Edgar L. Gärtner
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Vor über einem Jahr, am 12. Mai 2016, trafen sich auf Einladung des Genetikers Prof. George Church etwa 150 führende Genforscher hinter verschlossenen Türen in den Räumen der Havard Medical School (HMS) in Boston, um auf rein privater Ebene über eine mögliche Fortentwicklung des erfolgreichen Human Genome Project (HGP) zu diskutieren. Alle Teilnehmer mussten sich verpflichten, weder Kontakt mit Nachrichtenmedien aufzunehmen noch Informationen in sozialen Medien zu posten. Weil mindestens ein Teilnehmer nicht dichthielt, konnte die „New York Times“ dennoch das Anliegen des Geheimtreffens bekanntmachen. Leider haben diese Enthüllungen bislang weder in Amerika noch in Europa einen Sturm der Entrüstung oder hitzige Diskussionen unter Forschern und Ethikern hervorgerufen.
Gegenstand des Treffens war die von ehrgeizigen Spitzenforschern und Privatinvestoren gewünschte Überführung des erfolgreich abgeschlossenen Human Genome Project (HGP) von 1990 in ein „Human Synthesis Project (HGP2)“ mit dem blasphemischen Ziel, Lebewesen ohne Eltern zu erzeugen. Das HGP hatte sich damit begnügt, das in Form einer bestimmten Abfolge von Basenpaaren der Desoxyribonukleinsäure (DNS) verschlüsselte menschliche Erbgut zu entschlüsseln. Das war bei etwa 30.000 menschlichen Genen mit jeweils Hunderten bis Tausenden von Basenpaaren (insgesamt etwa 3,3 Milliarden) schon eine nobelpreiswürdige Leistung. Nun möchten etliche Forscher aber in einem zweiten Schritt dazu übergehen, selbst neue Erbinformation zu schreiben. Das Stichwort dafür lautet „Synthetische Biologie“. Den Anstoß dafür gab HGP-Pionier Craig Venter, der vor sieben Jahren, am 21. Mai 2010, triumphal verkündete, er habe das erste künstliche Lebewesen, ein Bakterium mit einem Genom von einer Million Basenpaaren, dem er den Namen „Mykoplasma laboratorium“ gab, erschaffen, indem er seinen genetischen Code am Computer zusammenbastelte. Die deutsche „Bild“ titelte daraufhin: „Wir sind Gott!“
Genau genommen hatte Venter aber einem bereits vorhandenen Bakterien-Genom lediglich einige synthetische Bausteine hinzugefügt. Bis heute ist es nämlich extrem schwierig, längere sinnhafte DNS-Stränge zu synthetisieren. Deshalb setzten sich die vor einem Jahr in Boston versammelten Genforscher auch zunächst ein bescheideneres Ziel und benannten HGP2 in „HGP-Write (Testing Large Synthetic Genoms in Cells)“ um. Beginnen sie wenigstens zu ahnen, dass man die DNS nicht beliebig umbauen kann?
Statt des Neuschreibens von Erbsubstanz hat sich in den letzten Jahren das Redigieren, das heißt Umschreiben, bereits vorhandener genetischer Codes in so gut wie allen gentechnischen Labors der Welt durchgesetzt. International gebräuchlich ist dafür die Bezeichnung „Genome Editing“. Die dabei verwendete Technik mit dem zungenbrechenden Namen „CRISPR/Cas-9“ ist erst seit 2012 bekannt. Sie wurde von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna nach dem Vorbild eines bakteriellen Virenabwehrmechanismus entwickelt. Viren versuchen, ihre Gene in die DNS ihrer Opfer zu schmuggeln. Diese wird dann zur Vervielfältigung der Viren missbraucht. Doch zum Glück gelingt das den Viren bei weitem nicht immer. Denn die Bakterien besitzen ein Enzym, das Cas9-Protein, das die fremden Basensequenzen zielsicher aus dem DNS-Strang schneidet und den Strang mit Hilfe zelleigener Reparatursysteme wieder zusammenfügt. Emmanuelle Charpentier, jetzt Direktorin des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin, hat gezeigt, dass man mit dieser programmierbaren Genschere im Prinzip auch bei höheren Pflanzen und Tieren mit vergleichsweise geringem Aufwand unerwünschte Gene mit hoher Präzision eliminieren und eventuell durch nützlichere ersetzen kann. Sie ist deshalb vom Nobelpreis-Komitee bereits mehrfach in die engere Wahl gezogen worden und wird den begehrten Preis wohl auch bald bekommen.
