Alles, was funktioniert, ist bei uns verdächtig

Ist Dionysos der Gott der Deutschen?

von Edgar L. Gärtner

Artikelbild

(Bildquelle: mountainpix / Shutterstock.com
Die Deutschen stehen wohl zu Unrecht im Ruf, Angsthasen zu sein. Denn sie sind im Schnitt sicher nicht ängstlicher als ihre europäischen Nachbarn. Ihr Angst-Haushalt ist lediglich etwas anders aufgebaut, das heißt sie pflegen zum Teil andere Lieblingsängste als ihre europäischen Nachbarn. Genau besehen, könnte man einen Großteil unserer Landsleute sogar als ausgesprochen waghalsig bezeichnen. Denn sie haben im Grunde kaum etwas gegen neue Techniken und gesellschaftliche Experimente. Vielmehr geraten bei ihnen vornehmlich seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten bis Jahrtausenden bewährte Techniken und Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens unter Verdacht und dienen als Aufhänger für Medien-Kampagnen, die an Gehirnwäsche grenzen.
Eines der jüngeren Beispiele dafür ist die breite Kampagne grüner Verbände, rot-grüner Parteien und staatsabhängiger beziehungsweise staatsnaher Massenmedien gegen den Pflanzenschutz-Wirkstoff Glyphosat, der schon seit vier Jahrzehnten von Landwirten und Gärtnern weltweit erfolgreich als Breitband-Unkrautvernichter (Herbizid) eingesetzt wird. Selbstverständlich kann man über Glyphosat verschiedener Meinung sein. Verdächtig ist jedoch die Tatsache, dass die grüne Bewegung ausgerechnet das bislang tauglichste und daher bei den Anwendern beliebteste Mittel aufs Korn genommen hat.
Auch der Kampf des gutmenschlichen Mainstreams gegen die grüne Gentechnik richtet sich nicht vornehmlich gegen eine Angst erzeugende revolutionäre Neuerung, sondern in erster Linie gegen etwas durchaus Bewährtes. Schließlich datieren die entscheidenden Durchbrüche in der genetischen und gentechnischen Forschung aus den 1970er Jahren. Längst werden gentechnisch veränderte Kulturpflanzen mit großem Erfolg und äußerst geringen Nebenwirkungen auf über zehn Prozent der Weltagrarfläche angebaut. Grundlage der gutmenschlichen Bewegung ist also nicht die Angst vor dem Neuen, sondern der Generalverdacht gegen alles Bewährte.
Das bestätigt nicht zuletzt die Kampagne der gleichen Akteure gegen den Betrieb und den Neubau von Kernkraft- und Kohlekraftwerke oder die Förderung von Erdgas und Erdöl mithilfe des so genannten Fracking – alles im Namen einer atemberaubend abenteuerlichen „Energiewende“. Zwar waren unsere Kohlekraftwerke bis in die 1980er Jahre tatsächlich „Dreckschleudern“. Doch infolge einer breiten Kampagne gegen das (vermeintliche) „Waldsterben“ wurden ihre Rauchgase noch im gleichen Jahrzehnt mithilfe aufwändiger Filter entstaubt und entschwefelt und später auch von giftigen Stickoxiden befreit. Die abgasfreien deutschen Kernkraftwerke liefen ohnehin beispielhaft sicher. Doch die Havarie eines anders gebauten militärisch genutzten Kernreaktors im ukrainischen Tschernobyl rief in Deutschland die Gegner dieser zwar nicht idealen, aber durchaus zuverlässigen Technik auf den Plan. Da sicherheitstechnisch begründete Einwände gegen die Kerntechnik bei uns unglaubwürdig gewesen wären, schoben deren Gegner stattdessen das Argument fehlender Entsorgungsmöglichkeiten für die radioaktiven Abfälle aus Kernreaktoren in den Vordergrund.
Dabei gab es an den inzwischen umgetauften und umorganisierten Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich vielversprechende Forschungen über das Recycling beziehungsweise die Transmutation und die energetische Nutzung dieser Rückstände in so genannten Brütern und ähnlichen Reaktoren. Doch der „Schnelle Brüter“ von Kalkar am Niederrhein wurde eingemottet und in eine Freizeit-Attraktion verwandelt, bevor er überhaupt Strom liefern konnte. Die damit befassten Forschungseinrichtungen wurden aufgelöst. Heute nutzen die Russen mit Erfolg die Brüter-Technik im BN-800 mit einer elektrischen Leistung von 880 Megawatt in Zaerchny bei Sverdlowsk. In Zukunft wird es vielleicht möglich sein, mithilfe von Transmutationen den Traum von der „Kalten Fusion“ zu verwirklichen.
