Edgar L. Gärtner
In meiner Besprechung des neuen Buches von Susanne Schröter habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die dort vorgelegte Analyse des aktuellen Kulturkampfs zwischen der an den Universitäten dominierenden Woke-Ideologie und dem gesunden Menschenverstand der Bürger Ergänzungen bedarf. Ich dachte dabei eher an den Einfluss des seit 1968 verbreiteten Narzissmus. Eine andere Herangehensweise wählte der in der DDR geborene Journalist Alexander Wendt, der sich offenbar besser in der Geschichte der westlichen Zivilisation auskennt als so mancher Professor, in seinem Buch „Verachtung nach unten“. Selbstverständlich gibt es in seiner Diagnose des Zeitgeistes etliche Parallelen zum Buch Susanne Schröters, die ich hier nicht wiederholen will. Während sich Frau Schröter aber auf das akademische Leben in Deutschland konzentriert, ist die Analyse Alexander Wendts sowohl geografisch breiter als auch historisch tiefer angelegt. Man erfährt hier sehr viel mehr über die Ursprünge der Woke-Bewegung in Nordamerika als auch über die Geschichte der Überwindung der fortschrittsfeindlichen archaischen Stammesgesellschaften durch die griechische, jüdische und römische Rechtsphilosophie. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Glaube und Wissen
Umkehr ist möglich
Edgar L. Gärtner
Sind die Anhänger des gesunden Menschenverstandes („Klimaskeptiker“) dazu verurteilt, in der Wüste zu predigen? Diese fatalistische Haltung klingt meines Erachtens an im zweiten Teil der Abhandlung meiner Freunde Raimund Leistenschneider und Werner Eisenkopf. (Mit Werner Eisenkopf bin ich im Jahre 2007 in dessen SUV nach Hannover zur Gründung von EIKE gefahren.) Dabei ziehe ich deren Einschätzung Sarah Wagenknechts und der Partei BSW nicht in Frage. Ich finde aber den verallgemeinernden Ton bedenklich, in dem sie ihre Skepsis formulieren: „Soll eine Zelle/Zellverbund z.B. eine Neigungshaltung ausführen, so müssen die Zellen dazu veranlasst werden, ihren Zustand zu ändern. Dies machen die Zellen nur dann, wenn sich ihre interne „Mixtur“ (Zellproteine) verändert oder sie Signale von außen erhalten, die aber auch (in anderen Zellen) letztendlich über Genomabschriften entstehen. Zellproteine werden durch Abschriften eines bestimmten Abschnittes im Genom (Gen genannt) erzeugt. Dabei bestimmen Steuerungssequenzen und Botenstoffe die Abschrift. Haben sich die (plastischen) Steuerungssequenzen für die Gene (ein Gen selbst ändert sich frühestens in einem Zeitraum von etwa 10.000 Jahren), die Steuerungssequenzen also, die darüber entscheiden, welche Gene für Zellproteine und in welcher Häufigkeit generiert werden und damit das Verhalten der Zellen/Neuronen bestimmen, nicht verändert, dann hat sich die Person (Alterungsprozesse nicht berücksichtigt), in ihrem Verhalten, Denken, Weltanschauung,… nicht verändert und ist immer noch ein und dieselbe Person wie z.B. vor 30- oder 40 Jahren…“
Hier wird das „Ich“ politischer Führungspersönlichkeiten ausschließlich molekularbiologisch erfasst. Die „Selbsttranszendenz“ im Sinne des späten Freud-Schülers Viktor Frankl, der es geschafft hat, als Jude Hitlers KZs geistig gesund zu überstehen, wird ausgeblendet. Weiterlesen
Moralischer Narzissmus, Selbstüberschätzung und Selbsthass liegen nicht weit auseinander
Zum Krankheitsbild unserer Epoche
Edgar L. Gärtner
