Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2011. 782 S., geb., 29,95 €
Der Bielefelder Umwelthistoriker Joachim Radkau sieht sich in der Tradition Max Webers. Das bedeutet allerdings nicht, dass er das Ideal der „Wertfreiheit“ hochschätzt. Vielmehr gibt er zu verstehen, dass er die Geschichte der „grünen“ Bewegung seit der Naturschutz- und der Hygiene-Bewegung des 19. Jahrhunderts nicht aus der Perspektive des nüchternen Beobachters, sondern aus der Innensicht eines überzeugten Mitläufers beschreibt. Sonst würde er die Zeit nach 1970 wohl kaum „Ära der Ökologie“ nennen. Es gibt mindestens ebenso gute Gründe, die gleiche Periode als „Ära des ungedeckten Papiergeldes“ und der damit verbundenen Macht der Finanzindustrie zu charakterisieren. Dennoch beeindruckt Radkaus Darstellung durch Skeptizismus und Selbstironie. Die deutschen Grünen kommen dabei übrigens nicht gut weg.
An etlichen Stellen zeigt Radkau auf, dass man die Geschichte der Umweltbewegung auf ganz verschiedene Weise erzählen könnte. So stellt er die Arbeit der Bundestags-Enquête „Zukünftige Kernenergiepolitik“ unter Reinhard Ueberhorst (SPD) in Form einer Habermas- und einer Luhmann-Version vor. Er deutet auch an, dass hinter dem als Durchbruch im globalen Umweltschutz gefeierten Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht von 1987 handfeste Wirtschaftsinteressen standen. Leider nennt er aber den damit gemeinten US-Konzern DuPont nur im Anmerkungsapparat beim Namen. „Globale Umweltfragen besitzen ein Doppelgesicht von realem und konstruiertem Problem“, hält Radkau fest. Besonders deutlich werde das in der Klimapolitik, deren praktischer Nutzen gegen Null geht. Stattdessen diene der „Klimaschutz“ wie auch der undefinierte Begriff „Nachhaltigkeit“ der Legitimation zentraler Herrschaft und dirigistischer Eingriffe in die Wirtschaft, sagt der Historiker mit eingestandenen Anarcho-Sympathien.
Nüchtern beobachtet Radkau, dass entscheidende Impulse für die Ökologiebewegung „von oben“ ausgingen und dass die apokalyptische Angst, mit denen die zentralistische Politik begründet wird, eher in den Medien inszeniert als wirklich empfunden wurde. Der Pastorensohn weiß auch, dass aus der Ökologie keine direkten Handlungsanweisungen abgeleitet werden können: „Die ökologische Wissenschaft im strengen Sinne bietet weder eine Basis für Werturteile noch für Aktionsprogramme. Wenn alles mit allem zusammenhängt, jedes Handeln unbeabsichtigte Nebenwirkungen hat, die Natur auch ohne menschlichen Einwirkungen in stetem Wandel ist und wir die unendliche Welt der Mikroorganismen ohnehin nicht auch nur annähernd überschauen: Woher bezieht da ein Öko-Prophet seine Autorität, wenn er mit düsterer Miene und dröhnender Stimme zur Buße ruft?“
Zu Recht fragt Radkau, ob sich die Umweltbewegung mit dem Vorrang, den sie dem globalen Klimaschutz einräumt, nicht in einer Sackgasse verrannt hat. Deshalb warnt er: „Wer jeden, der an der Hockeyschläger-Klimakurve zweifelt, wie einen Holocaust-Leugner behandelt, strapaziert den Zusammenhalt der Umweltberwegung ebenso wie der, für den jeder ein Feind ist, der nicht alle Formen der Kerntechnik radikal und bedingungslos ablehnt.“
Dennoch gelangt Radkau zum Schluss: „Die Umweltbewegung liebte weit mehr die Diskussion als das Gefolgschaftswesen und gehört aufs Ganze gesehen eher in die Tradition der Aufklärung als in die der chiliastischen Bewegungen.“ Doch bemerkt er an anderer Stelle selbst: „Bei Fragen der Energiepolitik geht es in eminentem Maße um Macht; durch Kommunikation allein werden sie nicht entschieden.“ Warum ist er diesem Hinweis nicht gefolgt? Hätte er die Tragweite der von ihm selbst identifizierten Anstöße aus Zentren der Definitionsmacht wie der Rockefeller-Stiftung oder dem Stab des deutschen Bundesinnenministeriums unter Günter Hartkopf und Peter Menke-Glückert noch herunterspielen können, wenn er das getan hätte? Ich glaube nicht. Deshalb halte ich Radkaus Darstellung der Geschichte der „grünen Aufklärung“ trotz aller Demystifizierung für eine potenziell gefährliche Verharmlosung einer von langer Hand eingefädelten Massenbewegung.
Edgar L. Gärtner
(erschienen in: eigentümlich frei Nr. 115, September 2011)