Christliches Europa

Alle, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, als Schreibtischtäter eifrig mitzuhelfen bei der Konstruktion eines werterelativen, „multikulturellen“ Europa ohne Bindung an seine christlichen Wurzeln, schießen sich nun auf euroskeptische Politiker ein. Damit hoffen sie wohl, von ihrer eigenen Ratlosigkeit angesichts der von ihrer interventionistischen Hybris mitverschuldeten Wirtschaftskrise ablenken zu können.

Was heißt Integration? Von Edgar Gärtner

Oder: Warum Nihilismus nicht gegen Terrorismus hilft

Über die geifernde Reaktion deutscher „Qualitätsjournalisten“ auf den beeindruckenden Wahlerfolg des liberalen Europaskeptikers Geert Wilders in den Niederlanden ist schon das Nötigste gesagt worden. Landauf, landab wird Geert Wilders nicht nur als „Rechtspopulist“, sondern auch als „Islamhasser“ geschmäht. Da hilft es wenig, wenn man darauf hinweist, dass der Verunglimpfte immer wieder betont hat, gegen Muslime an sich nichts zu haben, wohl aber gegen eine blauäugige Immigrationspolitik, die Integration mit Kapitulation gegenüber den archaischen moralischen Einstellungen von Clans verwechselt und dadurch nicht nur die Gettoisierung der Einwandererfamilien fördert, sondern auch den Terrorismus. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was Wilders fordert. Zum Beispiel würde ich nicht den Koran verbieten, sondern eher dafür sorgen, dass möglichst viele Europäer den Koran lesen und mit der Bibel vergleichen, um sich selbst ein Urteil darüber bilden zu können.

Aus Berichten zum Christentum konvertierter Muslime, die in Deutschland als vom Tod bedrohte Apostaten unter Decknamen leben müssen, wissen wir, dass die christliche Lehre von der Macht der Liebe und der göttlichen Gnade gerade auf tiefgläubige Muslime eine große Anziehungskraft ausübt. Denn der Islam verleiht nur jenen Heilsgewissheit, die im Djihad den Märtyrertod sterben. Alle anderen bleiben – egal wie viel gute oder schlechte Taten sie in ihrem Leben auch begehen mögen – der Willkür eines fernen, über die Schöpfung erhabenen und unberechenbaren, weil nicht an die Kategorie der Vernünftigkeit gebundenen Gottes ausgeliefert. Diese Ungewissheit lastet auf dem Denken und Fühlen vieler Muslime und verleitet einige von ihnen, in schwierigen Lebenssituationen den vermeintlich einzigen ihnen offen stehenden Weg zum Heil einzuschlagen – und dadurch in Wirklichkeit der schlimmsten Form des von ihnen abgelehnten Nihilismus zu verfallen. Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis bietet die christliche Lehre, die nicht ausschließt, dass auch Ungläubige und Sünder Gnade erlangen. Sie kann deshalb gerade auf verzweifelte Muslime befreiend wirken, sofern diese überhaupt die Gelegenheit bekommen, sie unverfälscht kennenzulernen.

Leider brauchen fromme muslimische Einwanderer in Westeuropa oft Jahre, bis sie überhaupt einem wirklich gläubigen Christen begegnen. (Ich hatte vor einigen Wochen selbst Gelegenheit, mir entsprechende Berichte auf einer Veranstaltung in Bad Nauheim anzuhören.) Lernt ein wirklich gläubiger Muslim einen wirklich gläubigen Christen kennen, der ihm die Bedeutung von Jesus’ stellvertretendem Sühnetod am Kreuz erklärt, sind die Chancen groß, dass der Muslim über kurz oder lang zum Christentum konvertiert, weil dieses ihm als die humanere Religion erscheinen wird. Es ist nicht das bei uns kaum noch sichtbare Christentum, das Muslime provoziert, sondern der im Westen verbreitete relativistische Nihilismus und der damit verbundene dekadente Lebensstil.

