Alex A. Avery: Die Wahrheit über Bio-Lebensmittel. Verlag Thuss & van Riesen, Jena 2008. € 24,50. ISBN 978-3-940431-01-1
Bio-Lebensmittel sind „in“. Selbst bei großen Discounter-Ketten wie „Lidl“ oder „ALDI“ gibt es inzwischen ein reichhaltiges Sortiment an Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau. Bei Früchten wie Bananen oder Zitronen haben die Kunden oft gar keine andere Wahl mehr, als zu deutlich teurer Öko-Ware zu greifen. Solange man für sein Geld eine überzeugende Qualität bekommt, ist das kein grundsätzliches Problem. Sind Bio-Produkte aber im Hinblick auf den Geschmack, den Nährwert und ihren Gehalt an Giftrückständen wirklich durchgängig besser? Dieser Frage geht der US-Biochemiker Alex A. Avery in einem gut dokumentierten Sachbuch nach, das in den USA zum Bestseller wurde. Der Jenaer Kleinverlag Thuss & van Riesen hat das Buch jetzt ins Deutsche übersetzen lassen. Das lag insofern nahe, als darin auch die Wurzeln und die Praxis des Öko-Landbaus in deutschsprachigen Ländern eine bedeutende Rolle spielen. Dabei wurden leider einige Flüchtigkeitsfehler übersehen.
Wie sein Vater Dennis T. Avery, der früher als Agarexperte in Leitungsfunktionen verschiedener US-Ministerien tätig war, arbeitet Alex Avery heute für das New Yorker Hudson-Institut, eine bedeutende technikoptimistische Denkfabrik. Alex Avery, der mit seiner Familie nicht in der Großstadt, sondern in einem Agrarbezirk des US-Bundesstaates Virginia lebt, bevorzugt selbst in manchen Fällen Bio-Ware. Er stört sich jedoch daran, dass sich viele Anhänger der Öko-Landbaus nicht als normale Wettbewerber der mit chemischer Hilfe arbeitenden Bauern verstehen, sondern als Erleuchtete, die glauben, ihre Lehre der ganzen Welt als einzig selig machend vorschreiben zu können.
Alle Schulen des „organischen“ Landbaus berufen sich direkt oder indirekt auf den österreichischen Mystiker Rudolf Steiner (1861 bis 1925). Dieser wollte nicht wahrhaben, dass die Entdeckung der Harnstoffsynthese durch Friedrich Wöhler und der Ammoniaksynthese durch Fritz Haber und Carl Bosch dem von Goethe vertretenen Vitalismus, d.h. der Auffassung, der Stoffwechsel in Organismen bedürfe einer besonderen Lebenskraft, endgültig den Boden entzogen hatte. Steiner und seine Nachfolger behaupteten, synthetische Stickstoffquellen seien nur ein schlechter Ersatz für natürlichen Kuhdung und führten zu minderwertigen Lebensmitteln. Der Kuhmist hingegen enthalte Astral-Energie, die die Kuh mithilfe ihrer Hörner aus dem Kosmos empfange.
Avery weist demgegenüber darauf hin, dass Pflanzen Stickstoff grundsätzlich nur in Form anorganischer Ionen aufnehmen können. Organisch gebundener Stickstoff muss erst von Mikroorganismen des Bodens „verdaut“ werden und steht dementsprechend Kulturpflanzen nur eingeschränkt zur Verfügung. Das sei der Hauptgrund für die durchwegs geringeren Erträge der Bio-Bauern im Vergleich zu Wettbewerbern, die Kunstdünger einsetzen. Verfechter des Öko-Landbaus geben das im Allgemeinen auch zu, behaupten aber, ihre schlechter gedüngten Pflanzen seien gesünder für die Menschen.
Auch dafür, so Avery, fehlt jeglicher Beweis. Nachgewiesen ist hingegen, dass Pflanzen aus Mist oder Jauche potenziell gefährliche Bakterien wie Campylobacter aufnehmen, die in ihren Leitgefäßen lange überleben können. Beim Verzehr von Rohkost stellen diese ein ernstes Infektionsrisiko dar. Die US-Gesundheitsbehörden schätzen die Zahl der jährlichen Campylobacter-Infektionen auf fast zwei Millionen. Noch unklarer sei die Beweislage bei Pestizidrückständen, betont Avery. Leider glaubten viele Verbraucher das Märchen, in Öko-Betrieben werde nicht gespritzt. Wer auch nur ein wenig von Landwirtschaft versteht, weiß jedoch, dass das nicht stimmen kann. Vielmehr erweist sich die Vorbeugung und Bekämpfung massenhaften Schädlingsbefalls als Sisyphus-Arbeit, unter der so gut wie alle Landwirte unabhängig von den Landbaumethoden, die sie anwenden, stöhnen. Leider, schreibt Avery, gebe es aber für die meisten der im Öko-Anbau zugelassenen Spritzmittel bis zum heutigen Tage keine schnellen und preiswerten Nachweismethoden. Folglich scheuten die Kontrollbehörden bei Bio-Ware oft den Aufwand und konzentrierten sich auf den Nachweis synthetischer Spritzmittel.
