Französische Stichwahl: Sieg für den Sozialismus…der Milliardäre


Die Postdemokratie schreitet voran

Edgar L. Gärtner
Statt wie beim zahlenmäßigen Sieg in den „Europawahlen“ und im ersten Wahlgang der vorgezogenen französischen Parlamentswahlen erwartet, den ersten Platz oder gar die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung zu erreichen, ist das Rassemblement National (RN) Marine Le Pens und Jordan Bardellas in den Stichwahlen vom 7. Juli mit 143 Sitzen hinter der linksradikal-grünen Neuen Volksfront (NFP) mit 182 Sitzen und dem Macron-Wahlverein Ensemble (Ens) mit 168 Sitzen abgeschlagen auf dem dritten Platz gelandet. Auch bourgoise Anhänger Macrons haben offenbar massiv die Linksfront gewählt, um den Einzug von RN-Kandidaten in die Nationalversammlung zu verhindern. Auf diese Weise kam im südfranzösischen Avignon der von der Polizei als gewalttätig eingestufte Antifa-Führer Raphaël Arnault zu einem Sitz in der Pariser Nationalversammlung.
Bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung von einem „Rechtsruck“ zu sprechen, wäre freilich schon im ersten Wahlgang abwegig gewesen, da das stimmenmäßig siegende RN von den staatlich subventionierten Kartell-Medien zwar als „rechtsextremistisch“ tituliert wird, in Wirklichkeit aber ein ausgesprochen sozialdemokratisches Programm vertritt. Immerhin konnte das RN, das noch vor wenigen Jahren mithilfe der „Front Républicain“ der gemäßigten und radikalen Linksparteien in den Stichwahlen fast ganz aus der Nationalversammlung herausgehalten werden konnte, damit die Zahl seiner Sitze etwa verdoppeln. Ohne die erwähnten Absprachen zwischen den Linksparteien hätte das RN mit etwa 10 Millionen Stimmen aber deutlich mehr Parlamentssitze bekommen als die Neue Volksfront mit knapp sieben Millionen Stimmen. Nur zwei Parteien konnten in der Stichwahl deutlich mehr Stimmen hinzugewinnen: das RN, dessen Stimmenanteil nun zusammen mit den Republikanern von Eric Ciotti bei über 37 Prozent liegt, und die sozialistische Partei. Raphael Glucksmann, Chef der Gruppe „Place publique“, wird nun von gemäßigten Anhängern der Neuen Volksfront als möglicher Nachfolger des macronistischen Premierministers Gabriel Attal ins Spiel gebracht.
Jean-Luc Mélenchon, der selbst ernannte „Leader“ der neuen Volksfront, erklärte sich schon kurz nach der Veröffentlichung der geschätzten Sitzverteilung am Abend des 7-Juli kurz nach 20.00 Uhr vor laufenden TV-Kameras selbst zum Sieger und forderte großmäulig die sofortige integrale Umsetzung des Regierungsprogramms der neuen Volksfront, wobei ihm klar sein müsste, dass sein Führungsanspruch durchaus nicht von allen Köpfen seines Bündnisses akzeptiert wird. Und dieses nach der überstürzten Auflösung der erst 2022 gewählten Nationalversammlung eilig zusammengestoppelte Papier ist eine Liste aktuell nicht finanzierbarer Wohltaten für die Klientel der NFP und taugt kaum als Regierungsprogramm. Dazu gehört die sofortige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes SMIC auf 1.600 Euro und vielleicht bald auf 2.000 € monatlich, ein allgemeiner Preisstopp, die Rückkehr zur Rente mit 62, die Konfiszierung leer stehender Wohnungen, eine erheblich stärkere Steuerprogression, die Ausweitung der Vermögenssteuer und die Konfiszierung privater Renten-Sparpläne der Handwerker und Bauern. Es handelt sich also um Forderungen, deren Erfüllung große internationale Konzerne kaum vor Probleme stellen würde, wohl aber mittelständische Handwerker, Landwirte und innovative Startup-Unternehmen.
Die Umsetzung dieses Programms würde dem jetzt schon überschuldeten französischen Staat in einem Jahr schätzungsweise 200 Milliarden Euro kosten. Doch außer den angeführten Plänen für massive Steuererhöhungen finden sich darin allenfalls vage Andeutungen über dessen Finanzierung. Die französische Wirtschaft ist fast zur Hälfte von ausländischem Kapital abhängig. Was passiert, wenn potenzielle Investoren durch die chaotischen Verhältnisse abgeschreckt werden? Dafür lässt sich das Programm seitenlang über die angebliche Vordinglichkeit von „Klimaschutz“ durch „Dekarbonisierung“ aus, ordnet sich also im Wesentlichen nur dem „Green Deal“ beziehungsweise dem „Net-Zero“-Ziel der EU unter. Was haben aber Nicht-Milliardäre mit einem „Klimaschutz“ zu tun, der Billionen kostet, aber nach einer Untersuchung des US-Umweltökonomen Benjamin Zyrcher keinen nachweisbaren Effekt auf die Durchschnittstemperatur der Erde haben könnte. Danach würde das „Net Zero“-Programm der EU entsprechend den offiziellen Annahmen die Erdtemperatur lediglich um 0,052 °C senken. Die Billionen Euro, die dafür ausgegeben wurden, wären freilich nicht weg, sondern in den Händen politisch-korrekter Milliardäre. Bei dem Programm der NFP handelt es sich also um eine Kriegsansage der globalisierten Kaste von Milliardären gegen die arbeitende Klasse, deren Angehörige schon in der „Europawahl“ und im ersten Wahlgang massiv für das RN gestimmt haben.
Soziologische Untersuchungen zwischen den beiden Wahlereignissen haben klar gezeigt, dass das RN den Kern der arbeitenden Klassen vertritt, die NFP jedoch überwiegend jene, die ihr Leben auf deren Kosten gestalten. 



