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Die Antifa entlarvt sich selbst
Sie sind immer schnell bei der Hand, wenn es darum geht, jemandem mangels vernünftiger Argumente das Schimpfwort „Faschist!“ an den Kopf zu werfen. Die Rede ist hier, wie man sich leicht denken kann, von den Mitgliedern ultralinker Meuten, die ihren Selbsthass und ihr schwaches Selbstbewusstsein dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie dem moralischen Narzissmus frönen, indem sie sich unter dem Etikett „Antifa“ lautstark zu den einzigen konsequenten Antifaschisten unter der Sonne erklären. Doch als am 7. Januar in Frankreich das Ableben des 96-jährigen Gründers des Front National (FN) Jean-Marie Le Pen bekannt wurde, hat die Jean-Luc Mélenchons „La France Insoumise“ (LFI) nahestehende französische Antifa-Szene meines Erachtens selbst die Schwelle der nazistischen Menschenverachtung überschritten, indem sie auf der Pariser Place de la République Sektkorken knallen ließ und in Sprechchören sowie auf dem Fuß der dortigen Siegessäule in großen Lettern gesprühten Parolen „Mort aux Fachos!“ und „Marine, Marion, Lapidation!“ unverhüllt zur Steinigung von Le Pens Tochter Marine und Enkelin Marion aufrief.
Das zeugt eindeutig von der kompletten Verrohung eines Teils der politischen Opposition in Frankreich. Die große Hannah Arendt hielt die so ausgedrückte Missachtung des seit der Antike geltenden Grundsatzes „De mortuis nihil nisi bonum“ (Über Tote gar nichts oder nur Gutes) für ein Vorzeichen heraufziehender Barbarei. Mit der Totenehrung beginnt meines Erachtens das Denken in Kategorien der Transzendenz, wozu im Unterschied zu den von Instinkten gesteuerten Tieren allein die Menschen fähig sind. Hätten Archäologen nicht Gräber mit vergleichsweise groben Skeletten, aber reichen Grab-Beigaben entdeckt, wüssten wir nicht, dass die Besitzer dieser Knochen, die Neandertaler, vollwertige Angehörige unser eigenen Art Homo sapiens waren. Ich bin deshalb versucht, die pietätlosen Ausschreitungen auf der Pariser Place de la République an Le Pens Todestag eher denaturierten Tieren als Barbaren zuzuschreiben. (Ähnliches kommt mir beim Vorgehen fanatisierter Antifa-Horden gegen die Teilnehmer des Bundeskongresses der AfD in Riesa in den Sinn.)
Ich selbst hatte mit Le Pen oder mit Mitgliedern der von seiner Tochter Marine geleiteten gemäßigteren Bewegung „Rassemblement National“ (RN) nie persönlichen Kontakt, wenn man mal davon absieht, dass ich Jean-Marie Le Pen als Journalist einmal mit weniger als einer Armlänge Abstand auf den Fluren des EU-Parlaments in Brüssel begegnet bin. Den Aufstieg Le Pens und seiner Partei Front National (FN) unter der Präsidentschaft des Sozialisten François Mitterand habe ich als Ex-68er kritisch begleitet, ohne mich in deren Programmatik zu vertiefen. Nachdem ich mich gegen Ende der 1980er Jahre, mit der Realität konfrontiert, vom Marxismus losgesagt hatte und mit libertären Ideen sympathisierte, kamen bei mir erst recht keine Sympathien für Le Pen auf. Doch beeindruckte mich im Laufe der Jahre, die Wendehälsigkeit vieler Politiker vor Augen, Le Pens Geradlinigkeit. Erst viel später beeindruckte mich auch die umfassende Bildung und der Sinn für Poesie des Sohnes eines einfachen bretonischen Fischkutter-Patrons Dieser ließ den jungen Jean-Marie im Alter von 14 Jahren als Halbwaisen zurück, als ihm neben Seezungen auch eine Mine ins Fischnetz ging. Immerhin war Le Pens Vater, wie der Sohn begabt mit natürlicher Autorität, im Küstenort La Trinité-sur-Mer zum Bürgermeister gewählt worden. Dort wurde der Leichnam Le Pens am Samstag, dem 11. Januar 2025 im kleinen Kreis in der Familiengruft beigesetzt.
In Biografie Le Pens, soweit sie mir bekannt ist, gibt es freilich auch dunkle Flecken. Während des Indochina-Krieges schloss er enge Freundschaft mit dem späteren Kino-Star Alain Delon – eine Freundschaft, die bis zu Delons Tod im vergangenen Jahr anhielt. Doch Delon verbrachte einen großen Teil seiner Zeit in Vietnam als Gemaßregelter hinter Gittern. Was er ausgefressen hatte und ob Le Pen daran beteiligt war, wurde meines Wissens nie geklärt. Als Fallschirmjäger und Offizier des militärischen Geheimdienstes soll Le Pen später im Algerienkrieg an Folterungen teilgenommen haben. Diese Vorwürfe wurden vor Gericht nicht abschließend geklärt. Verurteilt wurde Le Pen allerdings mehrfach für Äußerungen, die von den Richtern als antisemitische oder xenophobe Hetze eingestuft wurden. Le Pens früh vorgebrachte und propagandistisch ausgeschlachteten Einwände gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung kulturfremder junger Männer wurden allerdings durch Ereignisse wie das Abknallen von 12 Redakteuren, Karikaturisten und Lieferanten des Satireblattes „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 oder das Abschlachten von 130 Besuchern der Music Hall „Bataclan“ in Paris voll bestätigt.
Woran erkennt man große Männer (oder Frauen)? Meines Erachtens daran, dass Schmutzkübel über ihnen ausgegossen werden. Das ist sozusagen die Umkehrung eines Spruches im Lukas-Evangelium, der da lautet: „Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.“ (Lk 6,26) Nach diesem Kriterium zähle ich Le Pen, der über ein halbes Jahrhundert lang mit viel Energie die Kultur der französischen Nation verteidigte, zu den großen Menschen. Auch wenn ich mit Vielem, das er sagte, nicht einverstanden bin, finde auch ich, dass die französische Kultur sich mit drei Namen resümieren lässt: Clovis (Chlodwig), Saint Louis und Jeanne d’Arc. Figuren wie Maximilien Robespierre und selbst Napoleon Bonaparte empfinde ich dagegen nicht als typisch französisch. Wie andere Frankophile finde ich Frankreich gerade deshalb interessant, weil es seit der Taufe Chlodwigs eine katholische Kultur zur Blüte brachte. Davon zeugt nicht zuletzt der Bau der Kathedrale Notre Dame de Paris, die nach dem verheerenden Brand ungeklärter Ursache im April 2019 bis zum Dezember 2024 in Rekordzeit wieder aufgebaut wurde. Was hätte ich davon, wenn es anders wäre? Wie ernst der religiöse Glaube Le Pens war, kann ich schlecht beurteilen. Er stand ihm wohl lange Zeit reserviert gegenüber, hat aber viel getan, um die katholische Kultur zu verteidigen. Deshalb frage ich mich, wer die Fahne der Verteidigung der französischen Kultur nach dem Abschied Jean-Marie Le Pens weitertragen wird.
(Zuerst veröffentlicht am 15. Januar 2025 im ef-magazin)