Über das Ritual von Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung
Edgar L. Gärtner
Versuchen Sie mal, den bei uns in politischen Debatten allgegenwärtigen Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ ins Französische zu übersetzen! Ich sage nicht, dass das nicht geht. Online-Wörterbücher wie das von Langenscheidt werden Ihnen zum Beispiel „prise de conscience du passé“ oder „fait d’assumer son passé“ (bei Bab.la) vorschlagen. Aber das sind jeweils fünf Wörter, die etwas umschreiben, sich aber kaum als rasch wiederholbare Schlagworte eignen. Obendrein klingt in beiden Übersetzungen nicht deutlich genug die negative bzw. kritisch distanzierte Haltung zur Vergangenheit an, die beim deutschen Begriff zweifelsohne überwiegt.
Die Franzosen sehen eben mehrheitlich, im Unterschied zu den Deutschen, in ihrer Vergangenheit kein grundsätzliches Problem. Im Gegenteil überwog bei ihnen bis zum Aufkommen der „Woke“-Bewegung, die auch an den Grenzen Frankreichs nicht Halt machte, eindeutig der Stolz auf die eigene Nation und ihre bewegte Geschichte. Auch in den afrikanischen und polynesischen Kolonien Frankreichs lernten die Schulkinder, dass sie von den Galliern abstammen, die der römischen Besatzungsmacht mit ihrem kühnen Widerstand das Leben schwer machten. Nur ein Erfolgsautor wie Michel Houellebecq konnte es sich erlauben, öffentlich auszusprechen, dass Kaiser Napoleon Bonaparte, der noch immer als Symbol für Frankreichs Größe verehrt wird, in seinen Augen ein schlimmerer Menschenschlächter war als Adolf Hitler. Ein Normalmensch müsste nach einer solchen Behauptung auch heute noch mit dem Schlimmsten rechnen, denn Napoleon gilt bei den Franzosen noch immer als Heiligtum. In der Nachkriegszeit wurde dieses Bild von Frankreichs Größe ergänzt durch den Hinweis auf die Résistance gegen die Nazi-Herrschaft und die kluge und national selbstbewusste Politik des Résistance-Führers Charles de Gaulle, die sich gerade in der Energiepolitik bis heute segensreich auswirkt.
In Deutschland hingegen bekommen viele Schulkinder von der über tausendjährigen Geschichte ihres Landes nicht viel mehr mit als die zwölf Jahre der Schande unter dem Regime des zum Reichskanzler gewählten viszeralen Antisemiten Adolf Hitler. Vielleicht erfahren sie dabei zumindest noch, dass das Diktat von Versailles, das Deutschland und seinen Verbündeten die Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zuschob und zu absolut unbezahlbaren Reparationsleistungen verurteilte, Hitler den Weg zur Macht ebnete.
Statt auf militärische Erfolge und Kulturleistungen in der Geschichte gründete sich das Selbstbewusstsein der Westdeutschen nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg im Kern auf das “Wirtschaftswunder“ des raschen Wiederaufbaus und die im In- und Ausland begehrte Hartwährung D-Mark, war also stark gegenwartsbezogen. Doch damit war nach der Aufgabe der D-Mark zugunsten der politischen Weichwährung Euro zu Beginn des neuen Jahrtausends Schluss. Deutschland musste nun wieder die Rolle spielen, die ihm von seinen alliierten Konkurrenten schon im Versailler Diktat zugewiesen worden war, nämlich „Beuteland“ zu sein. Unter dem im Kopp-Verlag erschienenen Titel „Beuteland – Die systematische Plünderung Deutschlands seit 1945“ landete der bekannte Publizist und Gold-Experte Bruno Bandulet im Jahre 2016 einen Bestseller. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er unter dem Titel „Rückkehr nach Beuteland – Deutschland und das Spiel um Macht, Geld und Schuld“ eine Fortschreibung dieser fundierten Analyse des wirtschaftlichen und geistigen Niedergangs Deutschlands.