Aber die Zukunft ist hier nicht das Thema. Es geht um die mehr oder weniger bewusste Abwertung und Diffamierung alles Bewährten in der Gegenwart. Und da zeigt sich diese Tendenz beileibe nicht nur bei technischen Problemen. Viel bedenklicher ist, was wir im gesellschaftlichen Leben beobachten. Das beginnt mit der Abwertung der klassischen Familie aus Vater, Mutter und Kindern (und Großeltern), die sich mit dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht als Form des sesshaften Zusammenlebens durchgesetzt hat und in christlicher Zeit nicht nur durch ökonomische Not, sondern auch durch das unauflösliche Eheversprechen vor Gott zusammengehalten wurde. Ich glaube nicht, dass dieses Verhältnis in den meisten Fällen eine ungetrübte Idylle darstellte. Doch hat es sich seit etwa 10.000 Jahren unterm Strich bewährt. Das kann man von den neuen, als „bunt“ und „fortschrittlich“ gepriesenen Formen des Zusammenlebens in Wohngemeinschaften, Patchwork-Familien und Homo-Ehen sicher nicht sagen.
Doch die postmoderne Neuerungssucht geht noch wesentlich weiter: Glaubt man Angela Merkel und ihren Getreuen, so sollen wir schon in naher Zukunft auf die Sicherheit eines Rechtsstaates verzichten und die Formen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens jeden Tag neu aushandeln müssen. Statt verlässlicher gesetzlicher Bestimmungen wird dann wohl das archaische Faustrecht gelten, zumal die von Angela Merkel mit einem Akt der Selbstermächtigung ins Land geholten arabischen Invasoren zumeist nur die Logik des Tribalismus kennen, wonach alles außerhalb ihrer Stammesgemeinschaft als Feindesland und potenzielle Beute gilt. Schon jetzt kann sich die „Integrationsbeauftragte“ der deutschen Bundesregierung Aydan Özuğuz (SPD) ungestraft für eine Legalisierung der sexuellen Versklavung junger Mädchen in Form der „Kinderehe“ und eine Auflösung der deutschen Nation in einer multikulturellen Gesellschaft der „gleichberechtigten Teilhabe“ aussprechen. Demnächst wird man sich bei uns, im Namen der „Gleichheit aller Weltkulturen“, wohl auch an das Wiederaufkommen verschiedener Formen von Menschenopfer und Kannibalismus gewöhnen müssen. Mir fällt da ein, was Thomas Mann 1918 in seinen später größtenteils widerrufenen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ bemerkte: Deutschland werde im Unterschied zum apollinisch-sokratischen Westen stärker von dionysischen Elementarkräften bestimmt.
Um diese Bemerkung zu verstehen, müsste man aber wissen, was unter „Westen“ zu verstehen ist. Thomas Mann meinte damit seinerzeit höchstwahrscheinlich nicht das laizistische Frankreich, wo Dionysische Blutorgien in Form der Rezeption literarischer Erzeugnisse des Marquis de Sade und seiner Nachfolger gefeiert wurden, sondern eher eine Art Neuauflage oder Neugeburt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Dionysische Züge hatte in seinen Augen dagegen die in den deutschen Landen stets wirksame Versuchung der Loslösung von Rom, die in Luthers Reformation und im Dreißigjährigen Krieg zum Durchbruch kam. Wir können erst heute richtig verstehen, warum der Apostel Paulus und nach ihm die wichtigsten Kirchenväter so großen Wert darauflegten, die katholische Kirche zu einer römischen Veranstaltung zu machen. Denn Rom beziehungsweise das römische Recht steht für die Überwindung des Tribalismus.
Aber erst in Verbindung mit dem Glauben an den stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi am Kreuz und die Wiederauferstehung bietet das römische Recht die Grundlage für die Überwindung religiöser Formen von Kannibalismus, wozu nicht zuletzt auch die Sklaverei gehört. Tatsächlich gab es die außerkirchliche Bewegung der Aufklärung nur in dem vom christlichen Menschenbild geprägten lateinischen Teil Europas. Durch die Aufklärung fand die Jahrhunderte lang machtpolitisch korrumpierte katholische Kirche nach dem ökumenischen Reform-Konzil von Trient (Tridentinum), das zwischen 1545 und 1563 tagte, wieder zurück zur Friedensbotschaft der Bibel. Doch die europäische „Elite“ leugnet heute die christlichen Wurzeln der Aufklärung. So vermag auch ihr Fußvolk die Verteidigung der Menschenwürde gegenüber politischer Willkür nicht mehr vernünftig zu begründen und steht dem muslimischen Gewaltpotenzial zusehends hilflos gegenüber. Werden die Europäer wieder lernen, sich am Bewährten zu orientieren, statt waghalsigen Multikulti-Utopien auf den Leim zu gehen?

(zuerst veröffentlicht am 13. November 2016 in: ef-magazin.de)