Warum verschwindet der Flynn-Effekt?

Heutige Menschen reagieren langsamer als ihre Vorfahren

CNN-Porträt

In den USA ist infolge des massiven Zustroms illegaler Einwanderer aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern die Debatte über mögliche Zusammenhänge zwischen Rasse und Intelligenz wieder neu aufgeflammt. Auslöser der Debatte ist eine von der konservativen Heritage Foundation veröffentlichte Studie von Jason Richwine und Robert Rector über die sozialpolitischen Kosten der massiven Einwanderung von Hispanics mit einem niedrigeren durchschnittlichen IQ als die alteingesessenen Englischsprachigen Weißen und die Zuwanderer aus Asien. Die im Schnitt niedrigere Intelligenz hindere Hispanics, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und mache sie abhängig von verschiedenen teuren staatlichen Sozialleistungen.

Brink Lindsey bezeichnet diese Aussage in einem kritischen Beitrag im Magazin The Atlantic als rassistisch. Denn es gebe keinen Test, der die allgemeine mentale Leistungsfähigkeit misst. Zwar hätten sich standardisierte IQ-Tests in der modernen Gesellschaft bewährt, weil sie ziemlich zuverlässig Schulleistungen und den späteren Lebenserfolg der Testpersonen vorhersagen. Doch bleibe es fraglich, ob diese Tests auch auf Menschen anderer Kultur anwendbar sind. Vergleichende Beobachtungen an eineiigen und zweieiigen Zwillingen sowie an echten Geschwistern und Adoptivkindern sprächen zwar dafür, dass die messbare Intelligenz zu einem beträchtlichen Teil erblich ist. Doch sei die Erblichkeit nur bei Angehörigen der gesellschaftlichen Oberklasse ausgeprägt. Bei Angehörigen der Unterklasse überwögen jedoch Umwelteinflüsse. Bei Adoptivkindern wurde beobachtet, dass sie ihren IQ um 12 bis 16 Punkte verbessern können, wenn sie in einer günstigen Umwelt aufwachsen.

Lindsey weist auch darauf hin, dass die gängigen IQ-Tests auf Lesen und Schreiben und somit auf theoretisches Wissen und formale analytische Strenge fokussiert sind. Doch die Menschen haben das Schreiben erst vor etwa 6.000 Jahren erfunden. Die Menschen, die davor lebten, waren wohl in ihrer großen Mehrheit keineswegs dumm, sondern auf eine andere, mehr praktische Weise intelligent. Die meisten Menschen, die heute beim IQ-Test gut bis sehr gut abschneiden, würden sich in einem Stamm von Jägern und Sammlern oder in einem mittelalterlichen Bauerndorf wahrscheinlich ziemlich dumm anstellen, betont er. Lidsey meint deshalb, man dürfe aus Mexiko oder Guatemala Zugewanderte nicht mit der gleichen Elle messen wie alteingesessene US-Bürger. Nach seiner Ansicht messen Intelligenz-Tests weniger angeborene Fähigkeiten als das Maß, in dem diese Fähigkeiten genutzt werden, um im Leben zurecht zu kommen. Einen Beleg dafür sieht er im Flynn Effekt, das heißt der Beobachtung, dass der durchschnittliche IQ in den wohlhabenden Industrieländern bis in die 1990er Jahre in jedem Jahrzehnt um drei Punkte angestiegen ist. Diese Steigerung ist zu rasch, um sie auf genetische Mutationen und deren Selektion in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft zurückführen zu können. Alles spreche dafür, dass das schlechte Abschneiden der Latinos bei standardisierten IQ-Tests nicht primär genetische Ursachen hat. Die Hispanics könnten also die ihnen fehlenden Fähigkeiten und Fertigkeiten durchaus hinzu lernen, wenn man ihnen nur die Gelegenheit dazu gebe.