Hier mit zweierlei Maß zu messen, verbiete sich aber schon deshalb, weil etliche der im Öko-Anbau zugelassenen Präparate alles andere als harmlos sind. So ist das im ökologischen Weinbau in größeren Mengen für die Bekämpfung des Mehltaus eingesetzte Kupfersulfat (Bouillie bordelaise) bis zu 1.000 Prozent giftiger als das im Öko-Anbau bislang nicht erlaubte synthetische, aber biologisch abbaubare Fungizid Thiabenzadol. Kupfersulfat verursacht bei Winzern schwere Leberschäden und reichert sich unter den Weinstöcken über die Jahre so stark an, dass schließlich ein kompletter Bodenaustausch erforderlich wird. Das im Bio-Landbau für die Bekämpfung von Schadinsekten eingesetzte Pyrethrum, ein Extrakt von afrikanischen Chrysanthemen, wurde von der US-Umweltbehörde EPA nicht nur als starkes Nervengift, sondern auch als „wahrscheinlich für Menschen krebserregend“ eingestuft. Seine Prüfung auf Gen- und Fortpflanzungstoxizität steht noch aus. Bis vor wenigen Jahren durften Öko-Bauern auch noch Nikotinsulfat einsetzen, das 40-mal giftiger ist als das bei uns schon vor Jahrzehnten verbotene DDT. Sind in Bio-Lebensmitteln keine Pestizidrückstände nachgewiesen, heißt das also noch lange nicht, dass sie unbelastet sind.
Alex Avery beschäftigt sich auch mit der Angst der Europäer vor Hormonrückständen in Rindfleisch, die schon beinahe zu einem Handelskrieg zwischen der EU und den USA geführt hätte. Im Unterschied zu Europa arbeiten amerikanische Farmer bei der Rindermast aus verschiedenen Gründen überwiegend mit kastrierten Tieren (Stieren). Da diese wegen der nachlassenden Sexualhormonproduktion zu unerwünschtem Fettansatz neigen, versieht man ihre Ohren mit einem Hormonimplantat. Beim Schlachten werden diese Ohren entsorgt. Das vermarktete amerikanische Rindfleisch enthält im Schnitt deutlich weniger Sexualhormone als europäisches Rindfleisch, da dieses überwiegend von Bullen in den besten Mannesjahren stammt. Es ist nicht bekannt, dass das Fleisch hormonbehandelter Tiere irgendwo zur Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit geführt hat. Gut dokumentiert ist hingegen, dass Jungen Brüste wuchsen, deren Haut mit ökologischem Lavendel- oder Teebaumöl eingeschmiert worden war.
Schließlich weist Avery auf den enormen Flächenbedarf der Öko-Landwirtschaft hin. Stickstoffmangel wird dort zum Dauerproblem. Viele Öko-Bauern kaufen Kuhdung von konventionell, d.h. mithilfe von Kunstdünger arbeitenden Betrieben. Wer es sich leisten kann, benutzt einen größeren Teil seines Bodens für den Anbau Luftstickstoff fixierender Leguminosen als Grün-Dung. Daher eigne sich der Öko-Anbau nur für die Versorgung von Marktnischen, sei aber in einer Welt mit einer weiter wachsenden Bevölkerung nicht verallgemeinerbar. Dann müsste die ganze Erde unter den Pflug genommen werden und es blieben kaum noch Lebensräume für die wilde Flora und Fauna. Gerade aus Gründen des Naturschutzes müsse die Intensivierung der Landwirtschaft fortschreiten. Große Chancen für die kostengünstige Herstellung gleichzeitig umweltschonender und gesundheitsfördernder Lebensmittel böten Bio- und Gentechnik.
Schade, dass dieser kompetente Beitrag zur Diskussion über die Zukunft der Ladwirtschaft nicht in einem größeren Verlag erschienen ist. Jedenfalls verdient er größere Aufmerksamkeit. Denn im Unterschied zur amerikanischen befindet sich die europäische Debatte zu diesem Thema in einer Sackgasse, aus der bislang niemand einen Ausweg kennt.
Edgar Gärtner (in: Chemische Rundschau, 6/2008)
Zum gleichen Thema sehr empfehlenswert ist auch das Buch meiner Kollegen:
Dirk Maxeiner/Michael Miersch:
Biokost & Ökokult. Welches Essen ist wirklich gut für uns und unsere Umwelt. Piper Verlag, München-Zürich 2008. 237 Seiten. € 14,- ISBN 978-3-492-05100-2
Es stützt sich zum Teil auf die Originalausgabe des oben besprochenen Buches von Avery, stellt die Vor- und Nachteile von “konventioneller” und Bio-Kost jedoch in Form aktueller Interviews mit Experten unterschiedlicher Disziplinen dar. Dadurch wird das Büchlein, das deswegen volständig auf wissenschaftliche Quellenangaben verzichtet, leichter lesbar als das detailliert dokumentierte Buch von Avery.