Vom Geist der Freiheit

Hochmut kommt vor dem Fall. Ist es deshalb so abwegig, einen Zusammenhang zwischen dem schrecklichen Erdbeben in Haiti mit Hunderttausenden von Toten und dem geistigen Hintergrund der sozialrevolutionären Ursprünge der Insel-Republik zu vermuten? Immerhin gingen Haitis „schwarze Jakobiner“ im Jahre 1791 in einer Voodoo-Zeremonie einen Pakt mit dem Teufel ein, um die Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft zu erlangen.

Freiheit: Auf den Geist kommt es an

Warum Materialismus und Christophobie in die Knechtschaft führen

Nach der Veröffentlichung meines Blogs über die spirituellen Hintergründe des Haiti-Desasters (auf dieser Unterseite weiter unten) an dieser Stelle bin ich von einem Teil der libertären Szene in Deutschland buchstäblich exkommuniziert worden. Es fehlte nur noch die Steinigung. Ich übergehe hier anstandshalber die wohl willentlichen Missverständnisse und die mir gegenüber vorgebrachten absurden Unterstellungen, die im Vorwurf der Scheinheiligkeit gipfeln. Worüber ich mich wundere, wenn nicht ärgere, ist die den meisten Kritiken zugrunde liegende materialistische Weltsicht und die zum Teil offen zutage tretende Christophobie.

Um deutlicher zu werden: Die kontrastierende Geschichte der beiden Teile der Karibik-Insel Hispaniola zeigt meines Erachtens alles in allem, dass es bei der Entwicklung der Wirtschaft und der Entfaltung menschlicher Freiheit weniger auf natürliche als auf geistig-religiöse Voraussetzungen ankommt. „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“, heißt es im zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Wer abstreitet, dass unser abendländischer Humanismus und dessen Freiheitsbegriff nicht nur auf Sokrates, sondern auch auf Jesus von Nazareth und die spätantiken beziehungsweise mittelalterlichen Kirchenlehrer zurückgeht, sieht das freilich ganz anders. Für materialistisch, wenn nicht antichristlich ausgerichtete Libertäre ist der Kolonialismus eine Folge der Verbindung von christlichem Missionseifer mit materieller Gier und nicht Ausdruck der Abkehr Getaufter von der biblischen Botschaft.

Deshalb treffen sich Atheisten bei der Analyse der Hintergründe natürlicher und gesellschaftlicher Kataklysmen auch letzten Endes mit den Marxisten. Schon Fjodor Dostojewskij erkannte in der „Legende vom Großinquisitor“, dass die logische Konsequenz des Atheismus nicht die individuelle Freiheit, sondern die Verabsolutierung der Gleichheitsidee im Sozialismus beziehungsweise Kommunismus ist. Uneingestandenes Ziel des Sozialismus wiederum sei das Nichts, der Tod der Menschheit. Das hat der hoch dekorierte russische Mathematiker Igor Schafarewitsch schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem auch im Westen erschienenen bemerkenswerten historischen Überblick unter dem deutschen Titel „Der Todestrieb in der Geschichte“ herausgearbeitet. Schafarewitsch, den ich selbst, angeregt von den Kollegen Fink und Lichtschlag, leider erst Ende 2009 rezipiert habe, bestätigt meine Einschätzung, dass auch der Liberalismus zu einer Form von Nihilismus werden kann, wenn er sich gegen das christliche Gottes- und Menschenbild stellt. ((9. Februar 2010)

Internet

Der Sozialismus: so alt wie die Menschheit

Igor R. Schafarewitsch: Der Todestrieb in der Geschichte. Erscheinungsformen des Sozialismus. Ullstein Verlag, Berlin-Wien 1980

Liberalismus: Eros der Freiheit ohne Gott?

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Haiti: Der Fluch der Blasphemie

Warum US-Fernsehprediger Pat Robertson nicht ganz falsch liegt

Der inzwischen 79-jährige evangelikale Star-Prediger Pat Robertson löste Wellen gutmenschlicher Entrüstung aus, als er das schreckliche Erdbeben auf Haiti am 13. Januar im TV-Sender Christian Broadcasting Network (CBN) auf einen Pakt mit dem Teufel zurückführte, den die aufständischen Negersklaven der einst als „Perle der Karibik“ bekannten Insel im Jahre 1791 im Rahmen einer Voodoo-Zeremonie geschlossen hatten, um die Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft zu erlangen. Zweifelsohne eine Provokation für alle Kulturrelativisten, die vielleicht gerade noch die Existenz eines fernen Gottes zugeben, jedoch die Existenz seines Gegenspielers Satan leugnen müssen. Aber ist es tatsächlich so abwegig, einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Desaster mit Hunderttausenden von Toten und dem geistigen Hintergrund der sozialrevolutionären Ursprünge der Republik Haiti zu postulieren?

Viele Touristen werden sich schon darüber gewundert haben, dass die westindische Insel Hispaniola, auf der Christoph Kolumbus und seine Seeleute 1492 erstmals amerikanischen Boden betraten, vom Flugzeug aus auffällig zweigeteilt erscheint. Der etwas größere östliche Teil, die spanisch sprechende Dominikanische Republik, ist satt grün, während der von der französisch sprechenden Republik Haiti eingenommene westliche Teil beinahe so kahl ist wie der Mond. Die Dominikaner leben mehr oder weniger einträglich vom Tourismus, während die Haitianer heute, trotz mehr als großzügiger „Entwicklungshilfe“ der US-Amerikaner in den vergangenen Jahrzehnten, zum allergrößten Teil bettelarm sind. Dieser Kontrast hat offenbar keine natürlichen Ursachen.