Wir haben es also am Abend des 7. Juli 2024, marxistisch formuliert, mit einem Sieg des Bündnisses zwischen dem internationalen Finanzkapital mit dem postmodernen Milieu zu tun. Dieses Milieu selbst ist wiederum eine Koalition, wenn nicht Symbiose von verschiedenen Untermilieus von klassischen linken „Kulturschaffenden“ über Lehrberufe bis zu militanten LGBTX-Aktivisten. Das Finanzkapital gibt sich zwar nun schon seit Jahren einen linken Anstrich, da Großfinanzleute, im Unterschied zu mittelständischen Handwerkern und Industriellen, naturgemäß mit der Planwirtschaft sympathisieren, bleibt aber grundsätzlich opportunistisch. Es verbündet sich mit jenen politischen Gruppierungen, die zumindest mittelfristig einigermaßen stabile Verhältnisse versprechen. Aktuell stehen die Milliardäre da vor der Qual der Wahl, da das RN zwar einen ziemlich stabilen politisch-sozialen Block repräsentiert, aber über kein Personal mit Regierungserfahrung verfügt. Insofern ist es für das RN sogar von Vorteil, dieses Mal keine Chance auf eine Beteiligung an der politischen Macht zu haben. Martine Le Pen hat ohnehin in erster Linie die Präsidentschaftswahlen von 2027 im Focus und spricht deshalb von einem „aufgeschobenen Sieg“.
Das Programm der NFP folgt einer Logik, die nicht die des gesunden Menschenverstandes der arbeitenden Menschen ist. Sie setzt im Grunde eine magische Arithmetik voraus. Dieser Widerspruch wird jene nicht stören, die sich der Ideologie der Postmoderne verschrieben und vom realistischen Teil des Marxismus verabschiedet haben. In der Propaganda vertritt die NFP die humanistische Aufklärung gegen den obskurantistischen Rassismus, wenn nicht “Nazismus“ des RN. In Wirklichkeit geht es, wie angedeutet, um Klassenkampf (den ich heute als Christ nicht befürworte, sondern schlicht feststelle). Ideologisch gerechtfertigt wird dieser Klassenkampf „von oben“ weniger durch den klassischen Marxismus, der als Materialismus immerhin Teile der widerständigen Realität respektiert, sondern mit dem Realitätsverlust der Postmoderne. Denn statt der Parole der Aufklärung „Wissen ist Macht“ gilt im Postmodernismus das von Michel Foucault in die Welt gesetzte Motto „Macht ist Wissen.“ Das Wahrheitskriterium gilt als obsolet. Faktengestützte Einwände gegen eine zerstörerische Politik bleiben deshalb ohne Echo. Wir kennen das von unserem „Ampel“-Vizekanzler Robert Habeck.


Die jetzt unvermeidliche Regierungskrise kann sich lange hinziehen, sofern sie nicht vorher durch die abermalige Ausrufung von Neuwahlen beendet beziehungsweise unterbrochen wird. Denn die aktuellen postmodernen Wahlsieger sind sich nur einig in der Ablehnung einer an nationalen Interessen ausgerichteten Politik, nicht über eventuelle Alternativen. Da fallen ihnen nur Ausgabenorgien mit geborgtem Geld ein. Das passt allerdings zum postmodernen Dekonstruktivismus, auf den sich alle berufen. Die Straßen brennen in Frankreich, wenn die Linke verliert. Sie brennen aber auch, wenn die Linke gewinnt.