„Wir glauben, dass unsere Zivilisation kurz vor dem Zusammenbruch steht.“ Mit diesem Bekenntnis eröffnen zehn wissenschaftlich und wirtschaftlich erfolgreiche christliche Professoren ihr gerade erschienenes Kollektiv-Werk „Höllensturz und Hoffnung.“ Es handelt sich dabei durchaus nicht um ein weiteres Stück jener auf Computer-Hochrechnungen beruhenden Warnungen vor dem angeblich nahenden Weltuntergang, derer wir langsam, aber sicher überdrüssig werden, sondern um eine durchaus umsichtige und seriöse Krisendiagnose durch Mediziner, Wirtschaftswissenschaftler, Physiker, Informatiker, Juristen und Theologen. Die Professoren wollen nicht einfach die Unmäßigkeit der modernen Menschen anprangern, sondern die inneren Zusammenhänge aufdecken, die dazu führen, dass es den Westen schon bald nicht mehr geben wird, während das Leben auf dem Planeten weiter geht. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Glaube und Wissen
Albert Camus und die Liebe zur Wahrheit
Am 7. November 2013 wäre der Literatur-Nobelpreisträger 100 Jahre alt geworden
Ich hätte nie gedacht, es könne atheistische Heilige geben. Doch heute ist mir klar: Albert Camus, der sich zum Atheismus bekannte, ist einer. Wobei ich meine Zweifel habe, ob Camus wirklich ein guter Atheist war. In seinem autobiografischen Torso „Le premier homme“ (Der erste Mensch) berichtet Camus, die Rumpf-Familie, in der er in Belcourt, einem Armenviertel von Algier, aufwuchs, sei so bitterarm und ungebildet gewesen, dass die ums nackte Überleben kämpfenden Angehörigen einfach nicht den Kopf frei hatten für Religiöses. Bücher und elektrisches Licht gab es nicht im Haus und das Kulturleben der Familie beschränkte sich auf gelegentliche Kinobesuche. Der Sohn eines im Oktober 1914 in der Marne-Schlacht in Nordfrankreich gefallenen armen Algerienfranzosen und einer Analphabetin spanischer Herkunft wurde immerhin ordnungsgemäß katholisch getauft, paukte später mechanisch den Katechismus und empfing die heilige Erstkommunion aufgrund einer Sondergenehmigung sogar früher als damals üblich. Als Katholik gehe ich jedenfalls davon aus, dass auch nicht ganz freiwillig empfangene Sakramente in einer Persönlichkeit Spuren hinterlassen. Weiterlesen
Warum verschwindet der Flynn-Effekt?
Heutige Menschen reagieren langsamer als ihre Vorfahren
In den USA ist infolge des massiven Zustroms illegaler Einwanderer aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern die Debatte über mögliche Zusammenhänge zwischen Rasse und Intelligenz wieder neu aufgeflammt. Auslöser der Debatte ist eine von der konservativen Heritage Foundation veröffentlichte Studie von Jason Richwine und Robert Rector über die sozialpolitischen Kosten der massiven Einwanderung von Hispanics mit einem niedrigeren durchschnittlichen IQ als die alteingesessenen Englischsprachigen Weißen und die Zuwanderer aus Asien. Die im Schnitt niedrigere Intelligenz hindere Hispanics, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und mache sie abhängig von verschiedenen teuren staatlichen Sozialleistungen. Weiterlesen
Was ist (Selbst-)Bewusstsein?
Zum Verhältnis von Geist und Materie
von Edgar L. Gärtner
An der Frage nach der Natur des menschlichen Selbstbewusstseins und des freien Willens scheiden sich noch immer im wahrsten Sinne des Wortes die Geister. Schon seit Sigmund Freuds „Wiederentdeckung“ des Unbewussten, spätestens aber seit den neurophysiologischen Experimenten von Benjamin Libet (1916-2007) in Kalifornien gilt der Mensch vielen Psychologen und Hirnforschern nicht mehr als Herr im Hause des eigenen Ich. Nach Libet sei es „eine unumstößliche und experimentell bewiesene Tatsache, dass eine Handlung immer schon ausgeführt ist, wenn sich das Gehirn ihrer bewusst wird“, erklärt einer von Libets Nachfolgern, der bekannte Hirnforscher Michael Gazzaniga, in seinem neuesten Buch „Who’s in Charge? Free Will and the Science of the Brain“. Damit scheint sich Gazzaniga auf den ersten Blick der durchaus gängigen deterministischen Fehlinterpretation der Experimente Libets anzunähern. Die deutsche Übersetzung des Titels seines Buches („Die Ich-Illusion“) leistet diesem Missverständnis noch (bewusst?) Vorschub. In Wirklichkeit vertritt Gazzaniga in seinen Ausführungen über die strafrechtliche Verantwortung eher die gegenteilige Position, indem er die individuelle Verantwortung unterstreicht.
Streng genommen können Experimente nach der Theorie des Wissenschaftsphilosophen Karl R. Popper übrigens nichts beweisen, sondern nur Vermutungen entkräften beziehungsweise Annahmen falsifizieren. Das heißt wir wissen nach einem Experiment mit eindeutigem Ausgang, wie ein Vorgang sicher nicht abläuft. Aber wir wissen noch immer nichts Endgültiges über die tatsächlichen Zusammenhänge. Deshalb hat Libet selbst die Ergebnisse seiner Experimente immer sehr vorsichtig interpretiert und sich in keiner Weise jenen militanten Materialisten angenähert, die darin die ultimative Widerlegung der traditionellen jüdisch-christlichen Auffassung von Willensfreiheit sehen wollten. Weiterlesen
Europa im Zeichen der Apokalypse
Die meisten Europäer wissen nicht, dass die im Jahre 1955 eingeführte blaue Europa-Fahne mit zwölf goldenen Sternen auf die geheime Offenbarung des heiligen Johannes anspielt. In der dort beschriebenen Vision der Apokalypse taucht die jungfräuliche Gottesmutter Maria als Siegerin mit dem Mond unter ihren Füßen und mit einem Kranz aus zwölf goldenen Sternen über ihrem Haupt auf. Die Zahl zwölf symbolisiert ebenso die zwölf Stämme Israels wie die vom Gottessohn Jesus Christus ausgesandten zwölf Apostel. Wie die zwölf Sterne in die Europa-Flagge kamen, erfuhr ich selbst erst durch die Lektüre eines Buches von Paul Badde, der heute als Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ in Rom arbeitet. Die Europa-Fahne geht auf eine Idee des belgischen Journalisten Michel Gabriel Lévi zurück. Weiterlesen
Können Katholiken grün sein?
Bezieht sich die Frage auf Themen wie Gender Mainstreaming, Kindestötung im Mutterleib, Empfängnisverhütung, Eugenik, Keuschheit, eheliche Treue, Homosexualität, Zölibat oder ähnliches, dann ist die Antwort sicher auch heute noch ein klares Nein. Aber angesichts des gerade in Deutschland beobachtbaren Schulterschlusses zwischen grünen Politikern aller Parteien und außerparlamentarischer Bewegungen mit den großen christlichen Kirchen in einer „Klima-Allianz“ ist diese Frage nicht mehr so leicht zu beantworten. Zumal der Vatikan selbst seit dem Pontifikat Johannes Pauls II. wiederholt mit „grünen“ Stellungnahmen an die Öffentlichkeit getreten ist. So heißt es in der 2009 veröffentlichten Enzyklika „Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI.: „Für die Gläubigen ist die Welt nicht das Produkt des Zufalls noch der Notwendigkeit, sondern eines Planes Gottes. Von daher kommt die Pflicht der Gläubigen, ihre Bemühungen mit allen Menschen guten Willens – Angehörige anderer Religionen oder Nichtgläubige – zu vereinen, damit unsere Welt wirklich dem göttlichen Plan entspricht: als eine Familie unter dem Blick des Schöpfers zu leben.“ Klingt da nicht die Idee der Gleichheit aller Religionen an? Spielt der Vatikan damit nicht jenen in die Hände, die das Christentum in einer weltlichen Einheitsreligion ertränken wollen? Leistet Benedikt XVI. hier nicht dem Vordingen christlich getarnter anti-christlicher Ideen in die Christenheit Vorschub? Weiterlesen
Kann es Politik ohne Religion geben?
Wir brauchen eine christliche Öko-Ideologie
Vom Geist der Freiheit
Hochmut kommt vor dem Fall. Ist es deshalb so abwegig, einen Zusammenhang zwischen dem schrecklichen Erdbeben in Haiti mit Hunderttausenden von Toten und dem geistigen Hintergrund der sozialrevolutionären Ursprünge der Insel-Republik zu vermuten? Immerhin gingen Haitis „schwarze Jakobiner“ im Jahre 1791 in einer Voodoo-Zeremonie einen Pakt mit dem Teufel ein, um die Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft zu erlangen.
Freiheit: Auf den Geist kommt es an
Warum Materialismus und Christophobie in die Knechtschaft führen
Nach der Veröffentlichung meines Blogs über die spirituellen Hintergründe des Haiti-Desasters (auf dieser Unterseite weiter unten) an dieser Stelle bin ich von einem Teil der libertären Szene in Deutschland buchstäblich exkommuniziert worden. Es fehlte nur noch die Steinigung. Ich übergehe hier anstandshalber die wohl willentlichen Missverständnisse und die mir gegenüber vorgebrachten absurden Unterstellungen, die im Vorwurf der Scheinheiligkeit gipfeln. Worüber ich mich wundere, wenn nicht ärgere, ist die den meisten Kritiken zugrunde liegende materialistische Weltsicht und die zum Teil offen zutage tretende Christophobie.
Um deutlicher zu werden: Die kontrastierende Geschichte der beiden Teile der Karibik-Insel Hispaniola zeigt meines Erachtens alles in allem, dass es bei der Entwicklung der Wirtschaft und der Entfaltung menschlicher Freiheit weniger auf natürliche als auf geistig-religiöse Voraussetzungen ankommt. „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“, heißt es im zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Wer abstreitet, dass unser abendländischer Humanismus und dessen Freiheitsbegriff nicht nur auf Sokrates, sondern auch auf Jesus von Nazareth und die spätantiken beziehungsweise mittelalterlichen Kirchenlehrer zurückgeht, sieht das freilich ganz anders. Für materialistisch, wenn nicht antichristlich ausgerichtete Libertäre ist der Kolonialismus eine Folge der Verbindung von christlichem Missionseifer mit materieller Gier und nicht Ausdruck der Abkehr Getaufter von der biblischen Botschaft.
Deshalb treffen sich Atheisten bei der Analyse der Hintergründe natürlicher und gesellschaftlicher Kataklysmen auch letzten Endes mit den Marxisten. Schon Fjodor Dostojewskij erkannte in der „Legende vom Großinquisitor“, dass die logische Konsequenz des Atheismus nicht die individuelle Freiheit, sondern die Verabsolutierung der Gleichheitsidee im Sozialismus beziehungsweise Kommunismus ist. Uneingestandenes Ziel des Sozialismus wiederum sei das Nichts, der Tod der Menschheit. Das hat der hoch dekorierte russische Mathematiker Igor Schafarewitsch schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem auch im Westen erschienenen bemerkenswerten historischen Überblick unter dem deutschen Titel „Der Todestrieb in der Geschichte“ herausgearbeitet. Schafarewitsch, den ich selbst, angeregt von den Kollegen Fink und Lichtschlag, leider erst Ende 2009 rezipiert habe, bestätigt meine Einschätzung, dass auch der Liberalismus zu einer Form von Nihilismus werden kann, wenn er sich gegen das christliche Gottes- und Menschenbild stellt. ((9. Februar 2010)
Internet
Der Sozialismus: so alt wie die Menschheit
Liberalismus: Eros der Freiheit ohne Gott?
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Haiti: Der Fluch der Blasphemie
Warum US-Fernsehprediger Pat Robertson nicht ganz falsch liegt
Der inzwischen 79-jährige evangelikale Star-Prediger Pat Robertson löste Wellen gutmenschlicher Entrüstung aus, als er das schreckliche Erdbeben auf Haiti am 13. Januar im TV-Sender Christian Broadcasting Network (CBN) auf einen Pakt mit dem Teufel zurückführte, den die aufständischen Negersklaven der einst als „Perle der Karibik“ bekannten Insel im Jahre 1791 im Rahmen einer Voodoo-Zeremonie geschlossen hatten, um die Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft zu erlangen. Zweifelsohne eine Provokation für alle Kulturrelativisten, die vielleicht gerade noch die Existenz eines fernen Gottes zugeben, jedoch die Existenz seines Gegenspielers Satan leugnen müssen. Aber ist es tatsächlich so abwegig, einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Desaster mit Hunderttausenden von Toten und dem geistigen Hintergrund der sozialrevolutionären Ursprünge der Republik Haiti zu postulieren?