Pharma- und Agrochemie-Konzerne haben die neue Technik aus naheliegenden Gründen überschwenglich begrüßt. Erlaubt sie doch, im Unterschied zur herkömmlichen Technik der Einschleusung fremder Gene in Organismen, die genetische Umprogrammierung von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren für die Produktion von Arzneimitteln oder die gezielte Ausschaltung krankmachender Genvarianten wie auch die Wiederanschaltung zufällig abgeschalteter Gene für erwünschte Geschmackstoffe bei Kulturpflanzen – und zwar auf eine Weise, die nachher nicht mehr als Genmanipulation erkennbar ist und in den USA auch nicht deklariert werden braucht, solange dabei die Artgrenze nicht überschritten wird. Beispiele dafür sind Versuche in den USA, China und Großbritannien, Weizen gegen Mehltau resistent, Erdnüsse allergenfrei oder Mais trockentolerant zu machen.
CRISPR eignet sich aber auch bestens für Eingriffe ins menschliche Erbgut, und zwar sowohl in Körperzellen als auch in Keimzellen. Zur Zeit finden nach Angaben des britischen Wissenschaftsmagazins „New Scientist“ in China, den USA und Großbritannien insgesamt 20 CRISPR-Versuche mit menschlichen Genen statt. Es gibt zahlreiche Krankheiten, die durch einen einzigen Gendefekt ausgelöst werden. Dazu gehören längerfristig tödliche Erkrankungen wie Mukoviszidose, Chorea Huntington und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Im Mittelpunkt der Forschung stehen aber zunächst durch Viren wie Humane Papillomviren (HPV) ausgelöste Krebserkrankungen, aber auch HIV/AIDS und Lungenkrebs. Im Westchina-Hospital in Chengdu begann schon im Oktober 2016 der erste klinische Versuch der Bekämpfung von Lungenkrebs mit Hilfe von CRISPR. Dessen Resultate werden erst im kommenden Jahr vorliegen. Dabei versuchen die Forscher, in isolierten Blutzellen von Lungenkrebspatienten das Gen PD-1 abzuschalten. Dieses Gen ermöglicht den Krebszellen, sich als Körperzellen zu tarnen und sich so der körpereigenen Immunabwehr zu entziehen.
Bei HPV geht es weniger darum, eine Virusinfektion zu verhindern, denn dafür gibt es bereits einen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg entwickelten Impfstoff. Vielmehr sollen Viren in bereits infizierten Personen durch die Verwandlung weißer Blutkörperchen (T-Zellen) in sogenannte CAR-T-Zellen bekämpft werden. HPV lösen unter anderem Gebärmutterhals-, Mund-, Rachen- und Analkrebs aus. Dagegen sollen die CAR-T-Zellen spezifisch scharfgemacht werden. Bryan Cullen vom Duke University Medical Center in North Carolina erklärt, dass es für solche Versuche keine Tiermodelle gibt, da Tiere nicht von HPV infiziert werden. Menschenversuche seien aber riskant, da bei der Herstellung von CAR-T-Zellen auch Krebszellen entstehen können.
Genetische Eingriffe in Keimzellen sind in Deutschland ausdrücklich verboten. Und zwar nicht nur wegen unseres auf dem christlichen Menschenbild fußenden Grundgesetzes, sondern auch wegen der ungeklärten Frage der Haftung für Fehlentwicklungen, die sich über alle nachfolgenden Generationen automatisch fortpflanzen würden. Die Chinesen haben ein anderes Menschenbild und sehen auch die Haftungsfrage anders. So experimentierten chinesische Genforscher schon 2015 an einer Klinik der Guangzhou Medical University mit Eizellen und Embryonen, die durch Spermien mit Genen für Erbkrankheiten (zum Beispiel die Blutkrankheit Beta-Thalassämie) befruchtet worden waren. Mit Hilfe von CRISPR versuchten sie dann mit einigem Erfolg, die unerwünschte Erbanlage auszuschalten.
Solche Experimente könnten den Weg ebnen zur Menschenzüchtung nach dem Modell von Aldous Huxleys „Schöner Neuer Welt“. Schon heute gibt es insbesondere in Asien die Tendenz, nur noch Wunschkinder in die Welt zu setzen. Embryonen mit unerwünschten Genen werden abgetrieben oder bei künstlicher Befruchtung gar nicht erst in die Gebärmutter eingepflanzt. CRISPR ermöglicht eine noch zielsicherere Selektion. Schon in naher Zukunft könnte es dabei nicht nur um die Ausmerzung von Erbkrankheiten gehen, sondern auch um die Selektion von Intelligenzmerkmalen. Die Versuchung ist groß, neben der Selektion einer Elite mit einem IQ von über 130 auch eine Menschenmasse mit einem IQ zwischen 80 und 90 heranzuzüchten, die intelligent genug wäre, um Routinearbeiten zuverlässig erledigen zu können, aber nicht intelligent genug, um den Schwindel von Regierungen und Großkonzernen durchschauen zu können. Da kann man noch von Glück sprechen, dass die Intelligenz offenbar nicht von einem einzigen Gen abhängt, sondern sich um einiges komplizierter vererbt.