„Terroristisches Gedankengut ist latent in jedem Moslem vorhanden“, schreibt der Konvertit Nassim Ben Iman (Pseudonym) in einem vor einigen Jahren erschienen frommen Büchlein. Ein Sinneswandel sei nur über die „Wiedergeburt durch Jesus Christus, den Erlöser“ zu erwarten. Als hätte er Barack Obamas jüngsten nihilistischen Kniefall vor dem Islamismus in Kairo vor Augen gehabt, betont Nassim: „Dies ist die Hoffnung, die in meinem arabischen Blut lebt: Am Grab, also am Kreuz und in der Wiederauferstehung von Jesus Juden und Araber vereint zu sehen, die ihren gemeinsam Erlöser Jesus Christus anbeten, (…) Ob Terroristen oder nur potenzielle Terroristen – alle sind gleichermaßen ohne den Glauben an Jesus verloren.“

Hätten sich Obamas Berater mehr mit der Theorie des Politischen von Carl Schmitt beschäftigt, wüsste er, dass man in der Politik nicht durch das Verwischen von Unterschieden weiter kommt, sondern nur, indem man sein Feindbild klar benennt. Nur dann können Feinde unter gewissen Umständen auch einmal zu Bündnispartnern werden. In der zurzeit modischen ökumenischen Umarmung erscheinen demgegenüber alle, die sich nicht dem Diktat des Relativismus unterwerfen und wirklich noch an etwas glauben und der Wahrheit anhängen, notwendigerweise als üble Spielverderber. Konkreter: Ist der Nihilismus erst einmal als Hauptfeind der Aufklärung ausgemacht, dann wird es auch denkbar, in frommen Muslimen punktuelle Bündnispartner zu sehen. Optimistisch stimmen mich in dieser Hinsicht die Meditationen des heute in den USA lebenden algerischen Poeten Kebir M. Ammi über den heiligen Augustinus, den Begründer der christlichen Aufklärung, des sehenden Glaubens. Auch Papst Benedikt XVI., einer der wenigen Augustinus-Kenner in der heutigen katholischen Hierarchie, hat das wohl begriffen.

Literatur:

Nassim Ben Iman: Der wahre Feind. …warum ich kein Terrorist geworden bin. Leuchter Edition. Erzhausen, 2002.

Kebir M. Ammi: Sur les pas de saint Augustin. Presses de la Renaissance. Paris, 2007

(7. Juni 2009)

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Papst Benedikt XVI. stört die Nihilisten

In der EU ist der Nihilismus in Gestalt des darwinistischen Reduktionismus und des Kulturrelativismus quasi zur Staatsdoktrin geworden. Hinter dieser selbstmörderischen Haltung steht nicht zuletzt das Wirken von Netzwerken der Freimaurer, die seit langem die Europäische Kommission beherrschen. Diese Netzwerke haben dafür gesorgt, dass im zweiten Anlauf zu einer europäischen Verfassung in Gestalt des Lissaboner Vertrags nicht mehr auf die besondere Rolle des Christentums bei der Herausbildung der europäischen Identität verwiesen wird. Dieses Machwerk ist freilich noch längst nicht in trockenen Tüchern. Die aktuelle Finanzkrise und die hilflose Art, mit der die Politik damit umgeht, zeigt, dass unsere neunmalklugen Berufspolitiker in Wirklichkeit nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht und nur so tun können, als wüssten sie, wo es langgeht. Da gab ihnen die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen und z.T. europaskeptischen Pius-Bruderschaft und die Tatsache, dass einer dieser vier Bischöfe die Bedeutung von Gaskammern im Nazi-Reich herunterspielt, eine willkommene Gelegenheit, auf das ihnen intellektuell haushoch überlegene Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche einzudreschen. Dabei vermieden sie es tunlichst, ihrem Publikum zu erklären, dass die Aufhebung der Exkommunikation nicht gleichbedeutend ist mit der Wiedereingliederung der Traditionalisten in die römisch-katholische Kirche, sondern nur eine Vorbedingung für die Wiederaufnahme des Dialogs mit ihnen.