Diese Argumentation überzeugt vor allem deshalb nicht so ganz, weil der Flynn Effekt inzwischen weitgehend verschwunden ist. Seit der letzten Jahrhundertwende ist der durchschnittliche IQ in Europa und in den USA wieder im Sinken begriffen. Der neuseeländische Politologe James R. Flynn selbst meint allerdings, die Intelligenz habe nicht generell abgenommen, sondern habe sich infolge der Verallgemeinerung des Umgangs mit Computern und Smartphones auf das visuelle und logische Denken verlagert, während die sprachlichen Fähigkeiten tendenziell verkümmerten. Wie dem auch sei, der Aufwärtstrend scheint gestoppt.

Die in Umea/Schweden, Amsterdam, Brüssel und Cork/Irland forschenden Psychologen Michael A. Woodley, Jan te Nijnhuis und Reagan Murphy gehen in einer kürzlich im Fachmagazin Intelligence veröffentlichten Meta-Studie noch einen Schritt weiter. Sie zeigen sich überzeugt davon, dass die außerordentliche Fülle von wissenschaftlichen und technischen Innovationen, die das Viktorianische Zeitalter (1837 bis 1901) prägten, auf die durchschnittlich höhere Intelligenz der damals lebenden Europäer zurückzuführen ist. Wegen des Fehlens einer allgemeinen Schulpflicht und staatlicher Sozialhilfe hätten Dumme und Arme damals viel geringere Überlebenschancen gehabt als heute. Übrig geblieben seien die überdurchschnittlich Begabten.

Die Psychologen analysierten 14 zwischen 1884 und 2004 erschienene wissenschaftliche Auswertungen von standardisierten visuellen Reaktionstests. Ähnlich wie der ostdeutsche Genetiker und Sozialhistoriker Volkmar Weiss in seinem umstrittenen Buch „Die Intelligenz und ihre Feinde“ werten auch die genannten Psychologen die Reaktionszeit beziehungsweise die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses als Indikator der neurophysiologischen Effizienz und somit als kulturunabhängiges Maß der allgemeinen Intelligenz. Sie stellen an Hand der von ihnen ausgewerteten Veröffentlichungen fest, dass die durchschnittliche Reaktionszeit in westlichen Gesellschaften zwischen 1884 und 2004 von 194,06 Millisekunden auf 275,47 Millisekunden angestiegen ist. Das entspricht nach den Berechnungen der Autoren einem IQ-Verlust von 14,8 Punkten. Dessen Ursachen sehen sie in erster Linie in einem „dysgenischen Trend“, das heißt in der stärkeren Fortpflanzung von Menschen mit unterdurchschnittlicher Intelligenz. Volkmar Weiss sieht hingegen die Zuwanderung von Menschen aus Ländern mit einem unterdurchschnittlichen IQ als Hauptursache des Sinkens des IQ in Europa und in den USA. Die von Lindsey kritisierten Ansichten von Richwine und Rector scheinen von daher gar nicht so abwegig. Lindsey selbst erscheint hingegen als Lobbyist der immer weiter um sich greifenden Migrations- und Integrations-Industrie, die nach immer mehr Steuergeldern ruft, um den Traum von einer nivellierten Wohlfühlgesellschaft zu verwirklichen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Weniger intelligent bedeutet nicht automatisch dumm. Wer wirklich weiß, was er will und was er vernünftigerweise erreichen kann, der kommt auch mit einem mittleren IQ ganz gut durchs Leben.

Internet:

Robert Rector and Jason Richwine: The Fiscal Cost of Unlawful Immigrants and Amnesty

Brink Lindsey: Why People Keep Misunderstanding the ‘Connection’ Between Race and IQ

Wikipedia: Der Flynn-Effekt

Michael A. Woodley, Jan te Nijnhuis and Reagan Murphy: Were the Vicorians cleverer than us?

Volkmar Weiss: Die Intelligenz und ihre Feinde

(u.a. veröffentlicht am 12. Juni 2013 in: ef-magazin.de)