Martin Rhonheimer, Homo sapiens: die Krone der Schöpfung. 286 S. geb. Springer VS, Wiesbaden 2016. € 49,99
Die Evolutionstheorie nach Charles Darwin ist durch und durch unfertig. Versteinerte Knochen beweisen Abstammungslinien längst nicht so zwingend, wie in Schulbüchern dargestellt. Das gilt besonders für die Abstammung des Menschen. Heute bringen Molekulargenetik und Entwicklungsbiologie mehr Licht in vermutete Zusammenhänge als die Paläontologie. Doch Martin Rhonheimer beschäftigt sich kaum mit biologischen Details. Als Philosoph und Theologe interessieren ihn in erster Linie die Konsequenzen von Erkenntnissen über unsere Herkunft für unser Menschenbild. Rhonheimer, ein Schüler Hermann Lübbes, lehrt an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, ist Mitglied der Hayek-Gesellschaft und ist gerade dabei, in Wien das Austrian Institute of Economics and Social Philosophy aufzubauen.
Im vorliegenden Buch zeigt sich Rhonheimer als Kenner der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin. Er ist davon überzeugt, dass dessen Lehre des Hylemorphismus (Einheit von Leib und Seele) noch heute genügt, um den philosophischen Herausforderungen der Evolutionsforschung zu begegnen. Deshalb lässt er nur den teleologischen Gottesbeweis („quinta via“) gelten und distanziert sich von allen Spielarten des naiven Kreationismus. Um zu erklären, warum uns die Natur als zweckhaft und intelligent geordnetes organisches Ganzes erscheint, brauchen wir keine Lehre vom „intelligent design“, sondern müssen lediglich annehmen, es gebe eine transzendente Intelligenz, die die Natur mit der Fähigkeit zur Selbstorganisation ausgestattet hat. Der wirkliche, transzendente Schöpfergott werde durch den Fortschritt naturwissenschaftlicher Erkenntnis nie verdrängt werden, versichert Rhonheimer.
Was die Biologie angeht, bezieht sich Rhonheimer auf den inzwischen verstorbenen Tierphysiologen Gerhard Neuweiler, der übrigens zu meinen akademischen Lehrern gehörte. Die Tatsache, dass Mensch und Schimpanse 98,5 Prozent ihrer Gene gemeinsam haben, weise darauf hin, dass die enormen Intelligenzunterschiede zwischen beiden nicht allein genetisch bedingt sein können. Die Wurzel des spezifisch menschlichen Intellekts und damit auch der Freiheit liege im Geist, der allerdings, obwohl von außen („ab extrinseco“) kommend, nicht vom lebendigen Leib getrennt ist. „Menschliches Bewusstsein, die menschliche Psyche, menschliches Erkennen und Wollen sind weder rein materialistisch noch rein spiritualistisch erklärbar. Nur als psychophysische Einheit, als Einheit von Körper und Geistseele, lässt sich verstehen, was der Mensch ist“, betont Rhonheimer. Anders als Kant, von dessen Erkenntnistheorie er sich scharf abgrenzt, sieht Rhonheimer (wie Thomas von Aquin) die Freiheit des Willens in der menschlichen Fähigkeit, sich allein von der Vernunft bestimmen zu lassen. „Freies Handeln ist keineswegs ‚nichtdeterminiertes‘ Handeln, sondern Handeln aus Gründen, das heißt aufgrund von Motiven und damit von Ursachen, die aus der Vernunft stammen…Die Freiheit liegt in der Fähigkeit der Vernunft, das Gute unter verschiedenen Hinsichten zu sehen und über ihre eigenen Urteile…zu reflektieren“, schreibt Rhonheimer.
Wie kommt dann aber das Böse in die Welt? Zwar erwähnt Rhonheimer durchaus die Erbsündelehre des heiligen Augustinus, doch einen festen Platz kann er dieser in seinem Menschenbild nicht einräumen. Denn er stört sich an Augustinus‘ dualistischem Denkansatz, der später bei Descartes seine Fortsetzung gefunden hat. Ist das Böse lediglich eine Folge der Unfreiheit, d.h. des Lasters anstelle der vernunftgeleiteten Tugend? Diese Frage drängt sich jenen auf, die auf der Grundlage ethnologischer Befunde davon ausgehen, dass unsere Urahnen keine edlen Wilden, sondern Kannibalen waren. Oder waren das nur Vormenschen? Vielleicht fängt ja das eigentliche Menschsein erst mit Tötungsverbot des Dekalog und der Nachfolge Jesu Christi an. Rhonheimer deutet das an, indem er darauf hinweist, dass die Würde des Menschen an die Anerkennung seiner Gotteskindschaft gebunden ist.
Edgar L. Gärtner
(Zuerst veröffenticht in: eigentümlich frei 165, August-September 2016)