Was von Joachim Gauck zu erwarten ist

Der Bundespräsident mit seiner Mätresse

In Deutschland wird schon lange niemand mehr in ein hohes Amt gewählt, der keine Leiche im Keller hat. Denn das damit verbundene Erpressungspotenzial garantiert, dass der Amtsträger den Korridor des als politisch korrekt Definierten nicht verlässt. Bei dem abgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff hieß die „Leiche“ vermutlich Betty. Als der als Opportunist bekannte Aufsteiger im letzten Sommer auf einmal doch Rückgrat zu zeigen schien, indem er Klartext über die Folgen der Euro-Rettungsschirme sprach, zeigten die Daumen der Strippenzieher der Berliner Bananenrepublik nach unten. Denn es stand zu befürchten, dass Wulff dem verfassungswidrigen ESM-Vertrag seine Unterschrift verweigern würde. Welche Leiche bei Wulffs Amtsnachfolger Joachim Gauck im Keller liegt, weiß ich nicht. Einen Ansatzpunkt böte sein ungeklärter Familienstand, was ich aber angesichts der allgemeinen Libertinage für wenig wahrscheinlich halte. Wie seine nachgewiesenen früheren Kontakte zur Stasi zu werten sind, bleibt bis heute umstritten. Das heißt: er gilt weiterhin als unschuldig und musste wohl gerade deshalb als Preis für das Eintritts-Ticket in die EU-Nomenklatura eine auffällig tiefe Verbeugung vor dem Ungeist der 68er machen.
Dabei schreckte Gauck in seiner Antrittrede vor dem deutschen Bundestag nicht vor einer argen Geschichtsklitterung zurück, indem er behauptete, die ersten Jahrzehnte der Bonner Republik seien durch „fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes“ geprägt gewesen: „Erst die 68er Generation hat das nachhaltig geändert.“ Ich habe das als Ex-68er ganz anders in Erinnerung: Im Gymnasium wurde ich durchwegs im Geist des Anti-Totalitarismus und der Freundschaft mit Israel erzogen. Als ich mich wegen des Vietnam-Krieges der 68er-Bewegung anschloss, freundete ich mich mit totalitären und antiamerikanischen wie antisemitischen Ideen im Gewand des „Antizionismus“ an und brauchte danach etliche Jahre, um wieder davon loszukommen. Gauck hingegen lobt die 68er, weil sie die historische Schuld der (aller?) Deutschen „ins kollektive Bewusstsein gerückt“ hätten. Ihre an Werten orientierte Aufarbeitung der Vergangenheit sei zum Vorbild für die „Wende“ von 1989 geworden. Gaucks Kapitulation vor den 68ern zeigt sich auch darin, dass er vor „rechtsextremen Verächtern der Demokratie“ warnt, die sicher nicht minder gefährlichen Linksextremisten hingegen nicht eigens benennt.
Ich kann deshalb der Vorsitzenden des Christoferuswerks Münster, Felizitas Küble, nur beipflichten, wenn sie fragt, ob Gauck, dessen Eltern aktive Nazis waren, mit seiner Neuauflage der Kollektivschuld-These nicht die Verantwortung für die Gräuel des Nazismus auf die damalige Elterngeneration breit verteilen wollte. Frau Küble macht auch darauf aufmerksam, dass Gauck kein Wort verlor über den in Deutschland politisch geduldeten und finanziell geförderten Massenmord an ungeborenen Kindern. Bei echten Konservativen kann da schon die Frage aufkommen, ob es nicht ein abgekartetes Spiel war, dass die Hauptstrom-Medien Gauck einhellig das Etikett „konservativ“ anhefteten. In Wirklichkeit ist er linksliberal und repräsentiert insofern den post-68er beziehungsweise postmodernen ideologischen Konsens der Berliner Republik. Warum dieser Präsident „unbequem“ werden soll, bleibt das Geheimnis meiner Kollegen in den mit Zwangsgebühren finanzierten „Qualitätsmedien“. Gaucks Freiheitsbegriff geht zurück auf Rousseau und die französische Revolution und steht deshalb völlig im Einklang mit dem Zeitgeist und dem in der EU zur Staatsdoktrin erhobenen Rechtspositivismus. Als evangelischer Theologe und Ex-Pfarrer hätte er aber durchaus darauf hinweisen können beziehungsweise sollen, dass Freiheit auch anders begründet werden kann, nämlich durch das christliche Menschenbild und das Naturrecht. Dann hätte Gauck vielleicht tatsächlich für die Berliner Republik unbequem werden können.
Anders als Frau Küble bewerte ich Gaucks Ausführungen zur europäischen Einigung. Gauck weist meines Erachtens zu recht darauf hin, dass der Staat sich immer weniger durch die nationale Herkunft seiner Bürger definieren lässt, sondern durch die „Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft.“ Die nationale Idee gehört definitiv ins 19. Jahrhundert und war schon damals so verlogen wie heute. Aber ich wüsste schon gerne etwas Näheres über die von Gauck beschworene „Wertegemeinschaft“. Die europäische Geschichte zeigt: Ohne einen transzendenten Bezug kommen Wertekataloge leicht unter die Räder kurzsichtiger Machtinteressen. Zwar erwarte ich von einem Protestanten keine Anspielung auf den christlich-abendländischen Reichsgedanken als Leitbild der europäischen Einigung. Aber etwas mehr an Präzision hätte ich mir beim Thema „Werte“ von einem Ex-Pastor schon gewünscht. Ein Hinweis auf die zehn Gebote hätte für Klarheit gesorgt, aber wohl die Wächter der Political Correctness auf den Plan gerufen.
Stattdessen bemüht Joachim Gauck einen Begriff von rechtlich ungebundener Solidarität, mit dem sich europäische „Rettungsschirme“ bis zum bittereren Ende rechtfertigen lassen. „Das europäische Miteinander ist … ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen“, erklärt Gauck. Angela Merkel braucht nun also nicht mehr zu befürchten, dass der Bundespräsident seine Unterschrift unter den ESM-Vertrag verweigert.

Internet:

Edgar L. Gärtner: Euro-Krise: Warum musste Wulff gehen?

Hanna Thiele: Wulffs Rücktritt. Die Präsidentenposse

Felizitas Küble: Was uns an Gaucks Antrittsrede missfällt.

Zu Gaucks Zusammenarbeit mit der Stasi äußerte sich Peter-Michael Diestel