Viele Touristen werden sich schon darüber gewundert haben, dass die westindische Insel Hispaniola, auf der Christoph Kolumbus und seine Seeleute 1492 erstmals amerikanischen Boden betraten, vom Flugzeug aus auffällig zweigeteilt erscheint. Der etwas größere östliche Teil, die spanisch sprechende Dominikanische Republik, ist satt grün, während der von der französisch sprechenden Republik Haiti eingenommene westliche Teil beinahe so kahl ist wie der Mond. Die Dominikaner leben mehr oder weniger einträglich vom Tourismus, während die Haitianer heute, trotz mehr als großzügiger „Entwicklungshilfe“ der US-Amerikaner in den vergangenen Jahrzehnten, zum allergrößten Teil bettelarm sind. Dieser Kontrast hat offenbar keine natürlichen Ursachen.
Nachdem die wenigen Ureinwohner ausgerottet und die Insel unter französische Herrschaft gelangt war, blühte dort über hundert Jahre lang der Zuckerrohranbau, der mithilfe aus Afrika importierter Sklavenheere betrieben wurde. Haiti wurde zu Frankreichs ertragreichster Kolonie. Als aber im französischen „Mutterland“ die Revolution ausbrach und Robespierre und seine Anhänger die Oberhand bekamen, konnte es nicht ausbleiben, dass einzelne Schwarze, die aufgrund besonderer Umstände eine bessere Bildung genossen hatten, von der in der Metropole herrschenden Gleichheits-Idee angesteckt wurden. Zu ihnen gehörte der als „schwarzer Jakobiner“ bekanntgewordene Toussaint Louverture, der Sohn eines in Benin geborenen freigelassenen Haussklaven. Er wurde zum Führer der weltweit einzigen (vorübergehend) erfolgreichen Sklavenerhebung, erlebte aber nicht mehr deren Sieg über das von Napoleon gesandte Expeditionskorps und die Unabhängigkeitserklärung Haitis im Jahre 1804 unter seinem Genossen und Rivalen, dem „schwarzen Kaiser“ Jean-Jacques Dessalines.
Das heutige, nicht erst durch das aktuelle Erdbeben ausgelöste gesellschaftliche und politische Desaster Haitis nahm seinen Lauf mit der nach der Revolution eingeleiteten egalitären Landreform. Die Besitzer der Zuckerplantagen wurden enteignet. Jede Bauernfamilie erhielt zunächst 15 Hektar Ackerland. Da die meisten Familien sich auf die Befriedigung ihres eigenen Bedarfs konzentrierten, brach die Exportwirtschaft zusammen. Infolge der von der Gleichheits-Idee diktierten Erbteilung des Landes schrumpften die Parzellen mit jeder neuen Generation immer mehr zusammen. Um die rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren, wurden nach und nach auch die für den Ackerbau kaum geeigneten steilen Berghänge gerodet. Dennoch verfügte schon im Jahre 1971 jede Bauernfamilie im Schnitt nur noch über anderthalb Hektar karges Ackerland. Heute wird der größte Teil der Agrarfläche, da durch Übernutzung ausgelaugt und durch starke Tropenregen erodiert, gar nicht mehr bestellt.
Revolutionsromantiker und Fair-Trade-Fans sehen das allerdings anders. Um von der verheerenden Wirkung der Gleichheitsideologie abzulenken, verweisen sie auf die der jungen Republik als Gegenleistung für die diplomatische Anerkennung durch Frankreich unter Androhung militärischer Gewalt auferlegte Entschädigungssumme für die Enteignung der Plantagenbesitzer in Höhe von 90 Millionen Goldfranken (heute umgerechnet 17 Milliarden Euro!). Um die Riesensumme einzutreiben und schrittweise abzubezahlen, mussten dem Volk große Opfer und Restriktionen auferlegt und die Ressourcen des kleinen Landes buchstäblich ausgeplündert werden. Dabei erwies es sich als fatal, dass in Haiti der Voodoo-Kult von Anfang an als dem Christentum zumindest ebenbürtig, wenn nicht überlegen angesehen wurde. Das ist eine logische Konsequenz der Gleichheitsideologie beziehungsweise des Kulturrelativismus. Die infantile Gleichsetzung des demütigen Betens um göttliche Gnade mit obskurantistischen Beschwörungen und Zaubereien begünstigte die Machtübernahme durch Dynastien kleptokratischer Diktatoren und die damit einhergehende Vernachlässigung von Vorsorge-Investitionen gegen Hurrikane und Erdbeben. Davon hat sich Haiti nicht mehr erholt. Im Jahre 2003 haben Voodoo-Priester den ausgelaufenen Teufelspakt von 1791 mit Tieropfern ausdrücklich erneuert. Ein halbes Jahr zuvor hatte der damals herrschende Diktator Jean-Bertrand Aristide den Voodoo-Kult zur zweiten Staatsreligion neben dem Katholizismus erklärt.
Ich möchte nicht behaupten, Spezialist für Voodoo zu sein, denn ich kenne dessen Praxis hauptsächlich aus Romanen von Naipaul und anderen literarischen Zeugnissen. Es kommt hier nur darauf an, was diesen Kult von der christlich geprägten abendlänischen Kultur unterscheidet. Das ist in meinen Augen der allegenwärtige Fatalismus. Christen wissen, dass sie sich von Gott entfernen, wenn sie ihre Hände in den Schoß legen. Sie versuchen deshalb, von verschiedenen Seiten drohendes Unheil durch Vorsorgemaßnahmen abzuwenden. Oft tun sie dabei, wie ich an anderer Stelle schon dargelegt habe, sogar des Guten zuviel. Der Gedanke der Vorsorge ist den meisten Haitianern jedoch fremd. Überall in der Karibik wurden inzwischen Bauvorschriften für einigermaßen erdbebensicheres und Hurrikan-resistentes Bauen erlassen. In Haiti wurde das versäumt, obwohl Entwicklungshilfe-Gelder dafür zur Verfügung gestanden hätten.
Was könnte man aus diesem (zugegebenermaßen sehr groben) Einblick in die Probleme Haitis lernen? Die Haitianer mussten wie die Franzosen und später die Russen und Chinesen erfahren, dass blutige Revolutionen – so gut sie auch gemeint sein mögen – alles noch schlimmer machen als vorher. Nur stille und unblutige Revolutionen wie etwa in jüngerer Zeit die Verbreitung des Internet und mehr noch die Verbreitung des Christentums seit fast zwei Jahrtausenden bringen die Menschheit voran. Nach christlichem Verständnis ist jede blutige Erhebung gleichzusetzen mit Blasphemie, der die Strafe Gottes auf dem Fuße folgt. Auch Nichtchristen können kaum darüber hinwegsehen, dass es in der Geschichte keine vergleichbaren Fälle von Hochmut gibt, die nicht im Desaster endeten. Der Spruch „Hochmut kommt vor dem Fall“ bringt das zum Ausdruck. Nur Demut erweist sich als nachhaltig.
So kann ich dem Prediger Robertson zwar nicht folgen, wenn er zum Mord an Venezuelas rotem Diktator Hugo Chavez aufruft. Ich muss ihm aber zustimmen, wenn er die Zurückdrängung des Voodoo-Kultes durch massive Missionsarbeit für wichtiger erklärt als über aktuelle Nothilfe hinausgehende materielle Entwicklungshilfe. Der nicht religiös argumentierende Kolumnist des „Wall Street Journal“ Bret Stephens sieht das übrigens ähnlich. (aktualisiert am 3. Februar 2010)
Internet
Erdbeben eine Folge vom ‚Pakt mit dem Teufel’?
Haiti Hilflose Perle der Karibik
To Help Haiti, End Foreign Aid
Literatur
C. L. R. James: Die schwarzen Jakobiner: Toussaint Louverture und die Unabhängigkeitsrevolution in Haiti. Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1984. (Nicht mehr lieferbar, weil vom ehemals DKP-nahen Verlag wegen der trotzkistischen Position des Autors wieder aus dem Verkehr gezogen.)
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Jeder braucht seine Apokalypse von Edgar L. Gärtner
Wer die Johannes-Offenbarung nicht kennt oder ablehnt, braucht die Klimakatastrophe
Wer sich mit der katholischen Liturgie etwas auskennt, der weiß, dass an Allerheiligen aus der Offenbarung des Johannes vorgelesen wird. Ich gestehe, dass ich am Sonntag, dem 1. November 2009, während der Verlesung des Evangeliums meine Gedanken etwas abschweifen ließ – allerdings durchaus nicht zu Dingen, die mit dem Thema nichts zu tun haben. Mir fiel nur ein, dass die Christen mit der Verbreitung der Johannes-Offenbarung seit fast 2000 Jahren doch eigentlich rundum mit apokalyptischen Gewissheiten versorgt sind und keiner weiteren Schreckensbilder bedürfen, um ihren Adrenalinspiegel beziehungsweise Angsthaushalt im Gleichgewicht zu halten. Dabei hatte ich die Theorie der Risiko-Kompensation im Hinterkopf, die der kanadische Psychologe Gerald J.S. Wilde schon vor Jahren in die Diskussion brachte, um die Beobachtung zu erklären, dass zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen an Automobilen wie Sicherheitsgurte, Airbags oder ABS nicht unbedingt zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr führen, weil sie die Fahrer zu einer riskanteren Fahrweise verleiten können.
Ich musste mich vor einigen Jahren mit dieser Thermostat-Theorie beschäftigen, als ich für die Risiko-Kommission des Bundesgesundheitsministeriums als Redakteur tätig war. Später habe ich einiges davon in meinem Buch „Vorsorge oder Willkür“ verarbeitet. Die Menschen brauchen offenbar einen bestimmten Risiko- und Stress-Pegel, um nicht vor Langweile einzuschlafen oder dem Alkohol zu verfallen. Eine solche Thermostat-Funktion gibt es aber vermutlich nicht nur beim menschlichen Risiko- und Stressbedürfnis, sondern auch bei der Angst vorm beziehungsweise der Lust am Untergang. Menschen, die die Johannes-Offenbarung nicht kennen oder nicht mögen, brauchen dafür vermutlich einen Ersatz. Deshalb greifen sie nach modernen Weltuntergangstheorien, saugen Computer-Hochrechnungen, die die nahende Erschöpfung von Rohstoff-Vorräten oder den drohenden Hitzetod an die Wand malen, begierig in sich auf.
Allerdings bieten diese Projektionen durchaus keinen gleichwertigen Ersatz für die biblische Apokalypse, auch wenn das die postmoderne „Diktatur des Relativismus“ postuliert. Die Johannes-Offenbarung besagt, dass Gott selbst dieser Welt ein Ende setzen wird und nicht wir Menschen. Oder anders herum: Der Weltuntergang wird nicht das Werk der Menschen sein. Wer die Menschen für einen drohenden ökologischen Kollaps verantwortlich macht, begeht also Gotteslästerung. Von daher verwundert es sehr, dass sich die meisten christlichen Kirchen inzwischen zum grünen Apokalypse-Ersatz bekennen. Denn Blasphemie wird bekanntlich nicht erst im Jenseits bestraft.
Für Gläubige ist der Weltuntergang ein Ende ohne Schrecken, weil er gleichbedeutend mit der Wiederkehr des Herrn Jesus Christus ist. Richtig verstandenes Christentum führt zur Gelassenheit. Christen können/dürfen sich gar nicht schuldig fühlen für einen angeblich drohenden Klima-Kollaps. Machtgierige bedienen sich heidnischer Ängste, um die Menschen gefügig zu machen. Wirklich gläubige Christen sollten sich von der Ersatzreligion Ökologismus nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Internet:
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Nachlese zum Darwin-Jahr:
Das Wahrheitsmonopol des Materialismus wankt
Von Edgar L. Gärtner
Hätten der Bundesrat und die Bundesländer einer Petition der naturalistischen (= nihilistischen) Giordano Bruno Stiftung nachgegeben, dann wäre der ohnehin schon unter der Hand zum „Vatertag“ (ohne Väter) umfunktionierte hehre christliche Feiertag „Christi Himmelfahrt“ dieses Jahr erstmals als „Tag der Evolution“ begangen worden. Die Initiative der Bruno Stiftung ist freilich nur eines von zahlreichen Beispielen für den anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin im Februar mit großsprecherischer Pose vorgetragenen Anspruch atheistisch ausgerichteter Darwinisten auf das Wahrheitsmonopol des Materialismus. Wer die Entwicklung an der Front naturwissenschaftlicher Forschung verfolgt, fragt sich allerdings unwillkürlich, auf welche neuen Erkenntnisse militante Atheisten wie Richard Dawkins oder Ulrich Kutschera ihre Überzeugung, die Annahme eines göttlichen Ursprungs des Universums sei nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, denn stützen.