Nachdem die wenigen Ureinwohner ausgerottet und die Insel unter französische Herrschaft gelangt war, blühte dort über hundert Jahre lang der Zuckerrohranbau, der mithilfe aus Afrika importierter Sklavenheere betrieben wurde. Haiti wurde zu Frankreichs ertragreichster Kolonie. Als aber im französischen „Mutterland“ die Revolution ausbrach und Robespierre und seine Anhänger die Oberhand bekamen, konnte es nicht ausbleiben, dass einzelne Schwarze, die aufgrund besonderer Umstände eine bessere Bildung genossen hatten, von der in der Metropole herrschenden Gleichheits-Idee angesteckt wurden. Zu ihnen gehörte der als „schwarzer Jakobiner“ bekanntgewordene Toussaint Louverture, der Sohn eines in Benin geborenen freigelassenen Haussklaven. Er wurde zum Führer der weltweit einzigen (vorübergehend) erfolgreichen Sklavenerhebung, erlebte aber nicht mehr deren Sieg über das von Napoleon gesandte Expeditionskorps und die Unabhängigkeitserklärung Haitis im Jahre 1804 unter seinem Genossen und Rivalen, dem „schwarzen Kaiser“ Jean-Jacques Dessalines.

Das heutige, nicht erst durch das aktuelle Erdbeben ausgelöste gesellschaftliche und politische Desaster Haitis nahm seinen Lauf mit der nach der Revolution eingeleiteten egalitären Landreform. Die Besitzer der Zuckerplantagen wurden enteignet. Jede Bauernfamilie erhielt zunächst 15 Hektar Ackerland. Da die meisten Familien sich auf die Befriedigung ihres eigenen Bedarfs konzentrierten, brach die Exportwirtschaft zusammen. Infolge der von der Gleichheits-Idee diktierten Erbteilung des Landes schrumpften die Parzellen mit jeder neuen Generation immer mehr zusammen. Um die rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren, wurden nach und nach auch die für den Ackerbau kaum geeigneten steilen Berghänge gerodet. Dennoch verfügte schon im Jahre 1971 jede Bauernfamilie im Schnitt nur noch über anderthalb Hektar karges Ackerland. Heute wird der größte Teil der Agrarfläche, da durch Übernutzung ausgelaugt und durch starke Tropenregen erodiert, gar nicht mehr bestellt.

Revolutionsromantiker und Fair-Trade-Fans sehen das allerdings anders. Um von der verheerenden Wirkung der Gleichheitsideologie abzulenken, verweisen sie auf die der jungen Republik als Gegenleistung für die diplomatische Anerkennung durch Frankreich unter Androhung militärischer Gewalt auferlegte Entschädigungssumme für die Enteignung der Plantagenbesitzer in Höhe von 90 Millionen Goldfranken (heute umgerechnet 17 Milliarden Euro!). Um die Riesensumme einzutreiben und schrittweise abzubezahlen, mussten dem Volk große Opfer und Restriktionen auferlegt und die Ressourcen des kleinen Landes buchstäblich ausgeplündert werden. Dabei erwies es sich als fatal, dass in Haiti der Voodoo-Kult von Anfang an als dem Christentum zumindest ebenbürtig, wenn nicht überlegen angesehen wurde. Das ist eine logische Konsequenz der Gleichheitsideologie beziehungsweise des Kulturrelativismus. Die infantile Gleichsetzung des demütigen Betens um göttliche Gnade mit obskurantistischen Beschwörungen und Zaubereien begünstigte die Machtübernahme durch Dynastien kleptokratischer Diktatoren und die damit einhergehende Vernachlässigung von Vorsorge-Investitionen gegen Hurrikane und Erdbeben. Davon hat sich Haiti nicht mehr erholt. Im Jahre 2003 haben Voodoo-Priester den ausgelaufenen Teufelspakt von 1791 mit Tieropfern ausdrücklich erneuert. Ein halbes Jahr zuvor hatte der damals herrschende Diktator Jean-Bertrand Aristide den Voodoo-Kult zur zweiten Staatsreligion neben dem Katholizismus erklärt.

Ich möchte nicht behaupten, Spezialist für Voodoo zu sein, denn ich kenne dessen Praxis hauptsächlich aus Romanen von Naipaul und anderen literarischen Zeugnissen. Es kommt hier nur darauf an, was diesen Kult von der christlich geprägten abendlänischen Kultur unterscheidet. Das ist in meinen Augen der allegenwärtige Fatalismus. Christen wissen, dass sie sich von Gott entfernen, wenn sie ihre Hände in den Schoß legen. Sie versuchen deshalb, von verschiedenen Seiten drohendes Unheil durch Vorsorgemaßnahmen abzuwenden. Oft tun sie dabei, wie ich an anderer Stelle schon dargelegt habe, sogar des Guten zuviel. Der Gedanke der Vorsorge ist den meisten Haitianern jedoch fremd. Überall in der Karibik wurden inzwischen Bauvorschriften für einigermaßen erdbebensicheres und Hurrikan-resistentes Bauen erlassen. In Haiti wurde das versäumt, obwohl Entwicklungshilfe-Gelder dafür zur Verfügung gestanden hätten.

Was könnte man aus diesem (zugegebenermaßen sehr groben) Einblick in die Probleme Haitis lernen? Die Haitianer mussten wie die Franzosen und später die Russen und Chinesen erfahren, dass blutige Revolutionen – so gut sie auch gemeint sein mögen – alles noch schlimmer machen als vorher. Nur stille und unblutige Revolutionen wie etwa in jüngerer Zeit die Verbreitung des Internet und mehr noch die Verbreitung des Christentums seit fast zwei Jahrtausenden bringen die Menschheit voran. Nach christlichem Verständnis ist jede blutige Erhebung gleichzusetzen mit Blasphemie, der die Strafe Gottes auf dem Fuße folgt. Auch Nichtchristen können kaum darüber hinwegsehen, dass es in der Geschichte keine vergleichbaren Fälle von Hochmut gibt, die nicht im Desaster endeten. Der Spruch „Hochmut kommt vor dem Fall“ bringt das zum Ausdruck. Nur Demut erweist sich als nachhaltig.

