Die „Energiepolitik“ der unbelehrbaren EU-Kaste

Press conference by Ursula von der Leyen, President of the European Commission, and Mario Draghi, Special Advisor to Ursula von der Leyen, on the report of the future of European competitiveness
Von Edgar L. Gärtner
Nicht nur die deutsche „Energiewende“ steckt in der Sackgasse, sondern bald auch die Energiepolitik der EU, wenn diese sich nicht von der CO2-Klima-Ideologie löst und zum Pragmatismus der Anfangsjahre der (west)europäischen Einigung zurückfindet. (Wobei angemerkt werden muss, dass die Energiepolitik nach dem Lissabon-Vertrag gar nicht zu den Kernaufgaben der Europäischen Union gehört.) Zwar ist die EU als Ganzes in der Energieversorgung besser, weil diversifizierter aufgestellt als Deutschland. Doch scheint sich die neue EU-Kommission unter ihrer neuen/alten Chefin, der deutschen Ursula von der Leyen anzustrengen, den untragbaren Zustand des deutschen Energiesystems so bald wie möglich zu kopieren, indem sie an der selbstmörderischen Ideologie des „Green Deal“ festhält, der zur galoppierenden Deindustrialisierung der EU-Länder führen muss.

Die Wirtschaftsdaten sprechen eine klare Sprache: Deutschland befindet sich schon in der Rezession und weitere EU-Mitglieder sind nicht weit davon. Die EU, die nach den euphorischen Projektionen ihrer Wortführer schon im Jahre 2010 zur innovativsten und wachstumsstärksten Region der Welt geworden sein sollte, zeigt heute unübersehbare Symptome der Wettbewerbsschwäche gegenüber den USA und China. Aus diesem Grund fühlte sich der ehemalige EZB-Chef und Ministerpräsident Italiens Mario-Draghi bemüßigt, der EU-Kommission einen groß angekündigten Bericht über Möglichkeiten der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Länder vorzulegen. Eigentlich war dieser Report schon vor den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 fertig. Vermutlich weil er kritische Aussagen über den Zustand der EU enthält, wurde er aber erst im September veröffentlicht.


Ist Mario Draghi schizophren?
Hier der Kernsatz des Draghi-Berichts: „We have reached the point where, if we do not act, we will have to compromise our well-being, our environment or our freedom.“ Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg müssten wir uns ängstigen um unser Überleben, führt Mario Draghi weiter aus. Allein die Tatsache, dass die Strompreise in der EU dreimal und die Gaspreise sogar fünfmal so hoch sind wie in den USA sagt schon fast alles über den Stand der westeuropäischen Wettbewerbsfähigkeit. Da mutet es wie eine Manifestation der Schizophrenie an, wenn Draghi der EU-Kommission ausgerechnet die noch massivere staatliche Subventionierung der angeblich erneuerbaren unsteten Alternativ-Energien Wind und Sonne empfiehlt, aber gleichzeitig nichts dabei findet, dass die meisten EU-Länder die Ausbeutung ihrer z.T. bedeutenden Schiefergas-Vorkommen auf Druck grüner NGOs verboten haben.
Obendrein übergeht Draghi die Tatsache, dass der Weltmarkt für Solarpanele, Windräder und Batterien längst von Chinesen beherrscht wird, die in den letzten Jahrzehnten systematisch die Kontrolle der Förderung, Aufbereitung und Verarbeitung strategischer Metalle wie Lithium, Kobalt, Kupfer und Nickel sowie der seltenen Erden in ihre Hand genommen haben. Heute kontrollieren Chinesen die Verarbeitung und den Markt der seltenen Erden zu ungefähr 90 Prozent. Bei Lithium erreicht die chinesische Kontrolle 60 Prozent, bei Kobalt sogar 65 Prozent und bei Nickel immerhin 35 Prozent. Deshalb hat sich die EU-Kommission dem „Minerals Security Partnership“ angeschlossen, das im September 2024 im Umkreis der UN-Vollversammlung in New York getagt hat. Diese Gegenoffensive gegen die chinesische Monopolisierungsstrategie wird von 14 westlichen Staaten getragen. Dabei stand die Frage der Finanzierung im Vordergrund. Deshalb nahmen auch BlackRock, Goldman Sachs und die Citigroup an dem Treffen teil. Die Frage, warum sich der Westen ausgerechnet für eine Energiepolitik entschieden hat, die die Abhängigkeit von China noch verstärken muss, war in New York aber offenbar kein Thema.

