Wer sich „ganzheitliches“ Wissen anmaßt, hat logischerweise ein Problem mit der Freiheit

 

Interview mit Florian Müller im Magazin „Krautzone“, Heft 22

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Sie waren auf einem katholischen Internat und wurden dort mit der sogenannten Orthogenese vertraut gemacht. Können Sie unseren Lesern in einfachen Worten erklären worum es sich bei der Orthogenese handelt und von welchen Prämissen sie ausgeht.
Oh, das ist lange her. Ich kann deshalb nur holzschnittartig antworten. Die Theorie der Orthogenese wurde vom weltbekannten französischen Jesuiten und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin formuliert. Es handelt sich um den spekulativen Versuch einer Synthese zwischen der christlichen Schöpfungs- und Heilslehre und der Darwinschen Evolutionstheorie. Die Entwicklung von Geist und Materie streben nach Teilhard dem Punkt Omega zu, an dem sich die Materie im Menschen ihrer selbst bewusst werde. Ich lernte die Theorie Teilhards in Form der Ansprachen kennen, die der damalige Direktor des Bischöflichen Knabenkonvikts zu Fulda während der Mahlzeiten im Refektorium hielt. Diese Ansprachen fielen in die Zeit zwischen dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils und dem Ausbruch der Studentenrevolte. Die Ideen Teilhards hatten über den französischen Kardinal Henri de Lubac und den mit ihm befreundeten katholischen Philosophen Jacques Maritain auch einen gewissen Einfluss auf die progressive Kardinals-Fraktion des Konzils. Ich muss gestehen, dass mich diese schwärmerischen Ideen zunächst faszinierten – gerade auch, weil sie im Widerspruch zur offiziellen Lehre der Kirche standen. Insbesondere Teilhards (kommunistische) Idee der Verwandlung der Biosphäre in die Noosphäre hatte es mir angetan. Junge Menschen, insbesondere wenn sie sich mitten in der Pubertät befinden, springen ja gerne auf die neueste Mode. Wir machten da keine Ausnahme. Heute distanziere ich mich sowohl von Darwin als auch von Teilhard. Ich glaube nicht, dass der Mensch durch das Wechselspiel von Mutation und Selektion, das heißt durch Zufall aus affenähnlichen Vorfahren entstanden ist. Vermutlich wird man das „missing link“ zwischen beiden auch in Zukunft nicht finden. Teilhard de Chardin spielte übrigens eine unrühmliche Rolle bei der Interpretation des Schädel-Fundes von Piltdown, der das lang gesuchte „missing link“ darstellen sollte. Dieser stellte sich später als aus Affenknochen zusammengebastelte Fälschung heraus.

Sie haben Politikwissenschaften und Hydrobiologie (die Wissenschaft von in den Gewässern lebenden Organismen) studiert, eine auf den ersten Blick äußerst ungewöhnliche Studienkombination. Warum haben Sie sich für diesen Mix aus Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften entschieden?
Da muss ich etwas weiter ausholen. Ursprünglich diente das Bischöfliche Konvikt ja der Heranbildung des Priester-Nachwuchses. Auch ich verspürte zunächst den Wunsch, Priester zu werden und brach deshalb meine Elektrolehre ab, um das Abitur anzustreben. Das Nachholen des Schulstoffes, insbesondere von Latein, gelang mir dann so flott, dass ich mehrere Klassen überspringen konnte. Während des Aufenthalts im Konvikt wurde allerdings mein Interesse an Naturwissenschaft und Technik erneut geweckt. Teilhard trug wohl dazu bei. Ich erinnere mich aber, aus der sehr gut bestückten Bibliothek des Internats auch Bücher von Quantenphysikern wie zum Beispiel Pascual Jordan ausgeliehen und eifrig studiert zu haben. Im Mittelpunkt stand dabei fast immer ein theologischer Blick auf die Natur (einschließlich der Natur des Menschen). Ich gehe die meisten Probleme, auch die politischen und selbst die des Alltags auch heute noch mehr oder weniger bewusst aus einem theologischen Blickwinkel an. Unter dem Eindruck der 68er Revolte, an der ich mich in Form zahlreicher Aktionen wie etwa Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg und die Notstandsgesetze aktiv beteiligte, kam für mich aber ein Theologiestudium nicht mehr in Frage. Als Abiturient interessierte ich mich mehr für Karl Marx als für Teilhard. Ich entschied mich, etwas „Nützlicheres“ zu studieren. Das war in meinen Augen die Biologie, und zwar weniger die Evolutionsbiologie als vielmehr die Biochemie, die am Ende der 1960er Jahre hoch im Kurs stand. In einem Praktikum beim damals als nobelpreisverdächtig geltenden Prof. Hugo Fasold in Frankfurt wurde mir aber klar, dass Biochemie eher etwas für Chemiker denn für Biologen ist. Ich orientierte mich dann um in Richtung Umweltschutz, für den ich mich schon engagiert hatte, als der Begriff noch gar nicht existierte. Denn schon als Lehrling hatte ich in meiner Heimatgemeinde im Kreis Fulda das Ehrenamt des Vogelschutz-Warts bekleidet. Um mein Studium trotz der Umorientierung rascher beenden zu können, wechselte ich vom Diplom- zum Lehramts-Studiengang. Dafür brauchte ich ein zweites Fach. Das war dann Politikwissenschaft – für das Studienziel Umweltschutz wohl die ideale Kombination.