So kann ich dem Prediger Robertson zwar nicht folgen, wenn er zum Mord an Venezuelas rotem Diktator Hugo Chavez aufruft. Ich muss ihm aber zustimmen, wenn er die Zurückdrängung des Voodoo-Kultes durch massive Missionsarbeit für wichtiger erklärt als über aktuelle Nothilfe hinausgehende materielle Entwicklungshilfe. Der nicht religiös argumentierende Kolumnist des „Wall Street Journal“ Bret Stephens sieht das übrigens ähnlich. (aktualisiert am 3. Februar 2010)

Internet

Pat Robertson auf Dailymotion

Erdbeben eine Folge vom ‚Pakt mit dem Teufel’?

Haiti Hilflose Perle der Karibik

To Help Haiti, End Foreign Aid

Literatur

C. L. R. James: Die schwarzen Jakobiner: Toussaint Louverture und die Unabhängigkeitsrevolution in Haiti. Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1984. (Nicht mehr lieferbar, weil vom ehemals DKP-nahen Verlag wegen der trotzkistischen Position des Autors wieder aus dem Verkehr gezogen.)

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Jeder braucht seine Apokalypse von Edgar L. Gärtner

Wer die Johannes-Offenbarung nicht kennt oder ablehnt, braucht die Klimakatastrophe

Wer sich mit der katholischen Liturgie etwas auskennt, der weiß, dass an Allerheiligen aus der Offenbarung des Johannes vorgelesen wird. Ich gestehe, dass ich am Sonntag, dem 1. November 2009, während der Verlesung des Evangeliums meine Gedanken etwas abschweifen ließ – allerdings durchaus nicht zu Dingen, die mit dem Thema nichts zu tun haben. Mir fiel nur ein, dass die Christen mit der Verbreitung der Johannes-Offenbarung seit fast 2000 Jahren doch eigentlich rundum mit apokalyptischen Gewissheiten versorgt sind und keiner weiteren Schreckensbilder bedürfen, um ihren Adrenalinspiegel beziehungsweise Angsthaushalt im Gleichgewicht zu halten. Dabei hatte ich die Theorie der Risiko-Kompensation im Hinterkopf, die der kanadische Psychologe Gerald J.S. Wilde schon vor Jahren in die Diskussion brachte, um die Beobachtung zu erklären, dass zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen an Automobilen wie Sicherheitsgurte, Airbags oder ABS nicht unbedingt zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr führen, weil sie die Fahrer zu einer riskanteren Fahrweise verleiten können.

Ich musste mich vor einigen Jahren mit dieser Thermostat-Theorie beschäftigen, als ich für die Risiko-Kommission des Bundesgesundheitsministeriums als Redakteur tätig war. Später habe ich einiges davon in meinem Buch „Vorsorge oder Willkür“ verarbeitet. Die Menschen brauchen offenbar einen bestimmten Risiko- und Stress-Pegel, um nicht vor Langweile einzuschlafen oder dem Alkohol zu verfallen. Eine solche Thermostat-Funktion gibt es aber vermutlich nicht nur beim menschlichen Risiko- und Stressbedürfnis, sondern auch bei der Angst vorm beziehungsweise der Lust am Untergang. Menschen, die die Johannes-Offenbarung nicht kennen oder nicht mögen, brauchen dafür vermutlich einen Ersatz. Deshalb greifen sie nach modernen Weltuntergangstheorien, saugen Computer-Hochrechnungen, die die nahende Erschöpfung von Rohstoff-Vorräten oder den drohenden Hitzetod an die Wand malen, begierig in sich auf.

Allerdings bieten diese Projektionen durchaus keinen gleichwertigen Ersatz für die biblische Apokalypse, auch wenn das die postmoderne „Diktatur des Relativismus“ postuliert. Die Johannes-Offenbarung besagt, dass Gott selbst dieser Welt ein Ende setzen wird und nicht wir Menschen. Oder anders herum: Der Weltuntergang wird nicht das Werk der Menschen sein. Wer die Menschen für einen drohenden ökologischen Kollaps verantwortlich macht, begeht also Gotteslästerung. Von daher verwundert es sehr, dass sich die meisten christlichen Kirchen inzwischen zum grünen Apokalypse-Ersatz bekennen. Denn Blasphemie wird bekanntlich nicht erst im Jenseits bestraft.

Für Gläubige ist der Weltuntergang ein Ende ohne Schrecken, weil er gleichbedeutend mit der Wiederkehr des Herrn Jesus Christus ist. Richtig verstandenes Christentum führt zur Gelassenheit. Christen können/dürfen sich gar nicht schuldig fühlen für einen angeblich drohenden Klima-Kollaps. Machtgierige bedienen sich heidnischer Ängste, um die Menschen gefügig zu machen. Wirklich gläubige Christen sollten sich von der Ersatzreligion Ökologismus nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Internet:

Über Gerald J.S. Wilde

Target Risk 2

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Nachlese zum Darwin-Jahr:

Das Wahrheitsmonopol des Materialismus wankt

Von Edgar L. Gärtner

Hätten der Bundesrat und die Bundesländer einer Petition der naturalistischen (= nihilistischen) Giordano Bruno Stiftung nachgegeben, dann wäre der ohnehin schon unter der Hand zum „Vatertag“ (ohne Väter) umfunktionierte hehre christliche Feiertag „Christi Himmelfahrt“ dieses Jahr erstmals als „Tag der Evolution“ begangen worden. Die Initiative der Bruno Stiftung ist freilich nur eines von zahlreichen Beispielen für den anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin im Februar mit großsprecherischer Pose vorgetragenen Anspruch atheistisch ausgerichteter Darwinisten auf das Wahrheitsmonopol des Materialismus. Wer die Entwicklung an der Front naturwissenschaftlicher Forschung verfolgt, fragt sich allerdings unwillkürlich, auf welche neuen Erkenntnisse militante Atheisten wie Richard Dawkins oder Ulrich Kutschera ihre Überzeugung, die Annahme eines göttlichen Ursprungs des Universums sei nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, denn stützen.