„Was treibt denn den Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn nur um, dass er sich mit allen anlegt? Aggressiv von Natur scheint er nicht. Salutschüsse aus Kanonen und Gewehren von Schützenvereinen erschrecken ihn noch immer. Es muss wohl daran liegen, dass Joseph Ratzinger vor allem eines ist: grundzufrieden katholisch. Dies ist im intellektuellen Europa eine relativ seltene, und wenn, dann meist verborgene Geisteshaltung; damit zieht man wie der heilige Sebastian die Pfeile bei jeder Gelegenheit auf sich“, schreibt Heinz-Joachim Fischer, der Vatikan-Korrespondent der FAZ, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 1. Februar 2009. Fischer hat damit auf den Punkt gebracht, dass es gerade kulturelle Selbstverständlichkeiten sind, die die westeuropäische „Dressur-Elite“ auf die Palme treiben. Doch mit dem Versuch, damit das Kirchenvolk gegen seinen geistigen Oberhirten aufzubringen, werden sie vermutlich nicht weit kommen. Anders als die Politik, die ständig darauf angewiesen ist, Journalisten zu manipulieren, um Lügengebäude wie die Mär von der drohenden Klimakatastrophe aufrecht zu erhalten, kann es sich der heilige Vater leisten, ohne Umschweife die Wahrheit auszusprechen und Entscheidungen ohne diplomatische Hintergedanken und Zweideutigkeiten zu treffen. Anerkennend weist Heinz-Joachim Fischer in einem ansonsten eher kritischen Artikel darauf hin, wenn er am 4. Februar 2009 in der FAZ schreibt: „dass der Vatikan informiert, doch keine aktive Presse-Politik betreibt: Er manipuliert nicht Journalisten, um die Öffentlichkeit einzustimmen, wie es in demokratischen Regierungszentralen üblich ist. Der Papst hat einen Privatsekretär, aber kein Präsidialamt mit Staatsministern, Stäben, Fachabteilungen und vielen Fachleuten, die ihm ständig zuflüstern, wie dies oder jenes ‚wirkt‘.“

Mein Freund André Lichtschlag hat auf ef-online weiteres Bedenkenswertes zu dem Vorgang gesagt. Seither gibt es in Deutschland tendenziell nur noch ein Thema. Durch die Bank fordern Berufspolitiker und „Qualitätsmedien“, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Stellvertreter Gottes auf Erden auf, Abbitte zu leisten. Gleichzeitig tolerieren sie antisemitische Hassparolen von Hamas-Anhängern auf deutschen Straßen. Das hat es noch nie gegeben. André Lichtschlag hat in einem neuen Blog gezeigt, dass die Selbstgleichschaltung deutscher „Qualitätsmedien“ kein Zufall ist. Eine noch weiter gehende Analyse der Hintergründe des Papst-Bashing in deutschen Medien hat Andreas Puettmann von „Komma“ auf KATH.NET veröffentlicht.

In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 15. Februar 2009 erklärt der bekannte katholische Philosoph Robert Spaemann, was hinter der in Europa wachsenden religiösen Intolerenz steckt: „…es hat etwas zu tun mit dem sich ausbreitenden radikalen Relativismus. Dort, wo man denkt, dass Wahrheit erreichbar ist für den Menschen, da gibt es Diskurs, da gibt es einen Kampf der Meinungen, aber alle wollen das gleiche Ziel: Sie wollen wissen, wie es wirklich ist. In einer radikal relativistischen Gesellschaft gibt es dagegen nicht mehr das Moment der Regulation durch die Wahrheitsidee, sondern nur noch die Regulation durch das Konventionelle, das auch im Interesse derer ist, die gerade die Macht haben.“ Ein ausführlicheres Gespräch mit Robert Spaemann von Regina Einig von der katholischen „Tagespost“ findet sich beim katholischen Nachrichtendienst KATH.NET.