Anfang der 1970er Jahre, gut 10 Jahre vor dem Aufkommen der Grünen, war die Umweltpolitik auf beiden Seiten des Atlantik offiziell aus der Taufe gehoben worden. Zur Hydrobiologie kam ich, weil der Gewässerschutz damals in Form der Güteklassifikation auf der Basis von Indikator-Organismen und der Entwicklung von Klärtechniken der fortgeschrittenste Teil der angewandten Ökologie war. Dabei halfen mir auch meine Kenntnisse der Biochemie. Ich konnte so meine Wasserproben selbst analysieren. Nach Marseille kam ich 1975/76 wegen meiner Frau, eine typische Marseillaise, die ich aber in Paris kennengelernt hatte. Sie machte mich auf einen neuen Aufbaustudiengang „Mittelmeerökologie“ aufmerksam, der dort an einer als „rechts“ verschrienen Uni in Zusammenarbeit mit dem UNESCO-Programm „Man and Biosphere“ eingerichtet worden war. An dieser Uni, der Faculté de St. Jérôme, lehrten etliche Algerienfranzosen mit exzellenten Kenntnissen der Ökosysteme rund ums Mittelmeer. Franzosen stellten in diesem Studiengang die absolute Minderheit dar. Die Kommilitonen kamen aus beinahe allen Mittelmeer-Anrainer-Staaten. Mich hielt man in Marseille übrigens eher für einen Briten, was mir auch recht war. Ich habe an keiner Schule oder Hochschule mehr gelernt als in diesem Studiengang. Dennoch schlug ich das Angebot, dort zu promovieren aus, weil ich längst dabei war, meinen Lebensunterhalt als Wissenschaftsjournalist zu verdienen. Ohnehin absolvierte ich das Aufbaustudium ohne Stipendium. Da erschien mir die Perspektive, einen weiteren Lebensabschnitt mit dem Zählen von Eintags- und Köcherfliegenlarven zu verbringen, nicht besonders attraktiv.

In den 80er Jahren begann gewissermaßen der „moderne“ Umweltschutz. Kann man die 80er Jahren mit der heutigen Zeit vergleichen? Existierte schon damals ein Umweltalarmismus (Stichwort: Waldsterben durch Schwefeldioxid; verschmutzte Flüsse), grassierendes Unwissen über Ökologie und Natur und blinder Aktionismus von politischen Akteuren? Oder waren die Probleme realer?
