Abfallpolitik in Europa

Die Europäische Union revidiert ihre Abfallrahmenrichtlinie. Rechtsunsicherheiten sollten ausgeräumt und die Abfallmengen von der Produktionssteigerung entkoppelt werden. Großen Streit gab es über die Vorzüge der Abfallverbrennung, die Art der Kunststoffverwertung und die Rolle der Kommunen im Verhältnis zur Privatwirtschaft. Der Trend geht in Richtung kommunale Planwirtschaft.

EU-Abfall-Rahmenrichtlinie

Europa auf dem Wege in die Recycling-Gesellschaft?

Die Europäische Union revidiert ihre Abfallrahmenrichtlinie. Rechtsunsicherheiten sollen ausgeräumt und die Abfallmengen von der Produktionssteigerung entkoppelt werden. Großen Streit gab es über die Rolle der Abfallverbrennung und der Kommunen im Verhältnis zur Privatwirtschaft. Im Juni 2008 einigten Parlamentarier und Bürokraten auf einen Kompromiss.

Am 17. Juni 2008 hat das Europa-Parlament (EP) in Strassburg in zweiter Lesung der Kompromissfassung einer Revision der EU-Abfall-Rahmenrichtlinie zugestimmt, der zwar den Interessen der Industrie entgegenkommt, gleichzeitig aber auch Bestrebungen einer Rekommunalisierung der Abfallwirtschaft fördert. Wäre es hingegen nach dem Willen der übergroßen Mehrheit des Umweltausschusses des EP gegangen, bekäme die europäische Abfallwirtschaft schon bald große Ähnlichkeit mit dem Sero-System der untergegangenen DDR. (Für die, die damit nichts anzufangen wissen: Mithilfe des Sero-Systems gewann die sozialistische Wirtschaft, um knappe Devisen zu sparen, mit wirtschaftlich unvertretbar hohem Aufwand Sekundärrohstoffe.) Der liberale Europa-Abgeordnete Holger Krahmer (Leipzig), umweltpolitischer Sprecher der FDP im EP, hat als durchgängiges Motiv der am 8. April 2008 vorgelegten Stellungnahme des Umweltausschusses zum Ratsentwurf („Gemeinsamer Standpunkt“) der neuen Richtlinie die „Verliebtheit in die Planwirtschaft“ ausgemacht. Das sagte der Ex-Marxist auf einem Symposium der tecpol GmbH für ökoeffiziente Polymerverwertung und der BKV Plattform für Kunststoff und Verwertung in Frankfurt.

Alle Vorschläge des Ausschusses, so Krahmer, laufen auf mehr Bürokratie hinaus. Die Abfalldefinition sei keineswegs klarer geworden. Werde sie beibehalten, mache die Abgrenzung zwischen Produkten und Abfällen mühsame Abstimmungsverfahren notwendig, die obendrein in verschiedenen Mitgliedsländern der EU zu unterschiedlichen Ergebnissen führen dürften. Die Abfallverbrennung werde von den Parlamentariern nur in sehr eingeschränktem Maße als sinnvolle Verwertung anerkannt. Zudem werde die grenzüberschreitende Privatisierung der Abfallwirtschaft erschwert und der Rekommunalisierung Vorschub geleistet, ohne dem unerwünschten „Mülltourismus“ die Grundlage zu entziehen.

Als die EU-Kommission im Dezember 2005 die Revision alten der Abfallrahmenrichtlinie von 1975 auf den Weg brachte, wurde sie im Wesentlichen von zwei Motiven geleitet:

• Die gewünschte Entkopplung der Abfallmengen von der steigenden Arbeitsproduktivität sei nicht beobachtbar. Es bedürfe bindender nationaler Recyclingziele, um zu greifbaren Ergebnissen zu gelangen. Ziel der EU müsse die Überwindung der Wegwerf-Mentalität in einer „Recycling-Gesellschaft“ sein.

• Die Rechtsunsicherheiten bei der Abgrenzung zwischen Produkt und Abfall sowie zwischen der Verwertung und der Beseitigung von Abfällen sollen ausgeräumt werden.

Ähnlich wie REACh unterlag auch die Revision der Abfallrichtlinie, die in Brüssel unter dem Kürzel WFD (Waste Framework Directive) zirkuliert, dem für Außenstehende kaum verständlichen Mitentscheidungsverfahren, bei dem es zu einem kompliziert erscheinenden Hin und Her zwischen Kommission, Parlament und Rat kommt. In einem „Trilog“ in der Endphase der Auseinandersetzung versuchen die Gremien dann zu vermeiden, dass das Gesetzesvorhaben in einem finalen „Showdown“ untergeht. Bis September 2006 waren zum Kommissionsvorschlag von 2005 über 600 Änderungsanträge eingegangen. Nach seiner 1. Lesung im Europa-Parlament Ende Februar 2007 zeichnete sich ein Einvernehmen zwischen Parlament und Rat über folgende Ziele ab:

• Stabilisierung des gesamten Abfallaufkommens der EU (derzeit jährlich 1,8 Milliarden Tonnen) bis 2012,

• verbindliche Recyclingziele bis 2020 von 50 Prozent für Siedlungsabfälle und 70 Prozent für Bauschutt.

Dabei muss man wissen, dass in einigen EU-Mitgliedsstaaten heute noch 90 Prozent der Siedlungsabfälle auf Deponien gehen, in anderen aber nur noch 10 Prozent.

Unterschiedliche Ansichten gab es hinsichtlich der Hierarchie der Abfallbehandlung. Als oberstes Ziel der Abfallpolitik sah schon die Kommission in ihrem Vorschlag die Abfallvermeidung. Während aber die Kommission die fünfstufige Hierarchie von Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling, sonstige Verwertung und Beseitigung nur im Sinne einer Leitlinie verstand, forderte die Mehrheit des EP eine dirigistische Regelung und sah dabei obendrein die Abfallverbrennung überwiegend nicht als sinnvolle Verwertung, sondern als minderwertige Beseitigung von Abfällen an. Nur die Verbrennung in hoch energieeffizienten Anlagen mit einem Stützfeuerungsanteil von weniger als 39 Prozent Primärenergie sollte als Verwertung zugelassen werden. Diese höchst umstrittene Einschränkung wurde im April 2008 vom Umweltausschuss des EP mit einer knappen Mehrheit von 29 zu 24 Stimmen bestätigt. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder erklärte die Deponierung und die Verbrennung von Abfällen für gleichermaßen unerwünscht. Damit fielen die Europa-Parlamentarier hinter den im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz von 1994 und in der deutschen Praxis der Genehmigung von Abfallverbrennungsanlagen erreichten Erkenntnisstand zurück. Es steht in Deutschland heute selbst bei den Grünen außer Zweifel, dass mit modernen Filtern ausgerüstete Kehrricht-Verbrennungsanlagen effiziente Senken für Dioxine, Quecksilber, Cadmium und andere Schadstoffe darstellen.

