Edgar L. Gärtner
Der bislang als Internet-Unternehmer und Business-Coach tätige Augsburger Thomas Eisinger (58) ist während des Covid-Lockdowns unter die Schriftsteller gegangen. Seit kurzem liegt sein erstes Opus, ein Zukunfts-Roman von fast 550 Druckseiten vor. Das Werk trägt den Titel „Hinter der Zukunft“ und den Untertitel „Near Fiction“. Damit wollte der Autor wohl nicht nur andeuten, dass seine Geschichte schon in naher Zukunft spielt, sondern auch, dass es sich dabei nicht um eine Dystopie handelt. Denn vermutlich ist ihm bewusst, dass Dystopien nach dem Muster von George Orwells „1984“ in der Politik eher als Gebrauchsanweisung denn als Abschreckung gebraucht werden. Und so hat er eine Geschichte mit lustigen Passagen erfunden, die so leicht niemand nachmachen oder missbrauchen kann.
Thomas Eisinger malt zunächst schlicht aus, wie Deutschland aussähe, wenn das aktuelle Programm der Grünen und die Forderungen der hüpfenden Pennäler*innen von Fridays for Future sowie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. März 2021 buchstabengetreu umgesetzt würden. Das BVerfG hat in diesem Beschluss der Klage einiger prominenter Einzelpersonen wie des Schauspielers Hannes Jaenicke und der Fridays-for-Future Aktivistin Luisa Neubauer sowie von Alarmisten-Gruppierungen wie Germanwatch, Deutsche Umwelthilfe (DUH) Greenpeace und BUND stattgegeben und das deutsche Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 für verfassungswidrig erklärt. Weshalb dieses ohnehin schon wahnwitzig strenge Gesetz über die Reduktion des Ausstoßes von Kohlenstoffdioxid (CO2) am 24. Juni 2021 noch einmal verschärft wurde. Nun soll Deutschland schon im Jahre 2045 statt zuvor in 2050 „CO2-neutral“ werden. Bis zum Jahre 2030 soll der CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 65 Prozent sinken. Das BVerfG gibt der Politik ein festes CO2-Budget von 6,7 Gigatonnen vor, das bis 2045 in kleinen Raten genutzt werden darf. Das legt es nahe, dieses Budget auf die Einzelpersonen herunterzubrechen.
Gerade damit beginnt Thomas Eisingers Plot: Jedem Bürger wird ein CO2-Lebensbudget zugeteilt, das in digitale Währungseinheiten („Coints“) aufgeteilt wird. Bargeld gibt es nicht mehr. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von monatlich 3.000 Coints reicht das Budget genau für 65 Jahre. Ein nicht abnehmbares intelligentes Armband, genannt „der gute Helfer“, das ständig mit der „Cloud“ verbunden ist, überwacht, ob die Coints für solidarische oder unsolidarische Aktivitäten verwendet werden und teilt automatisch Belohnungen oder Bestrafungen aus. Kinderlosigkeit wird mit 100.000 Extra-Coints belohnt, die Zeugung eines dritten Kindes wird mit dem Abzug von 500.000 Coints (umgerechnet etwa 14 Lebensjahren) bestraft. Harte Strafen gibt es auch für Fleischverzehr und andere unerwünschte Lebensäußerungen. Ein Amt für Schuld und Scham zieht die Untertanen der Klima-Kanzlerin Milena Grosse-Strümpel dafür zur Rechenschaft. Das Ministerium für De-Industrialisierung treibt seit dem Lockdown von 2020 unter dem Slogan „Build back better“ die Verwandlung Deutschlands in ein Agrarland voran. Arbeitslosigkeit gibt es nicht mehr. Wer keine Kopfarbeit in der Bürokratie bzw. in einem Nachhaltigkeits-Institut oder Handarbeit in der Landwirtschaft verrichtet, muss aufs Tretrad, um acht Stunden täglich Öko-Strom zu erzeugen. Denn es gibt keine Kraftwerke mehr.