Denn wir sind gerade Zeugen eines fundamentalen Paradigmenwechsels in den Naturwissenschaften. Einsteins Dogma von der Unübertrefflichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist im Sommer 2008 in Genf experimentell ins Wanken gebracht worden. Ein Physiker-Team unter Nicolas Gisin konnte zeigen, dass das von Einstein nur als absurde Konsequenz gegnerischer Auffassungen postulierte Verschränkungsprinzip in der Quantenphysik real existiert. Dieses Prinzip besagt, dass zwei Teilchen A und B, die einmal zusammen gehörten, nach der Trennung wie durch Spuk miteinander verbunden bleiben und mit unendlich hoher Geschwindigkeit Informationen austauschen, selbst wenn der Zeitpunkt der Trennung weit in der Vergangenheit liegt oder die Teilchen mittlerweile Lichtjahre voneinander entfernt sind. Es ist somit auch nicht ausgeschlossen, dass Wirkungen in der realen Welt manchmal ihren Ursachen vorauszugehen scheinen oder tatsächlich vorangehen. Scheinbar überirdische Phänomene wie Geistheilung, Telepathie, Homöopathie, Hellsehen oder Liebe auf den ersten Blick werden möglicherweise bald erklärbar, ohne dabei etwas von ihrem Zauber einzubüßen.
Die Vorstellung, ähnlich dem Dualismus von Teilchen und Welle unterliege auch das Verhältnis von Leib und Seele und somit das Bewusstsein den Regeln der Quantenphysik, ist nicht neu. Der australische Hirnforscher John C. Eccles, ein enger Freund des bekannten Wissenschaftsphilosophen Karl R. Popper, gehörte zu den ersten, die eine solche Parallelität postulierten. Popper begründete damit seine Vermutung, das menschliche Wissen sei zu 99 Prozent angeboren und werde durch Lernen nur aktualisiert. Eccles, der 1963 für seine bahnbrechenden Erkenntnissen über die Erregungsübertragung in den Nervenzellen den Nobelpreis für Medizin erhielt, glaubte stets daran, dass es eine vom Körper unabhängige und unsterbliche Seele gibt. Er dachte, der Geist beeinflusse das Gehirn, indem er auf mikroskopisch kleine Strukturen in der Großhirnrinde, die so genannten Pyramidenzellen, einwirkt. Ausgehend davon, versuchten die US-Forscher Stuart Hameroff und Roger Penrose das Bewusstsein durch den Kollaps der Wellenfunktion in den Mikrotubuli des Gehirns zu erklären. Inzwischen ist auch der Frankfurter Physikprofessor Thomas Görnitz überzeugt, dass Gedanken so real sind wie Atome. Stoffe sind nur vorläufige Produkte der Wechselwirkung von Feldern. Die Realität ist primär geistig.
„Über das Verschränkungsprinzip sind wir auf subtile Art und Weise mit jedem x-beliebigen Punkt des Universums verbunden!“, folgert der promovierte Chemiker und Wissenschaftsjournalist Rolf Froböse in seinem neuen Buch. Anhand weiterer Zeugnisse und Beispiele macht er deutlich, dass sich Leben und Bewusstsein nicht hätten entwickeln können, wenn es nicht seit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren einen universellen Quantencode gäbe, in dem die Möglichkeit der Lebensentstehung schon angelegt war. Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung des Lebens durch blinden Zufall beträgt nach Berechnung des Karlsruher Makromolekularchemikers Prof. Bruno Vollmert höchstens eins zu zehn hoch tausend. Eher würde ein funktionsfähiger Pentium-Rechner dadurch entstehen, dass man alle seine Elektronikteile in zigtausendfacher Ausführung von der Aussichtsplattform des Eifelturms auf die Straße würfe, meint Vollmert. In der Tat konnte man bei endlosen Wiederholungen des 1953 von Stanley L. Miller zum ersten Mal in Chicago durchgeführten Laborexperiments zur Simulierung der Lebensentstehung aus der „Ursuppe“ immer nur Aminosäuren, aber nicht einmal einfachste Eiweißmoleküle gewinnen. Dafür fehlte die Information, die heute durch DNA und RNA übermittelt wird, nach Ansicht Vollmerts ursprünglich aber von Gott gekommen sein muss.
Darwins Selektionstheorie sei deshalb nicht einfach falsch, meint Froböse, sondern beschreibe nur die Übersetzung des universellen Quantencodes, der sich in der Universalität des genetischen Codes äußert. Dabei beruft er sich auf den US-Biochemiker Lothar Schäfer, der die Auffassung vertritt, bei der Anpassung der Arten an unterschiedliche Lebensbedingungen durch Mutation und Selektion werde nur eine bereits von vornherein gegebene virtuelle Ordnung von Quantenzuständen aktualisiert. Blinden Zufall lasse der Lebenscode des Universums nicht zu.
Internet:
Stiftung fordert Tag der Evolution statt Christi Himmelfahrt
Interview mit Rolf Froböse über Wissenschaft und Religion
Literatur:
Thomas Görnitz: „Der kreative Kosmos. Geist und Materie aus Information. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2006
Lutz Simon (Hrsg.): „Wissenschaft contra Gott? Glauben im atheistischen Umfeld“. Hänssler Verlag, Holzgerlingen 2007
Joachim Bauer: Das kooperative Gen. Verlag Hofmann & Campe, Hamburg 2008
Rolf Froböse: „Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele.“ Lotos Verlag (Random House), München 2009
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Verständigung braucht gemeinsame Werte
Die Macht des Wortes und die Grenzen des Dialogs
Von Edgar L. Gärtner
„Im Anfang war das Wort“, heißt es im Johannes-Evangelium (1,1-2). Die Bedeutung dieses Halbsatzes ist theologisch und philosophisch umstritten und jedenfalls unverständlich ohne dessen Fortsetzung „und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Wenn die Bibel die Macht des Wortes eindeutig Gott zuordnet, heißt das aber noch lange nicht, dass Worte in ganz irdischen zwischenmenschlichen Angelegenheiten nur Schall und Rauch seien. Im Gegenteil: Die Erfahrung lehrt, dass Worte sogar töten können. Dennoch verlassen sich heute gerade Werbe-Profis aus gutem Grund nicht allein auf Worte.
Sie haben gelernt: Kommunikation, echte zwischenmenschliche Verständigung beruht nur zu einem geringen Teil auf Worten, sondern zu allererst auf dem Austausch von Gebärden, Gesten und manchmal auch Düften. Sonst bliebe es unerklärlich, dass wir uns mit Hunden mitunter besser verständigen können als mit manchen Mitmenschen. Die eher zweitrangige verbale Verständigung bedarf darüber hinaus offenbar einer gemeinsamen Glaubensbasis. Allerdings sprechen die Werbeleute weniger vom Glauben als (neutraler) von zwischen vielen Menschen geteilten Bildern und Mythen. Um ihre Adressaten überhaupt ansprechen zu können, versuchen sie, die Produkt-Botschaft, die sie rüberbringen wollen, einem gängigen Mythos aufzusatteln. Beispiele für solche Mythen und Bilder sind etwa die Suche nach dem heiligen Gral oder der tapfere Kampf Davids gegen den Riesen Goliath.
Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass verbale Kommunikation, Dialog zwischen Menschen grundverschiedenen Glaubens nur in sehr eingeschränktem Maße möglich ist. Darauf hat vor kurzem Papst Benedikt XVI. im Vorwort zum neuesten Buch des italienischen Philosophen und Ex-Senatspräsidenten Marcello Pera hingewiesen. Über religiöse Grundentscheidungen könne es keinen wirklichen Dialog geben, „ohne den eigenen Glauben in Klammern zu setzen“, betont dort der Papst. Mit einer „nicht widerlegbaren Logik“ lasse Pera in seinem Buch erkennen, dass der Liberalismus zum Nihilismus wird, wenn er sich gegen das christliche Gottes- und Menschenbild stellt, d. h. den Menschen die Eigenschaft der Gottesebenbildlichkeit abspricht. Europa könne nur dann zu einer „moralischen Gemeinschaft“ werden, wenn es zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehrt, betont der Atheist und Popper-Schüler Pera. Als Skeptiker verspricht er sich allerdings nicht viel von Taufe und Wiedertaufe. Er rät den Europäern, zu handeln, „als ob es Christus gebe.“
Alexander Smoltczyk, der Vatikan-Korrespondent des SPIEGEL, berichtete über die päpstliche Klarstellung unter der Überschrift „Schluss mit Lessing.“ In der Tat sieht Lessings Ringparabel, im Lichte der modernen Kommunikationsforschung betrachtet, alt aus.
(Als Gastkommentar veröffentlicht in DIE WELT vom 27. Dezember 2008)
Internet:
Interreligiöser Dialog nicht möglich
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Gibt es Freiheit ohne Geist? Von Edgar Gärtner*)
Neulich stieß ich beim TV-Kanal Phoenix auf die Wiederholung einer Reportage über den St. Jakobs Pilgerweg. Da blieb ich eine Weile hängen. Zwar zieht es mich persönlich längst nicht mehr dorthin, seit es dort, ausgelöst durch den Bestseller von Hape Kerkeling, zu Staus kommt. Aber was ältere und jüngere Pilger den TV-Reportern zu erzählen hatten, interessierte mich schon. Im Gedächtnis haften blieb mir ein junges Ossi-Pärchen aus Magdeburg. Ich möchte den beiden nicht zu nahe treten. Aber was sie als „Ertrag“ ihres Trips festhielten, stimmte mich tief traurig. Für den Geist von Santiago de Compostella hatten sie offenbar weder Auge noch Ohr noch sonst ein Organ. Für sie war die Reise ein touristischer Event neben anderen. Was sie über ihre Empfindungen mitteilten, erschien mir höchst geistlos. Und so wie diese beiden sehen es wohl inzwischen viele Abgänger unseres entchristlichten Erziehungswesens.
Deshalb erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass auch bei Debatten über Freiheit und Moral der Begriff „Geist“ oft gar nicht mehr auftaucht. Immerhin gibt es inzwischen, gefördert durch die neuesten Erkenntnisse der Humangenetik, einen weitgehenden Konsens darüber, dass die menschlichen Individuen keine Marionetten ihrer Gene sind, dass sie ihren Erbanlagen gegenüber einen gewissen Entscheidungsspielraum haben. So bringt es auch nicht viel, nach speziellen Genen zu suchen, die jemanden zum Genie, zur Niete, zum Hetero, zum Schwulen, zum Heiligen oder zum Verbrecher machen. Es gibt offenbar so etwas wie Freiheit. Aber worauf beruht und worin besteht diese? Hier scheiden sich die Geister, wenn man so sagen darf. Denn von „Geist“ wollen die meisten Anhänger des bei uns inzwischen zum Mainstream gewordenen Atheismus erst gar nicht reden. Sogar der herkömmliche, auf dem christlichen Menschenbild fußende Freiheitsbegriff ist vielen von ihnen höchst suspekt.
Nach christlicher Auffassung kommt es letzten Endes auf die mit der geistigen Person verbundene Willensfreiheit an. Eine ganze Schule der neurobiologischen Forschung bemüht sich demgegenüber um den Nachweis, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Hause ist, dass es im menschlichen Hirn keine Strukturen gibt, die man mit Geist oder Willensfreiheit in Zusammenhang bringen könnte. Aber diese mit großem Eifer ins Werk gesetzte Suche beruht auf einer höchst dürftigen philosophischen Begründung. „Der Tag, an dem die Hirnforschung aufbrach, um die Freiheit zu suchen, ist vergleichbar mit dem Tag, an dem der proletarische Dummkopf Gagarin erzählte, er sei im Weltraum gewesen und habe Gott nicht gefunden“, urteilt der bekannte Psychiater und katholische Theologe Manfred Lütz mit dem ihm eigenen Sarkasmus in seinem Bestseller „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ (2007).
