Ökologie der Hoffnungslosigkeit

Derrick Jensen: Endgame. Zivilisation als Problem. Pendo Verlag. München und Zürich, 2008. 540 Seiten. € 22,90 (D)/€ 23,60 (A)/sFr 41,50. ISBN: 978-3-86612-192-8

„Ich will in diesem Buch untersuchen, wie moralisch machbar es ist, nicht nur Staudämme einzureißen, sondern die gesamte Zivilisation abzuschaffen.(…) Jeden Morgen, wenn ich aufwache, frage ich mich, ob ich schreiben oder einen Staudamm sprengen soll.“ Das gesteht Derrick Jensen, ein nordkalifornischer Öko-Aktivist und Bestseller-Autor in seinem nun auf Deutsch vorliegenden programmatischen Buch „Endgame“. Immerhin räumt er im gleichen Atemzug ein, er sei selbst zu feige und technisch zu ungeschickt, um das Programm seines in den USA als „das wichtigste Buch der letzten zehn Jahre“ ausgezeichneten Wälzers auch umzusetzen. Dieser gewährt einen einzigartigen Einblick in die Denkart der in Nordamerika immer zahlreicher werdenden Öko-Fundamentalisten, die den Untergang von Milliarden von Menschen in Kauf nehmen, um ihrem Ziel, der Zerstörung der industriellen Zivilisation, näher zu kommen.

„Leute, die Staudämme in die Luft sprengen, tragen nicht die Verantwortung dafür sicherzustellen, dass Leute, die in bislang mit Wasserkraftstrom geheizten Häusern leben, lernen, wie man über einem offenen Feuer kocht“, erklärt Jensen lapidar. Er bezeichnet sich selbst als romantischen Nihilisten. Dabei ist ihm aber offenbar nicht geläufig, dass „Nihilismus“ nach Friedrich Nietzsche, der den Begriff zwar nicht erfand, aber maßgeblich prägte, nur eine vornehme Umschreibung von Dummheit ist. Jensen bestätigt auf eindrucksvolle Weise Nietzsches Einsicht, indem er die Hoffnung als „tödliches Gift“ brandmarkt. „Wenn die Hoffnung stirbt“, schreibt er, „erkennen Sie, dass das Ich, das mit der Hoffnung gestorben ist, nicht Ihr wirkliches Ich war, sondern ein Ich, das von denen abhängig war, die Sie ausbeuten (…) Das Opfer-Ich stirbt. Und was bleibt übrig, wenn dieses Ich stirbt? Sie bleiben übrig. Das tierische Ich. Das nackte Ich… Das Ich, das nicht denkt, was die Kultur zu denken es gelehrt hat…“ Und weiter: „Wir brauchen die Zivilisation nicht. Wir – Menschen, menschliche Tiere, die in gesunden, funktionierenden Gemeinschaften lebten – haben die allermeiste Zeit unserer Existenz völlig problemlos ohne die Zivilisation existiert. Aber wir brauchen eine lebende Landbasis.“

Jensen demonstriert auf diese Weise klarer als andere Öko-Nihilisten, wohin man gelangt, wenn man den Menschen nicht als Gottes Ebenbild begreift – und die Zivilisation nicht als Fortsetzung der göttlichen Schöpfung. Wer die Hoffnung, definiert als „Sehnsucht nach einem zukünftigen Zustand, auf den man keinen Einfluss hat“, so gering achtet, redet folgerichtig der Verzweiflung das Wort. Klarer: Jensen versucht die Wut seiner Leser zu schüren und ihnen Mut zu machen für Verzweiflungstaten gegen die verhasste Kultur. Sein Ideal ist die Lebensweise nordamerikanischer Indianerstämme vor der Ankunft des weißen Mannes. Im Unterschied zu den indianischen Hochkulturen in Mittel- und Südamerika mit ihren grausamen Menschenopfer-Riten übten die von der Jagd und vom Fischfang lebenden Stämme des Nordens tatsächlich von Anfang an eine große Faszination auf die Europäer aus. Von keinem Geringeren als Benjamin Franklin ist folgende Klage überliefert: „Kein Europäer, der das wilde Leben geschmeckt hat, kann es hinterher noch ertragen, in unserer Gesellschaft zu leben.“ Nicht von ungefähr versuchten die Pilgerväter, Siedler und Soldaten durch die Aussetzung der Todesstrafe vom Überlaufen zu den ihnen sympathisch erscheinenden Indianerstämmen abzuhalten.

Als Haupthindernis auf dem Weg zurück ins Paradies erscheint Jensen das Christentum. „Ein Zweck des Christentums ist und war es seit jeher, die Unterwerfung unter die Herrschenden zu rationalisieren. (..) Buddhismus und Christentum leisten das, was alle Religionen der Zivilisation leisten müssen, sie naturalisieren die Tyrannei der Kultur“, behauptet Jensen. Nicht nur der Kapitalismus, sondern jede Form der Zivilisation beruhten auf der Besatzung und dem Missbrauch der natürlichen Lebensgrundlagen, meint er. Deshalb vergleicht er seinen Kampf für die Abschaffung der Zivilisation mit dem heldenhaften Aufstand es Warschauer Gettos gegen die Nazis. Den moralischen Pazifismus christlichen, buddhistischen oder hinduistischen Ursprungs lehnt er ab und fordert stattdessen eine „situationsbezogene Moral“ und ein undogmatisches Verhältnis zur Gewalt. Dabei benutzt er seine durch Missbrauch durch den eigenen Vater verdorbene Kindheit implizit als Argument für „mildernde Umstände.“

Ist die Beschäftigung mit solch abstrusen Ansichten nicht vertane Zeit, wird sich mancher Leser fragen. Die Antwort liegt auf der Hand: Jensen steht mit seinem nihilistischen Ansatz keineswegs allein auf weiter Flur. Die Idee, dass die Entwicklung der Zivilisation an sich die größte Todsünde darstellt, gehört heute zum postmodernen Grundkonsens der vom Wohlstand Verwöhnten. Es gibt sogar eine objektive Allianz zwischen romantischen Nihilisten und jenen Kreisen der Politik und der Hochfinanz, die auf eine dezidiert antichristliche „neue Weltordnung“ hinarbeiten.

(erschienen in: factum-magazin, Nr. 3/09, Schwengeler Verlag AG, CH-9442 Berneck)