Neben Bandulets aktualisierter „Beuteland“-Analyse gibt es eine ganze Reihe weiterer solide recherchierte Bücher über den Niedergang Deutschlands seit der Wiedervereinigung und der Einführung des Euro, die zu Bestsellern geworden sind. So vor allem Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ (2010) und Hans-Werner Sinns „Die Target-Falle – Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“ (2012). Im Unterschied zu diesen von Ökonomen geschriebenen Büchern schafft es der promovierte Historiker Bruno Bandulet aber m.E. am besten, das Unglück Deutschlands in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen. Das gilt nicht nur für die Geschichte des Klimas seit der Eiszeit, sondern mehr noch für die Geschichte der „Klimapolitik“ im 20. und im begonnenen 21. Jahrhundert. „Wie kann man die Zukunft kennen, wenn man die Vergangenheit nicht versteht?“, fragt Bruno Bandulet zu recht. Der Autor, mit dem ich seit längerem persönlich bekannt bin (wir sind beide Mitglieder der Hayek-Gesellschaft), bedient sich hier meines im Jahre 2012 erschienen Buches „Öko-Nihilismus – Selbstmord in Grün“, wirft mir aber vor, die dort erwähnten Quellen nicht ausgeschöpft zu haben. Ich nehme ihm das nicht übel. Einig sind wir uns ohnehin darin, dass die von den Grünen aller etablierten Parteien geforderte „Planwirtschaft ohne Plan“, um das Klima zu steuern, schlicht unbezahlbar ist.
Interessant ist, was Bandulet über die national und international bestens vernetzte Lobby des Klima-Finanz-Komplexes schreibt. So beschäftigt der scheinbar mächtige Braunkohle-Verein DEBRIV in seinem Berliner Büro gerade einmal drei hauptamtliche Mitarbeiter, während beim Bundesverband Windenergie 40 Angestellte allein für die Lobbyarbeit zur Verfügung stehen. Hinzu kommen Vernetzungen mit zahlreichen angeblich unabhängigen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), die sich ihre Lobby-Arbeit durch Spenden von Großkonzernen, staatliche Zuschüsse und die Vergabe von hochdotierten Preisen finanzieren lassen. Doch ist es nun absehbar, dass die Geschäfte des Klima-Komplexes in den kommenden Monaten und Jahren unter Hochrüstung und Kriegshetze leiden werden.
Wichtiger ist deshalb, was Bruno Bandulet über die Frage von Krieg und Frieden nach der „Zeitenwende“ von 2022 schreibt. Das beginnt mit der Geschichte der „Nord Stream“-Pipelines durch die Ostsee, an der ich selbst ein wenig beteiligt war, weil ich bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und an der Erstellung der Genehmigungs-Unterlagen für „Nord Stream 1“ mitgearbeitet habe. Ich bin noch heute davon überzeugt, dass es sich dabei um ein durchaus vernünftiges Projekt im Interesse Deutschlands und ganz Europas handelte, denn der russische Konzern Gasprom genoss wegen seiner erwiesenen Vertragstreue überall einen guten Ruf. Die US-„Neocons“ sahen das allerdings ganz anders und versuchten, das Projekt von Beginn an zu torpedieren. Das beweist allerdings nicht, dass US-Dienste direkt oder indirekt hinter der Sprengung der Pipeline am 26. September 2022 in der Nähe der dänischen Insel Bornholm stecken. Bruno Bandulet legt es nahe, sich dem Ergebnis einer im Februar 2023 vom bekannten US-amerikanische Investigativ-Journalisten Seymour Hersh veröffentlichten Recherche anzuschließen. Danach war die Sprengung der Pipeline das gemeinsame Werk amerikanischer und norwegischer Agenten. Einen formellen Beweis konnte Hersh aber nicht beibringen. Die Versicherungsunternehmen, die sich jetzt weigern, die Betreiber der Pipelines zu entschädigen, weil deren Zerstörung auf einen kriegerischen Akt, d.h. Staatsterrorismus zurückgehe, wissen offenbar mehr als die staatlichen Untersuchungskommissionen, die behaupten, noch immer nicht zu einem Ergebnis gekommen zu sein.