In den 1980er Jahren begann eine Form des Umweltschutzes, die sich mehr und mehr von dem in den 1970er Jahren vorherrschenden technokratischen Modell unterscheidet. Zunehmend gaben nun die Grünen in Form hysterischer Kampagnen den Ton an. Die erste dieser Kampagnen bezog sich auf das „Waldsterben“, das nach dem trockenen Sommer von 1983 plötzlich in aller Munde war. Nicht nur die Grünen glaubten damals der von den Massenmedien verbreiteten Prognose einiger staatlich besoldeter Forscher, wonach die deutschen Mittelgebirge schon in wenigen Jahren kahl sein würden. Ich lebte damals schon nicht mehr in Süd-, sondern in Ostfrankreich, konnte mich also gut auf beiden Seiten des Rheins journalistisch betätigen. In Frankreich füllte ich damals als fester freier Mitarbeiter des Pariser Wissenschaftsmagazins „Science & Vie“ eine Marktlücke. So wurde das Thema „Waldsterben“, an das ich zunächst selbst glaubte, für mich zum Broterwerb. Ich habe zu diesem Thema sogar ein marxistisches Buch geschrieben, das sich gut verkauft hat. Als ich aber etwas später über die Forschungen französischer und Schweizer Forstwissenschaftler berichten wollte, die mir klargemacht hatten, dass das „Waldsterben“ lediglich eine vorübergehende Folge der Trockenheit von 1983 war, wollte das niemand drucken.

Sie besitzen eine hohe Affinität zu Frankreich, haben unter anderem in Marseille studiert und Ihr Studium dort abgeschlossen. Was sind die größten Mentalitätsunterschiede von Franzosen und Deutschen und inwiefern unterscheiden sich die Maßnahmen zum Naturschutz in den beiden Ländern?
Ich möchte die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Franzosen nicht überbetonen. Zurzeit scheinen die Franzosen den Umweltschutz sogar ernster zu nehmen als die Deutschen. Es ist z.B. zurzeit kaum noch möglich, im Landesinneren neue Windräder aufzustellen. Den meisten Franzosen ist durchaus bewusst, dass ihre Landschaften nicht nur aus der Perspektive der Tourismus-Wirtschaft ein wichtiges Kapital sind. Die Deutschen haben eben die Romantik nicht für sich gepachtet. Wer sich in der Literatur- und Kunstgeschichte etwas auskennt, weiß das. Wir leben hier in einem neu eingerichteten Nationalpark, der uns zwar Einschränkungen auferlegt, um den uns aber die meisten Deutschen beneiden werden. Das gilt auch für andere große französische Naturschutzgebiete und zahlreiche schmucke ländliche Dörfer und Städte. In Frankreich zählt eben im Unterschied zu Deutschland Tradition (noch) etwas.
Das ist, wie man sich denken kann, nicht die ganze Wahrheit. Die Öde französischer Plattenbau-Vorstädte scheint all das Lügen zu strafen, was ich zuvor sagte. Sie ist die Folge sozialistischer Experimente, mit denen Regierungen der Linken und der gemäßigten Rechten schon vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen haben. Sie konnten dabei an der ebenfalls etablierten Tradition des gleichmacherischen Jakobinismus anknüpfen, der seit der Großen Revolution von 1789 nach und nach den Katholizismus als kulturelle Konsens-Basis verdrängt hat. Der Jakobinismus führt dazu, dass viel zu viele Fragen zentral entschieden werden – mit oft kontraproduktiven Ergebnissen. In keinem anderen Land der Welt wurden so viele staatlich subventionierte Sozialwohnungen gebaut wie in Frankreich. Gleichzeitig ist hier die Wohnungsnot besonders krass. Gut gemeint ist eben oft das Gegenteil von gut.

Auf Ihrer Internetpräsenz schreiben Sie „Mich erwartet das Umerziehungslager, weil die im Prinzip von allen Menschen beim Erwachsenwerden erlernten Regeln des Anstandes in Deutschland und in der EU inzwischen leider als Ketzerei gelten. Gefragt ist hier nicht mehr bewährte Menschlichkeit, sondern der infantilisierte und total flexibilisierte und austauschbare, neue Mensch‘, der nur noch an konsumierbare Surrogate, aber nicht mehr an das wirkliche Leben glaubt.‘“ Welche Merkmale kennzeichnen den ‚neuen Menschen‘ aus Ihrer Sicht konkret und was macht ihn so austauschbar, im Vergleich zum ‚alten Menschen‘? Worin besteht für Sie das ‚wirkliche Leben‘?
