Trumps „Zeitenwende“, entscheidender Schritt in Richtung Imperium
von Edgar L. Gärtner
Vorbemerkung: Als Christ stehe ich dem Begriff „Zeitenwende“ selbstverständlich vorsichtig gegenüber, denn ich bin überzeugt, dass es in den letzten 5.000 Jahren auf Erden nur eine tiefgreifende Veränderung des Weltenlaufs gegeben hat: die Geburt, die Lehren und der Leidenstod des Nazareners Jesus Christus. Selbst viele Nichtchristen akzeptieren dieses „Event“ als Beginn ihrer Zeitrechnung. (Eine Ausnahme macht da die Märtyrerkirche der Kopten in Ägypten, deren Zeitrechnung mit der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Diokletian beginnt.)
Rückkehr zum gesunden Menschenverstand
Dennoch halte ich Donald Trumps und Elon Musks Ankündigung einer Wende vom moralisierenden Selbsthass des Westens zum gesunden Menschenverstand patriotischer Familienväter und seriöser Kaufleute für ansatzweise glaubwürdig, auch wenn absehbare Widerstände der Profiteure des politischen Stillstands keine lückenlose Umsetzung erwarten lassen. Das gilt wohl vor allem für die Friedensinitiativen Trumps Richtung Russland/Ukraine und Israel/Gaza. Die Verhandlungen zwischen Trump und Putin werden höchstwahrscheinlich viel langwieriger sein, als Trump sich selbst ausgerechnet hat, als er noch vor seinem Amtsantritt verkündigte, den Konflikt zwischen Selenskyj und Putin in einem Tag beilegen zu können.
Einfacher erscheint der von Trump beschlossene Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation WHO und aus dem Pariser Klima-Abkommen von 2015, was er in seiner ersten Amtszeit schon einmal getan hat. Die wirtschaftliche Umsetzung des US-Rückzugs vom Pariser Klima-Abkommen durch den Stopp der Investitionen in so genannte erneuerbare und die breitere Erschließung „fossiler“ Energieträger nach dem Motto „Drill Baby Drill“ braucht aber Zeit und Geld. Wichtig ist dabei, dass in die Energiepolitik wieder die Arithmetik einzieht und Rechnen nicht für moralisch verwerflich gehalten wird. Das wird weit reichende Konsequenzen haben – auch in Europa. Der Hype um eine „Energiewende“ zugunsten angeblich „erneuerbarer“ Energiequellen findet ein jähes Ende.
Die EU braucht eine neue Energiepolitik
Auch die EU wird nicht umhinkönnen, Ihre Energiepolitik völlig neu auszuhandeln und zu formulieren – und könnte gerade aus diesem Grund auseinanderfallen. Nicht nur das Merit-Order-Tarifsystem für Elektrizitätslieferungen, sondern auch das Fracking-Verbot für die Erdgas- und Ölförderung und das Verbot neuer Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2035 stehen zur Disposition. Schon machen sich französische Neogaullisten Hoffnung auf die Führung, indem sie ihren hohen Kernenergie-Anteil an der Elektrizitätsversorgung als Trumpf ausspielen. Die Finanzierung des bereits beschlossenen Neubaus von sechs Kernreaktoren und der Planung weiterer Kernkraftwerke ist allerding, wie man hört, wegen der hohen Schuldenlast des französischen Staates und des Staatskonzerns EDF nach wie vor nicht in trockenen Tüchern.
Big Tech und Künstliche Intelligenz
Eng mit der Energiefrage verbunden ist das Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI). Denn US-Projektionen gehen davon aus, dass der enorme Energiebedarf großer Rechenzentren schon am Ende des Jahrzehnts bis zu knapp 10 Prozent der gesamten Elektrizitätsproduktion verschlingen werden. Ohne die Erschließung preiswerter und verlässlicher Energiequellen ist die breite Anwendung von KI undenkbar. Bei Trumps KI-freundlichem Kurs geht es vordergründig darum, bekannte Big-Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley wie Marc Zuckerberg von Meta, Jeff Bezos von Amazon, Tim Cook von Apple, Sundar Pichai von Google, Reed Hastings von Netflix und Satya Nadella von Microsoft, die ihm früher feindlich gesonnen waren, ins Boot zu holen. Darüber hinaus geht es aber auch um die Erlangung beziehungsweise den Ausbau der US-Führung bei der Entwicklung „Künstlicher Intelligenz“. Dabei denken viele an den Einsatz der KI für die rasche Entwicklung neuer Impfstoffe. Was aus diesen Träumen unter dem impfskeptischen neuen Gesundheitsminister Robert Kennedy jr. werden wird, steht dahin.