Doch die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte kaum Interesse an der Aufdeckung der Hintergründe der Sabotage einer wichtigen Lebensader der deutschen Wirtschaft, sondern bemühte sich, den nun fehlenden Gas-Nachschub durch den Import teuren Flüssiggases aus den USA zu ersetzen. Bruno Bandulet sieht darin eine Bestätigung der Vasallenrolle gegenüber Washington, die die deutsche politische Klasse freiwillig akzeptiert habe. Bandulet hält das für eine Konsequenz der im Jahre 2008 auf der Konferenz von Bukarest beschlossenen Ausweitung der NATO bis an die Grenze Russlands – entgegen den (angeblichen?) mündlichen Zusagen des damaligen US-Außenministers James Baker beim Abschluss des Zwei-Plus-Vier-Vertrags über die deutsche Einheit im Jahre 1990. Der Kreml-Chef Vladimir Putin, der immer mit offenen Karten gespielt habe, kann nun damit drohen, alle ab 1990 mit dem Westen geschlossenen Abkommen für null und nichtig zu erklären. Keine gute Aussicht für die Deutschen!
Bandulet kann darauf hinweisen, dass man die Absichten, die hinter dem Vorgehen der NATO stehen, schwarz auf weiß im Buch „The Grand Chessboard“ (deutsch: „Die einzige Weltmacht“) des polnisch-stämmigen US-Strategen Zbigniew Brzeziński nachlesen kann. Die US -Spitzen-Diplomatin Victoria Nuland, Ehefrau des bekannten neokonservativen Theoretikers Robert Kagan, hat sich selbst damit gebrüstet, im Jahre 2014 für fünf Milliarden US-Dollar den „Regime Change“ in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingefädelt zu haben. Im Dezember 2021 verlangte der Kreml von der NATO, den Bukarester Beschluss von 2008 formell zurückzunehmen und rechtsverbindlich auf jede Ausdehnung der NATO zu verzichten. Die deutsche und die französische Regierung zeigten sich bereit, darüber zu verhandeln, doch Washington schloss jegliches Zugeständnis aus. Somit nahm das Verhängnis des russischen Einmarsches in die Ukraine seinen Lauf. Es kam zu einem zermürbenden Stellungskrieg mit Zig Tausenden von Todesopfern. Deutschland wurde dabei durch seine Waffenlieferungen an die Ukraine unausgesprochen selbst zur Kriegspartei. Doch Moskau dürfte aufgrund seiner geringen Staatsverschuldung den längeren Atem haben. Bruno Bandulet geht jedoch davon aus, dass letztlich nur die USA unbeschadet aus dem Konflikt herauskommen werden.
Bruno Bandulet gehört zu jenen Wissenschaftlern und Publizisten, die frühzeitig vor der Umwandlung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in eine Schulden-Union mithilfe der politischen Kunstwährung Euro gewarnt haben. Die EU sei ein System der systematischen Ausplünderung der deutschen und Wirtschaftskraft durch die südeuropäischen und später durch die im Zuge der Osterweiterung der NATO neu hinzugekommenen osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU. Bandulet zitiert in diesem Zusammenhang den weltbekannten britischen Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, der schon am 7. November 2011 im „Spiegel“ schrieb: „Wenn man sich die europäische Integration als ein einvernehmliches System von Kriegsreparationen vorstellt, so entsprechen die Leistungen Deutschlands etwa denen, die ihm nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag aufgebürdet wurden.“
Im Zuge der Covid-„Plandemie“ und der 2022 ausgerufenen „Zeitenwende“ brachen dann alle Dämme, die dem Eintritt in die Schuldenunion noch entgegen standen. In dem von der EU-Kommission am 12. Februar 2021 aufgelegten „Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 750 Milliarden Euro (mit einem Garantievolumen von 4.000 Milliarden Euro!) werden Schulden zu Eigenmitteln erklärt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte schon ein Jahr zuvor, nämlich am 24. März 2020 ein mit der „Pandemie“ und ihrem schädlichen Einfluss auf die Wirtschaft begründetes Notfall-Anleihen-Aufkaufprogramm im Gesamtvolumen von 1.850 Mio. Euro, für die keine Rückzahlungsgarantien verlangt werden, aufgelegt. Abgesehen von Spanien sind die größten Nettoempfänger dieser Gelder (Italien, Griechenland und Polen) gleichzeitig die Länder, die fast regelmäßig Reparationsforderungen in Berlin anmelden. Doch bald wird in Deutschland wohl nichts mehr zu holen sein, wenn das so weitergeht. Schon jetzt liegt das mittlere Nettovermögen privater Haushalte in Deutschland weit unter dem der Italiener, Spanier, Belgier und Franzosen.
