Die Landwirtschaft braucht dringend neue Pestizide. Doch deren Entwicklung ist sehr aufwändig. Auch große Agrochemie-Konzerne setzen deshalb neuerdings auf kostengünstigere Bio-Pestizide, die auf der originellen Kombination bekannter Pflanzenextrakte beruhen. Gerade im Hinblick auf das Resistenz-Management dürfte die Zukunft der Kombination sehr unterschiedlicher Wirkstoffe gehören.
Die Landwirtschaft braucht dringend neue Pestizide. Doch deren Entwicklung ist sehr aufwändig. Auch große Agrochemie-Konzerne setzen deshalb neuerdings auf kostengünstigere Bio-Pestizide, die auf der originellen Kombination bekannter Pflanzenextrakte beruhen.
Neue umweltverträgliche Techniken und Hilfsmittel zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität gelten nach dem Platzen der US-Immobilienblase für Kapitalanleger auf der Suche nach zukunftsträchtigen Investitionsmöglichkeiten als besonders interessant. Denn es gibt nach dem Auslaufen der Zulassung einer Reihe mehr oder weniger bewährter Pflanzenschutzmittel seit dem Inkrafttreten der neuen, strengeren Pestizidrichtlinie der EU einen wachsenden Markt für ökologisch sichere und gesundheitlich unbedenkliche Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel. Gewässerbelastungen infolge der Ausschwemmung von überschüssigem Stickstoffdünger mahnen die Entwicklung neuer Methoden der Pflanzenernährung an. Schließlich führt der Klimawandel zu wachsender Nachfrage nach widerstandsfähigeren Kulturpflanzen. Dabei ist Trocken- beziehungsweise Kälteresistenz ebenso gefragt wie Hitze- und Mangelernährungstoleranz.
Auch der bislang nur durch Bio-Branchenverbände, nicht aber durch staatliche Behörden geregelte Markt für Bio-Pflanzenschutzmittel steht vor neuen Herausforderungen, denn die EU-Kommission hat im Januar 2009 verfügt, dass das im Bio-Anbau bislang als hoch wirksames Universal-Fungizid eingesetzte Kupfersulfat (Bouillie bordelaise) wegen der damit verbundenen gefährlichen Anreicherung des giftigen Schwermetalls Kupfer im Boden nur noch für maximal sieben Jahre zugelassen bleibt. Nach dem Ablauf dieser Gnadenfrist wird die ärgerliche Praxis, im konventionellen und Bio-Anbau mit zweierlei Maß zu messen, also ein Ende haben.
Wegen der im internationalen Rahmen nach wie vor bestehenden Rechtsunsicherheit geht der Trend in Richtung inhärent sicherer „Bio-Pestizide“, deren Herstellung und Anwendung ohne Gentechnik auskommen. Welche Produkte sich mit dem Bio-Label schmücken können, wird allerdings diesseits und jenseits des Atlantik unterschiedlich definiert. Deshalb zielen immer mehr Entwickler alternativer Pflanzenschutzmittel von vornherein gar nicht mehr auf dieses Label ab. Ohnehin drängen Investoren darauf, die neue Generation von Pestiziden aus dem Nischenmarkt „Bio“ herauszubringen, weil dieser, trotz eines starken Wachstums in den letzten Jahren, nach wie vor nur maximal zwei Prozent des globalen Pestizidmarktes von 20 bis 24 Milliarden Euro ausmacht.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich neuerdings so gut wie alle im Agrochemie-Geschäft engagierten großen Konzerne um eine Zusammenarbeit mit Entwicklern alternativer Pestizide bemühen. So vertreibt die BASF das von der kalifornischen Firma AgraQuest entwickelte Biofungizid „Serenade“. BAYER CropScience beteiligt sich an der zur israelischen Minrav-Gruppe gehörenden Biopestizid-Firma Agrogreen, um neuartige Saatgutbehandlungsmittel wie Bio-Nematizide (Bio-Nem mit dem Wirkstoff Bacillus firmus) und Bio-Fungizide anbieten zu können. Andere Konzerne wie Syngenta in der Schweiz sowie Monsanto, DuPont und Dow AgroSciences in den USA verfügen bereits seit etlichen Jahren über eigene Biopestizid-Abteilungen. Investitionen in die Entwicklung synthetischer Pestizide wurden dagegen zurückgefahren.
Neben den eingangs angeführten Gründen spielen dabei offenbar auch Kosten-Erwägungen eine große Rolle. Nach Pamela Marrone, der Gründerin der kalifornischen Marrone Bio Innovations (MBI), die in ICIS Chemical Business vom 9. Juni 2009 zitiert wird, nimmt die Entwicklung eines Biopestizids im Schnitt nur drei Jahre in Anspruch und kostet weniger als fünf Millionen Dollar, während die Entwicklung eines synthetischen Pflanzenschutzmittels zehn Jahre dauert und etwa 200 Millionen Dollar verschlingt. Hinzu kommen allerdings Zeitaufwand und Kosten der globalen Registrierung, die weniger stark voneinander abweichen. Die Registrierung kann bei synthetischen Pestiziden acht bis zehn Jahre in Anspruch nehmen, bei Biopestiziden nur zwei Jahre weniger. Die US Umweltbehörde EPA ermöglicht allerdings bei Biopestiziden eine wesentlich schnellere Registrierung.