Industrieverbände, allen voran PlasticsEurope, die Vereinigung der europäischen Kunststoffhersteller, forderten demgegenüber eine flexible, d.h. stoff- und produktbezogene Hierarchie, die Lebenszyklusanalysen Rechnung trägt. Diese Analysen kamen im Falle der Verwertung ausgedienter Kunststoffverpackungen übereinstimmend zum Schluss, dass ein Anteil des werkstofflichen Recyclings in der Größenordnung von 15 bis 25 Prozent optimal ist. Eine höhere Wiederverwertungsquote bringe nicht nur rasch steigende Kosten mit sich, sondern führe gegenüber der Verbrennung oder der rohstofflichen Verwertung von Plastikabfällen in der Stahlindustrie auch zu sinkender Öko-Effizienz. PlasticsEurope erinnert daran, dass Kunststoffabfälle sozusagen „eingefrorenes Öl“ darstellen und aufgrund ihres hohen Heizwertes andere Brennstoffe ökologisch sinnvoll ersetzen können. Die Kunststofferzeuger befürworten daher eine weite Recyclingdefinition, die auch die rohstoffliche Verwertung von Kunststoffresten als Reduktionsmittel in Hochöfen einschließt, sowie die Anerkennung der energetischen Nutzung von Plastikabfällen als Verwertung.

Eine solche weite Definition des Recycling war auch im ursprünglichen Richtlinien-Vorschlag der Kommission enthalten. Es hieß dort, Recycling ist „die Verwertung von Abfall in Produkte, Werkstoffe oder Rohstoffe, entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke. Es schließt eine energetische Verwertung nicht mit ein.“ Diese Definition ging in den Ende 2007 veröffentlichten „Gemeinsamen Standpunkt“ des Rates ein. Doch der Umweltausschuss des EP schloss sich einem im März 2008 vorgelegten Änderungsantrag an, der die Anerkennung des Einsatzes von Kunststoffabfällen als Reduktionsmittel als rohstoffliches Recycling ausschließt. PlasticsEurope machte sich selbstverständlich für die weite Recycling-Definition der EU-Kommission stark. Der Verband hat dabei vor allem die Verwertung von etwa 400.000 Tonnen geshredderten Kunststoffverpackungen mit dem „Grünen Punkt“ aus der Sammlung des Dualen Systems Deutschland (DSD) und der Kunststoff-Fraktion von geshredderten Altautos in Hochöfen der österreichischen Voestalpine Stahl, in Schmelzöfen der belgischen Umicore und weitere Projekte in Salzgitter im Auge. Insgesamt, so Dr. Ingo Sartorius von PlasticsEurope, müssten für über 600.000 Tonnen Kunststoffabfälle neue Verwertungsmöglichkeiten gefunden werden, hätte sich die enge Recycling-Definition durchgesetzt.

Sowohl die deutsche Industrie als auch die Berliner Regierung machten sich für die Verwertungsdefinition der Kommission wie auch des gemeinsamen Standpunktes des Rates stark. Danach gelten als Abfallverwertung Verfahren, „in deren Ergebnis die Abfälle einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, so dass andere Ressourcen, die für diesen Zweck eingesetzt worden wären, innerhalb oder außerhalb der Anlage ersetzt werden…“ Nur eine solche Definition erlaube eine Verbindung zwischen Materialwirtschaft und Energiegewinnung im Sinne der Ressourcen- und Energieeffizienz. Deutschland drängte deshalb darauf, die Revision der WFD noch vor Ablauf der slowenischen EU-Präsidentschaft durch die 2. Lesung des EP-Plenums und die 2. Lesung des Rates zu bringen.

Den Durchbruch brachte ein „Trilog“ am 2. Juni 2008. Es kam dort zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament zu einem Kompromiss, dessen Kern der Verzicht der von der EP-Mehrheit im Februar 2007 in der 1. Lesung geforderten verbindlichen nationalen Abfallvermeidungszielen darstellt. Danach sollte die Abfallproduktion bis zum Jahre 2012 auf dem Niveau von 2009 eingefroren werden. Stattdessen bekommen die nationalen Regierungen nun eine Frist von fünf Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie, um Abfallvermeidungsprogramme auf den Weg zu bringen. Dafür mussten die Kommission und die in dieser Frage hinter ihr stehende Privatwirtschaft Einschränkungen der Freizügigkeit auf dem europäischen Binnenmarkt akzeptieren. Die Behandlung gemischter Haushaltsabfälle soll Bestandteil der „kommunalen Daseinsvorsorge“ bleiben. Dr. Rainer Cosson sprach als kommissarischer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) von einem „Rückfall in die Kleinstaaterei.“ Immerhin sollen getrennt gesammelte Verpackungsabfälle, nach Aussage von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas, weiterhin grenzüberschreitend verwertet werden können.

So stehen nun die Chancen für die Durchsetzung der weiten Recycling- und Verwertungsdefinitionen auf nationaler Ebene gut. Die neue WFD wird Anfang 2009 in Kraft treten und müsste bis Ende 2010 in nationales Recht umgesetzt werden. Wäre es im Juni 2008 nicht zu einer Einigung gekommen, hätte ein Vermittlungsverfahren mit ungewissem Ausgang in die Wege geleitet werden müssen. Angesichts der bevorstehenden Europawahlen wollte kaum jemand dieses Risiko eingehen.

Edgar Gärtner

(erschienen in: CR-Chemische Rundschau Nr. 8 vom 14. August 2008, VS-Medien AG, CH-Solothurn)

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EU-Abfallstudie

Chancen für das PVC-Recycling

Die Kunststoffindustrie gehört zu den dynamischsten Industriezweigen Europas. Nach dem 17. Bericht über Produktion, Verbrauch und Verwertung von Kunststoffen, den die europäischen Hersteller, Verarbeiter und Wiederverwerter von Kunststoffen vor kurzem unter dem Titel „Compelling Facts about Plastics 2006“ vorgelegt haben, wuchs die Gesamtnachfrage nach Kunststoffen in Europa (einschließlich der Schweiz und Norwegens) im Jahre 2006 mit vier Prozent doppelt so schnell wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und erreichte eine Gesamtmenge von beinahe 50 Millionen Tonnen. Etwa die Hälfte davon wurde nach dem Gebrauch werkstofflich, rohstofflich oder energetisch wiederverwertet. Dabei gab es große Unterschiede zwischen den Ländern. Während in sieben von ihnen die Wiederverwertungsrate bereits über 80 Prozent lag, haben andere noch einen beträchtlichen Nachholbedarf. In der Hälfte der EU-Mitgliedsländen liegen die Verwertungsraten noch unter 30 Prozent.