„Deutschland lief in die Eurofalle, weil der deutschen Europapolitik gravierende Denkfehler zugrunde lagen und weil der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl glaubte, einen Preis für die Wiedervereinigung zahlen zu müssen“, urteilt Bruno Bandulet. Für Kohl (CDU) und seinen Außenminister Dietrich Genscher (FDP) war die Währungsunion ein Schritt zur ersehnten Politischen Union. Doch Bandulet stellt nüchtern fest: „Kohl und Genscher täuschten sich, wenn sie glaubten, Paris werde einer Politischen Union zustimmen und damit französische Souveränität opfern sowie französische Atomwaffen und womöglich auch noch den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat europäisieren.(…) Mitterand war dazu nicht bereit, Macron ist es auch nicht.“ Ich würde hinzufügen, dass das politische Berlin sich in den Folgejahren für die Pariser Verweigerung einer europäischen Mitsprache über die atomare „Force de frappe“ zu rächen versuchte, indem es mithilfe grüner NGOs alles Mögliche unternahm, um Frankreichs Trumpf, die Entwicklung der zivilen Nutzung der Kernenergie, zu sabotieren.
Die 160 Professoren, die sich im Juni 1992 in einem Manifest gegen den Vertrag von Maastricht aussprachen, sowie die Mitglieder der Anti-Euro-Partei „Bund freier Bürger“ unter Vorsitz des FDP-Politikers Manfred Brunner wurden von der Springer-Presse als antieuropäisch beschimpft und vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet. Immerhin gelang es dem inzwischen verstorbenen Manfred Brunner im Oktober 1993 das Bundesverfassungsgericht zu einem besonnenen Urteil zu bewegen, das nach Meinung Bandulets einmal als juristische Grundlage für einen deutschen Euro-Austritt (Dexit) dienen könnte. Um den wachsenden Bedenken gegenüber der Euro-Einführung Rechnung zu tragen, schlug der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) im November 1995 einen „Stabilitätspakt“ als Ergänzung zum Maastricht-Vertrag vor. EU-Mitgliedsstaaten, deren Schulden 3 Prozent ihres BIP überstiegen, sollten danach automatisch zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt werden. Schon vor der „Coronakrise“ wurden nicht weniger als 120 Verstöße gegen den „Stabilitätspakt“ registriert, aber keine einzige Strafe.
Nur dank des kurzen Gedächtnisses der Bevölkerungsmehrheit kann sich eine Partei wie die CDU heute wieder als seriöse Alternative zur selbstmörderischen Voodoo-Ökonomie der Berliner Ampel-Regierung anbieten, denn nur drei Unionsabgeordnete des Bundestages und nur das von Kurt Biedenkopf regierte Bundesland Sachsen haben im April 1998 gegen die Einführung des Euro gestimmt. Die Umwandlung der Währungsunion in eine Schuldenunion begann genau am 2. Mai 2010, als die EU-Regierungen auf amerikanischem Druck hin dem vor der Pleite stehenden Griechenland entgegen der „No-Bail-out-Klausel“ des Maastricht Vertrages mit 70 Milliarden Euro aushalfen. Die EZB setzte fortan durch immer größere Aufkauf- und Hilfsprogramme für notleidende EU-Staaten im übertragenen Sinn die Notenpresse in Gang und heizte damit die Inflation an. Bandulet zeigt, dass der Inflationsschub, unter dem wir jetzt noch leiden, schon vor Putins Einmarsch in die Ukraine einsetzte. Eine Konsequenz der asymmetrischen Geldflüsse zwischen Nord- und Südeuropa ist das Aufblähen der so genannten Target-Bilanz der EZB, d. h. einem nicht rückholbaren Auslandsvermögen, mit dem sich der Ökonom Hans-Werner Sinn beschäftigt hat. Als Historiker weiß Bruno Bandulet, dass die vom Versailler Diktat ausgelöste Hyper-Inflation von 1923 schließlich durch die Einführung einer konkurrierenden Parallel-Währung, der durch eine Grundschuld der Landwirtschaft gedeckten Rentenmark, überwunden wurde. Deshalb empfiehlt er wie der Ökonom Thomas Mayer diesen Weg auch für die Überwindung der aktuellen Krise.