Vor allem die theologischen Schriften Joseph Ratzingers, des späteren Papstes Benedikt XVI., die ich zunächst eher aus philosophischem Interesse las, haben mir geholfen, den Weg zurück zum Menschenbild des christlichen Glaubens zu finden. Ratzinger hat in seiner „Einführung in das Christentum“ von 1968 schön herausgearbeitet, dass die Menschen den Sinn des Lebens nicht aus sich selbst generieren, sondern nur empfangen können. Es kommt dann darauf an, aus welcher Quelle sie schöpfen. Ich gehöre seit gut einem Jahrzehnt wieder der römisch-katholischen Kirche an. Vor allem aus diesem Grund habe ich mein Buch „Öko-Nihilismus“ noch einmal umgeschrieben. Mein Wiedereintritt in die Kirche nach langer Abwesenheit war für mich allerdings eher schockierend, denn ich erkannte die Gemeinschaft, die ich in jungen Jahren verlassen hatte, nicht mehr wieder. Ich kann mich mit der sehr weltlichen Ausrichtung des gutmenschlichen deutschen Gremien-Katholizismus nicht identifizieren und finde meine geistigen Anregungen heute eher in einem ökumenischen Bibelkreis in meiner zweiten Heimat Bad Nauheim.
Nach dem Evangelium, aber auch nach der Philosophie Emmanuel Kants ist der Mensch zu allererst ein zur Transzendenz fähiges Wesen. Wir sind nicht auf Erden, um uns zu vergnügen, sondern um unsere unsterbliche Seele zu retten, was gelegentlichen Spaß an der Freude nicht ausschließt. Leben heißt in erster Linie Leiden (auch Mitleiden). Lust und Erfüllung können nur Nebenprodukte der Pflichterfüllung gemäß den Zehn Geboten sein. Wer nicht leidet, sollte sich fragen, ob er nicht schon zum Zombie geworden ist. Ich persönlich identifiziere mich immer mehr mit Ernst Jüngers Figur des Waldgängers, der sich aus den Niederungen der Tagespolitik heraushält und ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung einfach tut, was er als Christ für richtig hält, nämlich still Widerstand gegen die Entmenschlichung leisten. Das wird heute allerdings immer schwerer. Das authentische Christentum ist schon heute die weltweit am meisten verfolgte und unterdrückte Religion. Auch in Europa wird die wohlhabende und politisierte Wellness-Kirche wohl bald zur Märtyrer-Kirche werden, die dann von den Wellness-Jüngern fluchtartig verlassen wird. Das Menschenbild, das demgegenüber unser fetter bürokratisierter Wohlfahrtsstaat im Bunde mit staatsnahen Massenmedien und monopolistischen Konzernen vertritt, erinnert sehr an die Figur des letzten Menschen in Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“: ein genusssüchtiges Wesen, dem es egal ist, ob es Mann oder Frau, Held oder Feigling, Mensch oder Tier ist.

Sie sind Anhänger der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und im weitesten Sinne Anhänger des Libertarismus. Zeigen nicht gerade Umweltproblematiken auf, wo die Österreichische Schule an ihre Grenzen stößt? Wenn zum Beispiel eine Chemiefirma die eigenen Erträge durch Verfahren steigern kann, die gleichzeitig das Grundwasser belasten, hätte sie doch mindestens kurzfristig einen Anreiz zur Naturzerstörung? Braucht es nicht gemeinschaftlich verbindliche – zum Beispiel staatliche – Reglungen, um solche Gefangenendilemma zu entschärfen?