Fast zur gleichen Zeit erschien auch eine vom Joint Research Center der EU-Kommission Institute for Prospective Technological Studies (JRC/IPTS) beim GAIKER Centro Tecnológico in Sevilla/Spanien in Auftrag gegebene Studie über die ökologischen Perspektiven der Verwertung von Altkunststoffen bis zum Jahre 2015 unter dem Titel „Assessment of the Environmental Advantages and Drawbacks of Existing and Emerging Polymers Recovery Processes“ (Autoren: Clara Delgado, Leire Barruetabeña, Oscar Salas). Diese Studie, die mit älteren Zahlen arbeitet, untersucht, wie die Vorgaben der EU-Verpackungsverordnung von 1994, der Altauto-Verordnung von 2000 und der Elektro- bzw. Elektronikschrott-Verordnung von 2002 sowie der EU-Direktive über eine Integrierte Produktpolitik (IPPC) von 2005 bei verschiedenen Kunststoffarten umgesetzt werden können. Dabei gehen die Autoren auch auf die Wiederverwertung von PVC-Abfällen ein, obwohl PVC mengenmäßig im Vergleich zu leichtem und schwerem PE zu den weniger bedeutenden Kunststoffströmen gehört. Aus mehreren Gründen steht die PVC-Verwertung vor besonderen Problemen.

Zum einen ist die Verwendung von PVC als kurzlebiges Verpackungsmaterial nur noch von geringer Bedeutung, während hier der Einsatz konkurrierender Kunststoffe wie PE, PET und PP zum Teil explosionsartig zugenommen hat. Dementsprechend findet sich im Hausmüll im Schnitt nur noch etwa ein Prozent PVC. Gleichzeitig hat der Einsatz von PVC als langlebiger Werkstoff am Bau (vor allem in Form von Rohren, Fensterprofilen, Fußbodenbelägen und Dachbahnen) an Bedeutung gewonnen, wobei enorme Spannbreiten in der Lebensdauer, aber auch Unterschiede zwischen vergleichbaren EU-Ländern ins Auge springen. Es gibt PVC-Abwasserrohre, die seit der Vorkriegszeit, d.h. seit 80 Jahren im Gebrauch sind oder, falls sie nicht mehr benutzt werden, unter der Erde bleiben und in dieser Form kein Abfallproblem darstellen. Auch ausgebaute Fenster bzw. deren PVC-Rahmen werden nur zum Teil zu Abfall, weil es insbesondere in den ärmeren ost- und südeuropäischen Ländern einen Markt für Gebrauchtfenster gibt. Ein wichtiger Stoffstrom vom Bau, die Kabelverwertung, die wegen des starken Anstiegs der Kupferpreise in den letzten Jahren rasch an Bedeutung gewonnen hat, wird bislang in Kunststoffstatistiken nicht erfasst, weil sich die Kabelzerleger in erster Linie als Altmetall- und nicht als Kunststoffverwerter sehen. Deshalb sind im Bausektor insgesamt nur grob überschlägige Berechnungen der PVC-Verwertung möglich. Die JRC/IPTS-Studie stellt lediglich fest, dass die Verwertungsrate von Alt-PVC (die die Autoren ohne Berücksichtigung der Kabel europaweit auf 10 Prozent schätzen) hier stark von freiwilligen Recycling-Initiativen der PVC-Verarbeiter abhängt. Diese Initiativen sind seit Anfang der 90iger Jahre zunächst in den Niederlanden und Deutschland für Rohre, Bodenbeläge Fenster und Dachbahnen aufgebaut worden. Seit 2005 fördert die PVC-Branche die Anlieferung von PVC-Abfällen durch finanzielle Anreize. Ein Beispiel dafür ist das vor allem in Großbritannien, den Niederlanden und in Frankreich eingeführte Recovinyl-System.

Zum andern hängt die Entwicklung des Einsatzes von Kunststoffen im Bausektor stark von Mode- bzw. Image-Trends ab. Während PVC-Fensterprofile in Deutschland inzwischen einen Marktanteil von über 50 Prozent erobert haben, ist ihr Einsatz im Nachbarland Frankreich rückläufig. Welcher Trend sich durchsetzen wird, ist nicht ausgemacht. Um die Vorteile von PVC als haltbarer sowie ressourcen- und energieeffizienter Werkstoff herauszustellen, haben über 20.000 im Nachhaltigkeits-Programm „Vinyl 2010“ zusammengeschlossene europäische PVC-Hersteller und –Verarbeiter sowie Lieferanten von Additiven im März 2000 eine freiwillige Selbstverpflichtung gegenüber der EU-Kommission abgegeben. Dazu gehört neben dem Verzicht auf die Verwendung bedenklicher Cadmium-Stabilisatoren ab 2001 und dem Versprechen, bleihaltige Stabilisatoren bis 2015 schrittweise durch harmlosere Additive zu ersetzen, auch die Zusage, bis zum Jahre 2010 zusätzlich mindestens 200.000 Tonnen Nach-Gebrauchs-PVC-Abfälle, die noch keiner Regulierung unterliegen, sinnvoll zu verwerten.

Dabei steht das werkstoffliche Recycling im Vordergrund. Dieses schneidet nach dem in der JRC/IPTS-Studie enthaltenen Ranking der Kunststoff-Verwertungswege auch am besten ab. Die Autoren der Studie erwarten, dass im Jahre 2015 insgesamt etwa 24 Millionen Tonnen ausgediente Kunststoffe (davon fast 16 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle) in den Siedlungsabfall gelangen. Den Löwenanteil machen dabei (mit 38 bzw. 17 Prozent) LDPE und HDPE aus. Es folgen 15 Prozent PET, 13 Prozent PP und 10 Prozent PS. PVC-Reste gehören mit einem Anteil von 4 Prozent zu den weniger bedeutenden Bestandteilen des Siedlungsabfalls. Größer wäre der PVC-Anteil mit 12 Prozent (gegenüber gut 36 Prozent PP und 22 Prozent PUR in geshredderten Altautos. Die Autoren der Studie schätzen, dass bis 2015 68 bis 83 Prozent der untersuchten PVC-Abfälle eingesammelt werden können. Am bedeutendsten bleibt der PVC-Anteil mit 56 Prozent (gegenüber 63 Prozent im Jahre 2005) in der Kunststofffraktion des Bauschutts. Schätzungsweise 1,12 Mio. Tonnen (gegenüber 660.000 Tonnen im Jahre 2005) würden davon verwertet. Auch wenn die Gesamtverwertungsquote im Szenario einer angenommenen Bevorzugung des werkstofflichen Recycling mit 46 Prozent vermutlich deutlich niedriger ausfallen wird als bei den anderen durchgerechneten Szenarien mit einem höheren Verbrennungsanteil, bringt dieses Szenario die größte Umweltentlastung.