Wieder und wieder werden Experimente zitiert, die der amerikanische Neurologe Benjamin Libet schon in den 80er Jahren durchführte. Danach entscheidet das Hirn über Handlungen, noch bevor uns ein Entschluss bewusst wird. Genau genommen, bestätigen solche Experimente aber nur Sigmund Freuds Entdeckung, dass der Anteil des Unbewussten an der Persönlichkeit viel größer ist als der des Bewussten. Freud dachte allerdings beim Unbewussten nur an Triebhaftes, vor allem an die Sexualität, und negierte dessen geistig-religiöse Dimension. Neurologen und Philosophen werden sich heute aber nicht einmal darüber einig, was unter Bewusstsein zu verstehen ist.
Konsens besteht nur darüber, dass die Menschen von Natur aus soziale Wesen sind, deren Entfaltung von der Kommunikation mit anderen Menschen abhängt. Materielle Grundlage gegenseitigen Einfühlens und Verstehens (Empathie) sind die so genannten Spiegelneuronen. In der Praxis beschränkt sich der Gefühls- und Gedankenaustausch aber meist auf abgegrenzte Gruppen von Bluts- und Geistesverwandten. Dennoch gibt es auch spontane Manifestationen von Altruismus gegenüber völlig Fremden, deren Wurzeln bis zu unseren behaarten Vorfahren zurück reichen.
Einiges spricht dafür, dass sich altruistische Verhaltensweisen deshalb in der Evolution durchgesetzt haben, weil sie im Hirn mit der Freisetzung des Botenstoffes Dopamin und dem damit verbundenen angenehmen Gefühl belohnt werden. Deshalb kann Freigiebigkeit sogar ein besonders raffinierter Ausdruck von Egoismus sein. Es gibt auch Simulationsexperimente, die darauf hinweisen dass Gesellschaften weltoffener Egoisten friedlicher sind als Gesellschaften gruppensolidarischer Gutmenschen. Menschen mit psychopathischer Veranlagung (immerhin etwa ein Prozent der Bevölkerung) fehlt jedoch die Fähigkeit zur Empathie und zum Lustgewinn durch selbstlose Hilfe. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie dazu verdammt sind, auf die schiefe Bahn zu geraten.
Warum aber werden viele Menschen, trotz ungünstiger Erbanlagen, nicht zu Verbrechern? Darauf gibt bislang nur die jüdisch-christliche Lehre von der geistigen Person eine Antwort. Geist ist nach christlicher Auffassung keine Substanz, sondern reine Dynamis (wie Musik), von der sich der freie Wille ableitet. Nach materialistischer Auffassung kann es so etwas überhaupt nicht geben. Freiheit beschränkt sich für Materialisten auf Handlungsfreiheit. Diese besteht darin, im Einklang mit seiner mentalen Disposition (Instinkte, Motivationen, Glaubenssätze, Präferenzen, verbales und nonverbales Wissen) agieren zu können. Es bleibt dabei offen, wie die Disposition zustande kommt. Auch einem Hund dürfte danach das Attribut der Freiheit nicht abgesprochen werden. Es käme lediglich darauf an, ob er an der Kette liegt oder sich artgerecht bewegen kann. Diese Auffassung von Freiheit kann aber schlecht erklären, wie es eine Minderheit von KZ-Häftlingen schaffte, innerlich frei und somit Mensch zu bleiben. Der bekannte Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl, ein Schüler Sigmund Freuds, hat in der Nachkriegszeit eindrucksvoll geschildert, wie er es kraft eigener Geistesanstrengung schaffte, die Selbstaufgabe zu vermeiden, und es ihm so gelang, die Drangsal der Lager zu überleben.
Frankl erkannte aufgrund seiner Erfahrungen im KZ und in seiner psychiatrischen Praxis: Der Mensch „hat“ einen Charakter – aber er „ist“ eine Person. „Die Charakteranlage ist daher auf keinen Fall das jeweils Entscheidende; letztlich entscheidend ist vielmehr immer die Stellungnahme der Person. (…) Zuletzt entscheidet der Mensch über sich selbst. (…) Der Mensch hat also nicht nur Freiheit gegenüber Einflüssen je seiner Umwelt, sondern auch gegenüber seinem eigenen Charakter. Ja, in gewissem Sinne ist es sogar so, dass die Freiheit gegenüber der Umwelt in der Freiheit gegenüber dem Charakter fundiert ist.“
Frankls Analyse der Wechselwirkungen zwischen Geist und Körper scheint inzwischen in Deutschland leider fast vergessen. In der umfangreichen Bibliografie eines aktuellen Sachbuchs zum Thema unter dem Titel „Die gefühlte Moral“ (2008) aus der Feder des Wissenschaftsautors Frank Ochmann taucht sein Name gar nicht auf. Inzwischen hat aber das australische Wunderkind David Chalmers, dessen Name in Ochmanns Bibliografie ebenfalls fehlt, mit bestechender mathematischer Logik nachgewiesen, dass schon das Bewusstsein, das im jüdisch-christlichen Menschenbild unterhalb des Geistes in der Psychophysis angesiedelt ist, grundsätzlich nicht monistisch, d. h. auch nicht materialistisch, sondern nur mithilfe eines Dualismus von Geist und Körper erklärbar ist.
Immerhin sieht auch Ochmann ganz klar: „Reiner Utilitarismus, der nach dem Prinzip maximalen Glücks für die größtmögliche Zahl vorgeht und fordert, in jedem Fall entsprechend moralisch zu handeln, mag philosophisch richtig oder zumindest nachvollziehbar sein. Trotzdem überfordert er nicht nur die meisten Menschen, sondern offenbar den Menschen an sich.“ Aber was folgt daraus? Darüber schweigt sich der studierte Theologe und ehemalige Priester aus. Könnte es nicht doch sein, dass Viktor E. Frankl recht hat, wenn er gegen die nihilistische Reduktion des Menschen auf Biologisches, Psychologisches oder Soziologisches einwendet: „Die Wesenslehre vom Menschen muss offen bleiben – offen auf Welt und auf Überwelt hin; sie muss die Tür zur Transzendenz offen halten. Durch die offene Tür aber fällt der Schatten des Absoluten“?
Ich bin, angesichts der nun beginnenden Wirtschaftskrise und ihrer absehbaren sozialen Konsequenzen, mehr und mehr davon überzeugt, dass die Fronten in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen weniger zwischen Liberalen und Autoritären, sondern zwischen Nihilisten und jenen verlaufen, die an einen Übersinn des Lebens glauben. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass ein erfundener „Übersinn“, der sich gegen das wirkliche Leben wendet, nach Friedrich Nietzsche selbst die extremste Form von Nihilismus darstellt. Deshalb sollten islamistische Selbstmordattentäter (wie auch extreme christliche Asketen) nicht als Idealisten gelten, denen man bis zu einem gewissen Grad Verständnis entgegen bringt, sondern als Feinde des Lebens.
(Teilweise abgedruckt in: factum-magazin 8/08, Schwengeler Verlag, CH-Berneck)
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An Wunder glauben von Edgar Gärtner*)
Warum sind Liberale, wie jetzt durch empirische Untersuchungen bestätigt wurde, im Schnitt deutlich glücklicher, zufriedener und optimistischer als Anhänger des wohlfahrtsstaatlichen Sozialismus? Die Antwort auf diese Frage ist vermutlich einfacher, als viele denken: Liberale glauben an Wunder. Sie tun, was ihnen sichtbar nützt und vertrauen darauf, dass das freie Spiel von Angebot und Nachfrage hinter ihrem Rücken zu Wohlstand und Frieden für die ganze Gesellschaft führt.
Es geht bei diesem Wunderglauben nicht unbedingt um Übersinnliches oder Überirdisches, sondern um durchaus Diesseitiges. Es geht weder um optische Täuschungen noch um fromme oder abergläubische Einbildungen wie Marienerscheinungen, sondern zuallererst um greifbare Vorgänge in Politik und Wirtschaft, für die das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit als Paradebeispiel dienen kann. Bewusst schreibe ich hier Wirtschaftswunder ohne Anführungszeichen. Denn wie soll man die Tatsache anders benennen, dass schon wenige Tage nach Ludwig Erhards wagemutigen, dem sozialistischen Zeitgeist widersprechenden Beschluss, mitten in der Not des Jahres 1948 gleichzeitig mit der Währungsreform die Rationierung von Gütern des täglichen Bedarfs zu beenden und fast sämtliche Preiskontrollen abzuschaffen, die Geschäfte auf einmal voll Waren aller Art waren und lange Menschenschlangen vor einem knappen Angebot bald der Vergangenheit angehörten.
Bei aller streng evolutionistischen, antiteleologischen Argumentation wies gerade der Erzliberale Friedrich August von Hayek wiederholt auf seine Offenheit Wundern gegenüber hin. Denn es war ihm zutiefst bewusst, dass die Ergebnisse des Handelns der Vielen meist viel intelligenter sind als die Motive der einzelnen Handelnden. Hayek sah darin den eigentlichen Grund für die Borniertheit und Stupidität jeglicher Form von Planwirtschaft. Denn deren Ziele spiegeln nur das beschränkte Wissen der jeweiligen Machthaber wider. „Aus einem gelenkten Prozess kann nichts größeres entstehen, als der lenkende Geist voraussehen kann“, stellte Hayek fest. Er ging sogar so weit, die gewachsene Ordnung und den Zusammenhang großer Gemeinwesen als etwas Geheimnisvolles hinzustellen. „In der großen Gesellschaft profitieren die verschiedenen Mitglieder von den Tätigkeiten aller anderen nicht nur trotz, sondern oft sogar aufgrund der Verschiedenheit ihrer jeweiligen Ziele“, fügte er an anderer Stelle hinzu.
Gegenüber dem Mysterium des gesellschaftlichen Zusammenhalts trotz oder gerade wegen des Pluralismus individueller Motive und Ziele könnten Sozialforscher, wenn sie ehrlich sind, nur die Haltung der Demut einnehmen, meinte Hayek: „Die Erkenntnis von den unüberwindlichen Grenzen seines Wissens sollten den Erforscher der Gesellschaft eigentlich Demut lehren. Diese Demut sollte ihn davor bewahren, Mitschuldiger in dem verhängnisvollen menschlichen Streben nach der Herrschaft über die Gesellschaft werden“, forderte der Wirtschaftsnobelpreisträger von 1974. Demgegenüber gehöre es zum Wesen des Aberglaubens, dass die Menschen sich einbilden, genug zu wissen, um Wunder rational erklären und durch bewusste Maßnahmen ersetzen zu können. Hayek war sich also im Klaren, dass Politik und Ökonomie bis zum heutigen Tag weder in der Theorie noch in der Praxis der Theologie so leicht entgehen können. Und er hat in der Spätphase seines Wirkens selbst Überlegungen über eine Komplementarität von Evolutionismus und christlicher Religion angestellt, was ihn in den Augen der Sozialisten aller Parteien umso verdächtiger machte.
Als weniger suspekt erscheint da vielleicht die politisch eher links verortete große Philosophin Hannah Arendt. Aber gerade bei ihr spielt der Begriff des Wunders eine noch größere Rolle, und zwar gerade in ihrem Meisterwerk, der originellen politischen Theorie des tätigen Lebens. Auch wenn Arendt über das deutsche Wirtschaftswunder anders dachte als Ludwig Erhard oder Friedrich August von Hayek und „Wunder“ immer mit Anführungszeichen schrieb, teilt sie deren Auffassung über die grundsätzliche Beschränktheit der menschlichen Fähigkeit, mögliche Folgen ihres Handelns abzusehen. In Anlehnung an Friedrich Nietzsche, der den Menschen als Tier definierte, „das versprechen darf“, sah Hannah Arendt den Hauptunterschied zwischen freien Menschen und ihren unfreien Vorfahren nicht im größeren Wissen, sondern in der Fähigkeit zu versprechen und zu verzeihen. Gute Taten hängen nicht in erster Linie vom Umfang des Wissens und von den öffentlich proklamierten Absichten einer Person ab, sondern von ihrer Liebe und der Treue zu Mitmenschen gegenüber eingegangenen Verpflichtungen.