Ich bekenne mich seit den 1990er Jahren als Libertärer, bin aber wie die meisten Mitglieder der Hayek-Gesellschaft, der ich angehöre, kein dogmatischer Anti-Etatist. Als Christ werde ich immer stückweise Reformen dem gewaltsamen Umsturz vorziehen. Deshalb müssen wir so gut es geht mit dem Staat auskommen, aber dafür kämpfen, dass er deutlich schrumpft und sich auf seine hoheitlichen Schutzaufgaben konzentriert. Wenn Chemiefirmen das Grundwasser belasten, ist das in der Regel keine Folge von zu wenig Staat, sondern Folge der Tatsache, dass der jeweilige Staat sich zu wenig um seine Kernaufgaben kümmert und sich stattdessen in familiäre Angelegenheiten einmischt, die ihn nach christlicher Auffassung nichts angehen sollten. Das Musterbeispiel eines solchen Staates war die untergegangene DDR. Die jungen Menschen von heute können sich leider kaum noch vorstellen, wie es dort aussah. Ich hatte als Journalist direkten Kontakt zu führenden DDR-Wissenschaftlern und Managern und weiß von daher, dass die Betriebe im so genannten Chemiedreieck Halle-Merseburg-Bitterfeld die Umwelt in einer Weise belasteten, die im kapitalistischen Westen unvorstellbar war. Ausgehend von der bereits 1869 erlassenen Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes standen die Schadstoffemissionen von Industriebetrieben im Westen immer unter mehr oder weniger strenger staatlicher Kontrolle. Oft führten übrigens technische Neuerungen mit dem Ziel der Erhöhung der Produktivität von sich aus zur Reduktion des Schadstoff-Ausstoßes, der ja oft gleichbedeutend mit Ressourcenvergeudung ist. Staatliche Umweltauflagen treffen sich in einer freien Marktwirtschaft deshalb oft mit dem Eigeninteresse von Industriefirmen. Jede Verschärfung von Umweltnormen führt bei den Anbietern sauberer Technologien zu Umsatzwachstum. Der Staat muss das Profitinteresse der einzelnen Unternehmen durch Gesetze und Verordnungen lediglich in eine umweltfreundliche Richtung lenken. Er sollte aber den Unternehmen nicht vorschreiben, auf welche Weise sie seine Vorgaben umsetzen.

Nach einer Studie des „Marktforschungsunternehmens Nielsen“ sind Frauen in den entwickelten Ländern für 80 Prozent der Konsumentscheidungen verantwortlich. Gleichzeitig sprechen die Grünen eklatant mehr Frauen als Männer an. Bei der Wahl zum Europaparlament 2019 wählten 23,5 Prozent der Frauen die Partei, aber nur 17,7 Prozent der Männer, von denen wiederum nicht bekannt ist, wie viele von ihnen von ihren grünen Frauen genötigt wurden. Inwiefern ist der Aufstieg „grüner“, „nachhaltiger“, „fairer“ und „sauberer“ Ideen nicht ein Produkt der (Über)Emanzipierung der Frau, die emotionaler und sozialer entscheiden als ihre Männer?
Auch meine Frau kauft vorwiegend in Bio-Läden oder direkt bei bäuerlichen Kooperativen ein. Ich musste mich an Speisen wie Quinoa gewöhnen, die ich freiwillig nie gewählt hätte. Dabei schätze ich durchaus traditionelle mediterrane Gerichte wie Couscous oder Taboulet. Allerdings lebe ich, seit die Kinder ein selbständiges Leben führen, nur noch zeitweise mit meiner Frau in Südfrankreich zusammen. In Bad Nauheim lebe ich der Ruhe für das Schreiben wegen alleine und versorge mich selbst. Bioprodukte sind dann auf meinen Speisezettel in der Minderheit. Ich versuche deren Kauf sogar bewusst zu minimieren, da ich vermeiden möchte, damit indirekt die in meinen Augen antichristliche Partei der Grünen zu subventionieren. Nur wenige meiner Geschlechtsgenossen sind wohl so frei. Frauen sind wohl schon immer mehr von Moden abhängig gewesen als Männer. Als Löwe halte ich mich an den Wahlspruch: „Die Hunde bellen. Die Karawane zieht weiter.“

In ihrem Buch „Öko-Nihilismus“ schreiben Sie: „Es ist spürbar, dass der Einfluss der Öko-Meme seinen Zenit bereits überschritten hat. Zu groß ist die Diskrepanz zwischen den Erfordernissen der zunehmend global vernetzten Arbeits- und Lebenswelt und symbolischen Akten wie die Trennung von Verpackungsmüll, der Bau von Windrädern oder die Anlage von Froschteichen, mit deren Hilfe der Zorn Gaias besänftigt werden soll.“ Das war vor 9 Jahren. Haben Sie sich verspekuliert?