Das Jahr 1968 markiert insofern den Beginn einer neuen Epoche, als die Politik seither von selbstverliebten, aber innerlich leeren und von verborgenen Ängsten getriebenen Typen dominiert wird. Zweifelsohne gab es Menschen mit solchen Charaktereigenschaften auch schon früher. Sonst hätte die Legende vom schönen Narziss und dessen schmählichem Ende im antiken Griechenland gar nicht aufkommen können. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die narzisstische Persönlichkeitsstörung im Westen zu einer Massenerscheinung. Der „Spiegel“, damals noch ein lesenswertes Nachrichten-Magazin, warnte in seiner Ausgabe vom 5. August 1979 unter dem Titel „Narzissmus: Das Antlitz der Epoche“ vor der Ausbreitung eines dekadenten Ich-Kults, der zur Gefahr für den Industrie-Standort werden könne. Er verwies dabei auf einen Bestseller des linken amerikanische Historikers Christopher Lasch, der im gleichen Jahr unter dem Titel „The Culture of Narcissism. American Life in an Age of Diminishing Expectations“ bei Norton erschienen war. Hier eine Gratis-Übersetzung im pdf-Format. Als Buch ist die deutsche Übersetzung auch noch verfügbar, aber relativ teuer. In unserem Nachbarland Frankreich gibt es hingegen seit Jahren eine preiswerte Taschenbuchausgabe, die ständig nachgedruckt wird. Diese ist dort zur Bibel der leider an Einfluss verlierenden „orwellschen Linken“ geworden, die sich neben George Orwell auch an Albert Camus orientiert.
Der Narzissmus, eine durch elterliche Erziehungsfehler (zu viel Lob) verursachte Reifestörung, hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Wichtigster Indikator dafür sind ausgefallene Vornamen, die Eltern ihren Kindern geben. Auffällige Neurosen werden hingegen, wie mir ein befreundeter Psychoanalytiker bestätigt, immer seltener. Doch im Unterschied zu Neurosen ist der Narzissmus nur äußerst schwer heilbar, weil Narzissten in der Regel abstreiten, überhaupt einer Therapie zu bedürfen. Die Hauptursache der modernen Geisteskrankheit sah Christopher Lasch in der Ablösung des patriarchalischen durch den matriarchalischen Führungsstil in Politik und Wirtschaft sowie in der damit verbundenen Infantilisierung der Menschen durch eine ausufernde Sozialbürokratie. Narzissten glauben im Grunde an nichts richtig. Sie richten ihre durch enttäuschte Selbstliebe entstandene Aggressivität in Form der obsessiven Beschäftigung mit Krankheit und Tod gegen sich selbst. Sie konzentrieren sich darauf, ihre innere Leere und vagabundierenden Ängste durch moralische Überheblichkeit gegenüber den „Normalos“, durch scheinbar gute Taten oder auch durch hedonistische Genuss- und Ruhmsucht, durch die Kultivierung von Schuldkomplexen und deren Nutzung für die eigene Imagepflege zu überspielen. Weiterlesen
Abschied von der Aufklärung
Standbild des Marquis de Lafayette (Autor der Allgemeinen Menschenrechtserklärung) im zentralfranzösischen Le-Puy-en-Velay
Wissensanmaßung oder Gnostizismus in den Prognosemodellen
Edgar L. Gärtner
Wie sinnvoll ist es, die Verrücktheiten der Grünen aller Parteien mit dem Hinweis auf die europäische Aufklärung zurückzuweisen? Können sich die Grünen doch, wie es scheint, ebenso auf die Tradition der Aufklärung berufen wie ihre Kritiker. Besonders klar bekennen sich die Grünen zur Aufklärung, wenn sie sich als Musterschüler der US-Neocons gerieren. Deren Anliegen ist global governance, die Beherrschung der Welt durch die analytische Ausschaltung des gesunden Menschenverstandes.