Alles wirklich Gute geschieht im Verborgenen, lehrte Jesus von Nazareth. Die rechte Hand soll nicht wissen, was die linke tut. Daran knüpfte Hannah Arendt in „Vita activa“ an und fügte mahnend hinzu: „Güte aber, die, ihrer Verborgenheit überdrüssig, sich anmaßt, eine öffentliche Rolle zu spielen, ist nicht nur nicht mehr eigentlich gut, sie ist ausgesprochen korrupt.“ Das könnte sie heutigen „Gutmenschen“ ins Stammbuch geschrieben haben. Sie selbst hält sich ans Neue Testament: Da die Menschen die ferneren Folgen ihres Handelns nur in sehr geringem Maße im Voraus abschätzen können, machen sie unweigerlich Fehler, fügen anderen Menschen und ihrer Umwelt Schaden zu und laden dadurch Schuld auf sich. Nur durch ihre Fähigkeit, eingegangene Versprechen allen Widrigkeiten zum Trotz einzuhalten und Schuld zu vergeben, kann der soziale Zusammenhalt gewahrt werden. In Arendts Worten: „Dass es in dieser Welt eine durchaus diesseitige Fähigkeit gibt, ‚Wunder’ zu vollbringen, und dass diese Wunder wirkende Fähigkeit nichts anderes ist als das Handeln, dies hat Jesus von Nazareth (dessen Einsicht in das Wesen des Handelns so unvergleichlich tief und ursprünglich war wie sonst nur noch Sokrates’ Einsichten in die Möglichkeiten des Denkens) nicht nur gewusst, sondern ausgesprochen, wenn er die Kraft zu verzeihen, mit der Machtbefugnis dessen verglich, der Wunder vollbringt, wobei er beides auf die gleiche Stufe stellte und als Möglichkeiten verstand, die dem Menschen als einem diesseitigen Wesen zukommen.“
Nicht weniger geheimnisvoll als das Wunder von Versprechen und Verzeihen war für Hannah Arendt ein anderes Band des sozialen und politischen Zusammenhalts: der Gemeinsinn oder gesunde Menschenverstand. Diesen hielt Arendt für die Grundlage des Politischen schlechthin, weil er erst dafür sorgt, dass die Mitglieder einer Gesellschaft in einer gemeinsamen Wirklichkeit leben. Der Gemeinsinn entsteht, wohlgemerkt, gerade nicht durch die Unterordnung aller unter vorgegebene Ziele. Vielmehr genügt es, dass zwei plus zwei für alle vier ist und bleibt. Wie der französische Literaturnobelpeisträger Albert Camus sah die jüdische Philosophin, dass die zunehmende Bürokratisierung des politischen und gesellschaftlichen Lebens im Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung den Menschen nicht nur den Wunderglauben, sondern auch den gesunden Menschenverstand austreibt. Ein immer dichteres Geflecht bewusster, oft wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich begründeter administrativer Regelungen tritt an die Stelle von Wundern und Überraschungen. Die offene Welt wird mehr und mehr zu einem Zuchthaus.
Kurz: Wunder gehören ganz einfach zur Realität. Wer nicht daran glaubt, wird am Ende zum Nihilisten. „Der Nihilist glaubt nicht an nichts, sondern nicht an das, was ist“, definierte Albert Camus. Der Gemeinsinn geht gerade am Übermaß „sozial“ begründeter wohlfahrtsstaatlicher Reglementierungen (mit Extrawürsten für alle möglichen lautstarken Interessengruppen) zugrunde. Das zeigt sich m. E. derzeit am deutlichsten am verbreiteten Aberglauben, Staat und Wirtschaft könnten mithilfe von Milliardeninvestitionen in den „Klimaschutz“, durch die Rationierung des Energieeinsatzes über das Europäische Emissionshandelssystem, durch detaillierte Vorschriften für die Heizung und Wärmedämmung von Gebäuden (unter Missachtung von Eigentumsrechten) sowie durch die Gleichschaltung von Forschung und Lehre (alles in guter Absicht, versteht sich) das Wettergeschehen gezielt beeinflussen und den Klimawandel stoppen.
„Ein merkliches Abnehmen des gesunden Menschenverstands und ein merkliches Zunehmen von Aberglauben und Leichtgläubigkeit deuten immer darauf hin, dass die Gemeinsamkeit der Welt innerhalb einer bestimmten Menschengruppe abbröckelt, dass der Wirklichkeitssinn gestört ist, mit dem wir uns in der Welt orientieren“, mahnte Hannah Arendt. Diese Warnung ist aktueller denn je.
*) veröffentlicht in: DIE WELT vom 23. Oktober 2007
Öko-Nihilismus-Debatte
Über zwei Jahre sind nun seit dem Erscheinen meines grundlegenden Buches „Öko-Nihilismus. Eine Kritik der Politischen Ökologie“ vergangen. Von den politisch korrekten Massenmedien weitgehend totgeschwiegen, hat es in Fachmedien und im Internet lebhafte Debatten provoziert. Die Aussagen dieses Buches, von manchen als zu radikal oder als zu pessimistisch eingestuft, sind durch aktuelle Entwicklungen voll bestätigt worden.
Edgar Gärtner: Öko-Nihilismus. Eine Kritik der Politischen Ökologie. CFACT Europe, Thuss & van Riesen Medienverlag, Jena 2007. ISBN 978-3-00-020598-9. Preis Euro 24,50
Erhältlich bei Amazon.de
factum-magazin: Gegen die Vergötzung der Natur
Das in der Schweiz erscheinende christliche Familienmagazin factum bringt in seiner Ausgabe 5/08 unter dem Titel „Die überhitzte Prognose“ eine kritische Auseinandersetzung des Journalisten Thomas Lachenmaier mit dem nihilistischen Menschenbild der „Klimapolitik“ und stellt eine Reihe bekannter „Skeptiker“ vor. So den Mainzer Medienforscher Prof. Mathias Kepplinger, den tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus und meine Wenigkeit.
Hier das Interview, das ich Thomas Lachenmaier gab:
factum: In ihrem Buch kritisieren sie die politische Ökologie als eine
nihilistische Weltanschauung, die das Gute postuliert und am Ende doch
nur Verhängnis bringt. Wie lautet ihr Vorwurf?
Gärtner: So genannte Gutmenschen vergessen, dass alles im Leben seinen Preis hat.
Etwas Gutes muss oft mit üblen Nebenwirkungen erkauft werden. Die Menschen müssen sich dann nicht nur zwischen einer guten Tat und einer Sünde entscheiden, sondern zwischen zwei Übeln. Solche Entscheidungen in Form einer bewussten rationalen Abwägung treffen zu wollen, bringt die Menschen schnell ins Schwitzen. Zum Glück für unser seelisches Wohlbefinden erfolgen solche Entscheidungen meist unbewusst. Dabei spielen Glaubensinhalte und tief verwurzelte Überzeugungen eine wichtige Rolle. Die Abkehr von den christlichen Wurzeln des Humanismus und das dadurch entstandene Defizit unhinterfragter Glaubensinhalte macht meines Erachtens viele Europäer unfähig, in verschiedenen Entscheidungssituationen das kleinere Übel auszumachen.
factum: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Gärtner: Das beste Beispiel dafür ist zurzeit die so genannte Klimapolitik. Damit die Durchschnittstemperatur der Erde nicht um mehr als zwei Grad Celsius von einem als normal erklärten globalen Mittelwert abweicht, setzt sie über die gewollte Verteuerung von Energieträgern und Nahrungsmitteln nicht nur unsere Freiheit und unseren wirtschaftlichen Wohlstand aufs Spiel, sondern ist letzten Endes sogar bereit, dem Ziel des Temperaturmittelwertschutzes (ich sage bewusst nicht Klimaschutz) größere Teile der Menschheit zu opfern. Bekanntlich haben Vordenker der Ökologiebewegung wie Paul Ehrlich in den USA oder Herbert Gruhl in Deutschland in den 70er Jahren offen die Schrumpfung der Weltbevölkerung auf anderthalb Milliarden Menschen gepredigt. Das zeigt, dass sie den christlichen Gott, der keine Menschenopfer fordert, weil Jesus Christus das mit seinem Opfergang ein für allemal aus der Welt geschafft hat, durch einen Götzen ersetzt haben.
factum: Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass der
CO2-Ausstoss die Ursache für die Klimaerwärmung ist. Aber es gibt auch
renommierte Wissenschafter, die anderer Meinung sind und Studien, die
andere Rückschüsse zulassen. Sie verfolgen als Wissenschaftsjournalist
die Debatte intensiv. Was ist ihr Eindruck von der wissenschaftlichen
Auseinandersetzung?
Gärtner: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, die diesen Namen verdient, gibt es über die Frage nach den Ursachen des Klimawandels schon seit Jahren nicht mehr. Ein internationales Netzwerk von Top-Bürokraten und Versicherungsmanagern hat es mithilfe sogenannter Nichtregierungsorganisationen geschafft, den „Weltklimarat“ IPCC mit dem klaren Auftrag zu versehen, den Menschen, genauer: ihren industriellen Errungenschaften die Schuld am Klimawandel zuzuschieben. Sie können das nachlesen in dem vor einigen Jahren erschienenen Buch „The Carbon War“, in dem der Ex-Greenpeace-Mann Jeremy Leggett erstaunlich offen schildert, wie es dazu kam, dass der industrielle Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) zur einzig relevanten Ursache des Klimawandels erklärt wurde. Die wissenschaftliche Debatte, die eigentlich nie stattgefunden hat, gilt damit als abgeschlossen. Der Mainzer Medienforscher Mattias Kepplinger hat zusammen mit seiner Mitarbeiterin Senja Post durch die direkte Befragung aller in Deutschland mit Klimaforschung befassten Wissenschaftler herausgefunden, dass in Wirklichkeit nur eine Minderheit von ihnen von der offiziellen Erklärung überzeugt ist. Die andern müssen schweigen, um ihre Karriere nicht zu gefährden.
factum: Wie beurteilen Sie die Folgen des weltweiten Handelns gegen den
Klimawandel?
Gärtner: Zunächst einmal grundsätzlich: Wir Menschen können meines Erachtens gegen den Klimawandel nichts unternehmen. Denn hier sind Kräfte am Werk, die unsere Einflussmöglichkeiten weit übersteigen. Als Humanist wehre ich mich einerseits dagegen, die Menschen klein zu machen, zu erniedrigen. Andererseits sollten wir es aber auch vermeiden, in Größenwahn zu verfallen. Das Christentum schützte uns bislang in gewissem Maße gegen diese Versuchung. Die Säkularisierung hat solche Hemmschwellen zum Teil wieder beseitigt.
Dass die Menschen das Klima lediglich lokal und regional beeinflussen können, und zwar vor allem durch die Umwandlung von Wald in Acker- oder Weideland und durch den Bau großer Städte, aber keinen nennenswerten Einfluss auf die globale Entwicklung ausüben, zeigt meines Erachtens die Entwicklung der bodennahen Durchschnittstemperatur in den vergangenen zehn Jahren: Obwohl der CO2-Ausstoß – vor allem infolge des Wirtschaftsbooms in Asien – kräftig anstieg, ist die Mitteltemperatur der Erde konstant geblieben, wenn nicht sogar gesunken.
Aber es wurde für den vorgeblichen Klimaschutz schon sehr viel Geld ausgegeben, das natürlich an anderer Stelle fehlt. Es gäbe auf der Welt, wie der dänische Statistikprofessor Björn Lomborg zu wiederholen nicht müde wird, sicher viel dringendere Probleme wie zum Beispiel die Versorgung der Armen mit sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Diese wäre für einen Bruchteil der Summen zu haben, die der „Klimaschutz“ heute schon kostet. Ich sehe hier nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein moralisches Problem und wundere mich, wie leicht es den angeblichen Klimaschützern gelingen konnte, in unseren Massenmedien die moralische Oberhoheit zu erlangen.
factum: An den Empfehlungen des Weltklimarates (IPCC) orientieren sich
Regierungen in der ganzen Welt. Es gibt weltweit wohl kein zweites
beratendes Gremium, dessen Aussagen so weitreichende poltische Folgen
hat. Wie beurteilen Sie den Einfluss dieses Gremiums?