In gewisser Weise schon. Aber ich habe dabei wieder einiges über die Natur des Menschen gelernt. Ich hatte gehofft, dass irgendwann Sachzwänge wieder die Oberhand über Scheinprobleme gewinnen. Mir ist aber inzwischen klar geworden, dass in parlamentarischen Demokratien letztlich immer die den Sieg davontragen, die dringende Probleme wie die mittelfristige Unbezahlbarkeit des ausgeuferten Sozialstaates verdrängen und sich stattdessen auf Scheinprobleme wie den angeblich notwendigen Stopp des Klimawandels konzentrieren. Die so genannte Klimapolitik, die auf ein halbes oder sogar auf ein ganzes Jahrhundert ausgerichtet ist, hat ja den Vorteil, dass nicht nachprüfbar ist, ob und inwieweit sie erfolgreich ist. Das Beispiel der Schweiz zeigt demgegenüber, dass direkte Demokratien wohl besser in der Lage sind, zwischen Real- und Scheinproblemen zu unterscheiden.

Sie widmen in ihrem Buch auch dem französischen Philosoph Jean Jacques Rousseau ein kleines Kapitel: „Daran ist Rousseau schuld“ singen französische Kinder auf einer bekannten französischen CD und sie stimmen zu. Wir sind uns der Schandtaten des französischen Philosophen bewusst, aber kann man ihn auch für die Umweltfehlpolitik der letzten 40 Jahre verantwortlich machen?
Man kann Rousseau zu Recht als Erfinder des Totalitarismus betrachten, obwohl er sicher auch Vorläufer hatte. Die von ihm in die Welt gesetzte Denkfigur der „Volonté générale“ wurde leider nachhaltig massenwirksam. Danach kann eine „Avantgarde“ oder „Elite“ mit ihren Ideen den Willen eines ganzen Volkes, wenn nicht sogar der Menschheit verkörpern. Wer nicht damit einverstanden ist, gilt von vornherein als Verräter oder Reaktionär, der eingesperrt oder gleich enthauptet gehört. Diese Logik wurde zuerst in der Großen Französischen Revolution wirksam. Heute argumentieren elitäre Initiativen, Clubs und Bewegungen wie der „Club of Rome“, das „World Economic Forum“ oder „Fridays for Future“ ähnlich, wenn nicht sogar gleichlautend. Dabei wäre es wohl leicht, deren Anspruch, im Namen der ganzen Menschheit zu sprechen, als Anmaßung zu entlarven. Die Menschheit ist ein Abstraktum. Konkret sind dagegen die einzelnen Subjekte, die die Welt nur mit eigenen Augen sehen und individuell zu begreifen versuchen können. Um viele Willen zusammenzuführen, bedarf es eines Gefühls der nationalen Zusammengehörigkeit und eines gemeinsamen Glaubens, am besten einer dogmatischen Offenbarungsreligion. Das wissen auch die heutigen Jünger Rousseaus. Sie begründen deshalb ihre Versuche der Gleichschaltung des öffentlichen Diskurses zur Vorbereitung der von ihnen angestrebten Klima-Diktatur religiös, tarnen ihre Religion allerdings als Wissenschaft. Dabei fußt die so genannte Klima-Wissenschaft vornehmlich auf mathematischen Modellen und Computer-Hochrechnungen und kaum auf harten Messdaten, bleibt also höchst hypothetisch. Die Messdaten zeigen bislang nur eine geringe durchschnittliche Erwärmung der Erde. Eine Fortsetzung dieses Trends wäre meines Erachtens keineswegs katastrophal. Die Klima-Katastrophe gibt es nur in den Computer-Simulationen. In der Realität würde eine Fortsetzung des leichten Erwärmungstrends das Leben der meisten Menschen wohl erleichtern. Nur eine Minderheit der Europäer bucht ihren Sommerurlaub in der Arktis. Die große Mehrheit zieht es zu den Sonnenstränden. Nicht zuletzt führt die allmähliche Erderwärmung, wie Satelliten-Aufnahmen zeigen, zum Ergrünen der Erde und damit in den meisten Regionen potenziell zu reicheren Ernten.

Die Klimadebatte um Greta Thunberg (die wir in einem eigenen Heft behandeln werden) hat viele Jugendliche für Umwelt- und Klimaschutz begeistert. So verblendet die Schulschwänzer auch sind: Ist die Entwicklung nicht zu begrüßen, da die Jugend sich wieder politisiert und man sie dadurch auch für echten Naturschutz begeistern kann?
