Grüne Gentechnik: Europa verzichtet auf die Zukunft

Kindische Kritik vertreibt die Pflanzenbiotechnologie

Gerade hat der Chemiekonzern BASF angekündigt, sein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Pflanzen-Biotechnologie von Limburgerhof bei Ludwigshafen nach Raleigh in North Carolina/USA zu verlegen. Entwicklung und Verkauf aller Produkte der grünen Gentechnik, die für den europäischen Markt gedacht waren, werden eingestellt. Dazu gehören auch die erst 2010 nach einem 13-jährigen Ringen in Europa endlich zugelassene, aber noch nicht gewerblich angebaute Industriestärkekartoffel „Amflora“ sowie die gegen die Kraut- und Knollenfäule resistente Speisekartoffel „Fortuna“. Laut BASF-Vorstand Stefan Marcinowski waren die Einstufung der grünen Gentechnik als „Hochrisikotechnologie“ durch das Bundesverfassungsgericht und das „Honigurteil“ des Europäischen Gerichtshofes ausschlaggebend für den Rückzug des Chemieriesen. Marcinowski betonte gleichzeitig, er halte die Pflanzenbiotechnologie nach wie vor für eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Schon zehn Prozent der Weltagrarfläche würden mit gentechnisch veränderten Pflanzen bestellt.  

Er kann sich dabei auch auf die Ergebnisse einer Studienwoche der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften berufen, die im Mai 2009 im Vatikan stattfand. Die Teilnehmer dieser Tagung, darunter der schweizer Molekularbiologe und Nobelpreisträger Werner Arber, der Pflanzenbiologe Ingo Potrykus (Schöpfer des „Golden Rice“), der Botaniker Klaus Ammann, der Agarökonom Joachim von Braun und andere, empfahlen unter anderem eine Abkehr von der nihilistischen Interpretation des „Vorsorgeprinzips“ im Sinne überhöhter und unpraktikabler Sicherheitsvorschriften. Es sei ethisch geboten, die grüne Gentechnik im Interesse der hungernden Armen zu nutzen.

Sprecher des Nichts-Konzerns Greenpeace und der Grünen bejubelten hingegen, wie erwartet, diese Entscheidung. Die Grüne Umweltministerin von Rheinland-Pfalz Ulrike Höfken erklärte unter Hinweis auf eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der Inderin Vandana Shiva, die grüne Gentechnik habe keine Zukunft. Die indische Oberkasten-Angehörige und Trägerin des alternativen Nobelpreises, die von Landwirtschaft nachweislich nichts versteht, sich aber als Anwältin der armen Bauern ausgibt, hat die Studie “The GMO Emperor Has No Clothes” (Der Gentechnik-Kaiser hat keine Kleider an) gegen Ende des vergangenen Jahres in Berlin vorgestellt. In deren Einleitung schreibt sie: „Es wurde uns wiederholt erzählt, dass gentechnisch veränderte Nahrungspflanzen höhere Erträge liefern werden. Sie würden die Welt retten, indem sie Schädlinge und Unkraut klein halten und den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft verringern. Sie würden die Welt retten mit trockenheitstoleranten Pflanzen, die dem Klimawandel widerstehen können. All diese Versprechen haben sich als falsch herausgestellt.“ Die Grüne Gentechnik sei ein totaler Fehlschlag, behauptet die grüne Philosophin. Allem Anschein nach sieht sie sich in der Rolle des Mädchens in Christian Andersens Märchen, das es wagt, das laut auszusprechen, was alle anderen auch sehen, aber nicht auszusprechen wagen.

So versucht der von der indischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Navdanya und weiteren NGOs aus der ganzen Welt erarbeitete Bericht zum Beispiel nachzuweisen, dass die hohe Zahl von Selbstmorden bei armen indischen Bauern auf deren auswegslose Verschuldungsspirale durch die Anschaffung von teurem gentechnisch verändertem Baumwoll-Saatgut zurückgeht. Nach der offiziellen Statistik haben sich in den vergangenen zwölf Jahren nicht weniger als 250.000 indische Bauern umgebracht. Tatsächlich spielten Schulden dabei in vielen Fällen eine Rolle. Doch eine Untersuchung des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington unter dem inzwischen nach Bonn zurückgekehrten Agrarökonomen Prof. Joachim von Braun wies nach, dass es unter indischen Baumwollfarmern schon vor der Einführung gentechnisch veränderter Bt-Baumwolle im Jahre 2002 viele Selbstmorde gab und deren Häufigkeit danach nicht zugenommen hat. Die Hintergründe der Selbstmordwelle seien viel komplexer als von Vandana Shiva oder Prinz Charles behauptet.