Die Gründe für diese Hass-Kampagne liegen auf der Hand: Seit dem legendären Auftritt Papst Johannes Pauls II. in seinem damals noch kommunistisch beherrschten Heimatland Polen weiß die europäische „Elite“, dass die „Soft Power“ des Vatikan in der Lage ist, totalitäre Herrschaftssysteme zu Fall zu bringen. Aktuell fürchtet die „Elite“ um Bundeskanzlerin Angela Merkel, angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Rezession, vor allem um die Zukunft ihrer totalitären „Klimapolitik“ und um den Erfolg ihrer Kampagne für die Gründung eines dirigistischen Uno-Wirtschaftsrates als Meilenstein auf dem Weg zu einer dezidiert antichristlichen „Neuen Weltordnung.“ Es ist bekannt, dass der Papst vor dieser Hybris warnt. In seiner Friedensbotschft vom Beginn dieses Jahres hat er sich ausdrücklich für marktwirtschaftliche Wege der Armutsbekämpfung nach dem Subsidiaritätsprinzip ausgesprochen. Noch weniger hält der heilige Vater von dem vom neuen US-Präsidenten Obama aktiv mit Staatsgeldern geförderten Versuch, der Armut in der Dritten Welt durch Abtreibungskampagnen zu begegnen. Unter seinem Amtsvorgänger Bush war das durch ein Gesetz ausdrücklich untersagt. In einer seiner ersten Amthandlungen hob Präsident Obama dieses Gesetz auf. Somit können die USA über die von ihnen maßgeblich finanzierte Uno und mithilfe von „grünen“ NGOs nun im großen Stil Kampagnen für die Geburtenkontrolle finanzieren. Dem Vatikan bleibt in dieser Situation nichts anderes übrig, als in der Bevölkerungspolitik die Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen zu suchen. Weiter möchte ich noch hinweisen auf den erhellenden Beitrag des Büchner-Preisträgers Martin Mosebach im SPIEGEL Nr. 7/2009, der auch auf KATH.NET steht. Schließlich möchte ich noch auf die ebenso polemische wie köstliche Analyse der deutschnationalen Papstkritik des Kölner Rechtsanwalts Dr. Franz Norbert Otterbeck aufmerksam machen, die unter dem Titel „Generation Auflehner“ zunächst auf KATH.Net erschien und nun auf der Website des Bistums Regensburg steht. In einem Aufsatz mit dem Titel „Hans Küng. Ein alternativer Rückblick“ auf kathnews.de führt Otterbeck die Auseinandersetzung mit den Papst-Kritikern fort. Inzwischen hat Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. in einem längeren Brief an die Bischöfe selbst, in gebührendem Abstand, zu der durch Kommunikationspannen im Vatikan erleichterten üblen Medienkampagne gegen ihn und sein Amt Stellung genommen.

(21. Juni, akt. 11. August 2009)

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Eros der Freiheit ohne Gott? Von Edgar L. Gärtner

„In einer Zeit, in der im Namen des Islam terroristische Kriege gegen den ungläubigen Westen geführt werden, der weltweite Gottesstaat erkämpft werden soll, junge Männer aus gutem westeuropäischem Haus konvertieren und sich ins Paradies bomben wollen und zugleich die Begeisterung für den Papst und seine Botschaften wächst, sind solche Einlassungen für das diesseitige Leben und die allseits verteufelten Ungläubigen sehr erfrischend.“ Mit diesem meines Erachtens äußerst zweischneidigen Lob bedenkt meine Frankfurter Kollegin Ulrike Ackermann in ihrem im letzten Jahr erschienen Büchlein „Eros der Freiheit“ das antireligiöse Pamphlet „Der Herr ist kein Hirte. Wie die Religion die Welt vergiftet“ (2007) von Christopher Hitchens. Immerhin distanziert sich Ulrike Ackermann schon im nächsten Satz vom kruden Naturalismus des fast zeitgleich unter dem Titel „Der Gotteswahn“ erschienenen atheistischen Manifests des bekannten Oxforder Darwinismus-Propagandisten Richard Dawkins.

Ganz und gar nicht folgen kann ich der Kollegin aber, wenn sie die massenhafte Begeisterung für Papst Benedikt XVI. und Usama Bin Laden in einem Atemzug anführt, um vor der „Renaissance des Religiösen“ als in ihren Augen wichtigsten Bedrohung der säkularen Freiheiten des Westens zu warnen. Wie viele andere nichtchristliche Liberale hält Ackermann offenbar auch den christlichen Glauben für Unvernunft, wenn nicht Blödsinn, den man zwar in einem freiheitlichen und pluralistischen Gemeinwesen, unter Berufung auf Sigmund Freud, in Form privater Marotten jedermann gnädig zugesteht, der aber aus dem öffentlichen Raum verbannt werden soll. Diese Auffassung widerspricht freilich schon dem Begriff von Religion. Insofern ist es nur konsequent, wenn militante Darwinisten heute glauben, einen Kreuzzug gegen das Religiöse überhaupt führen zu müssen, um dem Weltfrieden näher zu kommen.