In der Tat fände ich es schön, wenn sich Jugendliche wieder für echten Naturschutz begeisterten. Sie würden dann vielleicht Widerstand gegen den von der schwarz-grünen hessischen Landesregierung geplanten Bau von Windindustrieanlagen in unwiederbringlichen Märchenwäldern leisten. Zurzeit ist die Entrüstung der Greta-Jünger aber sehr selektiv. Soll eine für die Entwicklung bestimmter Regionen wichtige Straße gebaut werden, steigen so genannte Klima-Aktivisten auf die Bäume und bombardieren die anrückende Polizei mit Wurfgeschossen aller Art. Gegen die Bedrohung des Märchenwaldes der Gebrüder Grimm in Nordhessen regt sich hingegen bislang kaum Widerstand. Es gibt keine Demonstrationen gegen den Massenmord an Vögeln und Fledermäusen durch Windräder.
Aus eigener Beobachtung in Bad Nauheim weiß ich, dass unter den Freitags hüpfend für das Klima demonstrierenden Jugendlichen zwei Gruppen überrepräsentiert sind: Zum einen verwöhnte Kinder aus sehr wohlhabenden Familien und zum anderen Jugendliche, die ich als Marxist eher dem Lumpenproletariat zurechnen würde. Beide verbindet wohl der Selbsthass. Anders könnte man kaum erklären, warum sie den sofortigen Ausstieg aus der Nutzung aller fossilen Energiequellen einschließlich der Kernenergie fordern. Sie fordern also das Ende Deutschlands als Industrieland. Denn alleine mit so genannten erneuerbaren Energien, das heißt im Wesentlichen durch Windräder und Photovoltaik können wir unser Land nicht am Leben halten, denn bei Nacht und Windstille ist deren Produktion gleich Null. Wir können mit den witterungsabhängigen Energien weder unsere Industrie noch die über 80 Millionen Einwohner unseres Landes versorgen. Im Grunde sollen wir Selbstmord begehen, um das „Klima“ zu retten.
Wer oder was ist aber das Klima? Es gibt auf der Erde kein physisches System namens Klima. Mit den fünf Sinnen beobachtbar ist nur das häufig wechselnde Wetter. Die Meteorologen bezeichnen den 30-jährigen Durchschnitt des Jahresgangs von Temperatur und Niederschlag als das Klima, das eine bestimmte Region von einer anderen unterscheidet. Ein Weltklima kann es, so gesehen, gar nicht geben, denn dann müssten die Pole und der Äquator die gleiche Durchschnittstemperatur haben. Der Begriff „Klima“ bezeichnet also ein statistisches Abstraktum, das niemand retten oder verbessern könnte. Denn dann müsste man Temperatur und Niederschlag ja rückwirkend verändern können. Der inzwischen in der Politik gängige Begriff „Klimaschutz“ bezeichnet also eine Fiktion. Gerade darin sehe ich die Gefahr totalitärer Herrschaft. Eine der Definitionen des Totalitarismus lautet nämlich: Massenmobilisierung für fiktive, unerreichbare Ziele. Ich sehe hinter der Bewegung Fridays for Future nicht in erster Linie die Sorge um die Zukunft unseres Planeten, sondern einen totalitären Herrschafts-Anspruch.

Einer Ihrer jüngsten Artikel trägt den provokanten Titel „Warum geistig gesunde Menschen ein Feindbild brauchen und warum globales Denken an sich schon totalitär ist“. Warum brauchen wir, sofern wir „geistig gesund“ sein möchten, ein Feindbild? Halten Sie die deutsche Linke für geistig gesund? Schließlich haben die Linken hierzulande viele Feindbilder, ob nun Trump, Orban, die AfD oder im Allgemeinen jeden, der sich „dem demokratischen Diskurs“ entzieht.