Warum war im Paradies das Naschen vom Baum der Erkenntnis (von Gut und Böse) verboten? Die Mehrzahl derer, die sich heute auf die Aufklärung berufen, stellen sich diese Frage wohl gar nicht. Es geht hier selbstredend nicht darum, dem menschlichen Erkenntnisdrang grundsätzliche Grenzen zu setzen, sondern die Menschen davor zu warnen, selbst Gott zu spielen. Es geht gleichzeitig darum, die Menschen vor dem „Verlust der Mitte“ und dem Ende der Kontemplation durch die Anhäufung zusammenhangslosen Wissens zu bewahren. Nach Auffassung der historischen und aktuellen Aufklärer kann und sollte es prinzipielle Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit gar nicht geben. Die Begründung dafür lieferte das streng deterministische Weltbild des mechanischen Materialismus, das sich auf die Gravitationstheorie des englischen Mathematikers und Münzmeisters Sir Isaac Newton (1643 – 1727) stützte. Newton fand für die vom deutschen Astronomen Johannes Kepler (1571 – 1630) entdeckten elliptischen Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne die heute noch gültige mathematische und physikalische Erklärung. Was Gravitation ist und wie sie zustande kommt, wissen wir bis heute nicht. Es gibt darüber nur mehr oder weniger gewagte Vermutungen.
Die viel zitierte newtonsche Formel für die exakte Berechnung der Gravitationskraft gilt allerdings nur für die Anziehung zwischen zwei Himmelskörpern. Schon die Wechselwirkung zwischen drei Körpern ist mit dem newtonschen Instrumentarium der Differential- und Integralrechnung, wie es sich später zeigte, nicht mehr analysierbar. Newtons Formel galt und gilt noch heute nur für ein stark vereinfachtes Modell mit nur zwei Himmelskörpern, nicht jedoch für die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Sonne, Planeten und Trabanten im realen Sonnensystem. Weiterlesen
Was ist Wahrheit?
Von Edgar L. Gärtner
Bekanntlich bin ich beileibe nicht der erste, der diese Frage stellt. Der ebenso feige wie pragmatische Bürokrat Pontius Pilatus, von 26 bis 36 nach Christi Geburt Präfekt des römischen Kaisers Tiberius in Judäa, das damals noch zur Provinz Syria gehörte, stellte die Frage “Quid est veritas?“ mit einem abwertenden Unterton, während er beteuerte, an Jesus keine Schuld gefunden zu haben, ihn aber schließlich doch zum schmählichen Tod am Kreuz verurteilte, um den aufgebrachten jüdischen Honoratioren nachzugeben (Joh.18.38). Im Matthäus-Evangelium (Mt. 27.19) wird erwähnt, dass die Frau des Präfekten versucht hatte, ihren Mann von Jesu Unschuld zu überzeugen, indem sie auf einen schrecklichen Traum hinwies, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Claudia Procula, deren Namen Matthäus verschweigt, wird in den Ostkirchen noch heute als Heilige verehrt. In einem Bibelkurs lernte ich, dass Pilatus nicht lange danach strafversetzt und seines Lebens nicht mehr froh wurde.
Von heute aus gesehen, erscheint die Geschichte von Pontius Pilatus eher untypisch, da klar überschaubar. Denn die Wahrheit war ihm, wie er selbst bekannte, durchaus bekannt. Er handelte wider besseres Wissen, als er Jesus zum Tode verurteilte. Pilatus vertrat im Grunde die Position des modernen Nihilismus oder Postmodernismus, für den es Wahrheit entweder gar nicht oder nur im Plural gibt. Heute haben wir es öfter mit dem umgekehrten Problem zu tun: Die Wahrheit ist nicht bekannt, aber mächtige Gruppierungen behaupten, sie zu kennen und alleine zu besitzen. Weiterlesen
Ist die Menschwerdung reversibel?