Rohöl bleibt strategische Ressource
Immerhin erwähnt der Draghi-Report an fünf Stellen auch die Kernenergie – allerdings nur aufzählend neben anderen „sauberen“ Energiequellen. Empfehlungen für die Finanzierung der Entwicklung von modernen Kernkraftwerken (einschließlich SMR) sucht man darin vergebens. Dafür träumt Draghi offenbar vom Wasserstoff, den er sogar sechsmal erwähnt. Das Erdöl erwähnt er hingegen nur ein einziges Mal. Offenbar hält er das Öl, das immerhin noch ein Drittel des Energie-Endverbrauchs der EU deckt, im Einklang mit dem utopischen Weltbild der Grün-dominierten EU-Kommission, für einen auslaufenden Posten. Das aber ist ein großer Irrtum, denn ohne Erdöl und dessen Derivate wäre heute kein Verkehr möglich. Das gilt auch für den weitgehend elektrifizierten Schienenverkehr. Ganz zu schweigen von der petrochemischen Industrie, in der 14 Prozent der Ölimporte zu Kunstfasern und anderen heute lebenswichtigen Materialien verarbeitet werden. Erdöl ist und bleibt also für die EU eine strategische Ressource. Die EU-Kommission möchte auf diese aber offenbar verzichten und gibt damit der begonnenen Deindustrialisierung freien Lauf.
Der Ingenieur Samuel Furfari, ehemaliger leitender Beamter der EU-Kommission, hält es in seiner Analyse des Draghi-Reports für unentschuldbar, dass Draghi diese Ressource in seinem auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU fokussierten Papier einfach übergeht, denn die Ölversorgung der EU, die 96 Prozent ihres Ölbedarfs importiert, ist abhängig von wichtigen geopolitischen Bedingungen. Die Geopolitik klammert Draghi in seinem angeblich auf strategische Fragen konzentrierten Papier aber unverständlicherweise aus. Furfari, der selbst kein Freund Wladimir Putins und dessen Politik ist, gibt sich überzeugt davon, dass die EU über kurz oder lang zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland zurückkehren wird. Statt auf die Versorgung mit Öl und Gas konzentriert sich EU auf die Elektrizitätsversorgung, die aber nur 23 Prozent ihres Energie-Endbedarfs ausmacht. Doch diese hat für die Brüsseler Kaste den Vorteil, für kurzsichtige politische Manöver geeignet zu sein.


Erdgas hat mit dem Klima nichts zu tun
Immerhin widmet sich Draghi etwas ausführlicher der Gasversorgung, hinterlässt aber dabei den Eindruck, dass er den Einsatz von Erdgas nur für eine Übergangslösung hält. Draghi übergeht dabei die Tatsache, dass Erdgas nur zu einem geringen Teil der Elektrizitätserzeugung oder als Rohstoff für chemische Synthesen dient, sondern zu 70 Prozent für Heizzwecke eingesetzt wird – nicht nur in privaten Wohnungen, sondern auch in der Industrie. Den massenhaften Einsatz von Wärmepumpen als Alternative zu Gasheizungen erwähnt Draghi dagegen nicht einmal – auch nicht die deutsche „Energiewende“ als Ganzes. Das weist darauf hin, dass diese von den deutschen Grünen propagierte, wenn nicht gesetzlich erzwungene „Patentlösung“ einer CO2-freien Energieversorgung außerhalb Deutschlands nicht ernstgenommen wird. Erdgas kann nach dem Stand der Forschungen über die tiefe heiße Biosphäre als erneuerbare Ressource angesehen werden, die unter unseren Füßen reichlich verfügbar wäre. Es gibt, außer der abwegigen Hypothese über Kohlenstoffdioxid als Hauptursache des Klimawandels, keinen vernünftigen Grund, den Einsatz von Erdgas zu rationieren bzw. 40 Prozent unserer Gasimporte in Form von Flüssiggas beim teuersten Anbieter, den USA, einzukaufen.