Nur einen Tag nach der feierlichen Amtsübernahme Donald Trumps am 20. Januar lancierten die Tech-Unternehmer Sam Altman, der Gründer der Firma OpenAI, die die bekannte Software ChatGPT entwickelt hat und deren Aktien mehrheitlich von Microsoft gehalten werden sowie Massayoshi Son, der Chef der japanischen Softbank, und Larry Ellison, der Chef der Software-Firma Oracle, unter den Augen Trumps gemeinsam die Initiative „Stargate“, zu deren Technologiepartner die Chip-Schmieden Arm und Nvidia gehören. Das Konsortium soll Investitionsmittel in Höhe von nicht weniger als 500 Milliarden US-Dollar auftreiben. Starten soll das Projekt zunächst mit 100 Milliarden. Ob das realistisch ist, steht dahin. Die Finanzierung liegt überwiegend in der Hand der japanischen Softbank. Daneben spielt die Investmentfirma MGX aus den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Rolle.
Auch in Amerika wachsen die Bäume nicht in den Himmel
Doch schon kurz nach der Verkündung der ehrgeizigen KI-Pläne Trumps und seiner Unterstützer sorgte eine Nachricht aus der Volksrepublik China für Ernüchterung an der New Yorker Wall Street und in Washington: Einer chinesischen Startup war es in nur zwei Monaten gelungen, für nur sechs Millionen Dollar das mindestens gleichwertige KI-System Deepseek zu entwickeln, nachdem die Konzeption des Systems ChatGPT in Kalifornien sechs Milliarden Dollar verschlungen hatte. Die chinesische Firma erhebt für die Nutzung ihres „Open Source“-Systems keine Lizenzgebühren. Obendrein bedarf deren Software keiner teuren Spezial-Chips. Kein Wunder, dass der Aktienkurs von Nvidia an einem Tag um 16 Prozent absackte. Denn die teure kalifornische KI-Technologie schien mit einem Schlag überholt. Einige sprachen von einem „Sputnik-Moment“. Das zeigt, dass man auch bei Donald Trump und seinen Freunden nicht jede Ankündigung auf die Goldwaage legen darf. Auch im „goldenen Zeitalter“, das Trump seinen Wählern verheißt, werden die Bäume wohl nicht in den Himmel wachsen. (Trumps Plan der Umwandlung des Gaza-Streifens in eine „Rivièra des Nahen Ostens“ und die damit verbundene großräumige Umsiedlung der Palästinenser erscheint selbst vielen US-Republikanern als „irre“. Aber er entspricht Trumps erfolgreicher Verhandlungstaktik, das Unmögliche zu fordern, um das Mögliche zu erlangen.)
Trumps Erklärung, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt, kostet demgegenüber unmittelbar nichts, muss aber als Kampfansage an die gesamte moralistisch-narzisstisch begründete, aber autoritär auftretende Woke-Ideologie verstanden werden und wird deshalb in Europa heftigen Widerstand woker Minderheiten hervorrufen. Der bekannte schottische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson sieht einen tiefgehenden Stimmungsumschwung („vibe shift)“ im Sinne einer Rückkehr zur Realität. Um international wirksam zu werden, bedarf dieser Umschwung und seine Propagierung durch einen Mächtigen allerdings der Gedanken- und Redefreiheit. Dafür macht sich Trumps Partner Elon Musk durch politische Interventionen mithilfe der von ihm teuer erworbenen Social-Media-Plattform „X“ und durch das geplante globale Upgrade von Smartphones durch permanente Verbindungen mit Musks “Starlink“-Satelliten stark.
Trumps Verbindung mit dem Multimilliardär Elon Musk, dem zentralen Architekten des Bürokratie-Abbaus mithilfe des „Department of Government Efficiency“ (kurz DOGE), dient vordergründig der Absicht, gegen ungerechte und ineffiziente Woke-Quotierungen nach Geschlecht, Hautfarbe, Opfergruppe wieder dem farbenblinden individualistischen Leistungsprinzip zur Geltung zu verhelfen. Aus einem größeren Abstand besehen, erscheinen Donald Trump, Elon Musk und ihre Anhänger aber eher als die unbewussten Vollstrecker eines historischen Prozesses, der sich hinter ihrem Rücken vollzieht. Geht es diesen nicht schlicht darum, dass sie die Woke-Leitkultur ungeeignet für die Begründung ihrer Herrschaft halten? Dabei steht es außer Frage, dass das revolutionäre Vorgehen der beiden zugunsten einer kleinen Elite von Tech-Milliardären durch die Verbilligung der Energie und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zunächst auch positive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen einfacher Menschen hätte und wahrscheinlich die Demokratie fördern würde.
Irenische Formeln
Ich bin seit Jahren davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft in der Regel nicht durch Vernunft, bewusste Liebe oder unbewusste Angst vor Einsamkeit, sondern durch Missverständnisse zusammengehalten wird. Die Frage ist nur, ob es sich dabei um produktive oder destruktive Missverständnisse handelt. In den beiden Auflagen meiner Abhandlung über den „Öko-Nihilismus“ (2007 und 2012) habe ich das Schlagwort „soziale Marktwirtschaft“ als typisches Beispiel für ein produktives Missverständnis angeführt, da diese kaum definierbare „irenische Formel“ zumindest im Nachkriegs-Deutschland über Jahrzehnte den sozialen Frieden fördern konnte. Als Beispiel für das Gegenteil könnte man das zur gleichen Zeit verbreitete Schlagwort „soziale Gerechtigkeit“ nennen, weil es im Grunde den schwer erreichbaren sozialen Frieden als „ungerecht“ ablehnt.