Bt-Baumwolle enthält ein vom Agrochemie-Riesen Monsanto patentiertes Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis, das in den Baumwollpflanzen die Produktion eines Giftes codiert, das den Baumwollkapselwurm, den wichtigsten Baumwoll-Schädling, abtötet. Vor seiner gentechnischen Herstellung in den Maispflanzen selbst wurde das Bt-Toxin auf die Maispflanzen gesprüht – gerade auch im Öko-Anbau. Warum die gentechnische Herstellung des gleichen Stoffes heute bei den Ökos verpönt ist, entzieht sich wohl einer vernünftigen Erklärung. Jedenfalls hat sich die Einführung von Bt-Baumwollsaaten für Indien unterm Strich durchaus gelohnt. Heute werden in Indien über 90 Prozent der Baumwollanbaufläche (das sind allerdings nur etwa fünf Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche) mit Bt-Baumwolle bepflanzt. Die indische Baumwollproduktion stieg von 15 Millionen Ballen (mit je rund 170 Kilo) im Jahre 2002 auf rund 29 Millionen Ballen im Jahre 2009. Die Produktion hat sich also Dank der Gentechnik fast verdoppelt. Indien wurde nach China und vor den USA zum zweitgrößten Baumwollexporteur.

Mit einer Ausnahme sind die inzwischen in Indien zugelassenen über 600 Bt-Baumwollsorten allerdings Hochleistungssorten (Hybride), die für ihr Gedeihen neben guter Düngung meist einer künstlichen Bewässerung bedürfen. Deshalb konnten viele kleine Bauern, die sich Bewässerungsysteme nicht leisten können oder keinen Zugang zu fließendem Wasser haben, davon kaum profitieren. 88 Prozent aller indischen Farmen sind kleiner als zwei Hektar. Die Agraringeneurin Gisela Feikl kommt deshalb in einer Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zum Schluss: „Sachkundige Bauern in Gebieten mit Bewässerung werden vom Anbau der ertragreichen Bt-Hybridsorten typischerweise einen wirtschaftlichen Nutzen haben. In den ärmeren Regenfeldbaugebieten, wo zwei Drittel der Baumwollbauern leben, ist der Anbau der Bt-Sorten jedoch wirtschaftlich äußerst riskant.“

Die vielen Selbstmorde unter indischen Bauern haben nach Malcolm Harper, einem britischen Experten für Mikrofinanzierung, vielfältige Ursachen. Zunächst müsse man wissen, dass selbständige Bauern auch in Europa zu den am meisten suizidgefährdeten gesellschaftlichen Gruppen gehören. Fest stehe aber, dass die indischen Bauern, die Selbstmord begingen, überwiegend hoch verschuldet waren. Allerdings kaum bei Banken, sondern zu 75 Prozent bei privaten Geldverleihern. Die indische Regierung reagierte darauf mit Unterstützungszahlungen an die Hinterbliebenen der Selbstmörder. Das hatte zur Folge, dass Familien nicht selten das natürliche Ableben ihres Oberhaupts als Suizid deklarierten. Als besonders kontraproduktiv erwies sich ein bedingter Schuldenerlass. Denn gerade dadurch trieb die Regierung weitere Bauern indirekt privaten Wucherern in die Arme. Denn viele Kreditnehmer fühlten sich nun nicht mehr verpflichtet, die Kredite zu bedienen. In der Folge schwand die Bereitschaft der Banken, neue Kredite zu gewähren. So blieb vielen Bauern nur der Weg zu privaten Geldverleihern. Harper weist darüber hinaus darauf hin, dass mangelnde Erträge, für die Anti-Gentechnik-Aktivisten die Bt-Baumwollsaaten verantwortlich machten, in Wirklichkeit auf Fälschungen zurückgehen. Schätzungsweise ein Drittel des in Indien angebotenen Bt-Saatguts sei nicht echt. Auch dadurch wurden viele Kleinbauern in den Ruin getrieben. Harper schließt daraus: „Vielleicht ist die Gen-Baumwolle nicht für alle indischen Kleinbauern das Richtige, aber das Saatgut kann nicht allein für den Missbrauch verantwortlich gemacht werden.“

Das in diesem Zusammenhang unverdächtige ökumenische Magazin „Welt-Sichten“ nennt deshalb Vandana Shivas Kritik an der grünen Gentechnik „kindisch.“ Noch einen Schritt weiter geht Dr. Ricardo Gent, der Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB). Er erklärte uns auf Anfrage: „Die Studie von Frau Shiva genügt wissenschaftlichem Anspruch nicht. Die genannten Argumente werden von Gegnern der grünen Biotechnologie seit Jahren vorgebracht. Die Kritik hat sich aber in mehr als 25 Jahren Forschung und Anbau von gentechnisch optimierten Pflanzen nicht bewahrheitet. Die weltweite Nutzung der grünen Biotechnologie in der Landwirtschaft wird daher weiter zunehmen. Auch Europa wird sich diesem Trend langfristig nicht entziehen können. In der Diskussion über grüne Biotechnologie sollten endlich die wissenschaftlichen Fakten sprechen.“

Internet:

BASF gibt grüne Gentechnik in Europa auf

BASF-Pressemitteilung vom 16. 1. 2012

Nutzung der grünen Gentechnik ist ethisch geboten

The GMO Emperor Has No Clothes

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Deutsche Industrievereinigung Biotechnik