Doch Mario Draghi zeigt sich als fanatischer Anhänger des Glaubens, dass unser Heil in der „Decarbonisation“ der Energieversorgung liegt. Alle Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen hingegen, dass zwischen der Entwicklung des CO2-Gehalts der Atmosphäre und der Durchschnittstemperatur der Erde kein Zusammenhang besteht. Hier ein Beispiel:

Ein Bild, das Text, Reihe, Diagramm, Screenshot enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Im Gegenteil wird sichtbar, dass wir uns in den letzten 150 Jahren an der Grenze des lebensnotwendigen CO2-Gehalts der Atmosphäre bewegt haben und dass dieser erst in jüngster Zeit auf eine weniger gefährliche Höhe angewachsen ist. In der Politik führt das Beharren auf der „Schuld“ menschengemachter CO2-Emissionen logischerweise zu selbstmörderischen Entscheidungen wie der überhasteten Stilllegung der letzten deutschen Kernkraftwerke oder dem Verbot der Verbrennungsmotoren ab 2035.


Vergemeinschaftung der Staatsschulden für „Net Zero“?
Für Draghi dient das Festhalten an der von der EU-Kommission beschlossenen „Net-Zero-Strategie“ hauptsächlich als Rechtfertigung für die von ihm schon früher geforderte Vergemeinschaftung der Staatsschulden. Ein souveräner EU-Fonds soll nach seinen Vorstellungen jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro für die Finanzierung der „Net-Zero-Strategie“ aufbringen. Diese Anregung machte den Draghi-Report aus verständlichen Gründen für die deutsche politische Klasse zu einem roten Tuch – anders als in Frankreich und Italien, wo das Papier begrüßt und trotz seiner offensichtlichen Realitätsferne ernstgenommen wurde. Ökonomische Grundkenntnisse reichen allerdings aus, um zu begreifen, dass die EU zwischen der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und der weitergehenden Dekarbonisierung wählen muss. Beides zusammen geht nicht, auch nicht mithilfe massiver Subventionen. Denn ohne die Minimisierung der Energiekosten kann die EU-Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig werden.
Deshalb fordert Samuel Furfari in seiner Kritik des Draghi-Reports eine Rückkehr zum Anliegen der Gründerväter der EU, auf pragmatischem Weg für die zuverlässige Bereitstellung preiswerter Energie im Überfluss zu sorgen. Im Draghi-Report sucht man diese Aufforderung vergebens. Daher überrascht es auch nicht, dass Draghi die erfolgreiche unideologische Wachstumspolitik der BRICS-Mitgliedsländer nicht einmal erwähnt. Dabei muss man die zum Teil problematischen, wenn nicht gefährlichen politischen Orientierungen dieser Länder nicht gutheißen. Es ist aber unverantwortlich, in einem strategischen Überblick die Länder auszusparen, die 40 Prozent der Weltreserven von Rohöl, 50 Prozent der Erdgasreserven und 40 Prozent der Kohlevorräte besitzen. Draghi weicht durch seine Unterlassung also der Frage nach möglichen Alternativen zur „grünen“ EU-Politik aus.
Immerhin besteht etwas Hoffnung, dass die neue EU-Kommission manches besser machen könnte als die alte. Der designierte EU-Klima-Kommissar Wopke Hoekstra fordert mit Nachdruck den Ausbau der Kernenergie und empfiehlt, dem Beispiel Finnlands zu folgen. Doch ihm werden zwei neue EU-Kommissare entgegenstehen, die als scharfe Gegner der Kernenergie bekannt sind: Der dänische Sozialist Dan Jǿrgensen, wird in der neuen Kommission für Energie und Wohnbau verantwortlich sein. Die spanische Sozialistin Teresa Ribera soll als Vizepräsidentin der EU-Kommission die Energiewende managen. Die neue/alte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte damit wohl klarstellen, dass der unheimliche „Green Deal“ weitergehen soll.