Nach dem Fortschrittsbericht 2007 von „Vinyl 2010“ hat sich die zusätzlich recycelte Menge von Nach-Gebrauchs-PVC-Abfällen von Jahr zu Jahr mehr als verdoppelt: von 18.077 Tonnen im Jahre 2004 auf 38.793 Tonnen 2005 und 82.812 Tonnen 2006. Über sieben Millionen Euro schoss „Vinyl 2010“ im letzten Berichtsjahr verschiedenen Recycling-Projekten mit einem Gesamtvolumen von etwa 40.000 Tonnen Alt-PVC zu.

Für Deutschland hat die CONSULTIC Marketing & Industrieberatung GmbH in Alzenau für das Jahr 2005 folgende Zahlen ermittelt: Von 360.000 Tonnen Nach-Gebrauchs-PVC-Abfall insgesamt wurden 270.000 Tonnen (75 Prozent) verwertet. Davon 210.000 Tonnen (58 Prozent) überwiegend in Abfallverbrennungsanlagen energetisch und 60.000 Tonnen (17 Prozent) stofflich. 54.000 Tonnen (15 Prozent) davon wurden werkstofflich recycelt, der Rest rohstofflich. Der bedeutendste Teil dieses Abfallstroms (24.000 Tonnen) stammt nach der Analyse von CONSULTIC aus der Kabelzerlegung. 18.000 Tonen stammten aus anderen Quellen wie Verpackungen und 12.000 Tonnen gingen auf freiwillige Recycling-Initiativen der PVC-Verarbeiter zurück.

Nach Auskunft des führenden Kabelverwerters Cablo in Fehrbellin bei Berlin, der zu 100 Prozent Europas größter Kupferhütte Norddeutsche Affinerie gehört, liegt die aus Kabelschrott stammende wiederverwertete PVC-Menge in Deutschland, vorsichtig geschätzt, mit 60.000 Jahrestonnen deutlich über der von CONSULTIC angenommenen Menge. Hinzu komme eine unbekannte PVC-Menge aus Altkabeln, die nach China verschifft und dort in Handarbeit mit Taschenmessern, sauber nach Farben getrennt, von den Kupferdrähten abgelöst wird. „Dieses vorbildliche werkstoffliche Recycling ist bei uns leider unbezahlbar“, klagt Michael Landau von Cablo. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch in anderen EU-Ländern mehr PVC aus Kabelabfällen wiederverwertet als bisher bekannt. Das wirft das die Frage auf, ob es nicht für die Kunststoffbranche sinnvoll wäre, bereits funktionierende Wege der PVC-Verwertung besser zu erfassen und statistisch richtig einzuordnen.

Edgar Gärtner (veröffentlicht in: SwissPlastics, VS-Medien, CH-Solothurn, Nr. 4/2008)

Bio-Kunststoffe: Zwischen Faszination und Verwirrung

Von Edgar Gärtner

In einem Editorial der New York Times stand in diesem Frühjahr zu lesen: „Amerikaner schmeißen jedes Jahr 100 Milliarden Plastiktüten weg, Berge von Plastik, die 1000 Jahre halten können…“ Im gleichen Atemzug lobt die große linksliberale Zeitung San Francisco als erste US-Großstadt, die angefangen hat, die Ausgabe von Einkaufstüten aus biologisch nicht abbaubaren Kunststoffen in Gemüseläden und Apotheken zu verbieten. Da die Nation neuerdings nach Möglichkeiten des Energiesparens Ausschau halte, sollten Bundesstaaten und lokale Behörden darüber hinaus beginnen, die Verbraucher zum Einsatz wieder verwendbarer Tragetaschen anzuhalten.

In diesem kleinen Artikel finden sich gleich mehrere der Irrtümer, die in Sachen Bioplastik und Energiesparen herumgeistern. So ist die biologische Abbaubarkeit nicht unbedingt ein Hinweis auf eine biologische Herkunft der Rohstoffe. Nur ein Teil der in der freien Natur biologisch abbaubaren oder in industriemäßigen Rotteanlagen kompostierbaren Kunststoffe ist aus nachwachsenden Rohstoffen gemacht. Bio-Kunststoffe können auch aus herkömmlichen, ölbasierten Polymeren wie Polyester bestehen, deren Molekülketten chemisch so abgewandelt werden, dass sie für Mikroorganismen wie Pilze und Bakterien verwertbar werden. Die häufigste Anwendungsform ist eine Mischung dieser Polymere fossilen Ursprungs mit abbaubaren Komponenten biologischen Ursprungs wie zum Beispiel Kartoffel-Stärke (so genannte „Blends“).

Die Kompostierbarkeit von Verpackungen bzw. von Kunststoffen wird in Europa durch die Norm EN 13432 bzw. DIN EN 14995 definiert. Nicht alle biologisch abbaubaren Stoffe sind auch kompostierbar. Umgekehrt sind nicht alle kompostierbaren Stoffe unter allen Umständen biologisch abbaubar. In großtechnischen Kompostierungsanlagen läuft die Rotte unter streng kontrollierten Bedingungen wie zum Beispiel einer bestimmten Feuchte und einer Mindesttemperatur von 60 Grad Celsius ab. Wo solche Bedingungen in der freien Natur nicht gegeben sind, kann die Zersetzung kompostierbarer Kunststoffe Jahre beanspruchen. Auch so genannte „Grünabfälle“, wie Holz und andere Gartenabfälle zersetzen sich sehr langsam, wenn sie nicht den für den Abbau geeigneten Bedingungen eines Komposters unterliegen.