Edgar L. Gärtner
Marc Chagall: „La création de l’homme“ (Musée Marc Chagall, Nizza)
Die Entstehung des Menschen bleibt ein Wunder, von dem bislang nur wenige Einzelschritte wissenschaftlich erklärbar sind. Wunder sind unvorhersehbar. Deshalb sind sie jenen, die um ihre Herrschaft fürchten, nicht unbedingt willkommen. Sie tun deshalb im Rahmen des World Economic Forum von Davos alles Mögliche, um das Wunder der Menschwerdung unter der Flagge des „Transhumanismus“ durch die Schaffung programmierbarer Zombies zu ersetzen. Auch ich glaube, dass Evolution bzw. „Fortschritt“ nicht automatisch zum Besseren führt, sondern eher zu wachsender Entropie, und setze deshalb lieber auf einen Katechon (2 Tess 2,4), der diese aufzuhalten versucht, um die Natur des Menschen und seine Ökologie zu bewahren.
„Was ist der Mensch?“ beziehungsweise „Was ist ein Mensch (im Unterschied zu nichtmenschlichen Kreaturen)?“ Mit diesen Fragen haben sich seit der griechischen Antike unzählige Philosophen, Theologen, Biologen und Anthropologen beschäftigt. Die allermeisten antworten: Der Mensch ist nicht, er wird. Dabei denkt man heute spontan an die Lehre Charles Darwins von der Entstehung neuer Organismenarten durch natürliche Zuchtwahl. Danach sollen die Menschen sich allmählich aus affenähnlichen Vorfahren (Primaten) entwickelt haben. Wie der Prozess der Entstehung von Homo sapiens sapiens im Einzelnen abgelaufen sein könnte, wissen wir nicht. Verschiedene Knochenfunde in Afrika oder Asien, die uns in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen als „missing link“ präsentiert werden, beweisen für sich genommen gar nichts. Immerhin liefern sie Anhaltspunkte für die Vermutung, dass der Prozess nicht durchwegs allmählich und ziellos, sondern mitunter auch sprunghaft und zielstrebig verlief. „Lebende Organismen reagieren auf schwere und anhaltende Belastungen, denen sie durch ihre Umwelt ausgesetzt werden, mit einem kreativen Prozess der Selbstmodifikation ihres Genoms“, erklärt der Freiburger Neurogenetiker Joachim Bauer in seinem Buch „Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus“.
In der biotischen Evolution gab es, wie wir heute aus der Genforschung wissen, entgegen Darwins Annahme eines strengen Gradualismus, durchaus große Sprünge, und zwar aufgrund der Verdoppelung und/oder Umgruppierung sogenannter Transpositionselemente im Genom. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die hirnspezifische Gen-Familie NOTCH2NL, die sich nur bei Menschen findet. Diese Gene bremsen die Ausdifferenzierung kortikaler Stammzellen zu Neuronen und bewirken so indirekt eine Vervielfältigung der Neuronen. Der Bio-Informatiker David Haussler von der University of California in Santa Cruz konnte zusammen mit Frank Jacobs von der Universität Amsterdam und Sofie Salama von der University of California in Santa Cruz im Mai 2018 zeigen, dass die bei Menschenaffen vorhandenen inaktiven und daher der Selektion entzogenen Vorstufen der NOTCH2NL-Gene durch eine mehrfache partielle Verdoppelung des für die Hirnentwicklung zuständigen Gens NOTCH2 aktiv werden. Das geschieht nur bei menschlichen Embryonen. Fossilienfunde weisen darauf hin, dass dieser Sprung vor drei bis vier Millionen Jahren stattfand.
Allmähliche Veränderungen infolge zufälliger genetischer Mutationen und der natürlichen Selektion spielten, soweit wir heute wissen, nur in den relativ ruhigen Phasen zwischen den Sprüngen die Hauptrolle. Die allermeisten zufälligen Mutationen führen zu Krankheiten, wenn nicht zum vorzeitigen Ableben der betroffenen Organismen. Nur wenige Veränderungen erweisen sich als vorteilhaft im „Kampf ums Dasein“. (Ein Ausdruck, der nicht auf Charles Darwin, sondern auf den liberalen Sozialphilosophen Herbert Spencer zurückgeht.) Deshalb dient diese Form der Selektion (Mikroevolution) ausschließlich der Arterhaltung. Sie ist nicht in der Lage, neue Arten mit einem eigenen Bauplan und einer artspezifischen Betriebs-Software hervorzubringen.