Denn wir sind gerade Zeugen eines fundamentalen Paradigmenwechsels in den Naturwissenschaften. Einsteins Dogma von der Unübertrefflichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist im Sommer 2008 in Genf experimentell ins Wanken gebracht worden. Ein Physiker-Team unter Nicolas Gisin konnte zeigen, dass das von Einstein nur als absurde Konsequenz gegnerischer Auffassungen postulierte Verschränkungsprinzip in der Quantenphysik real existiert. Dieses Prinzip besagt, dass zwei Teilchen A und B, die einmal zusammen gehörten, nach der Trennung wie durch Spuk miteinander verbunden bleiben und mit unendlich hoher Geschwindigkeit Informationen austauschen, selbst wenn der Zeitpunkt der Trennung weit in der Vergangenheit liegt oder die Teilchen mittlerweile Lichtjahre voneinander entfernt sind. Es ist somit auch nicht ausgeschlossen, dass Wirkungen in der realen Welt manchmal ihren Ursachen vorauszugehen scheinen oder tatsächlich vorangehen. Scheinbar überirdische Phänomene wie Geistheilung, Telepathie, Homöopathie, Hellsehen oder Liebe auf den ersten Blick werden möglicherweise bald erklärbar, ohne dabei etwas von ihrem Zauber einzubüßen.

Die Vorstellung, ähnlich dem Dualismus von Teilchen und Welle unterliege auch das Verhältnis von Leib und Seele und somit das Bewusstsein den Regeln der Quantenphysik, ist nicht neu. Der australische Hirnforscher John C. Eccles, ein enger Freund des bekannten Wissenschaftsphilosophen Karl R. Popper, gehörte zu den ersten, die eine solche Parallelität postulierten. Popper begründete damit seine Vermutung, das menschliche Wissen sei zu 99 Prozent angeboren und werde durch Lernen nur aktualisiert. Eccles, der 1963 für seine bahnbrechenden Erkenntnissen über die Erregungsübertragung in den Nervenzellen den Nobelpreis für Medizin erhielt, glaubte stets daran, dass es eine vom Körper unabhängige und unsterbliche Seele gibt. Er dachte, der Geist beeinflusse das Gehirn, indem er auf mikroskopisch kleine Strukturen in der Großhirnrinde, die so genannten Pyramidenzellen, einwirkt. Ausgehend davon, versuchten die US-Forscher Stuart Hameroff und Roger Penrose das Bewusstsein durch den Kollaps der Wellenfunktion in den Mikrotubuli des Gehirns zu erklären. Inzwischen ist auch der Frankfurter Physikprofessor Thomas Görnitz überzeugt, dass Gedanken so real sind wie Atome. Stoffe sind nur vorläufige Produkte der Wechselwirkung von Feldern. Die Realität ist primär geistig.

„Über das Verschränkungsprinzip sind wir auf subtile Art und Weise mit jedem x-beliebigen Punkt des Universums verbunden!“, folgert der promovierte Chemiker und Wissenschaftsjournalist Rolf Froböse in seinem neuen Buch. Anhand weiterer Zeugnisse und Beispiele macht er deutlich, dass sich Leben und Bewusstsein nicht hätten entwickeln können, wenn es nicht seit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren einen universellen Quantencode gäbe, in dem die Möglichkeit der Lebensentstehung schon angelegt war. Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung des Lebens durch blinden Zufall beträgt nach Berechnung des Karlsruher Makromolekularchemikers Prof. Bruno Vollmert höchstens eins zu zehn hoch tausend. Eher würde ein funktionsfähiger Pentium-Rechner dadurch entstehen, dass man alle seine Elektronikteile in zigtausendfacher Ausführung von der Aussichtsplattform des Eifelturms auf die Straße würfe, meint Vollmert. In der Tat konnte man bei endlosen Wiederholungen des 1953 von Stanley L. Miller zum ersten Mal in Chicago durchgeführten Laborexperiments zur Simulierung der Lebensentstehung aus der „Ursuppe“ immer nur Aminosäuren, aber nicht einmal einfachste Eiweißmoleküle gewinnen. Dafür fehlte die Information, die heute durch DNA und RNA übermittelt wird, nach Ansicht Vollmerts ursprünglich aber von Gott gekommen sein muss.

Darwins Selektionstheorie sei deshalb nicht einfach falsch, meint Froböse, sondern beschreibe nur die Übersetzung des universellen Quantencodes, der sich in der Universalität des genetischen Codes äußert. Dabei beruft er sich auf den US-Biochemiker Lothar Schäfer, der die Auffassung vertritt, bei der Anpassung der Arten an unterschiedliche Lebensbedingungen durch Mutation und Selektion werde nur eine bereits von vornherein gegebene virtuelle Ordnung von Quantenzuständen aktualisiert. Blinden Zufall lasse der Lebenscode des Universums nicht zu.

Internet:

Stiftung fordert Tag der Evolution statt Christi Himmelfahrt

Interview mit Rolf Froböse über Wissenschaft und Religion

Literatur:

Thomas Görnitz: „Der kreative Kosmos. Geist und Materie aus Information. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2006

Lutz Simon (Hrsg.): „Wissenschaft contra Gott? Glauben im atheistischen Umfeld“. Hänssler Verlag, Holzgerlingen 2007

Joachim Bauer: Das kooperative Gen. Verlag Hofmann & Campe, Hamburg 2008

Rolf Froböse: „Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele.“ Lotos Verlag (Random House), München 2009

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Verständigung braucht gemeinsame Werte

Die Macht des Wortes und die Grenzen des Dialogs

Von Edgar L. Gärtner

„Im Anfang war das Wort“, heißt es im Johannes-Evangelium (1,1-2). Die Bedeutung dieses Halbsatzes ist theologisch und philosophisch umstritten und jedenfalls unverständlich ohne dessen Fortsetzung „und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Wenn die Bibel die Macht des Wortes eindeutig Gott zuordnet, heißt das aber noch lange nicht, dass Worte in ganz irdischen zwischenmenschlichen Angelegenheiten nur Schall und Rauch seien. Im Gegenteil: Die Erfahrung lehrt, dass Worte sogar töten können. Dennoch verlassen sich heute gerade Werbe-Profis aus gutem Grund nicht allein auf Worte.