Kompostierbare Plastiktüten sind also nicht geeignet, dem so genannten Littering-Problem, dem achtlosen Wegwerfen von Verpackungen aller Art in die Landschaft beizukommen. Sie können sogar zum Glauben verleiten, die Natur werde mit diesen weggeworfenen kompostierbaren Tüten schon alleine fertig, und damit das Littering-Problem noch verschärfen.

Der Anteil aller Biokunststoffe am gesamten Kunststoffmarkt war im Jahre 2005 noch sehr gering. Er betrug in Europa gerade einmal 50.000 Tonnen von einem Gesamtverbrauch von fast 50 Millionen Tonnen Kunststoff, d. h. etwa ein Prozent. Einige EU-Länder versuchen, den Anteil der Biokunststoffe durch staatliche Eingriffe in den Markt zu steigern. Oft geht es dabei aber nur vordergründig um die Belange des Umweltschutzes oder der Ressourcenschonung. Denn wie das Beispiel des Littering kompostierbarer Plastikbeutel zeigt, sind Biokunststoffe nicht grundsätzlich umweltfreundlicher als herkömmliche Polymere.

Deshalb geriet der Versuch der französischen Regierung, per Dekret die Ausgabe nicht biologisch abbaubarer Kunststoff-Tragetaschen an den Kassen von Supermärkten zu verbieten, unter den Verdacht, in Wirklichkeit auf die Förderung französischer Agrarinteressen und auf die Abschottung französischer Märkte abzuzielen. Der Entwurf des französischen Dekrets bezieht sich lediglich auf einen bestimmten Typ von Plastiktüten, deren Gesamtmenge von jährlich 85.000 Tonnen gerade einmal 0,3 Prozent der französischen Haushaltsabfälle ausmacht. Würde zu deren Produktion jedoch Kartoffelstärke eingesetzt, könnte der Absatz von Stärkekartoffeln in Frankreich um 50 Prozent gesteigert werden. Das zeigt, dass die französische Regierung mit ihrem Dekretentwurf nicht Abfallprobleme, sondern die Agrarförderung im Auge hatte.

PlasticsEurope, die Vertretung der europäischen Kunststoffhersteller, hat im Oktober 2006 und noch einmal im Mai 2007 in einem Schreiben an die EU-Generaldirektion Unternehmen und Industrie formell gegen den französischen Vorstoß Beschwerde eingelegt. Selbst die französische Umwelt- und Energieeffizienzbehörde ADEME warnte in der Auswertung einer 2004 für die Supermarktkette „Carrefour“ erstellten vergleichenden Produkt-Lebensweg-Analyse davor, den Einsatz biologisch abbaubarer Kunststoffe für Tragetaschen als per se umweltschonend hinzustellen. Die energetische Verwertung, d.h. die kontrollierte Verbrennung von Kunststoffabfällen in Abfallverbrennungsanlagen mit moderner Filtertechnik schneidet in Lebenszyklusanalysen oft besser ab als die Kompostierung. In Deutschland hat dies eine umfassende Ökobilanz des BIfA, Bayerisches Institut für Angewandte Umweltforschung in Augsburg, über die Verwertungsmöglichkeiten kompostierbarer Verpackungschips bestätigt. Die Untersuchung wurde nach den anerkannten Regeln gemäß der Norm ISO 14040 ff. durchgeführt und bereits im Jahr 2000 fertig gestellt.

Somit ist es nicht sinnvoll, Werkstoffen eine bestimmte Rohstoffbasis oder einen konkreten Entsorgungsweg vorzuschreiben. Kriterien für die Auswahl der Rohstoffe können nur die Anforderungen sein, die verschiedene Märkte an Kunststoff-Artikel stellen. Bei den Verpackungen, dem größten Absatzmarkt der Kunststoffindustrie, sind das auf Seiten der Verbraucher die Nachfrage nach preiswerten, sicheren und bequemen, d. h. leichten, wieder verschließbaren und praktisch portionierbaren Verpackungen. Auf Seiten des Handels stehen mehr deren Lager- und Logistikfähigkeit sowie Diebstahlsicherung im Vordergrund. Bei den Abfüllern wiederum geht es eher um Eigenschaften wie Maschinengängigkeit und Normengerechtigkeit. Der Staat schließlich interessiert sich für die Konformität der Verpackungen mit dem Lebensmittel-, Eich- und Abfallrecht.

Weil Verpackungen aus synthetischen Kunststoffen diesen Kriterien oft am besten entsprechen, konnten sie ihren Marktanteil in den vergangenen Jahrzehnten in einem harten Wettbewerb zu Lasten von Verpackungen aus klassischen Werkstoffen wie Papier, Karton oder Holz stark ausweiten. Auch Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen müssen sich diesem harten Wettbewerb stellen, um synthetische Kunststoffe zu verdrängen. Industrie- oder klimapolitisch motivierte Strategien zur Ausweitung des Marktanteils nachwachsender Rohstoffe sollten eher darauf abzielen, unterschiedlichen Verbrauchergruppen Produkte mit neuen Eigenschaften anzubieten oder einen Zusatznutzen zu vermitteln. Es gibt etliche Beispiele, die zeigen, dass sich Produkte aus bioabbaubaren Kunststoffen und/oder nachwachsenden Rohstoffen auf dem Markt gegenüber Standard-Kunststoffen aufgrund besserer Gebrauchseigenschaften wie z.B. der Abbaubarkeit bei bestimmten Medizinprodukten, der gesteuerten Wasserdampfdurchlässigkeit bei Verpackungen für frische Lebensmittel oder durch gutes Kosten-Leistungs-Verhältnis bei Naturfaserverbunden im Fahrzeugbau, sowie bei bioabbaubaren Mulchfolien in der Landwirtschaft durchsetzen. Besonderer Marktanreize bedarf es hierfür nicht. Vielmehr schaffen gleiche Wettbewerbsbedingungen die Voraussetzung für innovative Produktentwicklungen.

Nach einer Studie der Universität Utrecht und der Fraunhofer Gesellschaft aus dem Jahre 2004 könnte theoretisch etwa ein Drittel des europäischen Kunststoffbedarfs (über 15 Millionen Tonnen) durch Materialien aus Biomasse ersetzt werden. Dafür würden etwa 5 Millionen Hektar Land oder 2 bis 3 Prozent der Gesamt-Anbaufläche benötigt. Das wäre ohne weiteres machbar. Allerdings könnte es zu Konflikten um die Landnutzung kommen, sollte die Europäische Union ihre Pläne umsetzen, bis zum Jahre 2020 zwanzig Prozent der Treibstoffe durch Biosprit zu ersetzen. Denn dafür bräuchte man – je nach der angewandten Technologie – 30 bis 60 Millionen Hektar Land, d.h. bis zu einem Drittel der verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche. Dabei käme es zu einem Verdrängungswettbewerb. Eine breite Diskussion um die konkurrierende Nutzung der Agrarfläche für die Herstellung von Lebensmitteln, von Viehfutter oder von Rohstoffen steht aber noch aus.

