Postnormale Wissenschaft in Wuppertal

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Als das rot-grüne Wuppertal-Institut (WI) für Klima, Umwelt, Energie im Wissenschaftszentrum NRW vor 25 Jahren unter Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker gegründet wurde, gehörte ich zu den geladenen Gästen. Eingeladen war ich auch zum internationalen Kongress „Grenzen-los?“ Ende 1996. (Damals kämpften die Linksgrünen noch für klare politische und rechtliche Grenzen!) Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich beim Mittagessen zwischen dem Staatsrechtler und ehemaligen Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und dem Philosophen Vittorio Hösle saß und mich angeregt mit ihnen unterhielt. Böckenförde dachte, ich vertrete die Ansichten der Frankfurter Schule, weil ich aus Frankfurt kam. Ich musste ihm erklären, dass ich mich als Naturwissenschaftler nur wenig mit den Ansichten von Adorno und Habermas beschäftigt habe. Als das WI nun in diesem Jahr vom 5. bis zum 9. September unter dem Motto „Making Utopia possible“ sein 25-jähriges Jubiläum feierte, war ich dagegen nicht eingeladen. Das hat wohl seinen Grund. Habe ich mich doch in meinem Buch „Öko-Nihilismus“ (2012) eingehend mit dem vom WI vertretenen Konzept der „Postnormalen Wissenschaft“ auseinandergesetzt.

Das Konzept der „Post Normal Science“ (PNS) geht auf die neomarxistischen Wissenschaftsphilosophen Silvio Funtowicz und Jerome Ravetz zurück. In Situationen höchster Ungewissheit, lehrten die beiden, brauchen sich die Forscher nicht mehr auf die unvoreingenommene Wahrheitssuche zu beschränken. Vielmehr sollen sie auf die Qualität ihrer „Erzählung“ (narrative) achten. Während „normale“ Naturwissenschaft im Rahmen einer allgemein anerkannten Theorie auf experimentellem Wege nach reproduzierbarem, technisch und wirtschaftlich nützlichen Wissen sucht, soll sich die „post-normale“ Wissenschaft an neuen Leitbildern wie „Vorsorge“, „Klimaschutz“ und „ökologischer Nachhaltigkeit“ oder auch „sozialer Gerechtigkeit“ orientieren.

Die herkömmliche Wahrheitssuche, die immer nur vorläufige Annäherungen an die absolute Wahrheit zulässt, soll im Grunde genommen ersetzt werden durch das Aushandeln von Kompromissen, durch die Einigung auf etwas, das als Wahrheit gelten soll. So wird ergebnisoffene Wissenschaft am Ende durch politisch nützliche Fiktionen einer geschlossenen Welt ersetzt. Die Grenze zwischen gutmenschlicher Selbsttäuschung und bewusster Irreführung der Öffentlichkeit wird fließend. Es erscheint auf der Grundlage des PNS-Konzepts durchaus erlaubt, die direkte oder indirekte Ermittlung von Temperaturdaten so zu manipulieren, dass sie in die Erzählung von der menschlich verursachten globalen Erwärmung passt, da es den postnormalen Wissenschaftlern ja in erster Linie darum geht, „guten“ politischen Zielen wie der massiven Subventionierung unwirtschaftlicher „erneuerbarer“ Energien zum Durchbruch zu verhelfen. Der linke US-Forscher Michael Mann hat das vorgemacht mit seiner „Hockeyschläger-Kurve“ der vermeintlichen Entwicklung der durchschnittlichen Erdtemperatur in den vergangenen 1.000 Jahren. Kurz: Die „postnormale Wissenschaft“ passt sehr gut zu Angela Merkels „postfaktischer“ Politik. Es geht dabei um die machtpolitische Gleichschaltung der Wissenschaft, verbrämt mit dem neudeutschen Schlagwort „Mainstreaming“, und um die Diffamierung all jener, die es wagen, ihren eigenen Kopf anzustrengen.

Bei der Jubiläumsfeier des WI in der Wuppertaler Stadthalle versuchte Prof. Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (Bonn), die Notwendigkeit einer politischen Ausrichtung der Forschung auf das Ziel „klimafreundlichen“ Wirtschaftens zu begründen, indem er ein Angst-Szenario aufbaute: Ändere der Mensch sein klimaschädliches Verhalten in den kommenden 20 Jahren nicht, steige der Meeresspiegel um 70 Meter und schlucke die Küstenstädte, in denen ein Zehntel der Menschheit lebt. Der jetzige WI-Präsident Prof. Uwe Schneidewind forderte, im „Klimaschutz“ engagierte Bürger und Arbeitskreise großer Umweltverbände müssten die wissenschaftlichen Problemstellungen mitbestimmen können. Deshalb sollten die Hochschulen zu „Bürgeruniversitäten“ umgestaltet werden, in denen außeruniversitäre Aktivisten mitreden könnten, um eine „normative Wende“ im Wissenschaftsbetrieb durchzusetzen. Man kann sich den Terror, dem dann politisch unkorrekte Forscher und Hochschullehrer ausgesetzt wären, angesichts der Straßenaktionen der Antifa-SA-Horden schon jetzt gut vorstellen.

Kein Wunder, dass solche Vorschläge bei Verfechtern ordentlicher, am Wahrheitskriterium orientierter wissenschaftlicher Forschung mulmige Gefühle hervorriefen. So mahnte Prof. Peter Strohschneider, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Prof. Schneidewind und seine Mitstreiter wollten die Wissenschaft zur Magd gutmenschlicher Weltretter machen. Werde die Forschung auf den „menschheitsgeschichtlichen Letztwert“ der Nachhaltigkeit verpflichtet, gehe das auf Kosten des produktiven, die Wissenschaft voranbringenden Grundsatzstreits zwischen den Forschern. Die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit müsse leiden, wenn politische Nützlichkeitserwägungen die Frage nach der Wahrheit in den Hintergrund rücken. (Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es echte Nachhaltigkeit ohnehin nur in einem Schwarzen Loch, weil dort die Zeit stillsteht.)

Die rot-grüne Landesregierung von NRW lässt sich von solchen Mahnungen nicht beeindrucken. Die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) lobte ausdrücklich die Initiative des WI. Sie gelobte, dem „geballten Gegenwind, auch aus dem Wissenschaftssystem“ standhalten zu wollen, und kündigte an, „die dem Land zur Verfügung stehenden Instrumente der Forschungs- und Innovationsförderung entlang des Ziels nachhaltiger Entwicklung einzusetzen“. Bislang hat die rot-grüne NRW-Regierung allerdings nicht einmal 100 Millionen Euro in die Nachhaltigkeitsforschung gelenkt. Das soll sich aber bald ändern. Immerhin sind schon etliche Unis in NRW zu „Bürgeruniversitäten“ erklärt worden. Die Landesregierung gab den insgesamt 30 staatlichen Hochschulen und Fachhochschulen vor kurzem einen verbindlichen Entwicklungsplan vor. Wird dieser nicht befolgt, kann das Land Zuschüsse drastisch kürzen. Das löste nicht nur bei konservativen Hochschulangehörigen einen Proteststurm aus.

(Zuerst veröffentlicht am 27. September 2016 bei ef-magazin.de)