Öko-Infantilismus

Wie alle geistigen Irrwege der Postmoderne geht auch der Greta-Kult auf eine klassische christliche Häresie zurück.

Von Edgar L. Gärtner
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Nach der Ankunft der von Älteren für einen durchsichtigen Zweck missbrauchten jungen schwedischen Autistin Greta Thunberg mit einem High-Tech-Segelboot in Manhattan ist der Medien-Rummel um ihre Person und ihr Anliegen zumindest vorläufig abgeflaut. Denn von großem Bahnhof konnte man bei ihrem Empfang in New York durch eine überschaubare Zahl von Anhängern wahrlich nicht sprechen. Doch geben die hinter ihr stehenden Klima-Ablasshändler noch lange nicht auf. Zumal ihnen beamtete Professoren rasch beispringen und neue Argumente liefern.
Am einfachsten scheint da der Versuch, die Kritiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, den Spieß umzudrehen und ihnen das anzuhängen, was sie am kindischen Greta-Kult kritisieren. Hier das neueste Beispiel dafür: Nicht Greta, sondern ihre Kritiker sind kindisch. Denn wer die Lieblings-Kassandra unseres Medien-Kartells der globalistischen Alternativlosigkeit als infantil und verhaltensgestört tituliert, sehnt sich selbst nach einer heilen Welt. Also sollten sie besser den Mund halten. So kanzelte der bekannte Soziologe Armin Nassehi, in vornehmere Worte gekleidet, kürzlich in der FAZ all jene ab, die sich dem Klima-Schwindel entgegenstellen, und beruft sich dabei auf den einflussreichen niederländischen Kultur-Theoretiker Johan Huizinga (1872-1945), dessen Gesammelte Werke seit 2014 verfügbar sind. Hier ein Auszug: „Die errechneten sechs Atlantikflüge, welche die ganze Sache erzeugt, weisen auf eine kindliche Idee des Paradieses hin. Wundern sich diejenigen, welche die Sache aufdecken, wirklich darüber? Was ist der Erkenntniswert der Investigation? Was für eine Welt authentischer Akteure stellen sie sich vor?“
Und weiter: „All die heißen Themen der Zeit spielen in ihrer öffentlichen Inszenierung auch mit dem Motiv der Frage, wie denn eine heile Welt ohne Widersprüche aussehen würde, eine Welt vor der Vertreibung aus dem Paradies. Es wäre eine, in der Äußerung und Geäußertes, Sagen und Meinen, Intention und Rezeption, Wollen und Können, Inneres und Äußeres, Bedeutung und Interpretation, Sein und Schein, Signifikat und Signifikant in Deckung zu bringen sind. Es geht um vollständige Authentizität und Widerpruchslosigkeit. Es geht um die ganze Welt. Es geht darum, was Huizinga die Leugnung von Unterscheidungsvermögen nennt. Es wäre die autoritärste Welt, die man sich vorstellen kann, weil sie keine Abweichung vertragen kann.“
Johan Huizinga lag mit seiner Warnung vor der Verwechslung von Inszenierung und Realität gewiss nicht falsch. Aber ist sein Ansatz tatsächlich auf die Kritiker des Greta-Kultes anwendbar? Bedient sich Nassehi hier nicht lediglich eines scheinbar auf die aktuelle Situation passenden Denkansatzes, um jene mundtot zu machen, die vor einer Massenbewegung warnen, die jeglicher Vernunft Hohn spricht? Für den Aufklärer Henryk M. Broder steht das außer Frage: „Eine durch und durch infantile Gesellschaft geht vor einem infantilen Wesen in die Knie. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Infantilität, die sowohl in der Politik wie in der Kultur prägend geworden ist. Erwachsene Menschen nennen ihre Kanzlerin «Mutti», Kinder, die noch mit ihren Teddybären kuscheln, protestieren dagegen, dass man ihnen die Zukunft raubt, und die sogenannten Erwachsenen können vor Begeisterung kaum noch stehen.“
Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz sieht das in der NZZ ähnlich: „Greta und die Fridays-for-Future-Schüler sind die Kreuzritter der heilen Welt. Wie ihre wohlmeinenden Eltern auch, machen sie Ernst mit Nietzsches Idee des Übermenschen: für die ganze Welt die Verantwortung zu übernehmen. Doch noch viel peinlicher als die Kinder, die die Schule schwänzen, um die Welt zu retten, sind die Erwachsenen, die sie dafür loben. Als ob die Weisheit der Kinder Orientierung in einer überkomplexen Welt geben könnte.“ Er geht aber noch einen Schritt weiter und betont die religiöse Dimension der Greta-Kampagne: „Statt «Was darf ich hoffen?» fragt die heutige Religiosität «Was muss ich fürchten?». So hat sich in der westlichen Welt eine Ökumene der Ängstlichen formiert, die Schützenhilfe von engagierten Wissenschaftlern bekommt. Das läuft dann so: Am Anfang steht die Krise; die Krise begründet die Notwendigkeit der Forschung; die Bedeutsamkeit dieser Forschungen legitimiert ihre staatliche Finanzierung; die Forschung im «öffentlichen Interesse» braucht eine politische Organisation – und dort entsteht zuweilen, was Wissenschaftstheoretiker «scientific bias» nennen. Zu Deutsch: Man findet, was man erwartet. Und immer ist es fünf vor zwölf.“
In der Tat kann man meines Erachtens auch heute noch im angeblich areligiösen postmodernen Westen alle geistigen und kulturellen Irrwege auf den Verfall des Christentums beziehungsweise auf den Rückfall in infantile christliche Häresien zurückführen. So der drollige, später zum Katholizismus konvertierte britische Star-Autor Gilbert Keith Chesterton in seinem Buch „Orthodoxy“ im Jahre 1908: „Die heutige Welt steckt voller christlicher Tugenden, die durchgedreht sind. Sie sind durchgedreht, weil sie auseinander gerissen wurden und allein umherschweifen“ Chesterton warnte vor der Verabsolutierung des Guten. Denn wer das tue, lande mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Bösen. Der überragende scholastische Philosoph Thomas von Aquin (1225-1274) hatte diese Warnung in folgende Worte gefasst, die gar nicht oft genug zitiert werden können: „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung.“ Diese Warnung vor einem grenzenlosen Humanitarismus könnte aktueller nicht sein.
Am Ursprung aller Häresien wie vor allem der Gnosis und des Manichäismus (einschließlich des Kommunismus) steht der Wunsch der Menschen, sich selbst zu erlösen und wie Gott zu werden. Chesterton drückte das mit unübertroffenem Witz so aus: „Der Mensch steht über dem Vieh; traurig ist er nur, weil er kein Tier ist, sondern ein unvollkommener Gott.“ Was die Menschen von Gott trennt und erlösungsbedürftig macht, ist die Ursünde Adams und Evas. Spätestens seit der Ursünde-Lehre von Augustinus von Hippo (354-430 n. Chr.) vertritt die Kirche ein eher pessimistisches und daher höchst realistisches Menschenbild. Der Mensch ist zwar ein mit Vernunft begabtes Ebenbild Gottes und bezieht von daher seine Würde. Er ist aber unfertig und schwach und neigt deshalb zur Sünde gegen seinen Schöpfer, gegen sich selbst wie auch gegen seine Mitmenschen. Hoffnung und Zuversicht gründen sich deshalb weniger auf die Vernunft, die leicht selbstzerstörerisch werden kann, sondern auf die göttliche Gnade. Wie weit die Menschen selbst dazu beitragen können, die Gnade zu erlangen, ist unter den verschiedenen Konfessionen umstritten.