Ulrike Ackermann zieht diese Konsequenz zwar nicht, sondern räumt durchaus ein, dass es fundamentale Unterschiede zwischen dem christlichen und dem muslimischen Gottes- und Menschenbild gibt und dass das heute im Westen noch vorherrschende liberale Verständnis von Freiheit etwas mit der christlichen Lehre von der Willensfreiheit zu tun hat. Sie nimmt also an, dass es Abstufungen im Irrationalen gibt, bleibt aber dabei, Religion an sich und von daher auch den Eros (einschließlich der Freiheitsliebe) und die damit verbundenen Gefühle für etwas zutiefst Irrationales zu halten. Nur von daher versteht sich übrigens ihr Lob des romantischen Aufstandes gegen das Diktat der reinen Vernunft im Namen der Gefühle und der absoluten Freiheit des Individuums. Was Ackerman über die Romantik schreibt, gilt aber ohnehin nur für die Frühromantik (vor allem für F.W.J. Schelling). Nicht ohne Grund zählte der führende Ideenhistoriker Isaiah Berlin, den die Autorin in einem andern Zusammenhang zitiert, zum Beispiel auch Karl Marx zur Romantik.

Ehrlich gesagt: Ich habe in Ulrike Ackermanns Eros-Buch wenig Verführerisches gefunden. Um das auch von ihr erkannte „Vakuum der negativen Freiheit“, das heißt der Freiheit von Zwang mit einer attraktiven Idee des Guten zu füllen, gibt es meines Erachtens nur den Weg, den Friedrich August von Hayek in seinem Spätwerk aufgezeigt hat. Ulrike Ackermann zitiert zwar mehrmals Hayek und dessen Vorstellung von spontaner Ordnung, folgt diesem jedoch nur auf halbem Wege, indem sie sein Spätwerk und die dort entwickelte Idee einer Komplementarität von kapitalistischer Marktwirtschaft und Christentum unterschlägt. Diese Idee ist meines Erachtens aber kein Ausdruck beginnender Senilität, sondern im Gegenteil Summe der Altersweisheit eines Mannes, der wie kaum ein anderer verstanden hat, was die westliche Welt im Innersten zusammenhält.

Ich halte den in liberalen Kreisen an Einfluss gewinnenden militanten Atheismus für gedankenlos, weil er nicht fragt, woher er seinen Wahrheitsbegriff bezieht oder beziehen könnte. So verwundert es nicht, dass gerade Liberale es zulassen, dass im postmodernen Interessengruppenstaat Wissenschaft immer mehr durch (vermeintlich) politisch nützliche Fiktionen (z.B. in der so genannten Klimaforschung) ersetzt wird. Wem es demgegenüber aber auf Wahrheit und nicht auf kurzsichtige politische Nützlichkeit ankommt, der wäre selbst mit einem nur fiktiven Gott immer noch besser bedient als mit gar keinem. Denn ohne das Absolute, ohne Gott ist der Mensch, wie vor allen Friedrich Nietzsche unter Schmerzen erkannte, kein wahrheits- und liebesfähiges Wesen. So habe ich die Position des von mir schon mehrfach zitierten italienischen Philosophen und Senators Marcello Pera verstanden, der als studierter Atheist zum echten Glauben nicht zurückfinden kann.

Diente die Vernunft nicht der Selbsttranszendenz der Menschen, sondern, wie dogmatische Darwinisten behaupten, nur ihrer Selbstbehauptung mithilfe überlebensdienlicher Illusionen, dann gäbe es keinen Grund, nicht im Namen des individuellen Überlebenserfolgs vor der neuerdings in der Politik wieder wachsenden Unvernunft zu kapitulieren. Woher kommt denn die Liebe zur Wahrheit? Woher kommt die Leidenschaft, die Menschenwürde, die Freiheit des Glaubens und des individuellen Gewissens notfalls auch unter Einsatz des Lebens zu verteidigen? „Um sittlich handeln zu können, müssen wir an eine letztendliche Einheit von Tugend und Glückseligkeit glauben. Und nur Gott kann eine solche Einheit garantieren“, betont der katholische Philosoph Robert Spaemann in einem bemerkenswerten Buch mit philosophischen Kommentaren zur provozierenden Regensburger Vorlesung Papst Benedikts XVI. vom September 2006 unter dem Titel „Gott, rette die Vernunft!“.