Die Nutzung von Biomasse ist dennoch eine Chance, die der Industrie zur Verfügung stehende Rohstoffbasis zu verbreitern und gleichzeitig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Denn prinzipiell kann jede Kohlenstoffquelle als Rohstoff für die Kunststoffproduktion eingesetzt werden. Wie sinnvoll aber die Ausweitung des Einsatzes nachwachsender Rohstoffe für die Herstellung von Werkstoffen mit neuen nützlichen Eigenschaften auch sein mag, für die Verminderung unserer Abhängigkeit von begrenzten Rohöl-Vorräten ist sie nicht geeignet. Denn auf die Kunststoffproduktion entfallen nur etwa 4 Prozent des gesamten europäischen Öl- und Gasverbrauchs. Bei ihrem Einsatz als Leichtbauteile, Dämmstoffe usw. ermöglichen es Kunststoffe jedoch, ein Vielfaches dieser Ölmenge beim Produktgebrauch einzusparen. Und nach dem Gebrauch steht uns die in ihnen gebundene Ölmenge nach wie vor zur energetischen Verwertung zur Verfügung. Die werkstoffliche Wiederverwertung von Kunststoffen ist demgegenüber nicht immer von Vorteil.

(erschienen in: SwissPlastics 8/2007)

Streit um die Bewertung von Rückständen der Abfallverbrennung

Edgar Gärtner und Andreas Oberholz*)

Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts führte zu einer bedrohlichen Anhäufung von Rückständen von Produktion und Konsum. Allein in der alten (westdeutschen) Bundesrepublik entstanden schätzungsweise 50.000 Kippdeponien, von denen niemand genau wusste, was sie unter einer dünnen Bodenabdeckung mit Ziergrün alles verbargen. Nicht selten kam es in den Kippen zwischen verschiedenen Bestandteilen der abgelagerten Zivilisationsrückstände zu unkontrollierten chemischen Reaktionen und in deren Folge zum Austritt brennbarer Gase und/oder giftiger Abwässer. So erklärte die Bundesregierung im Jahre 1972, ein Jahr nach der Verabschiedung des ersten umfassenden Umweltprogramms, mit dem Gesetz über die Beseitigung von Abfällen die Abfallentsorgung zur öffentlichen Aufgabe.

Die mit diesem Gesetz eingeführte völlige Trennung zwischen öffentlicher Abfallbeseitigung und Marktwirtschaft ließ sich in der Praxis aber nicht lange aufrecht erhalten. 1986 wurde das Gesetz von 1972 novelliert – und zwar mit dem Ziel, statt nach dem Motto „Vergraben und Vergessen“ zu verfahren, eine Abfallwirtschaft aufzubauen, die dem Grundsatz des Vorrangs der Vermeidung und Verwertung vor der Beseitigung von Abfällen folgt. Weitere zwölf Jahre später wurde dann mithilfe des heute noch gültigen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) vom 27. September 1994 versucht, die Abfallwirtschaft konsequent auf das Ziel auszurichten, Stoffkreisläufe zu schließen. Gleichzeitig wurde dadurch, entsprechend der Abfallrahmenrichtlinie der EU, die Abfallwirtschaft gegenüber dem europäischen Binnenmarkt geöffnet.

Die ebenfalls 1994 erlassene Technische Anleitung Siedlungsabfall (TASi) verbietet die Deponierung unbehandelter Abfälle seit Juni 2005. Dadurch wurde die Abfallverbrennung zum Standardverfahren der Beseitigung von Hausmüll mit den Nebenzwecken der energetischen Nutzung der Verbrennungswärme und der stofflichen Verwertung der dabei anfallenden Rückstände. Mechanisch-biologische Anlagen (MBA), die in Deutschland eine Zeit lang, wegen der Verteufelung von Hausmüllverbrennungsanlagen (HMVA) als „Dioxinschleudern“, hoch im Kurs standen, wurden dadurch zur Nischenlösung herabgestuft. Die erste rot-grüne Bundesregierung setzte sich das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahre 2020 eine vollständige stoffliche und energetische Verwertung aller Siedlungsabfälle zu erreichen. Alle Hausmülldeponien sollen bis dahin geschlossen werden.

Deponien für mineralische Abfälle wird es aber weiterhin geben. Die jährlich in Deutschland anfallenden 220 Millionen Tonnen Baureststoffe und andere mineralische Abfälle stellen den mit Abstand bedeutendsten Abfallstrom dar. Infolge der Umsetzung der TASi wird dieser Strom weiter anschwellen. Schon im Jahre 2002 fielen in den damals betriebenen 60 deutschen HMVA insgesamt 3,14 Millionen Tonnen Rohschlacke an. Nach der Entschrottung blieben davon 2,9 Millionen Tonnen übrig. Diese wurden zu etwa 70 Prozent als Verfüllmaterial oder im Straßen- und Dammbau verwendet. Der Rest ging in den Bergversatz oder auf Deponien.

Der Vorrang der Verwertung vor der Beseitigung von Abfällen bringt es mit sich, dass Stoffe unter bestimmten Voraussetzungen umdeklariert, d.h. wieder aus ihrer Eigenschaft als Abfall zur Beseitigung entlassen werden müssen, um auf dem freien Markt als verwertbare Reststoffe gehandelt werden zu können. Das ist bei HMVA-Rückständen aber problematisch, da es sich dabei sozusagen um Abfall vom Abfall handelt: Ein chemisch zunächst instabiles Vielstoff-Gemisch wechselnder Zusammensetzung, das Böden und Grundwasser bedenklich mit giftigen Schwermetallen und anderen Schadstoffen belasten könnte, würde es ohne Vorbehandlung im Damm- oder Straßenbau eingesetzt.

Rein theoretisch wäre es heute zwar möglich, die Abfallverbrennung so zu gestalten, dass alle Wertstoffe (vor allem Metalle, Gips, Calciumsalze und Salzsäure) als Produkte vermarktet werden und am Ende neben Filterasche nur völlig steriles und chemisch inertes Glas als Rückstand übrig bliebe. Die Verglasung von Abfällen, wie sie heute in Japan üblich ist, kostet aber zusätzliche Energie und widerspräche somit dem im Gesetz festgeschriebenen Ziel der energetischen Verwertung.