Sie haben gelernt: Kommunikation, echte zwischenmenschliche Verständigung beruht nur zu einem geringen Teil auf Worten, sondern zu allererst auf dem Austausch von Gebärden, Gesten und manchmal auch Düften. Sonst bliebe es unerklärlich, dass wir uns mit Hunden mitunter besser verständigen können als mit manchen Mitmenschen. Die eher zweitrangige verbale Verständigung bedarf darüber hinaus offenbar einer gemeinsamen Glaubensbasis. Allerdings sprechen die Werbeleute weniger vom Glauben als (neutraler) von zwischen vielen Menschen geteilten Bildern und Mythen. Um ihre Adressaten überhaupt ansprechen zu können, versuchen sie, die Produkt-Botschaft, die sie rüberbringen wollen, einem gängigen Mythos aufzusatteln. Beispiele für solche Mythen und Bilder sind etwa die Suche nach dem heiligen Gral oder der tapfere Kampf Davids gegen den Riesen Goliath.

Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass verbale Kommunikation, Dialog zwischen Menschen grundverschiedenen Glaubens nur in sehr eingeschränktem Maße möglich ist. Darauf hat vor kurzem Papst Benedikt XVI. im Vorwort zum neuesten Buch des italienischen Philosophen und Ex-Senatspräsidenten Marcello Pera hingewiesen. Über religiöse Grundentscheidungen könne es keinen wirklichen Dialog geben, „ohne den eigenen Glauben in Klammern zu setzen“, betont dort der Papst. Mit einer „nicht widerlegbaren Logik“ lasse Pera in seinem Buch erkennen, dass der Liberalismus zum Nihilismus wird, wenn er sich gegen das christliche Gottes- und Menschenbild stellt, d. h. den Menschen die Eigenschaft der Gottesebenbildlichkeit abspricht. Europa könne nur dann zu einer „moralischen Gemeinschaft“ werden, wenn es zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehrt, betont der Atheist und Popper-Schüler Pera. Als Skeptiker verspricht er sich allerdings nicht viel von Taufe und Wiedertaufe. Er rät den Europäern, zu handeln, „als ob es Christus gebe.“

Alexander Smoltczyk, der Vatikan-Korrespondent des SPIEGEL, berichtete über die päpstliche Klarstellung unter der Überschrift „Schluss mit Lessing.“ In der Tat sieht Lessings Ringparabel, im Lichte der modernen Kommunikationsforschung betrachtet, alt aus.

(Als Gastkommentar veröffentlicht in DIE WELT vom 27. Dezember 2008)

Internet:

Wikipedia: Marcello Pera

Schluss mit Lessing

Interreligiöser Dialog nicht möglich

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Gibt es Freiheit ohne Geist? Von Edgar Gärtner*)

Neulich stieß ich beim TV-Kanal Phoenix auf die Wiederholung einer Reportage über den St. Jakobs Pilgerweg. Da blieb ich eine Weile hängen. Zwar zieht es mich persönlich längst nicht mehr dorthin, seit es dort, ausgelöst durch den Bestseller von Hape Kerkeling, zu Staus kommt. Aber was ältere und jüngere Pilger den TV-Reportern zu erzählen hatten, interessierte mich schon. Im Gedächtnis haften blieb mir ein junges Ossi-Pärchen aus Magdeburg. Ich möchte den beiden nicht zu nahe treten. Aber was sie als „Ertrag“ ihres Trips festhielten, stimmte mich tief traurig. Für den Geist von Santiago de Compostella hatten sie offenbar weder Auge noch Ohr noch sonst ein Organ. Für sie war die Reise ein touristischer Event neben anderen. Was sie über ihre Empfindungen mitteilten, erschien mir höchst geistlos. Und so wie diese beiden sehen es wohl inzwischen viele Abgänger unseres entchristlichten Erziehungswesens.

Deshalb erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass auch bei Debatten über Freiheit und Moral der Begriff „Geist“ oft gar nicht mehr auftaucht. Immerhin gibt es inzwischen, gefördert durch die neuesten Erkenntnisse der Humangenetik, einen weitgehenden Konsens darüber, dass die menschlichen Individuen keine Marionetten ihrer Gene sind, dass sie ihren Erbanlagen gegenüber einen gewissen Entscheidungsspielraum haben. So bringt es auch nicht viel, nach speziellen Genen zu suchen, die jemanden zum Genie, zur Niete, zum Hetero, zum Schwulen, zum Heiligen oder zum Verbrecher machen. Es gibt offenbar so etwas wie Freiheit. Aber worauf beruht und worin besteht diese? Hier scheiden sich die Geister, wenn man so sagen darf. Denn von „Geist“ wollen die meisten Anhänger des bei uns inzwischen zum Mainstream gewordenen Atheismus erst gar nicht reden. Sogar der herkömmliche, auf dem christlichen Menschenbild fußende Freiheitsbegriff ist vielen von ihnen höchst suspekt.