Gärtner: Das Gremium besteht nur zu einem kleinen Teil aus Forschern, sondern überwiegend aus Funktionären, die von ihren jeweiligen Regierungen entsandt werden und ist insofern Ausdruck der Tatsache, dass die Politik selbst in die Hände von Bürokraten gelangt ist, dass es wirkliche Politiker vom Schlage eines Winston Churchill heute gar nicht mehr gibt. Es ist immer problematisch, wenn sich die Politik auf Wissenschaft beruft. Wohin das führt, kann man am Beispiel der Eugenik studieren. Diese wurde ja nicht nur von den Nazis, sondern von Linksparteien in allen Teilen der Welt vertreten und praktisch umgesetzt. Grundlage der großen Politik sollten der gesunde Menschenverstand und eine klare Feindbildbestimmung sein. Ich habe den Eindruck, das Feindbild der Bürokraten, die sich heute Politiker nennen, ist das Leben selbst.
factum: Wie konnte es dazu kommen, dass sich die Politik nicht mehr vom „gesunden Menschenverstand“ leiten lässt?
Gärtner: Die jüdische Philosophin Hannah Arendt hat in ihrer 1000 Seiten starken Untersuchung über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft nachgezeichnet, dass die Politik der großen europäischen Mächte in dem Maße den Bezug zum gesunden Menschenverstand der kleinen Leute verloren hat, wie sie imperialistisch wurde. Die ausgebeuteten und geknechteten Menschen in den Kolonien hatten, im Unterschied zum Proletariat in den „Mutterländern“, keine Möglichkeit, sich über Wahlen oder außerparlamentarische Protestaktionen Gehör in den Parlamenten zu verschaffen. Infolgedessen koppelte sich die politische Klasse in den Metropolen immer mehr vom Denken und Fühlen normaler Menschen ab.
factum: Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen bereit sind, aus
Gründen des Klimaschutzes persönliche Opfer auf sich zu nehmen. Wie
beurteilen sie das?
Gärtner: Gute Marktstudien zeigen vor allem, dass es mit der Opferbereitschaft der kleinen Leute bislang, Gott sei Dank, nicht weit her ist. Eine Mehrheit findet Öko-Steuern und Klimaschutz-Zuschläge zwar sympathisch, aber kaum jemand möchte sie gerne bezahlen. Ich möchte da auf eine Studie verweisen, die im letzten Herbst im Auftrag der ARAG-Rechtschutzversicherung durchgeführt wurde.
factum: Sie sind in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Wie
beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Produktion von Treibstoff aus
Getreide?
Gärtner: Ich habe in der Tat gelernt, das tägliche Brot nicht als selbstverständliche „Commodity“ zu betrachten, sondern darum zu beten, dafür zu danken und es nicht zu verschwenden. Getreide nur anzubauen, um es zu verfeuern, halte ich für einen Frevel. Ich weiß nicht, was in den Köpfen derer vor sicht geht, sie so etwas anordnen. Bei uns in Deutschland ist es leider gelungen, die katholische Bischofskonferenz wie den Rat der Evangelischen Kirchen EKD und mit ihnen viele Gläubige für solcher Art „Klimaschutz“ zu mobilisieren. Als Begründung musste die biblische Forderung, die Schöpfung zu bewahren, herhalten. Aber gehören das CO2, ohne das kein pflanzliches Leben auf der Erde möglich ist, und die Menschen, die es umso mehr emittieren, je intensiver sie leben, etwa nicht zur Schöpfung?
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Interview von Regina Károlyi (Media-Mania.de)
Media-Mania.de: Gleich zu Beginn eine Frage zum Titel Ihres Buchs: Sind Menschen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, in Ihren Augen Nihilisten? Diese Menschen haben doch ein konkretes Ziel vor Augen.
Edgar L. Gärtner: Der Begriff „Nihilismus“ war früher bekannter. Heute gibt es viele Leute, die sich darunter nichts vorstellen können. Ich werde stets danach gefragt. Wenn ich irgendwo auftrete, fange ich immer damit an, zu erklären, was Nihilismus überhaupt ist.
Bei Wikipedia findet man eine Definition des Nihilismus, die nahelegt, Nihilisten würden an gar nichts glauben. Das ist natürlich nicht der Fall. Die Nihilisten glauben durchaus an etwas, und zwar an etwas Gutes, an das absolut Gute. Dabei vergessen sie aber, abzuwägen. Im normalen Leben, das weiß jeder, muss man täglich „Nebenwirkungen“ in Kauf nehmen. Wenn man morgens aus dem Haus und zur Arbeit geht, muss man bereits abwägen, denn man könnte ja unterwegs umkommen. Das ganze Leben ist eine Abwägung. Diese Sichtweise ist den Nihilisten relativ fremd, sie sehen nicht, dass alles einen Preis hat. Im Extremfall geht das so weit, dass Klimaschützer den größten Teil der Menschheit opfern würden, um die globale Durchschnittstemperatur konstant zu halten. Es gibt Aktivisten, die sagen, wir müssen auf null CO2-Ausstoß kommen. Aber solange es Menschen gibt, werden diese immer CO2 produzieren. Wenn man null Emissionen haben will, muss man also auf Milliarden von Menschen verzichten. Zitate belegen, dass manche Leute bereit sind, so weit zu gehen. Das ist zwar nicht die Mehrheit, aber diese Einstellung existiert.
Media-Mania.de: Wie kamen Sie als ausgebildeter Ökologe dazu, sich dem Öko-„Mainstream“ zu widersetzen?
Edgar L. Gärtner: Man macht einen Lernprozess durch. Ich bin zur Ökologie gekommen, als diese noch etwas Ungewöhnliches war. In der ersten Phase meines Studiums habe ich sehr viel Biochemie gemacht, das war damals „in“. Die Biochemiker haben die Struktur der Enzyme enträtselt. Heute erledigen das Computer. Aber damals musste man es mühsam Schritt für Schritt herausbekommen. Und dann gewann an unseren Universitäten ganz langsam die Ökologie an Bedeutung.
Als ich studierte, wurde an der Frankfurter Universität die erste Professur für Ökologie eingerichtet. Jemand, der sich für Ökologie interessierte, war also damals, zu Beginn der 70er, alles andere als „Mainstream“. Man war Pionier, man musste sich durchsetzen und hatte dabei nicht das Gefühl, dass man daraus eine Religion machte. Man ging ziemlich pragmatisch ‚ran. Ich war ja damals in Frankfurt, und zu dieser Zeit war der Main tot – na gut, nicht tot, tot ist ein Gewässer nie. Ich habe den Main selbst analysiert, es gab darin jede Menge Pilze und Bakterien, aber kein höheres Leben. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, da hineinzuspringen, das war eine ganz eklige Brühe.
Damals haben wir uns engagiert, wir hatten auch Bürgerinitiativen, wir kämpften für Kläranlagen. Ich weiß noch, nach einigem Hin und Her hat dann Hoechst angefangen, Kläranlagen zu bauen. Die existierten noch gar nicht, als ich mit dem Studium anfing. Insofern war das schon eine andere Situation als heute. Ab den 70ern wurden nach und nach Investitionen getätigt, und irgendwann gab es im Main wieder Fische. Seit etwa fünfzehn oder zwanzig Jahren gibt es am Main sogar wieder Berufsfischer, was viele Leute gar nicht wissen. Der Main ist also wiederhergestellt und möglicherweise sogar in besserem Zustand, als er vorher war.
Die Menschen haben aber immer noch den Eindruck, dass die Umwelt extrem gefährdet sei, und schimpfen auf die Industrie. Sie sehen darin nicht Hersteller von Produkten, die unser Leben angenehmer machen; sie sehen in der Industrie etwas Böses, das die Umwelt kaputt macht. Und dieser Eindruck hat überhaupt nichts mehr mit der Realität zu tun. Die Realität ist, dass der Main heute wieder weitgehend sauber ist. Eigenartigerweise nimmt das kaum jemand wahr.
Media-Mania.de: Sie kritisieren sowohl die Nachhaltigkeitspolitik als auch das Vorsorgeprinzip. Müssen wir denn nicht, auch im Sinne unserer Kinder, nachhaltig mit den natürlichen Ressourcen umgehen? Und, was die Vorsorge angeht: sicherlich haben Sie auch eine Haftpflicht-, Berufsunfähigkeits- oder ähnliche Versicherung? Wenn der Einzelne sich schon gegen Unwägbarkeiten absichert, sollten das dann nicht erst recht Regierungen tun, die für sehr viele Menschen verantwortlich sind?
Edgar L. Gärtner: Das Versicherungsprinzip und der Gedanke der Vorsorge sind ja etwas Wichtiges. Ich treibe persönlich selbstverständlich auch Vorsorge, als Freiberufler Altersvorsorge, natürlich auch eine Lebensversicherung, Unfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Haftpflicht und Berufshaftpflicht.
Das kostet einen natürlich Geld. Nun sind wir schon beim Thema Geld: Es gibt durchaus einen Punkt, wo die Prämien so teuer werden, dass einem nichts mehr zum Leben bleibt. Und das ist das Problem beim Vorsorgeprinzip, das man von der Vorsorge abgrenzen sollte. Das Vorsorgeprinzip wurde 1992 auf der Rio-Konferenz definiert. Diese Definition ist unscharf und interpretationsbedürftig. Der Begriff „Kosten“ taucht zwar darin auf, es wird aber nicht explizit gesagt, dass man das Prinzip der Verhältnismäßigkeit respektieren muss. Das heißt, die Kosten müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen stehen. Ich habe eine ganze Zitatesammlung, die zeigt, dass manche nur noch an Vorsorge gedacht haben und nicht mehr an die Kosten. So zum Beispiel der damals in der EU federführende österreichische Umweltminister Josef Pröll, der das Vorsorgeprinzip im Jahre 2006 wie folgt auslegte: „Wenn Du Dir nicht sicher bist, welche Auswirkungen etwas hat, lasse die Finger davon.“ Hätten sich die Menschen immer danach gerichtet, hätten sie weder das Feuer gezähmt noch das Rad erfunden!
Sobald die Kosten den Nutzen überschreiten, wird es völlig irrational. Niemand würde eine Versicherung bezahlen, die ihn so viel kostet, dass ihm nichts mehr zum Leben bleibt.
In Amerika ist es schon so weit, dass sich viele Leute bewusst gegen eine Versicherung entscheiden. Die Deutschen sind ja nach Auskunft der Versicherungsfachleute meistens eher überversichert. Das ist unsere Mentalität. Es gibt andere Länder, wo man das etwas anders sieht. Man wägt immer ab: Erst kommt das Leben, dann die Vorsorge, und kein vernünftiger Mensch würde am Leben sparen um der Vorsorge willen.
Die aktuelle Wellnessbewegung ist in dieser Hinsicht auch interessant. Da machen viele Menschen ständig Diät, Gymnastik und so weiter, um ihre Gesundheit zu erhalten, aber leben überhaupt nicht mehr richtig, freuen sich nicht mehr, trinken nicht mal mehr einen und heben sich ihre Gesundheit sozusagen fürs Alter auf. Neulich hat ein bekannter Psychiater gesagt: „Auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.“ Das ist das Problem.
Media-Mania.de: Umwelt- und Klimaschützer möchten Einfluss auf die Politik nehmen. Die „Klimaskeptiker“, auch Sie, werfen diesen um das Wohl des Planeten besorgten, engagierten Menschen vor, eine Art neuer Religion gegründet zu haben. Wie ist das zu verstehen?
Edgar L. Gärtner: Ich habe ja selbst diese Entwicklung mitgemacht; ich habe einige Jahre für den WWF gearbeitet, der sich für den Artenschutz engagiert hat. Dann kam diese, nennen wir’s mal Mode, mit dem Klimaschutz. Nach harten verbandsinternen Diskussionen hat der Verband dann umgeschaltet, und es haben sich die Leute durchgesetzt, die sagten: „Wenn wir keinen Klimaschutz machen, wird uns Greenpeace beim Spendenaufkommen endgültig abhängen.“ Opportunismus also.
Es gab eine Zeit zu Anfang der 70er-Jahre, ich habe das ja von Anfang an mitverfolgt, da war das Klima eine ganz vage Geschichte. Damals waren die meisten davon überzeugt, dass wir uns auf die nächste Eiszeit vorbereiten sollten. Dann, in der zweiten Hälfte der 70er, hat sich Schritt für Schritt die Überzeugung durchgesetzt, dass die Erwärmung die größere Gefahr sei. Aber damals wurde immer noch diskutiert, da hat man auch mal Daten verglichen – so viele gab es noch nicht, die Satellitenbeobachtung begann ja erst in den späten 60ern. Es war also alles noch offen. Irgendwann gab es einen eindeutig feststellbaren Umschlag, wo Fakten eigentlich nicht mehr zählten.
