Rundschau, 2007)