Wozu dient die Zertifizierung von Verpackungs-Entsorgern?

Seit Beginn dieses Jahres vergibt der BDE-Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft auf Antrag das „Zertifikat zur Sicherstellung der privatwirtschaftlich organisierten haushaltsnahen Verpackungsentsorgung durch Duale Systeme.“ Sechs der neun auf dem Markt für die Erfassung und Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP) miteinander konkurrierenden Dualen Systeme haben inzwischen dieses Zertifikat erworben. Die Prozedur der Zertifizierung ist ziemlich aufwändig: Entsorgungsbetriebe, die das Zertifikat erwerben wollen, müssen sich einer permanenten Überwachung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer unterziehen. Diese müssen ihre Tätigkeit mit einem Fachprüferausschuss anerkannter Umweltsachverständiger abstimmen. Nicht allein die Mengenströme, sondern auch die ökologische Korrektheit der Verwertung von LVP-Abfällen sollen also kontrolliert werden. Überdies müssen die zertifizierten Unternehmen für den Fall einer vorzeitigen Betriebsaufgabe eine Summe als Sicherheitsleistung auf die hohe Kante legen. Und bei Verstößen gegen inhaltliche Kriterien des Zertifikats droht ihnen eine Vertragsstrafe in Höhe von 3,5 Millionen Euro.

Begründet wird die Einführung des Zertifikats mit Ungereimtheiten bei der statistischen Erfassung der Vermarktung und Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP), die auf betrügerische Machenschaften schließen ließen. Erst Ende Juni hat sich der BDE anlässlich der Veröffentlichung der im 3. Quartal 2010 erfassten LVP-Abfälle wieder beschwert über den hohen Anteil von Verpackungen, für die vor dem Inverkehrbringen keine Lizenzgebühren für den Grünen Punkt entrichtet wurden. Die Diskrepanz zeige sich beim Vergleich mit der jährlichen Marktübersicht der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM). Nach Angabe von BDE-Kommunikationschef Karsten Hintzmann werden für schätzungsweise 30 Prozent der in Verkehr gebrachten Verkaufsverpackungen keine Lizenzgebühren bezahlt. Mithilfe des Zertifikats soll Rechtssicherheit erreicht werden und eine Mengenmeldung entsprechend der Vorgaben der Verpackungsverordnung. BDE-Präsident Peter Kurth formulierte es so: „Mit diesem Zertifikat haben wir ein Instrument entwickelt, das die Fähigkeit besitzt, für Stabilität und Nachhaltigkeit im Verpackungsmarkt zu sorgen. Es ist zudem die erste Initiative, die sich auf die Mehrheit der Dualen Systeme stützen kann.“

Doch der Mehrheitsfraktion der im BDE organisierten Dualen Systeme geht es vermutlich um mehr: Die aufwändigen Zertifizierungsprozeduren und Sicherheitsleistungen stellen eine hohe Hürde für den Eintritt neuer Wettbewerber in den Markt dar. Gleichzeitig ermöglichen sie es den etablierten Unternehmen, ihre Deutungshoheit über die Umsetzung der Verpackungsverordnung zu wahren. Technischen Innovationen und abfallpolitischen Initiativen, die mehr den Komfort der Bürger als das Gewinnstreben etablierter Konzerne im Auge haben, kann so von vornherein ein Riegel vorgeschoben werden. Stefan Schreiter, der Geschäftsführer des zertifizierten Marktführers, des Ex-Monopolisten DSD GmbH, hat erst kürzlich die wachsende Eigenrücknahme von Leichtverpackungen durch den Handel als „Betrugsmodell“ hingestellt. Alternativen kann der Ex-Monopolist offenbar nur als „Wettbewerbsverzerrung“ wahrnehmen.

Der renommierte Wettbewerbsrechtler Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski von der Freien Universität Berlin weist darauf hin, dass nach europäischem Recht regulierende Eingriffe in Märkte grundsätzlich nur dann zulässig sind, „wenn der Wettbewerb auf dem Markt messbare Funktionsdefizite aufweist.“ Das gelte auch für die Einführung von Zertifizierungssystemen mit Strafandrohung, selbst wenn diese formal auf freiwilliger Basis erfolgen. „Reglementierungen dieser Art sprechen eigentlich immer dafür, dass irgendeiner der Marktteilnehmer seine besondere Finanzkraft nutzen will, um die anderen mittel- und langfristig vom Markt zu verdrängen“, meint Professor Schwintowski.

Bleibt also die Frage, ob der vom BDE verfochtene Eingriff in den Markt allein wegen statistischer Ungereimtheiten gerechtfertigt ist. Tatsächlich scheint bei der Abrechnung des gesammelten und verwerteten Verpackungsmülls nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldete zu Beginn dieses Jahres, der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) habe die Gesamtmenge des in gelben Tonnen und Säcken gesammelten Verpackungsmülls auf anderthalb Millionen Tonnen geschätzt. Die von allen Dualen Systemen abgelieferten Mengenangaben beliefen sich aber nur auf insgesamt 1,1 Millionen Tonnen. Niemand wisse, was mit den fehlenden 400.000 Tonnen ausgedienter Verpackungen geschehen sei. Die FAZ vermutete, die Wettbewerber des Grünen Punktes hätten die von ihnen gesammelten Abfallmengen heruntergerechnet, um ihre Beteiligung an den Systemkosten des Grünen Punktes niedrig zu halten.

Ende Juni 2011 bereitete dann ein Brief aus dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-West dem Spuk ein Ende. In dem Schreiben legt Thomas Buch dar, Minister Remmel habe das NRW-Landesamt für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) veranlasst, die Mengenangaben der Dualen Systeme aus dem Jahre 2009 stichprobenhaft durch einen Vergleich mit den Vollständigkeitserklärungen der Inverkehrbringer von Verbrauchsverpackungen zu überprüfen. Beim aufwändigen Abgleich von Zahlenangaben, seien bei 60 Prozent der untersuchten Fälle Mengenabweichungen festgestellt worden. Ein Unternehmen habe aufgrund eines Eingabefehlers statt 373.000 nur 37.300 Tonnen gemeldet.

Buch vermutet hier eine Erklärung für die aus der Statistik verschwundene Müllmenge. Das drückt er allerdings sehr vorsichtig aus. Wörtlich schreibt er in einem etwas unbeholfenen Stil: „Einen vollständigen Abgleich aller Vollständigkeitserklärungen für das Jahr 2009 konnte das LANUV wegen des damit verbundenen Aufwandes nicht vornehmen, jedoch erscheint der Schluss naheliegend, dass der Verdacht, der zu verzeichnende Mengenschwund resultiere allein aus betrügerischen Machenschaften, nicht unbedingt stichhaltig sein muss.“ Eine „transparentere Informationspolitik des DIHK“, so fährt Buch in seinem Schreiben fort, hätte es nicht nur den Behörden, sondern auch den beteiligten Unternehmen ermöglicht, „die Diskussion auf einer wesentlich fundierteren Grundlage zu führen.“ Die geschilderten Ungereimtheiten hätten leicht durch eine elektronische Abgleichroutine ausgeräumt werden können. Diese hätten die Bundesländer bislang vergeblich beim DIHT angefordert. Im Klartext: Statt wettbewerbswidrige Zertifizierungsprozeduren einzuführen, hätten DIHK und BDE sich lieber erst einmal um eine bessere Informationsverarbeitung kümmern sollen.