Die Datenlage ist, objektiv betrachtet, so unsicher, dass man eigentlich nichts ausschließen kann. Es kann in den nächsten zwanzig Jahren kühler werden, es kann aber auch weiter wärmer werden, kein Mensch weiß das so genau. Irgendwann hat sich diese Diskussion verselbstständigt: Auf einmal hat die Politik offiziell nur noch auf Erwärmung gesetzt, und hier nun wird es religiös, wird es zur Staatsreligion. Man nimmt also Einwände nicht mehr zur Kenntnis, etwa die Tatsache, dass es seit fast zehn Jahren nicht mehr wärmer wird. Das ist eindeutig, das haben Satelliten gemessen, auch die Bodenmessungen haben das festgestellt.
Media-Mania.de: Wobei Stefan Rahmstorf [vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Anm. Media-Mania.de] ja sagt, die Satellitenmessungen seien unzuverlässig …
Edgar L. Gärtner: Das stimmt nun gerade nicht, unzuverlässig sind die Bodenstationen. Das ist mittlerweile bekannt, weil sie oft in Gegenden stehen, wo in der Nachkriegszeit Veränderungen vorgenommen wurden. So gibt es Stationen, die einmal auf dem freien Feld standen, und mittlerweile befinden sie sich in dicht bebauten Gebieten. Die Temperatur auf einem Parkplatz mit Asphalt kann nicht die gleiche sein wie über einem freien Feld. Die Bedingungen für die Bodenstationen haben sich also über die Jahre geändert. Man kann die Daten, die dort gemessen wurden, gar nicht mehr vergleichen.
Die Satelliten sind Hightech. Sie haben sensible, sehr präzise Messinstrumente, die nur richtig geeicht werden müssen, das ist richtig. Dahingehend muss man investieren. Diesbezüglich hat man auch Korrekturen vorgenommen. Beispielsweise hat man zunächst nicht zur Kenntnis genommen, dass die Satelliten nicht stationär auf derselben Umlaufbahn bleiben, während sie um die Erde kreisen, sondern die ärgerliche Tendenz haben, etwas abzusinken. Also hat man inzwischen die nötigen Korrekturfaktoren eingeführt. Trotzdem zeigen die Messungen in den letzten zehn Jahren keinen Anstieg.
Ich beobachte, dass es Leute gibt, die davon keine Notiz nehmen, weil sie offenbar ein fest gefügtes Weltbild haben. Das ist aber die Charakteristik von Ideologie im Vergleich zur Wissenschaft. Wissenschaft ist ja immer etwas Vorläufiges. Wir Menschen haben zwar Vernunft, ich sage aber immer: Das Licht der Vernunft ist eigentlich nur eine Funzel. Man darf die Vernunft nicht überschätzen, wir sind nicht wirklich in der Lage, mit unserem Gehirn die Welt zu durchschauen. Sie ist so kompliziert, dass wir immer nur einen kleinen Ausschnitt erkennen können.
Wenn Sie z. B. als Chemiker/-in etwas im Labor machen, dann bekommen Sie das ganz gut in den Griff, weil Sie ja alle Randbedingungen konstant halten können. Und wenn es keine Einflüsse gibt, die Sie übersehen haben, können Sie mit Ihrem Experiment wirklich eine Aussage machen. In der freien Natur ist das so nicht möglich, sie ist einfach zu komplex, und man muss sich immer bewusst machen, dass wir nur beschränkte Möglichkeiten haben, diese komplexe Welt wirklich zu erkennen.
Wichtig ist, was man messen kann, und sobald Menschen Computermodellen mehr glauben als Messungen, bin ich alarmiert, weil ich weiß, dass ein Computermodell, selbst wenn es mit größtmöglicher Sorgfalt gemacht ist, nur den jeweils aktuellen Erkenntnisstand abbilden kann: einen winzigen Ausschnitt aus der unendlichen Komplexität. Nicht nur die Luft-, sondern auch die Meerestemperatur ist übrigens in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, sondern eher leicht gesunken.
Media-Mania.de: Von meiner subjektiven Wahrnehmung her waren die Sommer ab 2003 allerdings extrem warm.
Edgar L. Gärtner: Es ist da schon was dran. Ich kann mich erinnern, dass es in den 60ern und 70ern Sommer gab, in denen man froh war, wenn man mal zwei Tage ins Schwimmbad konnte; manche Sommer waren absolut verregnet. Und ich habe bemerkt, dass es in den 90ern, gerade in der zweiten Hälfte der 90er, eine Reihe von sehr schönen Sommern gab. Ich mache mir darüber gar keine Sorgen, sondern freue mich darüber, wenn es wärmer ist, und ich wäre auch froh, wenn es so bliebe. Der letzte Sommer war allerdings daneben.
Media-Mania.de: Sie wohnen ja nicht auf einem Atoll …
Edgar L. Gärtner: Sie meinen den Meeresspiegelanstieg. Man beobachtet einen seit hundert Jahren ziemlich konstanten Meeresspiegelanstieg. Das ist auch bekannt, es gibt in den Häfen offizielle Pegel, die man per Anruf abfragen kann, und in letzter Zeit wird dort sogar eine Verlangsamung des Anstiegs beobachtet. Für den von Al Gore in seinem Film postulierten Anstieg des Meeres um sechs Meter gibt es heute keinerlei Anhaltspunkte.
Media-Mania.de: Durch den Ökologismus – die ins Pseudoreligiöse abgleitende Spielart der Wissenschaft Ökologie – und die daraus resultierende Politik sehen Sie die Freiheit in Gefahr. Bedeuten Einschränkungen beim Konsum, vielleicht auch bezüglich der Mobilität denn wirklich Freiheitsverlust? Müsste man, gerade wenn es um den Weg hin zu erneuerbaren Energien geht, nicht das Wohl der Menschheit in ihrer Gesamtheit über solch luxuriöse kleine Freiheiten stellen?
Edgar L. Gärtner: Ich würde erst einmal gar nicht von Freiheiten reden, sondern von der Freiheit, denn für mich gibt es Freiheit nur im Singular. Wenn man von „Freiheiten“ spricht, könnte man ja auch von „Gleichheiten“ reden. Da würde jeder sofort merken, dass das Unsinn ist. In der französischen Revolution ging es ja nicht umsonst um Freiheit und Gleichheit. Außer um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ging es übrigens auch um Eigentum, was heute manche vergessen – und alles steht in der Einzahl.
Freiheit kann man nur negativ formulieren. Frei sein heißt, kein Sklave sein, nicht abhängig sein von den Launen eines anderen, der über einem steht. Gehorchen soll man nur dem Gesetz und auf dessen Grundlage selbst entscheiden können, was man tut.
Wir wissen, wie gesagt, nicht, wie das Wetter in zehn, zwanzig Jahren sein wird. Insofern finde ich es sehr wichtig, dass jeder selbst entscheiden kann, was er tun möchte. Wer heute ein Haus baut, muss eigentlich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Wer solide baut, macht keinen Fehler. Da kommt die Kosten-Nutzen-Abwägung ins Spiel. Mancher baut „für die Kinder“, aber wer weiß, ob diese nicht einen ganz anderen Geschmack haben? Schon da fängt es an, da muss man abwägen: Soll man ein Haus für die Ewigkeit bauen oder so, wie man es sich leisten kann, dass es eben über die eigene Lebensspanne hält – und mit wieder verwendbaren Materialien? Das wäre ein durchaus interessanter Aspekt.
Ich sehe das so, dass man nach dem gesunden Menschenverstand selbst entscheiden sollte. Derzeit schreibt man den Leuten bestimmte Maßnahmen vor, beim Hausbau zum Beispiel diese Isolierungen, deren Wirkung zum Teil gar nicht wissenschaftlich erforscht ist, wie mir Ingenieure und Bauwissenschaftler aus dem Bekanntenkreis bestätigt haben. Diese sagen, vieles, was in den Normen steht, sei schlicht und einfach Unsinn.
Zum Beispiel ist der K-Wert für den Wärmedurchgang durch eine Wand ein rein theoretischer Wert. Entscheidend ist die Höhe des effektiven Energieverbrauchs in einem Gebäude. Da erlebt man Überraschungen. Ich kenne einen Architekten in der Schweiz, der herausgefunden hat, dass in mehrstöckigen Gebäuden aus der Vorkriegszeit am wenigsten Energie verbraucht wird. Sehr schlecht sind Betonbauten aus der Nachkriegszeit, sehr gut hingegen Backsteinbauten. Der Staat schreibt den Leuten nun vor, sie müssen einige Dezimeter Schaumstoff auf die Außenwand auftragen; das nützt gar nichts.
Sinnvoll sind Fenster mit Doppel- oder Dreifachverglasung. Mit der Isolierung der Außenwand wäre ich sehr vorsichtig. Man weiß, dass eine nach Süden ausgerichtete Backsteinmauer, gerade wenn sie unverputzt ist, im Winter sehr viel Sonnenwärme von außen aufnehmen und nach innen abgeben kann und auch eine sehr gute Feuchtigkeitsregulierung bewirkt. Jetzt kommt der Staat, schreibt den Leuten einige Dezimeter Kunststoff außen vor, sie machen alles dicht – und 50% der Besitzer von Häusern mit Wärmedämmung haben Probleme mit Schimmelbildung. Es gibt zwar auch 50 %, die keine Probleme haben, aber es ist doch ein großes Risiko.
Media-Mania.de: Die Erdöl- und Gaspreise steigen massiv, abgesehen davon, dass die Ressourcen angesichts des zunehmenden Verbrauchs über kurz oder lang, wenn auch deutlich später als vom „Club of Rome“ vorausgesagt, erschöpft sein werden. Sollte eine Rückbesinnung auf die Kernenergie stattfinden, so wird sich auch das Uran irgendwann verknappen und maßlos verteuern. Wenn wir also mittelfristig doch auf erneuerbare Energien angewiesen sind, warum sollten wir nicht möglichst rasch reagieren und von den auf dem Markt umkämpften Rohstoffen unabhängig werden?
Edgar L. Gärtner: Von einer absoluten Verknappung von Erdöl und auch Kohle kann aktuell nicht die Rede sein. Es gibt jede Menge Erdöl, allerdings ist eine Zeit lang nicht viel in die Exploration neuer Vorkommen investiert worden. Das Kartell der Förderländer wird nie offen eine Angabe zur Höhe der Vorräte machen, denn das wirkt sich auf den Preis aus, der natürlich hoch bleiben soll. Ein bisschen passen sie freilich auf, denn sie wollen die Verbraucherländer nicht erdrosseln, wodurch ja der Verbrauch sinken würde. Also versucht man, nicht über die Schmerzgrenze hinauszugehen, aber der heutige Preis ist eindeutig manipuliert – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Viele Menschen wissen gar nicht, dass sogar der größte Erdölkonzern, Exxon, kaum über eigene Quellen verfügt und daher sehr wenig Einfluss hat. Der Ölmarkt ist nun einmal kein freier Markt. Viel besser sind die Verhältnisse bei der Kohle, von der zurzeit kaum jemand behauptet, dass sie knapp wird. Niemand weiß genau, wie viel Erdöl es gibt. Manche Geologen sagen, es sei viel mehr da, als offiziell angegeben wird. Man muss auch erwähnen, dass Erdöl selbst eine erneuerbare Energie ist.
Media-Mania.de: Ich habe darüber in Ihrem Buch gelesen, aber das sollten Sie erläutern, denn ich habe davon vorher noch nie gehört.
Edgar L. Gärtner: Mit der Analytik befasste Chemiker müssen öfters bestimmen, ob Fette oder Öle aus Erdöl oder von Pflanzen oder Tieren stammen. Die üblichen Analysenmethoden gehen davon aus, dass Erdöl abiotisch, nicht biologisch, entstanden ist. Offiziell gilt es aber immer noch als biologischen Ursprungs, das stimmt aber höchstwahrscheinlich nicht. Es entsteht in der Erdkruste spontan unter bestimmten Bedingungen, die man in Versuchen nachstellen kann. Alle Zutaten zur Entstehung komplexer Kohlenwasserstoffe sind ja in der Erdkruste vorhanden, Kohlenstoff sowieso reichlich; es muss nur ein ausreichender Druck vorhanden sein, und es bildet sich spontan Erdöl. Das ist natürlich nicht immer erreichbar für uns, sondern oft viel zu tief, und häufig braucht es Erdkrustenbewegungen, um in unsere Reichweite zu gelangen. Ich würde aber davon ausgehen, dass Erdöl im Prinzip eine erneuerbare Ressource ist.