Nach christlicher Auffassung kommt es letzten Endes auf die mit der geistigen Person verbundene Willensfreiheit an. Eine ganze Schule der neurobiologischen Forschung bemüht sich demgegenüber um den Nachweis, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Hause ist, dass es im menschlichen Hirn keine Strukturen gibt, die man mit Geist oder Willensfreiheit in Zusammenhang bringen könnte. Aber diese mit großem Eifer ins Werk gesetzte Suche beruht auf einer höchst dürftigen philosophischen Begründung. „Der Tag, an dem die Hirnforschung aufbrach, um die Freiheit zu suchen, ist vergleichbar mit dem Tag, an dem der proletarische Dummkopf Gagarin erzählte, er sei im Weltraum gewesen und habe Gott nicht gefunden“, urteilt der bekannte Psychiater und katholische Theologe Manfred Lütz mit dem ihm eigenen Sarkasmus in seinem Bestseller „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ (2007).

Wieder und wieder werden Experimente zitiert, die der amerikanische Neurologe Benjamin Libet schon in den 80er Jahren durchführte. Danach entscheidet das Hirn über Handlungen, noch bevor uns ein Entschluss bewusst wird. Genau genommen, bestätigen solche Experimente aber nur Sigmund Freuds Entdeckung, dass der Anteil des Unbewussten an der Persönlichkeit viel größer ist als der des Bewussten. Freud dachte allerdings beim Unbewussten nur an Triebhaftes, vor allem an die Sexualität, und negierte dessen geistig-religiöse Dimension. Neurologen und Philosophen werden sich heute aber nicht einmal darüber einig, was unter Bewusstsein zu verstehen ist.

Konsens besteht nur darüber, dass die Menschen von Natur aus soziale Wesen sind, deren Entfaltung von der Kommunikation mit anderen Menschen abhängt. Materielle Grundlage gegenseitigen Einfühlens und Verstehens (Empathie) sind die so genannten Spiegelneuronen. In der Praxis beschränkt sich der Gefühls- und Gedankenaustausch aber meist auf abgegrenzte Gruppen von Bluts- und Geistesverwandten. Dennoch gibt es auch spontane Manifestationen von Altruismus gegenüber völlig Fremden, deren Wurzeln bis zu unseren behaarten Vorfahren zurück reichen.

Einiges spricht dafür, dass sich altruistische Verhaltensweisen deshalb in der Evolution durchgesetzt haben, weil sie im Hirn mit der Freisetzung des Botenstoffes Dopamin und dem damit verbundenen angenehmen Gefühl belohnt werden. Deshalb kann Freigiebigkeit sogar ein besonders raffinierter Ausdruck von Egoismus sein. Es gibt auch Simulationsexperimente, die darauf hinweisen dass Gesellschaften weltoffener Egoisten friedlicher sind als Gesellschaften gruppensolidarischer Gutmenschen. Menschen mit psychopathischer Veranlagung (immerhin etwa ein Prozent der Bevölkerung) fehlt jedoch die Fähigkeit zur Empathie und zum Lustgewinn durch selbstlose Hilfe. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie dazu verdammt sind, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Warum aber werden viele Menschen, trotz ungünstiger Erbanlagen, nicht zu Verbrechern? Darauf gibt bislang nur die jüdisch-christliche Lehre von der geistigen Person eine Antwort. Geist ist nach christlicher Auffassung keine Substanz, sondern reine Dynamis (wie Musik), von der sich der freie Wille ableitet. Nach materialistischer Auffassung kann es so etwas überhaupt nicht geben. Freiheit beschränkt sich für Materialisten auf Handlungsfreiheit. Diese besteht darin, im Einklang mit seiner mentalen Disposition (Instinkte, Motivationen, Glaubenssätze, Präferenzen, verbales und nonverbales Wissen) agieren zu können. Es bleibt dabei offen, wie die Disposition zustande kommt. Auch einem Hund dürfte danach das Attribut der Freiheit nicht abgesprochen werden. Es käme lediglich darauf an, ob er an der Kette liegt oder sich artgerecht bewegen kann. Diese Auffassung von Freiheit kann aber schlecht erklären, wie es eine Minderheit von KZ-Häftlingen schaffte, innerlich frei und somit Mensch zu bleiben. Der bekannte Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl, ein Schüler Sigmund Freuds, hat in der Nachkriegszeit eindrucksvoll geschildert, wie er es kraft eigener Geistesanstrengung schaffte, die Selbstaufgabe zu vermeiden, und es ihm so gelang, die Drangsal der Lager zu überleben.

Frankl erkannte aufgrund seiner Erfahrungen im KZ und in seiner psychiatrischen Praxis: Der Mensch „hat“ einen Charakter – aber er „ist“ eine Person. „Die Charakteranlage ist daher auf keinen Fall das jeweils Entscheidende; letztlich entscheidend ist vielmehr immer die Stellungnahme der Person. (…) Zuletzt entscheidet der Mensch über sich selbst. (…) Der Mensch hat also nicht nur Freiheit gegenüber Einflüssen je seiner Umwelt, sondern auch gegenüber seinem eigenen Charakter. Ja, in gewissem Sinne ist es sogar so, dass die Freiheit gegenüber der Umwelt in der Freiheit gegenüber dem Charakter fundiert ist.“

Frankls Analyse der Wechselwirkungen zwischen Geist und Körper scheint inzwischen in Deutschland leider fast vergessen. In der umfangreichen Bibliografie eines aktuellen Sachbuchs zum Thema unter dem Titel „Die gefühlte Moral“ (2008) aus der Feder des Wissenschaftsautors Frank Ochmann taucht sein Name gar nicht auf. Inzwischen hat aber das australische Wunderkind David Chalmers, dessen Name in Ochmanns Bibliografie ebenfalls fehlt, mit bestechender mathematischer Logik nachgewiesen, dass schon das Bewusstsein, das im jüdisch-christlichen Menschenbild unterhalb des Geistes in der Psychophysis angesiedelt ist, grundsätzlich nicht monistisch, d. h. auch nicht materialistisch, sondern nur mithilfe eines Dualismus von Geist und Körper erklärbar ist.