Als Theologieprofessor Joseph Ratzinger hatte der heutige Papst selbst schon in seiner 1968 erschienenen „Einführung in das Christentum“ darauf hingewiesen, dass der Glaube an den einen Gott der Absage an jegliche Anbetung politischer Macht gleichkommt: „Das Bekenntnis ‚Es gibt nur einen Gott’ ist in diesem Sinn, gerade weil es selbst keine politischen Absichten ausdrückt, ein Programm von einschneidender politischer Bedeutung: Durch die Absolutheit, die es dem Einzelnen von seinem Gott her verleiht, und durch die Relativierung, in die es alle politischen Gemeinschaften von der Einheit des sie alle umspannenden Gottes rückt, ist es der einzige definitive Schutz gegen die Macht des Kollektivs und zugleich die grundsätzliche Aufhebung jedes Ausschließlichkeitsdenkens in der Menschheit überhaupt.“ Hätte ich das 1968 gelesen, wäre ich wahrscheinlich kein 68er geworden!

Heute ist es vor allem der christliche Glaube, der den Wahrheitsanspruch der menschlichen Vernunft verteidigt. Der Glaube an einen persönlichen Gott, an die Unendlichkeit der Liebe ist keine in einer säkularen Gesellschaft gerade noch tolerierbare Verstiegenheit, sondern ein notwendiger, die Leistung der fünf Sinne und der Wissenschaft komplementierender und transzendierender Zugang zur Wirklichkeit. Es ist meines Erachtens kein Zufall, dass der Realitätsverlust in der Europäischen Union in gleichem Rhythmus wie ihre Entchristlichung voranschreitet. Wenn das so weiter geht, wird wohl auch das Oberhaupt der katholischen Kirche bald zu einem der letzten Verteidiger des Kapitalismus und der sozialen Marktwirtschaft werden. In seinem dem neuen Buch Marcello Peras vorangestellten Brief an den Autor wie auch in seiner Friedensbotschaft zu Beginn dieses Jahres spricht sich Benedikt XVI. ebenso klar wie sein Vorgänger Johannes Paul II. für die Überwindung der Armut durch die globalisierte kapitalistische Marktwirtschaft aus und warnt davor, die christlich-liberalen Wurzeln der europäischen Identität durch multikulturelle Utopien zu verdrängen. Das wird den meisten deutschen Bischöfen nicht gefallen.

Kurz: Ohne Gott gibt es weder die Wahrheit noch die auf Freiheit und Unendlichkeit angelegte Liebe. Und ohne beides kann es keinen Frieden auf Erden geben. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass im menschlichen Unterbewusstsein, dessen Entdeckung zu Recht oder zu Unrecht Sigmund Freud zugeschrieben wird, die Begierde nicht notwendigerweise den größten Platz einnimmt. Sie kann beherrscht werden durch Vernunft und Liebe, die beide göttlichen Ursprungs sind.

Internet:

Marcello Pera bei Mondadori

Diskussionsbeiträge

Benedikt XVI. schreibt an Marcello Pera

Friedensbotschaft Benedikts XVI. vom Januar 2009

Literatur:

Ulrike Ackermann: Eros der Freiheit. Plädoyer für eine radikale Aufklärung. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008

Benedikt XVI., André Glucksmann, Wael Farouq, Sari Nusseibeh, Robert Spaemann, Joseph Weiler: Gott, rette die Vernunft! Die Regensburger Vorlesung des Papstes in der philosophischen Diskussion. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2008

Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum. Kösel Verlag, München 1968, 2000, 2005

Marcello Pera: Perché dobbiamo dirci cristiani. Il liberalismo, l’Europa, l’etica. Editore Mondadori, Milano 2008

(auch veröffentlicht in: ef-magazin online)

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Ausweg ins neue Mittelalter

von Edgar Gärtner

Wenn nicht alles täuscht, gehen wir im Alten Europa, in der Folge der nun anbrechenden „systemischen“ Wirtschaftskrise, blutigen Bürgerkriegen entgegen. Nach der Stunde der Wahrheit, dem Platzen der Blase billigen Papiergeldes, zeichnet sich immer klarer die Perspektive allgemeiner materieller Verarmung ab. Unsere Vorfahren wussten mit Notzeiten noch einigermaßen mental zurecht zu kommen, indem sie sich mehrheitlich, statt sich um den kleiner werdenden Kuchen des Bruttosozialprodukts zu raufen, durch Beten in die Obhut des Allmächtigen begaben. Das ist in der materialistischen und/oder esoterischen Postmoderne nur noch bei einer Minderheit vorstellbar. Viele Interessengruppen werden auf verbriefte, inzwischen aber wertlos gewordene Ansprüche pochen und sich mithilfe von Streiks und/oder gewaltsamen Ausschreitungen gegenseitig zu erpressen suchen. Andere werden, statt die Augen gen Himmel zu richten, nach einem starken Mann auf Erden Ausschau halten.