Jeder darf monatlich nur maximal zehn Unbekannten näher als 1,50 Meter kommen. In der Justiz gilt die generelle Beweislastumkehr: Jeder ist so lange schuldig, bis er seine Unschuld bewiesen hat. Alle Menschen über 45 Jahre gelten als „Zukunftsvernichter“, abgekürzt ZuVis. In Form der Stimmengewichtung nach dem verbliebenen CO2-Budget werden die Jüngeren auch bei Wahlen bevorzugt. Die Stimme eines 13-jährigen Kindes hat etwa das vierfache Gewicht der Stimme eines 60-Jährigen. Die schon länger hier Lebenden, deren Zahl um etwa die Hälfte geschrumpft ist, dürfen sich die Langweile in dem durch moralische Erpressung völlig gleichgeschalteten Deutschland durch Computerspiele in der „Cloud“ vertreiben. Dafür dürfen sie eigenen Solarstrom und kleine Speicher nutzen. Abends wird der Strom abgestellt. Jedem CO2-Erzeuger (ehemals Menschen) stehen nur 25 Quadratmeter Wohnfläche zu. Wer sich eine größere Wohnung leistet, bekommt das von seinem Lebensbudget abgezogen. Flüge und motorisierter Individualverkehr sind Normalsterblichen nicht mehr zugänglich. Für die hinter hohen Mauern in großem Komfort lebenden Regierenden gilt das alles freilich nicht. Die Landesgrenzen sind zwar offen, können aber wegen der Stromschläge des „guten Helfers“ nicht lebend übertreten werden. Es gilt die Devise: „Freiheit ist Egoismus“. Ein Realitätssicherungsgesetz und eine „Fakten-Anstalt für korrekte Erkenntnisse“, abgekürzt FAkE, sorgen dafür, dass die offizielle Wahrheit nicht durch „Faktenhetze“ ins Wanken gerät. Das Grundgesetz beginnt nun mit dem Satz: „Die Würde des Planeten ist unantastbar.“ Der „gute Helfer“, der alle Lautäußerungen seines Trägers in der „Cloud“ registriert und mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) analysiert, schafft es allerdings nicht, Hetze und Ironie zu unterscheiden, weshalb die allermeisten Untertanen auf Humor verzichten.
Eisinger schafft das Kunststück, aus diesen tristen Zutaten dennoch eine amüsante Story zu basteln. Deren Held ist der gerade 18-jährige Gamer Robin Hochwaldt. Dank seiner strategischen Begabung bringt es Robin zur Meisterschaft im Spielen und zu einer Fan-Gemeinde in Millionenzahl. Als eines Tages ein Super-Game mit einem Preisgeld von einigen Hunderttausend Coints ausgeschrieben wird, beschließt Robin, alles daran zu setzen, um zu gewinnen und die gewonnenen Coints seinem geliebten Großvater Kurt zu vermachen, dessen CO2-Budget zur Neige geht. Um zu gewinnen, muss Robin den Avatar der Klima-Kanzlerin besiegen. Das gelingt ihm nur, weil Opi Kurt ihm heimlich Strom aus einem versteckten Notstrom-Aggregat liefert. Als das herauskommt, wird Kurt abgeholt und in ein geheimes Wald-Lager verschleppt, wo er mit Tausenden anderen seinem Schicksal überlassen wird. Robin wird jedoch wegen seines Spiel-Erfolgs zum Spitzenkandidaten der neuen Partei Jugend für Zukunft. Aufgrund der Stimmengewichtung nach dem CO2-Budget gewinnt er unerwartet die Wahl gegen die amtierende Kanzlerin Grosse-Strümpel. Da Robin politisch völlig unerfahren ist, macht er Grosse-Strümpel zu seiner beratenden Vizekanzlerin und belässt ihr das Klima-Ressort. „Gefühle wie Mitleid oder Solidarität gehören ausschließlich dem Planeten, nicht alten Zukunftsvernichtern“, lässt Grosse-Strümpel Robin in einem Streitgespräch wissen.
Um Robin, der nicht nur für seinem Opi starke Gefühle aufbringt, wäre es wohl bald geschehen gewesen, hätte sich ihm nicht neben seinem treuen Freund Viktor, einem Russlanddeutschen mit viel gesundem Menschenverstand, die mutige Carla Baudis, eine in ihrem ersten Leben weit gereiste ehemalige Abteilungsleiterin des Amtes für Schuld und Scham, als Beraterin angeboten. Carla waren bei ihrer Tätigkeit verbotene Klima-Bücher wie „Die kalte Sonne“ oder „Unerwünschte Wahrheiten“ in die Hände gefallen und hatte diese auch gelesen. So konnte sie Robin Schritt für Schritt über den Klima-Schwindel aufklären und ihm die 10 Regeln der Macht enthüllen. Es kommt daher zu einem dramatischen Machtkampf, dessen Einzelheiten ich hier nicht verraten möchte. Nur so viel: Carla wird bald von Grosse-Strümpel und dem Chef des Geheimdienstes gezwungen, dem Planeten das „große Geschenk“ zu machen, indem man sie mit CO2 einschläfert. Tausende andere auf das CO2-Sparen reduzierte Menschen machen dem Planeten das „große Geschenk“ freiwillig, um sich selbst zu erlösen. Doch am Ende bekommt Robin anlässlich eines pompösen Besuchs des „Klima-Papstes“ die Gelegenheit, den Deutschen in einer über alle Kanäle übertragenen Rede reinen Wein über den Klima-Schwindel einzuschenken. So erweist sich seine Wahl als Betriebsunfall, der das totalitäre Herrschaftssystem zum Einsturz bringt und der Menschlichkeit wieder zum Durchbruch verhilft.
Thomas Eisinger: Hinter der Zukunft. Roman. Near Fiction. Nova MD GmbH, Vachendorf. 448 S. € 16,90. (e-Book € 7,99) ISBN : 978-3-96966-861-0