Die „Energiewende“, ein Lügengebäude

Edgar L. Gärtner

Windrad Elm0135Bei Sozialisten und Grünen war es schon immer schwer, zwischen Selbsttäuschung und bewusster Lüge zu unterscheiden. So ist es auch bei dem schon lange vor der Kernreaktor-Havarie von Tschernobyl im Jahre 1986 von jungen Wissenschaftlern im Umkreis des Freiburger Öko-Instituts geprägten Begriff „Energiewende“. Bereits im Jahre 1980 legten Autoren des Instituts eine Studie mit dem verheißungsvollen Titel „Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ vor. Kohlekraftwerke schienen damals noch kein Problem zu sein. Es ging um die Verminderung unserer Abhängigkeit vom Öl des Nahen Ostens und von der damals von linken Grünen schon verteufelten Kernenergie. Im Jahre 1985 veröffentlichten Peter Hennicke, Jeffrey P. Johnson, Stephan Kohler und Dieter Seifried im Frankfurter S. Fischer Verlag eine dicke Studie mit dem Titel „Die Energiewende ist möglich. Für eine neue Energiepolitik der Kommunen“. Wie der Titel andeutet, ging es darin um die Brechung der Macht der großen Stromkonzerne durch die Rekommunalisierung und Dezentralisierung der Elektrizitätsversorgung. Mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat die Forderung einer radikalen „Energiewende“, historisch betrachtet, nichts zu tun. Dafür schon eher mit dem Wiedererstarken romantischer Strömungen nach der Studentenrevolte von 1968.
Heute, vier Jahre nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel unter dem Eindruck der Tsunami-Katstrophe von Fukushima die „Energiewende“ zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Politik erklärte, stehen nicht nur die großen Stromversorger RWE und E.On, sondern auch viele Stadtwerke vor der Pleite. Von Rekommunalisierung kann keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die Planung zusätzlicher Höchstspannungs-Stromtrassen in Nord-Süd-Richtung weist in Richtung einer deutlichen Verstärkung der Zentralisierung und damit der Verwundbarkeit unserer Versorgungssysteme. Das ist nur ein scheinbares Paradox. Denn es ist eine logische Folge des im Jahre 2000 unter dem damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Die Grünen) verabschiedeten Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG). Dessen Ziel ist es, Deutschland bis zum Jahr 2050 zu 80 Prozent mit „erneuerbarem“ Strom (Grünstrom) aus Solar-, Wind- und Biogas-Kraftwerken zu versorgen. Deren Betreiber bekommen deshalb als Anreiz für 20 Jahre garantierte hohe Festpreise für den von ihnen in öffentliche Netze eingespeisten Strom – unabhängig vom jeweiligen Bedarf. Das sollte die Haushalte, so versprach es Trittin, im Monat nicht mehr als den Gegenwert einer Kugel Eis kosten. Grünstrom hat laut EEG in den Netzen stets Vorfahrt. Kohle- und Kernkraftwerke sind nur noch Lückenbüßer für wind- und sonnenarme Zeiten. Bei Sonnenschein und kräftigem Wind müssen sie abgeregelt werden. Wird an sonnen- und/oder windreichen Tagen zu viel Grünstrom produziert, sinkt der Börsenpreis für Strom unter Umständen bis ins Negative und Überschüsse müssen mithilfe von Zuzahlungen an ausländische Netzbetreiber verschenkt werden. Die Stromkunden müssen den Öko-Stromern mit ihrer Stromabrechnung auf jeden Fall die Differenz zwischen Börsen- und Garantiepreis zahlen.
Betreiber von Kohle- und Kernkraftwerken, die ihren Strom nur zu den jeweils gültigen Börsenpreisen abgeben können, machen unter diesen Bedingungen keine Gewinne mehr. Ihre Anlagen sind dafür ausgelegt, an elf von zwölf Monaten kontinuierlich Strom zu liefern, und zwar zu günstigen Gestehungspreisen von 3,5 Cent für Atom- und Braunkohlestrom und 5 Cent je Kilowattstunde für Steinkohlestrom. Die Garantiepreise für Windstrom hingegen bewegen sich (einschließlich der Übertragungskosten von Offshore-Windparks) zwischen 9 Cent im Binnenland und 24 Cent je Kilowattstunde auf hoher See. Der Garantiepreis für Solar- und Biogasstrom liegt derzeit bei 14 Cent je Kilowattstunde. So verändert sich der Strom-Mix in unseren Leitungen immer mehr zugunsten der teuersten Anbieter.