Auch diejenigen, die über Feindbilder nicht reden möchten, hängen in der Regel durchaus irgendwelchen Feindbildern an. Wer in unserer komplexen und zumindest teilweise auch feindlichen Welt bestehen möchte, muss in der Tat vor allem wissen, was er nicht will. Das gilt im Grunde für alle Organismen und für jede einzelne lebende Zelle. Verfügte diese nicht über eine semipermeable Membran, die nur bestimmte Stoffe durchlässt, wäre sie schnell tot. Es geht also nicht um die Frage: Feindbild ja oder nein, sondern um die Frage, welches Feindbild wir in unserem eigenen längerfristigen Interesse vernünftigerweise pflegen sollten. Die von Ihnen aufgeführten Persönlichkeiten oder Parteien würde ich gar nicht unter dem Begriff „Feindbild“ subsumieren, sondern eher unter die Kategorie „Sündenbock“. Ein vernünftiges Feindbild sollte sich nicht in erster Linie auf konkrete Personen, sondern auf die von diesen vertretene Ideologie beziehen.
Ich habe in dem Artikel, den Sie zitieren, darauf hingewiesen, dass die Christen seit der Antike immer das gleiche Feindbild verfolgten: die Gnosis beziehungsweise den Gnostizismus. Gnosis bedeutet Erkenntnis beziehungsweise Erleuchtung. Die Gnostiker beanspruchten, über Wissen über den Lauf der Welt zu verfügen, das sie nach christlicher Auffassung gar nicht haben konnten. Denn die absolute Wahrheit über das Ganze der Welt ist nach dem führenden christlichen Philosophen Thomas von Aquin (1225 bis 1274) Gott vorbehalten. Die moderne Wissenschaftstheorie im Gefolge von Karl R. Popper (1902 bis 1994) stimmt dem im Prinzip zu, auch wenn sie die Frage nach der Existenz Gottes offen lässt. Wir Menschen können uns der Wahrheit nur in einem nie endenden Wechselspiel von Versuch und Irrtum annähern. Wer sich „ganzheitliches“ Wissen anmaßt, hat logischerweise ein Problem mit der Freiheit der Menschen. Deshalb erwiesen sich die verschiedenen gnostischen Bewegungen der letzten 2.000 Jahre wie zunächst die Gnosis im engeren Sinne und später die Mohammedaner, die Katharer, die Millenaristen, die Marxisten und die Nationalsozialisten allesamt als gefährliche Feinde der Freiheit. Heute müsste man dieser Liste meines Erachtens die Klima-Bewegung hinzufügen. Die Kirche hat sich dieser Irrlehren zunächst immer mit philosophischen und theologischen Argumenten erwehrt. Wenn das nicht half, hat sie aber auch gelegentlich zu Kreuzzügen gegen ketzerische Bewegungen aufgerufen.

Auf welche „grünen“ Veränderungen müssen sich die Bürger in den nächsten Jahren einstellen und was werden die einschneidendsten Folgen für die Verbraucher in Europa und Deutschland sein?
Ich hoffe, dass die Grünen in nicht allzu ferner Zeit ihre Haltung zur Kernenergie überdenken werden. Denn es gibt inzwischen Konzepte inhärent sicherer Kernkraftwerke wie zum Beispiel des in Deutschland entwickelten „Dual-Fluid-Reaktors“, die sogar mit den strahlenden Abfällen der heutigen Kernkraftwerke betrieben werden können und selbst kaum noch Abfall hinterlassen. Diese Techniken würden es erlauben, die Forderung nach einer CO2-freien Energieversorgung auf elegante Art zu erfüllen. Denn als Alternative bliebe wegen der Unzulänglichkeit der witterungsabhängigen Energien nur die strenge Rationierung des Energieeinsatzes. Das würden sich aber zumindest die Franzosen und die Italiener wohl nicht gefallen lassen. Bis jetzt sind allerdings die deutschen Grünen von der generellen Verteufelung der Kernenergie noch keinen Millimeter abgerückt. In unseren Nachbarländen sind hingegen in dieser Frage erste Lockerungsübungen zu verzeichnen. Sollten die Grünen mit ihrem derzeitigen Kurs weiter an Einfluss gewinnen, bestünde wohl die Gefahr, dass eines Tages nicht nur der Energieeinsatz, sondern auch unser Fleisch- und Gemüsekonsum extrem verteuert und streng rationiert werden müssten. Ich hoffe, dass meinen Kindern eine solche Zukunft erspart bleibt.