Entscheiden sich kommunale oder private HVA-Betreiber jedoch für den Weg der thermischen Abfallbehandlung, der den gesetzlichen Anforderungen entspricht, handeln sie sich aber neue Zielkonflikte ein. Nach § 1 des KrW-/AbfG gilt es, die Förderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen mit der Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen zu verbinden. Gerade bei den mineralischen Abfällen geht aber das eine allzu oft nur auf Kosten des anderen. Alte Hasen des Umweltschutzes erinnern sich noch an den Kieselrot-Skandal, der daher rührte, dass Schlacke (Kieselrot) der Marsberger Kupfer-Hütte (Kieselrot) Jahrzehnte lang in großem Maßstab als Graswuchs hemmende Deckschicht von Sportplätzen verwendet wurde – bis Chemiker nachweisen konnten, dass darin Dioxine enthalten waren.

Andererseits gäbe es überhaupt keine Verwertungsmöglichkeit für die den gesetzlichen Regeln entsprechenden Verbrennungsrückstände, wenn der Vorsorgegrundsatz als Forderung nach der Null-Emission potentiell gefährlicher Stoffe ausgelegt würde. Deshalb erhielt die Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) schon zu Beginn der 90er Jahre von der Umweltministerkonferenz den Auftrag, einheitliche Kriterien für eine ökologisch vertretbare Verwertung solcher Abfälle (überwiegend Bauschutt) zu erarbeiten. So entstand die LAGA-Mitteilung 20 („Anforderungen an die stoffliche Verwertung von mineralischen Abfällen – Technische Regeln“) von 1997. Sie wurde bis 2004 von den meisten Fachleuten als Grundlage für eine bundesweite Harmonisierung des Verwaltungsvollzugs anerkannt, auch wenn einzelne Bundesländer (insbesondere solche ohne eigene Abfallverbrennungskapazitäten) die Verwertung HMVA-Schlacke weiterhin nicht zuließen. Sie verfügten auch gar nicht über geeignetes Genehmigungs- und Aufsichtspersonal.

In der Praxis bereiten übrigens an sich harmlose Bestandteile der Schlacke wie vor allem Sulfate oder Aluminium erheblich mehr Probleme als Schwermetalle oder andere giftige Stoffe. Wird Schlacke mit einem hohen Gehalt an Anhydrit (CaSO4) zu früh als Bau- oder Füllmaterial eingesetzt, kommt es zu Schäden durch Aufblähungen (Sulfattreiben) infolge der Umwandlung des Anhydrits in Gips und Ettringit (Ca6Al2[(OH)/SO4]3. Um das zu verhindern, muss die Schlacke nach der LAGA M 20 vor ihrem Einsatz mehrere Tage zur Entwässerung vorgelagert und nach der Aufbereitung mindestens drei Monate lang zwischengelagert werden. In dieser Zeit wandelt sich Portlandit (Ca(OH)2) unter Zutritt von CO2 aus der Luft größtenteils in Calcit (CaCO3) um. Dabei werden Schwermetalle zum Teil in das Gitter der Calcitkristalle eingebunden. Deshalb zeigen dann Eluat-Tests überwiegend niedrigere Schwermetallwerte an. Auf der Basis dieser Tests wird entschieden, ob das Material überhaupt im Straßenbau verwendet werden darf oder ob es deponiert werden muss.

Deponierungsgegner wie etwa Günter Dehoust vom Darmstädter Öko-Institut bezweifeln jedoch die prognostische Aussagefähigkeit gängiger Eluat-Tests wie des S4-Elutionsverfahrens (DIN 385414-S4). Etliche Untersuchungen zeigten, dass die Carbonate nach und nach aus der verbauten Schlacke ausgewaschen werden und eingeschlossene Schwermetalle bei pH-Werten unter 5 wieder in Lösung gehen. „Es ist davon auszugehen, dass längerfristig nahezu alle in einem Damm oder einer Deponie enthaltenen Schadstoffe ausgetragen werden“, betont Dehoust und verweist auf Langzeituntersuchungen, die vom Schweizer Bundesamt für Umwelt, Wald und Landwirtschaft (BUWAL) schon vor über 15 Jahren abgeschlossen wurden.

Das deutsche Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) von 1998 führte deshalb viel strengere Vorsorgewerte ein als die LAGA M 20. Da es nicht gelang, diese Technische Richtlinie rasch und mit vertretbarem Aufwand an das BBodSchG anzupassen, löste sich die LAGA AG „Mineralische Abfälle“ im März 2004 auf, um den Weg frei zu machen für die Erarbeitung einer bundeseinheitlichen ordnungsrechtlichen Regelung. Im November 2004 empfahl die Umweltministerkonferenz, die bis dahin erarbeitete Technische Richtlinie Boden in den Vollzug zu übernehmen. Doch die Wirtschaftsministerkonferenz legte einen Monat später Widerspruch dagegen ein. HMVA-Betreiber mit einem starken Verwertungsinteresse fuhren jedoch z. T. fort, sich mit Zustimmung der jeweils zuständigen Behörde provisorisch an den Richtwerten der LAGA M 20 zu orientieren. Im April 2005 entschied das Bundesverwaltungsgericht im Rechtsstreit um die Verfüllung einer Tongrube jedoch, dass die alte LAGA M 20 nicht der im § 7 des BBodSchG verankerten Vorsorgepflicht genügt.

Aufgrund der unterschiedlichen Sichtweisen der jeweiligen für den Grundwasserschutz oder für die Abfallbehandlung zuständigen Länderbehörden kam es in der LAGA zu Konflikten, die sich so weit zuspitzten, dass verschiedene Behördenvertreter überhaupt nicht mehr miteinander redeten. Es bedurfte der persönlichen Initiative Hansjürgen Rheins, des damals am Ende seiner Amtszeit stehenden Leiters der Abteilung Abfallwirtschaft der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, um die in der LAGA entstandene Blockadesituation aufzubrechen. Es gelang ihm schließlich, im Zusammenarbeit mit Partnern aus der Privatwirtschaft die zerstrittenen Behördenvertreter wieder an einen Tisch zu bringen.

