Reinalter, Helmut: Die Weltverschwörer. Was Sie eigentlich alles nie erfahren sollten. 184 Seiten, 19,95 Euro. Ecowin 2010
Der Titel dieses Buches täuscht. Es handelt sich dabei nicht um eine weitere reißerische Zusammenfassung der Legenden über die Weisen von Sion, Freimaurer, Bilderberger, Trilaterale, Club of Rome & Co, sondern um eine trockene und leider nicht ganz übersichtlich gegliederte historisch-politikwissenschaftliche Analyse neuzeitlicher Verschwörungstheorien. Der an der Universität Innsbruck lehrende Historiker und Völkerkundler Reinalter gilt als Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei als ausgewiesener Kenner der Verschwörungsforschung. Er untersucht die Hintergründe des im Zeitalter der europäischen Aufklärung aufgekommenen Verdachts, geheime Gesellschaften machten Weltpolitik oder lenkten gar den Lauf der Welt. Den Menschen des christlichen Mittelalters war eine solche Vorstellung fremd, da sie ohnehin davon ausgingen, dass nicht der Mensch, sondern Gott den Weltenlauf bestimmt. Allerdings finden sich gerade in den einflussreichsten Verschwörungstheorien der Moderne auch Motive der biblischen Apokalypse oder der spätmittelalterlichen Dämonologie.
Dennoch ist das Verschwörungsdenken als solches ein Kind der Aufklärung. Stießen die Weltverbesserungspläne der Aufklärer auf Widerstände, lag es nahe, sie auf obskurantistische Machenschaften zurückzuführen. Um dem Fortschritt dennoch auf die Sprünge zu helfen, bot sich die Gründung eigener Geheimgesellschaften vom Typ der Jakobinerclubs oder Freimaurerlogen an. Thron und Altar auf der einen und die Jakobiner auf der anderen Seite konnten sich gegenseitig Verschwörung vorwerfen. „Die Verschwörungstheorie ist demnach nicht ein distanziertes und unparteiisches Erkenntnisinstrument, sondern vielmehr eine ideologisch-politische Waffe zur Feindbildbestimmung und Feindbekämpfung“, stellt Reinacher fest. Ob Verschwörungen real oder nur eingebildet waren, blieb dabei zweitrangig.
Reinalter unterscheidet zwischen „rechten“ und „linken“ Verschwörungstheorien, unterlässt es aber, die Theorie einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, die bekanntlich in der nazistischen Ideologie eine zentrale Rolle spielte, klar einer Seite zuzuordnen. Auf das ursprünglich im zaristischen Russland entstandene Machwerk „Protokolle der Weisen von Sion“ beriefen sich jedenfalls nicht nur Hitler und Rosenberg, sondern auch klerikale Publizisten.
Auch in aktuellen Mythen und Verschwörungstheorien, die sich um den 11. September 2001 ranken, spielen die den „Protokollen“ zugrunde liegenden Anspielungen auf den apokalyptischen Endkampf zwischen den göttlichen Mächten des Lichts und den teuflischen Mächten der Finsternis eine wichtige Rolle, stellt Reinalter fest. Dabei gesteht er, dass auch er den offiziellen Darstellungen der Vorbereitung und des Ablaufs der Zerstörung des New Yorker World Trade Center misstraut. Er räumt ein, dass die bekannten Abläufe ohne geheimdienstliche Manipulationen im Untergrund nicht erklärbar sind. Von der Auffassung, die US-Außenpolitik werde im Wesentlichen von einer „Israel-Lobby“ gesteuert, mag sich Reinalter nicht klar distanzieren.
Der Autor schließt aus seiner Übersicht, dass Verschwörungstheorien meist von einem antiliberalen Weltbild ausgehen und zum Totalitarismus tendieren. Einer gesellschaftlichen Minderheit würden übermenschliche Fähigkeiten angedichtet, um sie dämonisieren zu können. Bei alledem schließt Reinalter nie aus, dass es im Laufe der Geschichte neben Verschwörungsgerüchten immer wieder auch tatsächlich Verschwörungen gab. Darüber geben Gerichtsakten Aufschluss. Leider beschäftigt sich der Innsbrucker Professor nicht mit den jährlichen Treffen der Bilderberger oder mit dem Wirken von Gremien wie der Trilateral Commission oder des Club of Rome. Daran hängen sich zurzeit wohl die meisten Verschwörungsgerüchte auf. Ich hätte gerne erfahren, wie Reinalter die Funktion dieser Gremien einschätzt.
Edgar L. Gärtner