Ihre wichtigsten Lebens-Ressourcen Liebe und Sinn können die Menschen nicht selbst schaffen, wie das der Marxismus lehrt, sondern nur von außen (oder besser: von oben) empfangen. Erwachsen werden die Menschen, wenn sie einsehen, dass es kein irdisches Paradies geben kann, dass also das Leben hienieden gemäß den Zehn Geboten in erster Linie Leiden bedeutet, was kleine irdische Genüsse und Vorahnungen der himmlischen Freude nicht ausschließt. Glück kann nicht Ziel, sondern nur Nebenprodukt des guten, sinnvollen Lebens sein. Das lehrt, wie der kanadische Star-Psychologe Jordan Peterson in seinem Bestseller „12 Rules for Life“ (2018) schön herausgearbeitet hat, nicht nur die Kirche, sondern auch der Buddhismus, wobei dieser allerdings den Blick nach innen richtet, während die Christen mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Das Alte Testament schildert die bewegte Geschichte des Erwachsenwerdens des jüdischen Volkes. Ereignisse wie der Tanz um das Goldene Kalb, Gewaltausbrüche und/oder sexuelle Ausschweifungen stellen typische Rückfälle in Infantile bzw. pubertäre Attitüden dar. Erst die Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus und dessen stellvertretenden Sühnetod am Kreuz eröffnen die Chance, dem durch die Ursünde bedingten Teufelskreis zu entkommen.
Dieser Glaube wurde in Verbindung mit der altgriechischen Philosophie und dem römischen Recht zum Fundament der europäischen Kultur. Allerdings ist dieses Fundament spätestens seit 1914 brüchig geworden. Mit dem Fundament ist nun aber auch die darauf gebaute Kultur, die Europas und Nordamerikas Aufstieg ermöglicht hat, in Gefahr. „Kulturen entspringen den Religionen. Letztlich entsteht die Lebenskraft, die jedwede Kultur erhält, in ihrer Philosophie, in ihrer Haltung gegenüber dem Universum. Der Verfall einer Religion schließt den Verfall ihrer korrespondierenden Kultur mit ein, was wir am klarsten am heutigen Zusammenbruch des Christentums sehen“, schrieb Chestertons Freund Hilaire Belloc in seinem Buch „Die großen Häresien“ schon kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.
Nicht Gretas Autismus ist also das Problem, sondern die Tatsache, dass das mit ihrer mentalen Behinderung verbundene Schwarz-Weiß-Denken auf einen offenbar sehr fruchtbaren Boden trifft. Zu denen, die dieses Saatbeet vorbereiteten, gehört zweifelsohne Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Laudato si‘“ (2015). Diese der „Sorge um das gemeinsame Haus“ und somit dem irrationalen Anliegen des „Klimaschutzes“ gewidmete Enzyklika dokumentiert die fortgeschrittene Verwechslung von Christentum und Gnosis, auch wenn sie daneben durchaus auch einige richtige Gedanken über die Eucharistie enthält. Denn die darin unterstützte Bekämpfung des Lebenselixiers Kohlenstoffdioxid um beinahe jeden Preis impliziert, dass man die Lebewelt einschließlich des Menschen für eine Schöpfung Satans hält.
Noch deutlicher wird da das „Instrumentum laboris“, das vorbereitende Dokument der vom Papst für diesen Herbst einberufenen Amazonas-Synode. Das in der Bibel festgehaltene Wort Gottes spielt in diesem Text kaum eine Rolle. Im Mittelpunkt steht stattdessen die vermeintliche Weisheit der armen Ureinwohner Amazoniens. Das Dokument ist geprägt von der Sehnsucht dekadenter Westler nach der Unschuld der Kindheit. Der „edle Wilde“ Rousseaus feiert so fröhliche Urstand. Folgte die Kirche dieser Linie, fiele sie von der von Papst Benedikt XVI. betonten Einheit von Glaube und Vernunft in den primitiven Schamanenkult zurück, kritisiert der Benediktiner-Pater Giulio Meiattini. Auch maßgebliche Teile der römischen Kirche frönen nun also dem postmodernen Wunschdenken und vergessen die biblische Wahrheit vom Wesen des Menschen. Es fehlt dann nur noch, dass die Kirche den in der Eucharistie sublimierten Kannibalismus durch richtige Menschenopfer ersetzt. Denn darauf läuft der grüne Kult um „Mutter Erde“, wie leicht zu zeigen ist, in Wirklichkeit hinaus. Die kürzlich vom grünen schwedischen Verhaltensforscher Magnus Söderlund in einem öffentlichen Vortrag ernsthaft vorgeschlagene Rückkehr zum Verzehr von Menschenfleisch, um das Weltklima zu retten, kann das hier Gesagte nur bestätigen.

(Veröffentlicht am 11. September 2019 in ef-magazin.de)