Das leitet über zum historischen Schlusskapitel, das Bruno Bandulet dem Buch angehängt hat. Dieses setzt sich mit dem spezifisch deutschen Ritual der „Vergangenheitsbewältigung“ auseinander, in dem die jüngere Vergangenheit Deutschlands meistens in masochistischer Manier politisch korrekt zurechtgelogen wird, um die die herrschende Linke umso mehr als moralisch erhaben erscheinen zu lassen. Hitlers Politik der systematischen Judenvernichtung außerhalb des Reichsgebiets unter dem Deckmantel des Krieges hätte bei weitem ausgereicht, um ihn und sein Herrschaftsregime nachhaltig zu verurteilen. Doch das reichte den selbstgerechten Vertretern der Westmächte und der deutschen Linken nicht. Sie mussten Hitler unbedingt auch noch Weltherrschaftspläne andichten.
Doch dafür gibt es keine Belege. Hitler wollte keineswegs einen Weltkrieg beginnen, sondern ist durch die Dynamik der Ereignisse gegen seinen erklärten Willen in diesen hineingezogen worden. Das belegte der bekannte britische Historiker Alan J.P. Taylor schon 1961 in seinem Werk “The Origins oft he Second World War“. In keinem anderen Land gab es so starke Bewegungen gegen den Krieg wie in Deutschland. Doch die nationale Opposition gegen Hitler, insbesondere von Seiten des Offizierscorps der Armee, fand keine Unterstützung im Ausland. Selbst die abenteuerlich anmutende Initiative des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, der im Mai 1941 in Schottland mit dem Fallschirm absprang, um Friedensverhandlungen mit England in die Wege zu leiten, war vermutlich ernst gemeint, blieb aber wirkungslos. (Auch unsere liebe Kollegin Cora Stephan deutet das in ihrem historischen Roman „Über alle Gräben hinweg“ an.) Weder 1939 noch 1941 beim Angriff auf die Sowjetunion war das Deutsche Reich für einen langen Krieg gerüstet. Hitler musste deshalb das Vabanque-Spiel eines „Blitzkriegs“ wagen. Sehr früh wurde ihm dabei offenbar bewusst, dass der Krieg verloren war und er flüchtete sich in den Wahnsinn.
Schon allein die Tatsache, dass Stalin 1939 die baltischen Staaten und Teile Rumäniens annektierte und (erfolglos) Finnland angriff, macht es nach Bruno Bandulet unmöglich, Deutschland die Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg zuzuweisen. Auf der These von der deutschen Alleinschuld beruht aber das Ritual der Vergangenheitsbewältigung und der im Prinzip grenzenlosen finanziellen Wiedergutmachung, das Deutschland fast 80 Jahre nach dem Ende des Krieges mit wachsender Inbrunst pflegt und sich dabei von Wettbewerbern und Weltverbesserern verschiedener Couleur ausnutzen lässt. So werden Jahr für Jahr Milliarden als „Wiedergutmachung“ ins Ausland verschoben, während zu Hause die Infrastruktur verfällt. Demgegenüber empfiehlt Bruno Bandulet, sich eher ein Beispiel an den (vergleichbar „schuldigen“) Japanern zu nehmen, die im Unterschied zu den Deutschen geschichtsbewusst und geistig souverän blieben.
Inzwischen ist Deutschland – nicht zuletzt dank des Schuldkultes – Nach Ansicht von Gerd Held und Markus Krall moralisch und wirtschaftlich so weit abgestiegen, dass Konjunkturprogramme und gezielte Reformen nicht mehr helfen. Notwendig sei ein Neuanfang bzw. ein Wiederaufbau. Dafür besteht Hoffnung, denn eine Umkehr ist immer möglich. Diese ist aber nicht ohne Opfer zu haben. Das könnte m. E. bedeuten, dass verschiedene Schichten zurückkehren müssen zum Lebensniveau der 1970er Jahre. (Ursprüngliche Fassung vom 5. März 2024)
Bruno Bandulet: Rückkehr nach Beuteland. Deutschland und das Spiel um Macht, Geld und Schuld. Kopp Verlag, Rottenburg 2023. 333 Seiten, viele Abbildungen. Sonderpreis € 9,99