Die entstandene Rechtsunsicherheit, die die Existenz einer ganzen Branche in frage stellt, musste in der Tat schleunigst ausgeräumt werden. Wegen ihres starken Eigeninteresses als Besitzerin zweier in Hamburg betriebener Hausmüllverbrennungsanlagen wagte die Vattenfall Europe Waste to Energy GmbH das Experiment, zwischen Januar 2005 und März 2006 unter der Schirmherrschaft der Freien und Hansestadt Hamburg eine Serie von Klausurtagungen zu sponsern. Moderiert von der Ahrensburger Konfliktberatung Jakubowski, diskutierten Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft, Umweltverwaltung und Politik mit unterschiedlichen Interessen und Blickwinkeln im Schloss Tremsbüttel (Schleswig-Holstein) über mögliche Wege, aus der Blockadesituation heraus zu kommen. Noch vor dem Abschluss des Tremsbütteler Dialogs organisierte das daran ebenfalls beteiligte Bundesumweltministerium (BMU) im Februar 2006 einen eigenen Workshop mit über 200 Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zum gleichen Thema.

Die Teilnehmer beider Veranstaltungen sprachen sich mit großer Mehrheit für eine bundeseinheitliche Regelung (teilweise auf der Basis aktualisierter Eckpunkte der LAGA M 20) aus und sahen darin sogar eine Form von Deregulierung. Betroffene Unternehmer wie Thomas Buhck, der Geschäftsführer der norddeutschen Buhck-Gruppe, hatten ihnen klar gemacht, dass ihnen die bundesweite Einheitlichkeit von Grenzwerten wichtiger ist als deren Höhe. „Wenn Sie heute einen mineralischen Reststoff wie zum Beispiel HMVA-Schlacke verkaufen, erzielen Sie damit vielleicht 2 bis 3 € je Tonne am Markt. Wenn Sie den gleichen Reststoff in eine Verfüllung bringen, dann bezahlen Sie dafür 5 bis 10 €. Und wenn Sie ihn in eine Deponie bringen, dann sind Sie 20 bis 25 € je Tonne ärmer. Wir müssen also zwischen volkswirtschaftlichen und möglichen ökologischen Schäden abwägen“, erklärte Buhck.

Dr. Heiner Zwahr, der damalige Geschäftsführer der Hamburger MVR Müllverwertung Rugenberger Damm GmbH & Co. KG, bestätigte, dass HMVA-Schlacke in Hamburg durchaus einen positiven Marktwert hat. Abnehmer sei neben dem Hafenbau, wo das Material als ungebundene Tragschicht verwendet wird, zum Teil auch der Straßenbau. Es gebe aber einen starken Wettbewerb mit Naturstoffen (z.B. mit Granit aus Schottland, der günstig mit Schiffen geliefert werden kann) und auch mit anderen Recyclingprodukten. Eine Verdrängung herkömmlicher Rohstoffe bei höherwertigen Anwendungen wie die Beton- und Asphaltherstellung sei erwünscht, aber nicht immer machbar. Bei der Betonherstellung störe der Aluminiumgehalt der Schlacke, der bei Wasserzutritt zur Bildung von Aluminaten und Wasserstoff führen kann. Bei der Verwendung von HMVA-Schlacke in der Asphaltherstellung hingegen könnten zwar ohne übermäßigen Aufwand die Vorsorgewerte der BBodSchV eingehalten werden. Doch führe die starke Porosität der Schlacke zu einem überhöhten Bitumenverbrauch. Das mache diesen interessanten Anwendungsbereich wirtschaftlich fraglich.

Günter Dehoust hält ein höherwertiges Recycling mineralischer Abfälle ohnehin nur in Ausnahmefällen für möglich. Dennoch sei es sinnvoll, die Verwertung von HMVA-Schlacken zu fördern, um die Position der HMVA im Konkurrenzkampf mit Zementwerken zu stärken. Dort werden zur Zeit etwa 16 Prozent der Siedlungsabfälle mitverbrannt. Die Abfallbehandlung in HMVA sei demgegenüber ökologisch vorteilhaft, weil sie die Möglichkeit bietet, gefährliche Schadstoffe durch Bergversatz bzw. Untertage-Deponierung von Filterasche und hoch belasteten Schlacke-Fraktionen ganz aus dem Wirtschaftskreislauf zu schleusen. Deshalb sei eine Bundesverordnung mit einheitlichen Grenzwerten notwendig und sinnvoll.

Nach Aussage des Leiters des BMU-Referats „Produktionsabfälle“, Ministerialrat Rüdiger Wagner, stellt sich das BMU dieser Aufgabe. Nach Abstimmungsgesprächen im Herbst 2006 werde 2007 das förmliche Rechtssetzungsverfahren eingeleitet. Es werde voraussichtlich zwei Verordnungen geben: Eine für bodenähnliche Verwendungen (Verfüllungen) von mineralischen Abfällen im Rahmen der BBodSchV und eine für die technische Verwendung von mineralischen Reststoffen im Straßen- und Landschaftsbau nach § 7 KrW/AbfG. Diskussionsbedarf gebe es noch bei der Definition der Schnittstellen sowie über den Wert des S4-Elutionsverfahrens und dessen eventuell notwendige Ergänzung durch aussagekräftigere Säulenversuche.

Das Landesumweltamt (LUA) von Nordrhein-Westfalen, das wegen des traditionell hohen Aufkommens von mineralischen Abfällen aus dem Bergbau, der Stahlindustrie und aus Kraftwerken über die größten Erfahrungen mit der Analyse der darin enthaltenen Schadstoffe verfügt, führt im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) das Forschungsvorhaben „Sickerwasserprognose“ im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) koordinierten Verbundes durch. Auf der Basis der Ergebnisse dieser Forschungen wird das LUA dem BMU demnächst Grenzwerte für verschiedene Schadstoffe vorschlagen. Erst dann, so Dr. Axel Kopp vom BMU, werden Verordnungsentwürfe in Angriff genommen.

Diese Entwicklung zeigt, dass sich die Initiative des inzwischen pensionierten Hans-Jürgen Rhein und der Konfliktberatung Jakubowski in jeder Hinsicht gelohnt hat. Sie hat die sprachlosen Vertreter verschiedener Länder- und Bundesbehörden aus ihren Bunkern herausgelockt und dem Bundesumweltministerium Rückenwind für seinen Versuch einer bundesweiten Vereinheitlichung der gesetzlichen Vorgaben für die sinnvolle Verwertung mineralischer Reststoffe gegeben. Somit scheint der Weg frei für die Regulierung des mit Abstand größten Abfallstroms nach den gleichen Prinzipien, die seit Beginn der 90er Jahre in Form der Verpackungsverordnung erstmals an einem der kleineren Abfallströme erprobt wurden. Somit würde in Deutschland mit den beiden ausstehenden Verordnungen der Schlussstein einer ökologisch begründeten Abfallpolitik gesetzt.

*) Fachjournalisten