Aber wann und wodurch wurden Primaten zu Wesen, denen die Qualität des Menschseins eigen ist? Anhand von Knochenfunden und Genanalysen kann diese Frage nicht beantwortet werden. Weiterlesen
Fact Checking: Es gibt keine theoriefreien Fakten
Edgar L. Gärtner
Das in den letzten Jahren in Mode gekommene Fact Checking hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Denn spätestens seit Immanuel Kant (1724-1804) sollten wir wissen, dass isolierte Beobachtungsdaten nichts besagen. Aussagekraft bekommen sie erst als Bestandteil eines nachvollziehbaren Erklärungsversuchs. Durch Real- und Gedankenexperimente testen und vergleichen können wir nur unterschiedliche Hypothesen bzw. Modelle über reale Zusammenhänge. Wir haben, außer in der begnadeten Mystik, keinen direkten Zugang zum „Ding an sich“.
In der nüchternen wissenschaftlichen Forschung arbeiten wir stattdessen mit mehr oder weniger übersichtlichen Modellen. Das können schlichte Gedanken-Konstrukte, aber auch mathematische Formeln, Versuchstiere oder Computersimulation sein, die mithilfe von Gedanken- und/oder physischen Experimenten überprüft werden können. Dabei geht es nicht primär um die naive Gegenüberstellung von Modell und Beobachtungsdaten, sondern um den Vergleich verschiedener Erklärungsversuche. Weiterlesen
Dummheit ist unverzeihlich
Edgar L. Gärtner
Die Mehrheit meiner Zeitgenossen scheint Dummheit für ein fundamentales Menschenrecht zu halten. Ich selbst halte Dummheit (wie Neid) für eine schwere Sünde – in der Tendenz sogar für eine Sünde wider den Heiligen Geist. Bekanntlich gibt es für solche Sünden nach der Bibel keine Vergebung. Bei Matthäus 12,31 heißt es: „Sogar, wer den Menschensohn beschimpft, kann Vergebung finden. Wer aber den Heiligen Geist beleidigt, wird niemals Vergebung finden, weder in dieser Welt noch in der kommenden.“ Es fällt überdies auf, das Jesus, der unverschuldet in Not geratenen Menschen jede nur erdenkliche Hilfe zukommen ließ und sogar am Sabbat Kranke heilte, im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Matthäus 24,25) kein Wort des Bedauerns oder Mitleids gegenüber den leer ausgegangenen findet. Weiterlesen
Ist die Klimapolitik mit sozialer Marktwirtschaft vereinbar?
Edgar L. Gärtner
Wie die gefährlichen Verkehrsblockaden durch Aktivisten der „Letzten Generation“ und deren moralische wie finanzielle Unterstützung durch das Habeck-Ministerium der von den Grünen dominierte Berliner Ampel-Regierung, die christlichen Kirchen und politisierte Großkonzerne demonstrieren, ist die politische Auseinandersetzung um die finanzielle Förderung von Wind- und Solarstrom und die Verlängerung der Laufzeit der letzten in Deutschland noch betriebenen Kernkraftwerke längst zu einem Glaubenskampf geworden, in dem Sach-Argumente kaum mehr zählen. Es geht in der Auseinandersetzung mit den „grünen Khmer“ um Leben oder Tod. Wie könnte man da eine dauerhafte und letztlich zerstörerische Spaltung der Gesellschaft noch verhindern?
Nils Goldschmidt und Arnd Küppers sehen hier in einem kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen hinter einer Bezahl-Schranke veröffentlichten Aufsatz Parallelen zu den Konflikten, die die Weimarer Republik zerrissen und Hitler an die Macht gebracht haben. Diese Konflikte wurden im Westen erst nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands zeitweilig überwunden – und zwar durch die Idee der „Sozialen Marktwirtschaft“, die der protestantische Ökonom Alfred Müller-Armack erstmals in seinem 1947 erschienenen Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ entwickelte. Müller-Armack war einer der engsten Berater Ludwig Erhards, der 1948 im Zuge der Währungsreform mit seinem mutigen Schritt der Abschaffung von Preiskontrollen und Rationierung den Weg zum westdeutschen „Wirtschaftswunder“ freimachte.