Schon heute bezahlen die deutschen Stromverbraucher (ausgenommen sind laut einer nun von der EU genehmigten Sonderregelung die stromintensivsten Industrien) fast das Doppelte für die Kilowattstunde wie ihre französischen Nachbarn. Die Mehrkosten für die „Energiewende“, die jede Familie Monat für Monat aufbringen muss, entsprechen schon 30 Eiskugeln. Aber das ist noch nicht alles. Der Verband der Stromverbraucher naeb e.V. hat ausgerechnet, dass der mit der „Energiewende“ verbundene Strompreisanstieg bis zum Jahre 2020 schon 50 Prozent erreichen wird. Als besonders kostenträchtig werden sich in den kommenden Jahren neue Höchstspannung-Stromtrassen in Nord-Süd-Richtung erweisen. Nach heftigen Protesten der Anwohner sollen diese unterirdisch verlegt werden. Dann kostet der Kilometer Trasse aber sieben statt eine Million Euro.
Offiziell sollen die neuen Trassen dazu dienen, die Windstromüberschüsse der deutschen Bucht und der norddeutschen Tiefebene zu den Industriegebieten Bayerns und Baden-Württembergs zu leiten, um dort die für das Jahr 2022 programmierte Stilllegung der letzten Kernkraftwerke auszugleichen. Da Windkraftanlagen aber selbst auf der Nordsee nur während maximal 3.000 von den 8.760 Stunden des Jahres Strom liefern, sind die geplanten neuen Stromtrassen von vorneherein so konzipiert, dass sie in windarmen Zeiten auch Braunkohlestrom aus West- und Ostdeutschland in den Süden transportieren können. Statt ins Paradies der „erneuerbaren“ Energien wird die „Energiewende“ also vermutlich zu einer Renaissance der „schmutzigen“ Braunkohle führen. Überdies werden die projektierten Nord-Süd-Trassen frühestens drei Jahre nach der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke fertiggestellt sein, so dass die südlichen Bundesländer auf einen Strom-Engpass zusteuern, der nur durch zusätzliche Importe und/oder den massiven Ausbau der Biogas-Verstromung auf der Basis von Mais abgewendet werden könnte. Wohl aus diesem Grund hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer im Bundesrat eine Anpassung der Biogas-Subventionen verhindert.
Von Anfang an wurde in den Konzepten einer „Energiewende“ mehr oder weniger bewusst unterschlagen, dass Sonne und Wind als Energiequellen nur zeitweilig zur Verfügung stehen. Die Sonne scheint über Deutschland im Schnitt nur während 1.700 Stunden im Jahr. Deshalb ist es irreführend, die Kapazitäten von Solar- und Windkraftwerken mit denen herkömmlicher Kraftwerke zu vergleichen. Das könnte man nur, wenn es möglich wäre, die zufällig anfallenden Stromüberschüsse auf wirtschaftlich tragbare Weise zu speichern. Am ehesten ginge das noch mit Pumpspeicher-Kraftwerken. Der von ihnen gelieferte Strom kostet aber bereits 50 Cent je Kilowattstunde. Und selbst diese Kraftwerke sind heute nicht mehr rentabel. Ihr Geschäftsmodell beruhte bislang darauf, den Spitzenbedarf um die Mittagszeit abzudecken. Genau dort aber werden sie heute nicht selten von Photovoltaikstrom EEG-konform vom Markt verdrängt. Andere Speichermöglichkeiten kommen noch viel teurer. Speichert man den Strom chemisch in Form von Methan und verwandelt man dieses in Gaskraftwerken zurück in Strom, muss mit einem Strompreis von zwei Euro je Kilowattstunden gerechnet werden. Welcher Hartz-IV-Empfänger wird sich das leisten können?