Wer sich heute noch auf die soziale Marktwirtschaft beruft, gilt schon als „rechts“. Das ist ein deutlicher Ausdruck des Vormarsches der Woke-Kultur und des Schrumpfens der bislang Ton angebenden Konsens-Kultur. Damit ist noch nichts über dahinterstehende politökonomische, soziologische und psychologische Verschiebungen gesagt. Da das Schlagwort „soziale Marktwirtschaft“ und die dahinterstehende irenische Idee in Deutschland in der unmittelbaren Nachkriegszeit von gläubigen Christdemokraten in die Welt gesetzt wurde, ist es naheliegend, den seither abgelaufenen Prozess der massiven Entchristlichung Europas als eine der Hauptursachen der woken Polarisierung der Gesellschaft in Betracht zu ziehen.
Damit ist freilich noch nichts über mögliche Ursachen der Entchristlichung gesagt. Als Ursachen für das breite Vordringen der Säkularisierung kommen Faktoren wie der vom „Wirtschaftswunder“ bewirkte hohe Beschäftigungsgrad und private Wohlstand sowie die damit zusammenhängende Schwächung des familiären Zusammenhalts über mehrere Generationen, die damit verbundene Unterbrechung der Tradierung von Glaubenssystemen und Werten, der ebenfalls damit zusammenhängende Rückgang der Geburtenrate, der gleichzeitige Abbau nationaler und konfessioneller Grenzen sowie die Rechtfertigung all dieser Prozesse durch linksliberale Ideologien in Frage.
Kann man die Geschichte der letzten Jahrtausende ohne die Bibel verstehen? Ich glaube nicht. Zumal auch Donald Trump und seine Freunde ihre Politik mit Hinweisen auf die Bibel begründen. Allerdings möchte ich hier niemanden zu meinem Glauben bekehren. Aber auch Ungläubigen kann die aufmerksame Lektüre des Alten und des Neuen Testaments meines Erachtens großen Nutzen bringen. Denn es gibt dort tiefe Einsichten in Menschliches, allzu Menschliches, das heißt in anthropologische Konstanten: Immer wenn es den Menschen zu gut geht, werden sie leichtsinnig und übermütig und begehen sexuelle Ausschweifungen und andere Dummheiten, die sie mehr oder weniger direkt ins Verderben führen.
So wurde die im Alten Testament geschilderte Geschichte des „auserwählten“ jüdischen Volkes zu einer Geschichte der Katastrophen. Nur wenige Propheten konnten sich dem Auf und Ab entziehen. Der durch Christi Menschwerdung möglich gewordene „Neue Bund“ zwischen dem Schöpfer und den Geschaffenen bedeutet auf globaler Ebene keine Abkehr vom zyklischen Wechsel zwischen Aufstieg, Blüte und Niedergang von Kulturen. Denn die Nachfolge des Mittlers Jesus kann nur individuell erfolgen. Darauf weist auch der Althistoriker Markus Spieker in seiner dickleibigen Weltgeschichte des Christentums hin.
Der belgische Althistoriker David Engels bekennt sich zwar ebenfalls zum Christentum, beruft sich aber (gerade deshalb?) in der Forschung auf die „Kulturmorphologie“ des Vitalisten Oswald Spengler, Autor des Bestsellers „Der Untergang des Abendlandes“ (2018). Auf der Basis dieses geistigen Erbes kommt er zum Schluss, dass die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen wenigen Mächtigen den Beginn des abendländischen „Cäsarismus“ ankündigen. (Gleichzeitig bestätigen sie wohl auch die Niederlage des Zionismus.) Ob daraus ein Auftakt zum „Endkampf“ wird, aus dem ein neuer „Augustus“ als Sieger hervorgeht, vermag niemand vorauszusagen. Man kann aber David Engels zustimmen, wenn er erklärt, dass Trumps Devise „America First“ als Synonym für das Streben nach einer neuen imperialen Großraumordnung verstanden werden muss. Ein Imperium folgt immer dem Niedergang der Republik. Der französische Historiker Emmanuel Todd vermutet gar, die eigentliche Aufgabe Donald Trumps sei die Verwaltung der US-Niederlage im Kampf um eine neue Weltordnung. Das entstehende Imperium würde (wie das Römerreich unter Kaiser Augustus) zunächst als relativ stabil erscheinen, aber dennoch zunächst langsam und später immer schneller seinem Untergang entgegengehen. Aber solange es mit dem Imperium noch aufwärts oder nur langsam abwärts geht, sollten wir es uns nicht zum Feind machen. Es ist allerdings heute kaum noch vorstellbar, dass ein Imperium wie das des Augustus Jahrhunderte überlebt.
(Zuerst veröffentlicht am 10. Februar 2025 bei EIKE)