Immerhin sieht auch Ochmann ganz klar: „Reiner Utilitarismus, der nach dem Prinzip maximalen Glücks für die größtmögliche Zahl vorgeht und fordert, in jedem Fall entsprechend moralisch zu handeln, mag philosophisch richtig oder zumindest nachvollziehbar sein. Trotzdem überfordert er nicht nur die meisten Menschen, sondern offenbar den Menschen an sich.“ Aber was folgt daraus? Darüber schweigt sich der studierte Theologe und ehemalige Priester aus. Könnte es nicht doch sein, dass Viktor E. Frankl recht hat, wenn er gegen die nihilistische Reduktion des Menschen auf Biologisches, Psychologisches oder Soziologisches einwendet: „Die Wesenslehre vom Menschen muss offen bleiben – offen auf Welt und auf Überwelt hin; sie muss die Tür zur Transzendenz offen halten. Durch die offene Tür aber fällt der Schatten des Absoluten“?

Ich bin, angesichts der nun beginnenden Wirtschaftskrise und ihrer absehbaren sozialen Konsequenzen, mehr und mehr davon überzeugt, dass die Fronten in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen weniger zwischen Liberalen und Autoritären, sondern zwischen Nihilisten und jenen verlaufen, die an einen Übersinn des Lebens glauben. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass ein erfundener „Übersinn“, der sich gegen das wirkliche Leben wendet, nach Friedrich Nietzsche selbst die extremste Form von Nihilismus darstellt. Deshalb sollten islamistische Selbstmordattentäter (wie auch extreme christliche Asketen) nicht als Idealisten gelten, denen man bis zu einem gewissen Grad Verständnis entgegen bringt, sondern als Feinde des Lebens.

(Teilweise abgedruckt in: factum-magazin 8/08, Schwengeler Verlag, CH-Berneck)

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An Wunder glauben von Edgar Gärtner*)

Warum sind Liberale, wie jetzt durch empirische Untersuchungen bestätigt wurde, im Schnitt deutlich glücklicher, zufriedener und optimistischer als Anhänger des wohlfahrtsstaatlichen Sozialismus? Die Antwort auf diese Frage ist vermutlich einfacher, als viele denken: Liberale glauben an Wunder. Sie tun, was ihnen sichtbar nützt und vertrauen darauf, dass das freie Spiel von Angebot und Nachfrage hinter ihrem Rücken zu Wohlstand und Frieden für die ganze Gesellschaft führt.

Es geht bei diesem Wunderglauben nicht unbedingt um Übersinnliches oder Überirdisches, sondern um durchaus Diesseitiges. Es geht weder um optische Täuschungen noch um fromme oder abergläubische Einbildungen wie Marienerscheinungen, sondern zuallererst um greifbare Vorgänge in Politik und Wirtschaft, für die das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit als Paradebeispiel dienen kann. Bewusst schreibe ich hier Wirtschaftswunder ohne Anführungszeichen. Denn wie soll man die Tatsache anders benennen, dass schon wenige Tage nach Ludwig Erhards wagemutigen, dem sozialistischen Zeitgeist widersprechenden Beschluss, mitten in der Not des Jahres 1948 gleichzeitig mit der Währungsreform die Rationierung von Gütern des täglichen Bedarfs zu beenden und fast sämtliche Preiskontrollen abzuschaffen, die Geschäfte auf einmal voll Waren aller Art waren und lange Menschenschlangen vor einem knappen Angebot bald der Vergangenheit angehörten.

Bei aller streng evolutionistischen, antiteleologischen Argumentation wies gerade der Erzliberale Friedrich August von Hayek wiederholt auf seine Offenheit Wundern gegenüber hin. Denn es war ihm zutiefst bewusst, dass die Ergebnisse des Handelns der Vielen meist viel intelligenter sind als die Motive der einzelnen Handelnden. Hayek sah darin den eigentlichen Grund für die Borniertheit und Stupidität jeglicher Form von Planwirtschaft. Denn deren Ziele spiegeln nur das beschränkte Wissen der jeweiligen Machthaber wider. „Aus einem gelenkten Prozess kann nichts größeres entstehen, als der lenkende Geist voraussehen kann“, stellte Hayek fest. Er ging sogar so weit, die gewachsene Ordnung und den Zusammenhang großer Gemeinwesen als etwas Geheimnisvolles hinzustellen. „In der großen Gesellschaft profitieren die verschiedenen Mitglieder von den Tätigkeiten aller anderen nicht nur trotz, sondern oft sogar aufgrund der Verschiedenheit ihrer jeweiligen Ziele“, fügte er an anderer Stelle hinzu.

Gegenüber dem Mysterium des gesellschaftlichen Zusammenhalts trotz oder gerade wegen des Pluralismus individueller Motive und Ziele könnten Sozialforscher, wenn sie ehrlich sind, nur die Haltung der Demut einnehmen, meinte Hayek: „Die Erkenntnis von den unüberwindlichen Grenzen seines Wissens sollten den Erforscher der Gesellschaft eigentlich Demut lehren. Diese Demut sollte ihn davor bewahren, Mitschuldiger in dem verhängnisvollen menschlichen Streben nach der Herrschaft über die Gesellschaft werden“, forderte der Wirtschaftsnobelpreisträger von 1974. Demgegenüber gehöre es zum Wesen des Aberglaubens, dass die Menschen sich einbilden, genug zu wissen, um Wunder rational erklären und durch bewusste Maßnahmen ersetzen zu können. Hayek war sich also im Klaren, dass Politik und Ökonomie bis zum heutigen Tag weder in der Theorie noch in der Praxis der Theologie so leicht entgehen können. Und er hat in der Spätphase seines Wirkens selbst Überlegungen über eine Komplementarität von Evolutionismus und christlicher Religion angestellt, was ihn in den Augen der Sozialisten aller Parteien umso verdächtiger machte.