Die Entwicklung chemischer Pestizide ist schon deshalb so aufwändig, weil nach bisherigen Erfahrungen kaum mehr als eine einzige von 100.000 gescreenten Verbindungen gute Chancen auf dem Markt hat. Wesentlich günstiger sind die Aussichten für patentierbare Cocktails bekannter Wirkstoffe. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit unter anderem auf Öle, die im organischen Landbau – mit unterschiedlichem Erfolg – schon seit längerem als Insektizide eingesetzt werden. So bietet der bekannte israelische Generika-Vermarkter Makhtesim-Agan seit einigen Jahren ein Insektizid/Akarizid auf Mineralölbasis an. Dieses hat aber wohl kaum Chancen, als „Bio“ durchzugehen.
In diesem Frühsommer machte die im Frühjahr 2003 von einer Gruppe von Pflanzenschutzspezialisten gegründete britische Entwicklungsfirma Plant Impact Plc, Preston von sich reden. Sie setzt auf neue ebenso umweltfreundliche wie kostengünstige Wege in der Pflanzenernährung und Schädlingsbekämpfung unter Umgehung der politisch umstrittenen Gentechnik. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung eines Pestizids mit dem Namen BugOil® auf der Basis von Speiseölen, hauptsächlich Rapsöl bestimmter Qualität, die mit Spuren von Gewürzpflanzen-Auszügen versetzt werden. In diesem Fall ist das eine patentierte Mischung von synergistisch wirkenden Extrakten von gemeinem Thymian, Tagetes erectus und Scheinbeere, auch bekannt als amerikanisches Wintergrün (Gaultheria procumbens), an der die Firma über sechs Jahre gearbeitet hat. Es soll in Konzentrationen von 10 bis 20 ml/l gegen Milben, Blattläuse, Weißfliegen, Fransenflügler und andere saugende Insekten mindestens ebenso effizient sein wie gängige chemische Mittel (so zum Beispiel das von Imkern als Ursache des Bienensterbens verdächtigte Insektizid Imidacloprid, vermarktet als „Gaucho“, von BAYER), keine giftigen Rückstände hinterlassen und bei Schädlingen wahrscheinlich keine Resistenzbildung auslösen. Seine Zulassung im Vereinigten Königreich steht bereits an.
Anfang Juni 2009 wurde in London bekanntgegeben, dass der bekannte japanische Pflanzenschutz-Konzern Arysta für die kommenden 20 Jahre eine exklusive Lizenz für die weltweite Registrierung, Herstellung und Vermarktung von BugOil erworben hat (ausgenommen sind der Garten- und Heimtiermarkt). Plant Impact und Arysta arbeiten bei der noch ausstehenden Zulassung von BugOil in der EU und in den USA sowie in weiteren 125 Ländern der Welt eng zusammen. „Dieses Abkommen wird die Agrarchemie revolutionieren“, erklärte Plant Impact Chef Peter Blezard in London. „Diese Industrie, die früher bei Umweltschützern nicht im besten Ruf stand, wird sich nun stärker um die Qualität der Ernteerträge und um die ökologische Gesundheit unseres Planeten kümmern.“ Arysta-Chef Chris Richards kündigte an, ähnliche Lizenzabkommen auch für die übrigen von Plant Impact entwickelten Technologien abschließen zu wollen. Dazu gehören: ein Präparat namens „CaT“, das ein Pflanzenhormon nachahmt, das die Calcium-Pumpe der Pflanzen anregt, der umweltfreundliche Stickstoffdünger „PiNT“ auf Amin- und Ammonium-Basis sowie der Wachstumsbeschleuniger „Speedo“ auf der Basis von Pflanzenextrakten.
Demgegenüber geben sich die Großen im Agrochemie-Geschäft weniger euphorisch. Sie sehen in der Einführung der genannten Bio-Pestizide fürs erste weniger eine grundsätzliche Trendwende, sondern eher eine interessante Ergänzung ihres herkömmlichen Angebots. So weist Annette Pohl vom BASF-Pflanzenschutz in Limburgerhof darauf hin, dass ihr Haus den Einsatz des Bio-Fungizids „Serenade“ nicht allein, sondern nur in intelligenter Kombination mit anderen Präparaten empfiehlt. Utz Klages von BAYER Cropscience bezweifelt, ob Präparate wie BugOil alleine in der Lage sind, hartnäckigen Bodenschädlingen wie Nematoden den Garaus zu machen. Aber wie die Vertreterin der BASF sieht auch er in den Bio-Pestiziden eine interessante Erweiterung des Feldes der Pflanzenschutzforschung. Es gelte hier der Grundsatz „Das Bessere ist der Feind des Guten.“ Niemand erwarte noch, eines Tages gegen irgendeinen Schädling ein Allheilmittel finden zu können. Das Aufkommen von Resistenzen macht den Pflanzenschutz in der Tat zur Sisyphus-Arbeit. Gerade im Hinblick auf das Resistenz-Management dürfte die Zukunft der Kombination sehr unterschiedlicher Wirkstoffe gehören.
Edgar L. Gärtner
(erschienen in: Chemische Rundschau Nr. 9 vom 10. September 2009)