Ökonomie der Versöhnung
Müller-Armack schrieb sein wegweisendes Buch im katholischen Kloster Vreden in der Nähe der niederländischen Grenze. Dorthin war seine Forschungsstelle an der Universität Münster während des Krieges ausgelagert worden. Wie dem ebenfalls protestantischen Ludwig Erhard ging es Müller-Armack nicht vordergründig um eine ökonomische Wachstumsstrategie, sondern um ein gesellschaftliches Reformprojekt, das Aufbrechen der Kartellierung bzw. „Vermachtung“ der Wirtschaft durch die Stärkung des Wettbewerbs auf dem freien Markt. Das „Wirtschaftswunder“ war nicht primäres Ziel, sondern willkommene Nebenwirkung der von ihm angeregten ethischen Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Durch das Anfügen des Attributs „Sozial“ zur Marktwirtschaft, so Goldschmidt und Küppers, wollte Müller-Armack signalisieren, dass er die Renaissance der Marktwirtschaft als „Ökonomie der Versöhnung“ verstand, das die Grabenkämpfe, die zur Zerstörung der Weimarer Republik geführt hatten, überwinden sollte. Er bezeichnete das Schlagwort „Soziale Marktwirtschaft“ selbst als „irenische Formel“, als Friedensformel zur Überwindung des Ressentiments zwischen „arm“ und „reich“. Ludwig Erhard hingegen wies wiederholt darauf hin, dass die Marktwirtschaft gar nicht des Attributs „sozial“ bedurfte, da sie an und für sich sozial sei. „Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt“, betonte er im Jahre 1950 im deutschen Bundestag. Weiterlesen
Das Ende einer moralischen Wunschwelt
von Edgar L. Gärtner
Ich weiß nicht, ob Wladimir Putin ein Werkzeug der Vorsehung ist oder sich als solches empfindet. Jedenfalls hat er mit seinem nicht völlig überraschenden Angriff gegen das ehemalige russische Bruderland Ukraine gewisse in Wunschträumen gefangene Angehörige des westlichen polit-medialen Komplexes mit einem Schlag zurück in die harte Realität geschleudert. Im Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, ist es völlig offen, wem die vom Westen unter Führung der US-Regierung unter Joe Biden als Antwort gegen die Invasion der Ukraine verhängten wirtschaftlichen Sanktionen am meisten schaden werden. Klar ist hingegen, dass die auf Illusionen beruhende westliche Kultur des Hedonismus bald ein jähes Ende finden wird. Schon ist vom Anbruch eines neuen Zeitalters die Rede. Doch dahinter verbergen sich gleich neue Illusionen. Wie ist es überhaupt zum Realitätsverlust westlicher Eliten gekommen? Sicher gibt es dafür nicht die eine, sondern verschiedene Ursachen. Eine davon – und sicher nicht die unwichtigste – ist die Verdrängung der vorbehaltslosen Wahrheitssuche durch den subjektivistischen Konstruktivismus.
Man muss nicht Immanuel Kant oder Karl R. Popper gelesen haben, um verstehen zu können, dass Konstruktivismus in jedem menschlichen Erkenntnisprozess eine Rolle spielt. Wir sehen die Natur nicht einfach wie sie ist. Vielmehr arbeiten Auge und Hirn beim Sehvorgang eng zusammen. Wer nicht weiß, was er sehen will, dem fällt zunächst wenig bis gar nichts auf. Man findet nur, was man sucht (was Zufallsfunde nicht ausschließt). Unsere Beobachtung ist von Emotionen und Theorien geleitet. Die Konstruktion der Bilder, an denen wir uns orientieren, sind Ergebnis von Denkprozessen, die genaugenommen sogar außerhalb des Körpers stattfinden. Weiterlesen