Verlogene Vorsorge: Beispiel Pflanzenschutz

Edgar L. Gärtner

 

IHO-IBC0034 Das „Vorsorgeprinzip“, erstmals formuliert im deutschen Bundes-Immissionsschutz-Gesetz (BImSchG) von 1974, wurde im Jahre 1992 auf dem „Erd-Gipfel“ von Rio de Janeiro zum wichtigsten Grundsatz der Umweltpolitik erhoben. In der Rio-Deklaration findet sich der folgende, viel zitierte Grundsatz 15: “Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.” Unsere Massenmedien feierten die quasi einstimmige Annahme des Vorsorge- oder Vorsichtsprinzips als Meilenstein auf dem Weg in eine bessere Welt. In Wirklichkeit kann das Vorsichtsprinzip aber durchaus das Gegenteil bewirken: wachsende Unsicherheit bei Kosten-Nutzen-Vergleichen und der Einschätzung von Risiken. Denn nach diesem Prinzip genügt ein schlimmer Verdacht, um ganze Industriezweige still zu legen.

Zwar möchte bislang noch niemand das Wasser verbieten, nur weil darin jahraus, jahrein Tausende von Menschen ertrinken. Wenn es aber um mögliche Risiken der „bösen“ Atom- oder Chemieindustrie geht, sind viele Zeitgenossen durchaus zu ähnlich drakonischen Konsequenzen bereit. So wurden in Deutschland Kernkraftwerke stillgelegt, um die Bevölkerung vor hypothetischen Folgen eines Tsunami im fernen Pazifik zu schützen. Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen einer zuverlässigen Stromversorgung durch Kernreaktoren wurden dabei als gefährlicher eingeschätzt als die Risiken einer witterungsabhängigen, flatterhaften Stromproduktion durch Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Bei anderer Gelegenheit predigen uns die Massenmedien der Machtelite, alle Vorsicht fahren zu lassen – so aktuell vor allem gegenüber der illegalen Masseneinwanderung unqualifizierter junger Männer aus fremden Kulturkreisen. Kurz: Hinter dem Vorsorgeprinzip kann sich viel Scheinheiligkeit verbergen.

So hat die EU unter Berufung auf den Vorsorge-Grundsatz zum Beispiel ab 1. Dezember 2013 die Anwendung der drei zur Gruppe der Neonikotinoide gehörenden Insektizide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam stark eingeschränkt. Das sozialistische Frankreich ist sogar gerade dabei, die Stoffgruppe der Neonicotinoide ganz zu verbieten und versucht, durch die Verbreitung von Unwahrheiten dieses Verbot auf die ganze EU auszudehnen, damit die französischen Bauern keine Wettbewerbsnachteile erleiden. Das „Bienensterben“ ging dort, wie inzwischen klar wurde, hauptsächlich auf die plötzliche Verringerung beziehungsweise Verlagerung des Sonnenblumen-Anbaus infolge des Abbaus von EU-Subventionen zurück. Den Bienenzüchtern schien es jedoch lohnender, den Rückgang ihrer Honigerträge „bösen“ Pestizidherstellern in die Schuhe zu schieben. (Das und noch weitere Hintergründe der Kampagne gegen die Neonicotinoide hat Andrea Pfuhl vom Europäischen Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V. kürzlich recherchiert und in Form eines Kurz-Krimi dargestellt.)

Wie das in der Tabakpflanze gebildete natürliche Nikotin wirken die dem Nikotin ähnlichen synthetischen Verbindungen als starke Nervengifte. Diese vor allem im Mais-, Weizen-, Zuckerrüben- und Rapsanbau zum Beizen des Saatguts und bei der Bewässerung von Obstbäumen verwendeten Pestizide stehen im Verdacht, das seit einigen Jahrzehnten beobachtbare Eingehen ganzer Bienenvölker, bekannt als „Bienensterben“, zu verursachen. Ob sie das bei sachgerechter Anwendung auch tatsächlich tun, ist aber nicht zu beweisen. Fachleute weisen darauf hin, dass das „Bienensterben“ schon beobachtet wurde, als die Neonicotinoide noch gar nicht auf dem Markt waren. Sie betonen auch, dass die neue Generation von Pflanzenschutzmitteln gegenüber den zuvor eingesetzten Carbamaten und Organophosphaten wie etwa Parathion (E 605) erheblich sicherer sind. Einmal über die Wurzeln aufgenommen, verteilen sie sich vor allem im Blattwerk der Kulturpflanzen, die dadurch monate-, wenn nicht jahrelang vor Fraßfeinden geschützt bleiben. Der Pflanzenschutz kommt dadurch mit sehr geringen Giftmengen aus und die Bienen kommen damit kaum in Kontakt.