Am Ende wird es sich wohl herausstellen, dass Moderne und Postmoderne nur realitätsferne Projektionen hochmütiger Intellektueller waren und dass das Mittelalter sozusagen den Normalzustand der menschlichen Entwicklung darstellt. Unter dem Mittelalter dürfen wir uns nach dem Frankfurter Historiker Johannes Fried allerdings keine besondere Gesellschaftsformation vorstellen, die je nach Standpunkt als finster geschmäht oder romantisch verklärt wird, sondern ganz unvoreingenommen nur den Zeitabschnitt zwischen 500 und 1500 nach Christus. Immerhin kann man dieser Periode einen geringen Hang zu geistiger Gleichschaltung und totaler Herrschaft bescheinigen. Statt der (erst mit Napoléon Bonaparte aufgekommenen) totalen Kriege gab es überwiegend vernünftig eingehegte Scharmützel, bei denen die Zivilbevölkerung geschont wurde.

Im Spannungsfeld zwischen der religiösen Macht der katholischen Kirche und den weltlichen Mächten entstanden Freiräume für Neugier, vielfältiges geistiges Schöpfertum und materielle Experimentierfreude. Jedenfalls begann das, was die Propagandisten der Moderne später hochtrabend als „Aufklärung“ bezeichneten, nicht erst im 17. Jahrhundert, sondern war bereits in den (spätantiken) Schriften des großen Kirchenlehrers Augustinus aus dem 5. Jahrhundert angelegt. Nicht von ungefähr sahen zeitgenössische Theologen in der ketzerischen Lehre des Aufklärers René Descartes eine Form des Augustinismus. (Ein typisches Beispiel für ein produktives Mißverständnis!) Das zeigt meines Erachtens noch heute, wie man Krisen und Katastrophen geistig gesund überstehen kann. Nicht zuletzt brachte das Mittelalter auf der Grundlage der christlichen Lehre von der Willensfreiheit die Idee der politischen Gedanken- und Meinungsfreiheit hervor. Die Durchsetzung des ebenfalls im Mittelalter aufgekommenen Kapitalismus war nicht Voraussetzung, sondern umgekehrt zwingende Konsequenz einmal errungener oder eingeräumter Glaubens- und Meinungsfreiheit, denn es handelt sich hier um die einzige Wirtschaftsform, bei der es auf persönliche Einstellungen und Überzeugungen letztlich nicht ankommt.

Das nach Ansicht Johannes Frieds wichtigste Erbe des Mittelalters sind jedoch Ideale wie Höflichkeit, Ritterlichkeit und Urbanität. Diese könnten einen Weg weisen für die Regelung gesellschaftlicher Probleme ohne Klassenkampf und Bürgerkrieg. Leider wurden solche zivilisatorische Errungenschaften des Mittelalters im modernen Interessengruppen- bzw. Wohlfahrtsstaat durch die Anerkennung erpresserischer Aktionen wie Streiks und Blockaden als legitimes Ausdrucksmittel, wenn nicht als „höhere Gewalt“ weitgehend geopfert. Durch die nihilistische Reduktion des Menschen auf Biologisches, Psychologisches oder Soziologisches wurde auch das zur Transzendenz und damit zum Absoluten hin offene christliche Menschenbild der Diktatur des Werterelativismus preisgegeben.

Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die Fronten in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen weniger zwischen Liberalen und Autoritären, sondern zwischen Nihilisten und jenen verlaufen, die an einen Übersinn des Lebens glauben. Dabei sollte man m. E. aber nicht vergessen, dass ein erfundener „Übersinn“, der sich gegen das wirkliche Leben wendet, nach Friedrich Nietzsche selbst die extremste Form von Nihilismus darstellt. Deshalb sollten islamistische Selbstmordattentäter (ebenso wie extrem asketische christliche Sekten) nicht als Idealisten gelten, denen man bis zu einem gewissen Grad Verständnis entgegen bringt, sondern als Feinde des Lebens.

Internet:

Johannes Fried: Das Ende der Canossa-Legende

Literatur:

Johannes Fried: Das Mittelalter. Geschichte und Kultur. Verlag C.H. Beck, München 2008

Henri Irénée Marrou: Saint Augustin et l’augustinisme. Éditions du Seuil, Paris 1955 und 2003