Grünen Verfechtern der „Energiewende“ ist die Brisanz der auf uns zukommenden Kostenlawine durchaus bewusst. Strom könne billiger werden, wenn die Versorger die gesunkenen Börsenpreise an die Endverbraucher weitergäben, lügt die grüne Ökonomin Prof. Claudia Kemfert dem ihr an den Lippen hängenden wendetrunkenen Publikum vor. Dabei ist es das EEG, das den automatischen Ausgleich zwischen dem Börsenstrompreis und der garantierten Einspeisevergütung für „Erneuerbare“ herstellt und somit die Weitergabe von Kostenvorteilen an die Verbraucher verhindert. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin sieht hingegen das Hauptproblem in der Überproduktion von Strom. Er meint damit aber nicht die reale Überproduktion von Öko-Strom bei starkem Wind und Sonnenschein, sondern die Kohlekraftwerke. Diese CO2-Schleudern müssten zügig abgeschaltet werden. Woher dann bei Nacht und Windstille der Strom kommen soll, interessiert ihn offenbar nicht.
Gehörte das deutsche Stromversorgungssystem bis vor wenigen Jahren mit einer durchschnittlichen Stromausfallszeit von weniger als 15 Minuten und nur zwei Eingriffen „von Hand“ im Jahr noch zu den sichersten der Welt, so sind inzwischen beinahe stündlich Eingriffe ins Stromnetz, genannt Redispatching nötig, um die durch die witterungsabhängige Einspeisung von Grün-Strom verursachten Ungleichgewichte zwischen Produktion und Bedarf auszugleichen. Überproduktion drückt sich durch ein Ansteigen, Unterproduktion dagegen in einem Absinken der Wechselstrom-Frequenz aus. Generatoren und Elektromotoren sind so ausgelegt, dass sie nur geringe Frequenzschwankungen tolerieren. Werden die Toleranzgrenzen überschritten, erfolgen automatische Notabschaltungen, um teure Anlagen vor dem Durchbrennen zu schützen. Auf diese Weise kann sich eine Störung kaskadenartig zu einem großflächigen Zusammenbruch der Stromversorgung ausweiten.
Das passierte im November 2006, als wegen der Ausschiffung eines großen Kreuzfahrtschiffes durch die Meyer Werft in Papenburg eine die Ems überquerende Hochspannungstrasse abgeschaltet werden musste. Diese transportierte zu diesem Zeitpunkt eine Windstromleistung von etwa 10.000 Megawatt von Norddeutschland Richtung West- und Südeuropa. Wegen des plötzlichen Ausfalls dieser Leistung infolge von Kommunikationsproblemen zwischen dem damals noch E.ON gehörenden Netz in Norddeutschland und dem RWE-Netz in Westdeutschland sank die Netzfrequenz im Westen unter die kritische Schwelle. Es kam zu einer Serie automatischer Lastabwürfe, um die Frequenz zu stabilisieren. In der Folge fiel in Westeuropa bis hinunter nach Italien, Spanien und Marokko für 10 Millionen Haushalte zwei Stunden lang der Strom aus. Der genaue Ablauf dieser Großpanne ist auf Wikipedia übersichtlich dargestellt.
Damals war es noch möglich, den Schaden zu begrenzen. Aber schon ein 48-stündiger Stromausfall in einer europäischen Ballungsregion wäre eine Katastrophe, die zahlreiche Todesopfer fordern würde. Es käme zum Stillstand der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, Fahrstühle und Bahnen bleiben stecken, Schwerkranke auf Intensivstationen gerieten in Lebensgefahr, infolge des Ausfalls der Beleuchtung müsste mit der Plünderung von Geschäften und bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen gerechnet werden. So geschah es beispielsweise vor knapp einem Jahr nach einem heftigen Wolkenbruch mit Stromausfall über der schicken Festivalstadt Cannes an der Côte d’Azur. Es sind vermutlich diese Erfahrungen, die die Merkel-Regierung bewogen haben, ihren Untertanen im Rahmen der am 24. August vorgelegten „Konzeption Zivile Verteidigung“ die Anlage von Notvorräten für zehn Tage nahezulegen. Begründet wird das Konzept, das den Einsatz der Bundeswehr im Landesinnern vorsieht, mit der Gefahr von Cyber-Angriffen auf die Versorgungsnetze. Das Lügengebäude namens „Energiewende“ würde einstürzen, gäbe Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu, dass die Blackout-Gefahr infolge der immer massiveren Überproduktion von Grünstrom der wirkliche Grund für die Hamster-Initiative der Regierung ist.

 

(Zuerst veröffentlicht am 2. September 2016 in ef.magazin.de)