Eine heile Welt versprechen die Neonicotinoide freilich nicht. Sie gelten im Vergleich zu älteren Pflanzenschutzmitteln lediglich als kleineres Übel. Damit möchten sich aber „grüne“ Lobbygruppen nicht begnügen. Wie das Beispiel Frankreich zeigt, finden sie mit ihren Protesten bei den Gesetzgebern immer öfter offene Ohren. Sollte das Vorgehen Frankreichs Schule machen, stünden die Landwirte aber vor einem ernsten Problem. Denn der Verzicht auf effektiven Pflanzenschutz bedeutete für die meisten von ihnen den sicheren Ruin. Damit sie nicht im Regen stehen bleiben, legen ihnen Verbände wie das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) den Umstieg auf natürliche Pestizide nahe. Vor allem zwei Produkte kämen dafür in Frage: Rotenon und Niem-Öl (Azadirachtin). Beide sind tatsächlich hoch wirksam – leider auch gegenüber Hummeln, Honigbienen und Fischen und zum Teil sogar gegen Menschen.

Bei Rotenon handelt es sich um ein Furocumarin-Derivat, das aus den Wurzeln des Barbasco und anderer asiatischer Pflanzen hergestellt wird. Es ist schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Seine Wirkung beruht, ähnlich wie die der Blausäure, auf der Blockierung der Atmungskette in der Mitochondrien-Membran. Insekten und Fische, die das Gift aufnehmen, gehen an innerer Erstickung zugrunde. In Asien und zum Teil auch in Amerika wird das Gift von wenig rücksichtsvollen Fischern anstelle von Dynamit für die Massentötung von Fischen eingesetzt. Schon kurz nach der Anwendung von Rotenon in einem Gewässer treiben die Fische kieloben und können so leicht abgefischt werden. Rotenon wurde auch und wird in manchen Gegenden noch immer in der kommerziellen Fischzucht eingesetzt, um den natürlichen Fischbestand zu eliminieren und dann die Wunsch-Zuchtfische auszusetzen. Eingesetzt als Pflanzenschutzmittel muss die Anwendung von Rotenon oft wiederholt werden, da seine Wirkung in der freien Natur rasch nachlässt. Auch für Menschen kann Rotenon sehr gefährlich sein. Es gibt ernstzunehmende Hinweise auf seine Beteiligung bei der Auslösung der Parkinson-Krankheit.

Bei Azadirachtin, handelt es sich, wie gesagt, um den Hauptbestandteil des Öls aus den Samen des ursprünglich aus Indien stammenden tropischen Niem- oder Neem-Baums. Die insgesamt über 100 aus verschiedenen Teilen dieses Baumes gewonnenen Stoffe spielen seit mindestens 2000 Jahren eine große Rolle in der Naturmedizin. Das Öl der Samen ist als starkes Insektizid bekannt, das überdies den Vorteil hat, bei Insekten keine Resistenzbildung hervorzurufen. Leider fallen ihm aber auch Hummeln und Bienen zum Opfer, und zwar schon bei Konzentrationen, die um das Fünfzigfache unter den im Öko-Landbau empfohlenen Werten liegen. Insofern ist es schon ein starkes Stück, wenn Öko-Landbau-Verbände Niem-Öl als Alternative zu Neonicotinoiden empfehlen, um die Honigbienen zu schonen.

Dennoch sind beide Gifte auch in Amerika, in der Schweiz und in etlichen Mitgliedsstaaten der EU ohne Einschränkung zugelassen. (In Deutschland fehlt Rotenon allerdings auf der Positivliste der Biologischen Bundesanstalt.) Denn im Unterschied zu den Herstellern synthetischer Pflanzenschutzmittel, die umfangreiche Test-Daten vorlegen müssen, um eine amtliche Zulassung zu erlangen, brauchen die Anbieter von Öko-Pestiziden bislang überhaupt keine Daten vorzulegen. Würde das Vorsorgeprinzip in vernünftiger Form angewendet, dürfte es zweierlei Maß für natürliche und synthetische Insektizide nicht geben. In der Praxis hat sich das hehre Vorsorgeprinzip bislang als „Recht des Stärkeren“ in der Risikobewertung erwiesen, wobei der „Stärkere“ heute immer seltener die nur noch scheinbar mächtige Industrie ist, sondern Verbände wie Greenpeace oder PAN in Verbindung mit der „Lügenpresse“.       

(in anderer Form zuerst veröffentlicht in: KoppExklusiv 27/15)