Als weniger suspekt erscheint da vielleicht die politisch eher links verortete große Philosophin Hannah Arendt. Aber gerade bei ihr spielt der Begriff des Wunders eine noch größere Rolle, und zwar gerade in ihrem Meisterwerk, der originellen politischen Theorie des tätigen Lebens. Auch wenn Arendt über das deutsche Wirtschaftswunder anders dachte als Ludwig Erhard oder Friedrich August von Hayek und „Wunder“ immer mit Anführungszeichen schrieb, teilt sie deren Auffassung über die grundsätzliche Beschränktheit der menschlichen Fähigkeit, mögliche Folgen ihres Handelns abzusehen. In Anlehnung an Friedrich Nietzsche, der den Menschen als Tier definierte, „das versprechen darf“, sah Hannah Arendt den Hauptunterschied zwischen freien Menschen und ihren unfreien Vorfahren nicht im größeren Wissen, sondern in der Fähigkeit zu versprechen und zu verzeihen. Gute Taten hängen nicht in erster Linie vom Umfang des Wissens und von den öffentlich proklamierten Absichten einer Person ab, sondern von ihrer Liebe und der Treue zu Mitmenschen gegenüber eingegangenen Verpflichtungen.

Alles wirklich Gute geschieht im Verborgenen, lehrte Jesus von Nazareth. Die rechte Hand soll nicht wissen, was die linke tut. Daran knüpfte Hannah Arendt in „Vita activa“ an und fügte mahnend hinzu: „Güte aber, die, ihrer Verborgenheit überdrüssig, sich anmaßt, eine öffentliche Rolle zu spielen, ist nicht nur nicht mehr eigentlich gut, sie ist ausgesprochen korrupt.“ Das könnte sie heutigen „Gutmenschen“ ins Stammbuch geschrieben haben. Sie selbst hält sich ans Neue Testament: Da die Menschen die ferneren Folgen ihres Handelns nur in sehr geringem Maße im Voraus abschätzen können, machen sie unweigerlich Fehler, fügen anderen Menschen und ihrer Umwelt Schaden zu und laden dadurch Schuld auf sich. Nur durch ihre Fähigkeit, eingegangene Versprechen allen Widrigkeiten zum Trotz einzuhalten und Schuld zu vergeben, kann der soziale Zusammenhalt gewahrt werden. In Arendts Worten: „Dass es in dieser Welt eine durchaus diesseitige Fähigkeit gibt, ‚Wunder’ zu vollbringen, und dass diese Wunder wirkende Fähigkeit nichts anderes ist als das Handeln, dies hat Jesus von Nazareth (dessen Einsicht in das Wesen des Handelns so unvergleichlich tief und ursprünglich war wie sonst nur noch Sokrates’ Einsichten in die Möglichkeiten des Denkens) nicht nur gewusst, sondern ausgesprochen, wenn er die Kraft zu verzeihen, mit der Machtbefugnis dessen verglich, der Wunder vollbringt, wobei er beides auf die gleiche Stufe stellte und als Möglichkeiten verstand, die dem Menschen als einem diesseitigen Wesen zukommen.“

Nicht weniger geheimnisvoll als das Wunder von Versprechen und Verzeihen war für Hannah Arendt ein anderes Band des sozialen und politischen Zusammenhalts: der Gemeinsinn oder gesunde Menschenverstand. Diesen hielt Arendt für die Grundlage des Politischen schlechthin, weil er erst dafür sorgt, dass die Mitglieder einer Gesellschaft in einer gemeinsamen Wirklichkeit leben. Der Gemeinsinn entsteht, wohlgemerkt, gerade nicht durch die Unterordnung aller unter vorgegebene Ziele. Vielmehr genügt es, dass zwei plus zwei für alle vier ist und bleibt. Wie der französische Literaturnobelpeisträger Albert Camus sah die jüdische Philosophin, dass die zunehmende Bürokratisierung des politischen und gesellschaftlichen Lebens im Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung den Menschen nicht nur den Wunderglauben, sondern auch den gesunden Menschenverstand austreibt. Ein immer dichteres Geflecht bewusster, oft wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich begründeter administrativer Regelungen tritt an die Stelle von Wundern und Überraschungen. Die offene Welt wird mehr und mehr zu einem Zuchthaus.

Kurz: Wunder gehören ganz einfach zur Realität. Wer nicht daran glaubt, wird am Ende zum Nihilisten. „Der Nihilist glaubt nicht an nichts, sondern nicht an das, was ist“, definierte Albert Camus. Der Gemeinsinn geht gerade am Übermaß „sozial“ begründeter wohlfahrtsstaatlicher Reglementierungen (mit Extrawürsten für alle möglichen lautstarken Interessengruppen) zugrunde. Das zeigt sich m. E. derzeit am deutlichsten am verbreiteten Aberglauben, Staat und Wirtschaft könnten mithilfe von Milliardeninvestitionen in den „Klimaschutz“, durch die Rationierung des Energieeinsatzes über das Europäische Emissionshandelssystem, durch detaillierte Vorschriften für die Heizung und Wärmedämmung von Gebäuden (unter Missachtung von Eigentumsrechten) sowie durch die Gleichschaltung von Forschung und Lehre (alles in guter Absicht, versteht sich) das Wettergeschehen gezielt beeinflussen und den Klimawandel stoppen.

„Ein merkliches Abnehmen des gesunden Menschenverstands und ein merkliches Zunehmen von Aberglauben und Leichtgläubigkeit deuten immer darauf hin, dass die Gemeinsamkeit der Welt innerhalb einer bestimmten Menschengruppe abbröckelt, dass der Wirklichkeitssinn gestört ist, mit dem wir uns in der Welt orientieren“, mahnte Hannah Arendt. Diese Warnung ist aktueller denn je.

*) veröffentlicht in: DIE WELT vom 23. Oktober 2007