Media-Mania.de: Es kommt dann natürlich auf das Verhältnis Neubildung zu Verbrauch an, gerade, weil China und Indien nun dazukommen …
Edgar L. Gärtner: Da gibt es noch viel zu erforschen. Es gibt auch bekannte Vorkommen wie die Teersande, deren Erschließung einen großen Aufwand erfordert. Länder wie Kanada mit großen Vorkommen an Ölsanden freuen sich natürlich, wenn der Ölpreis über 100 Dollar bleibt, weil sich dann die Nutzbarmachung lohnt. Der Aufwand, ans Öl zu kommen, wird natürlich immer größer werden, aber das heißt nicht, dass kein Öl mehr da ist. Es wird dadurch selbstverständlich auch teurer, weil man immer tiefer bohren und auf Öle zurückgreifen muss, die nicht die optimale Zusammensetzung haben, zum Beispiel Ölsande oder schwere Öle, die ziemlich großen Raffinerie-Aufwand erfordern. Meiner Meinung nach gibt es aber keinen wirklichen Engpass, und man sollte in diesem Bereich die Probleme ein Stück weit auf sich zukommen lassen. Nun kommt wieder die Vorsorge ins Spiel und die Grenze, ab der sie irrational wird und die Kosten den Nutzen überwiegen. Man sorgt sich um ungelegte Eier und investiert in Technik, die man vielleicht überhaupt nicht braucht. Erdöl wird sicher nie ganz knapp werden, aber wohl irgendwann so teuer, dass man es sich nicht mehr leisten kann; bis dahin wird man sicher Alternativen haben. Vor Jahren sagte der damalige saudi-arabische Ölminister, Scheich Yamani, das Ölzeitalter werde nicht wegen einer echten Ölknappheit zu Ende gehen, ebenso, wie die Steinzeit nicht aufgrund einer Knappheit an Steinen endete.
Media-Mania.de: Im Folgenden nenne ich mehrere Einwände, die den „Klimaskeptikern“ häufig entgegengebracht werden. Bitte nehmen Sie dazu Stellung.
Erstens: Die „Klimaskeptiker“ werden von Lobbys aus der Erdöl-, Braunkohle- und Atomindustrie gesponsert und sind deshalb alles andere als unparteiisch.
Edgar L. Gärtner: Das ist sehr leicht zu beantworten. Heute hat man es bei der offiziellen Klimatheorie längst mit einer Art Staatsreligion zu tun, es gibt zurzeit weltweit keinen einzigen Konzern, der bereit wäre, auch nur einen Euro locker zu machen für die Position der Klimaskeptiker. Vor einem Monat war ich in New York auf einer großen Konferenz von „Skeptikern“, die von einem reichen Privatmann finanziert wurde, der zwar sicher sein Geld irgendwo in der Wirtschaft gemacht hat, aber es steckte keine Firma, kein Konzern dahinter. Es war eine Ausnahme, fast ein Zufall, dass sich jemand fand, der das finanziert hat. Keine Firma macht das heute mehr, nicht mal Exxon, die immer im Verdacht standen, so was zu machen. Aber das ist nun schon länger her.
Media-Mania.de: Und die Atomindustrie auch nicht?
Edgar L. Gärtner: Bei der Atomindustrie ist es etwas komplizierter. In der Vergangenheit hat sicher mancher von ihr profitiert. In der deutschen Atomindustrie gab es Leute, die fleißig mitgeholfen haben, die Klimahysterie zu schüren, weil sie dachten, auf diesem Umweg die Atomenergie praktisch wieder geschäftsfähig zu machen. Dieses Kalkül ist bislang nicht aufgegangen, aber da ist sicher einiges gelaufen.
Media-Mania.de: In letzter Zeit hat die Anzahl „klimaskeptischer“ Veröffentlichungen etwas zugenommen, sodass der Eindruck entstehen könnte, es fände tatsächlich eine Auseinandersetzung über das Thema „Klimaschutz und –wandel“ statt. In Wirklichkeit legen aber nur ein paar vereinzelte Personen ihre provokativen Thesen dar, denen Tausende renommierter Wissenschaftler gegenüberstehen.
Edgar L. Gärtner: Klar, auf dem deutschen Buchmarkt gibt es zurzeit mehr „skeptische“ Bücher, glaube ich, als „fromme“, möglicherweise sogar bezüglich der Verkaufszahlen, aber die aktuellen Zahlen kenne ich nicht. Die Diskussion ist nicht abgeschlossen. Gerade wird im Europaparlament eine Resolution diskutiert, in der gleich zu Anfang steht, dass die Klimafrage wissenschaftlich abgeschlossen sei. Also besteht kein weiterer Forschungsbedarf mehr, alles ist klar, das ist die offizielle Version. Die findet man natürlich nicht so häufig in Büchern, denn ein Wissenschaftsjournalist, der seine Aufgabe ernst nimmt, kann so etwas gar nicht schreiben: Eine Wissenschaft ist nie abgeschlossen. Wissenschaften und ihre Aussagen sind immer vorläufig, es kommt immer jemand, der etwas besser weiß, und selbst bewährte Theorien werden irgendwann relativiert, wie zum Beispiel Newton durch Einstein. Natürlich wirft man Newton nicht zum alten Eisen, weil Einstein gekommen ist, aber er wurde eben relativiert. Und so ist es immer in der Wissenschaft – jemanden, der behauptet, es bestünde kein Forschungsbedarf, den kann man nicht ernst nehmen.
Es gibt auch immer mehr Forschungsergebnisse, die nicht in das bisherige Bild passen. Um ein Beispiel zu nennen: Die Klimamodelle gehen ja davon aus, dass der Erwärmungseffekt nicht allein vom CO2 ausgeht – 0, 038 % Anteil in der Atmosphäre können das nicht bewirken -, sondern dass es ein positives Feedback gibt zwischen CO2 und Wasserdampf, denn es ist viel mehr Wasserdampf da, und er ist viel wichtiger für die Temperaturentwicklung in der Atmosphäre.
Nun gibt es Satellitenmessungen – keine Modelle, Messungen! -, die nach Ansicht von Roy Spencer von der University of Alabama zeigen, dass Wasserdampf hauptsächlich ein negatives Feedback erzeugt, das heißt, wenn die Luft wärmer wird, wird sie auch feuchter; das tritt vor allem in den Tropen auf. Dort kann man die Satelliten auch sehr einfach auf einer stationären Umlaufbahn halten. Wenn es wärmer wird, gibt es mehr Wasserdampf in der Atmosphäre, mehr Wolken und mehr Niederschläge. Es existiert ein enger Zusammenhang zwischen Temperatur und Niederschlägen, und man kann sagen, dass diese Gase mehr wie ein Thermostat als wie ein Treibhaus wirken, das sich immer mehr aufheizt. Ich nenne sie gar nicht mehr Treibhausgase, sondern bezeichne das als messbaren „Thermostateffekt“.
Man kennt die Klimahistorie inzwischen ganz gut und weiß, dass Afrika immer von wärmeren Phasen der Klimageschichte profitiert hat. Nach der letzten Eiszeit gab es ja eine Warmzeit, ein so genanntes Klimaoptimum, da war die Sahara extrem zusammengeschrumpft und regelrecht grün geworden. Die Ausdehnung des Tschadsees ist aufgrund von Ablagerungen bekannt – dazu braucht man keine Computer, das kann man mit bloßem Auge sehen. Der Tschadsee hatte seine größte Ausdehnung, wenn es auf der Erde wärmer war, und ist geschrumpft, wenn es kühler wurde. Insofern ist die Erwärmung für Afrika eine gute Nachricht, und wenn sich die Erde in den kommenden Jahrzehnten wieder abkühlen sollte, wie manche befürchten, würde sich das auf ganz Afrika negativ auswirken. Eine Erwärmung wäre also durchaus wünschenswert, und man müsste und sollte keine Milliarden investieren, um sie zu bekämpfen. Heute [04.04.08, Anm. Media-Mania.de] konnte man in der FAZ nachlesen, dass in der Zeitschrift „Nature“ führende Leute des IPCC wie Tom Wigley und Roger Pielke jr. darauf hingewiesen haben, dass alles, was man jetzt für den Klimaschutz tut, nichts nützen wird. Die ziehen allerdings daraus den Schluss, Nullemission zu fordern. Ich hingegen würde daraus schließen: Wenn das, was man jetzt tun will, nichts nützt, verzichtet man darauf und lässt den Dingen ihren Lauf. Wir würden ja auch gerne Erdbeben verhindern, können es aber einfach nicht.
Media-Mania.de: Die „Klimaskeptiker“ werfen den Mitgliedern des IPCC oft eine unwissenschaftliche Vorgehensweise vor. Doch bei diesen handelt es sich um qualifizierte Wissenschaftler. Sonst wären sie sicher auch gar nicht in dieses Gremium gelangt.
Edgar L. Gärtner: Das IPCC ist ein Gremium aus zweieinhalbtausend Leuten, und von diesen zweieinhalbtausend sind, glaube ich, nur etwas über hundert wirklich aktive Forscher. Die meisten Mitglieder würde ich als Klimafunktionäre bezeichnen; sie werden von ihren jeweiligen Regierungen entsandt. Die meisten der knapp zweihundert UNO-Mitgliedsstaaten haben Funktionäre in dieses Gremium entsandt, aber viele dieser Staaten, darunter kleine Inselstaaten, betreiben keine eigene Klimaforschung, die haben kein einziges Institut.
Die aktiven Forscher sind also in der Minderheit, und auch sie werden entsandt und kommen nicht über ein Qualifizierungsverfahren in das Gremium. Zudem weiß man, dass einige sehr gute Forscher nicht im IPCC sind, und es gibt auch einige, die das Gremium auf eigenen Wunsch in den letzten Jahren wieder verlassen haben, weil das Verfahren ihnen zu undurchsichtig erschien, und sie falsch zitiert wurden.
Man muss auch erwähnen, dass die IPCC-Reports von zwei Handvoll Leuten geschrieben werden. Wie gesagt, es handelt sich um Klimafunktionäre oder Klimadiplomaten, aus Deutschland etwa werden Leute aus den zuständigen Ministerien entsandt. Obwohl sie ein Studium und eine Qualifikation vorweisen können, sind sie keine Forscher, sondern Diplomaten. Und die diskutieren dann das Summary for Policy Makers, den einzigen Teil der Reports, der eventuell noch gelesen wird. Da wird jedes Wort von dem ganzen Gremium diskutiert, man einigt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und kommt dann oft zu nichts sagenden Aussagen, weil eben im Endeffekt alle zustimmen müssen. Ich will damit nichts gegen die UNO sagen, das ist ein anderes Problem.
Auch Leute wie Tom Wigley, die wirklich unmittelbar involviert sind, haben offen gesagt: „Wir waren nicht ehrlich.“ So wie jetzt in „Nature“, wo er meint, die Aussagen über die Gegenmaßnahmen seien nicht gedeckt vom Forschungsstand, und die Gegenmaßnahmen nützten nichts. Wenn das stimmt, wenn die Modelle, auf die sich das IPCC stützt und die ja übrigens eine große Spannbreite haben (interessanterweise sagt keines dieser Modelle eine Abkühlung voraus, was ja statistisch zu erwarten wäre), dann ist die neueste Erkenntnis die, dass die Erwärmung unvermeidlich ist, und dann hat es auch keinen Sinn, Milliarden für ihre Bekämpfung auszugeben.
Ich persönlich halte mich meistens den ganzen Sommer über am Mittelmeer auf und könnte mit einer mäßigen Erwärmung gut leben; es gibt auch Studien, die besagen, dass eine solche Erwärmung den Menschen zuträglich wäre: Man hätte weniger Erkältungskrankheiten – es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen kalten Wintern und Erkältungshäufigkeit, in kalten Wintern sterben auch viel mehr Leute. Nicht zufällig ist die Lebenserwartung in Südfrankreich um einige Jahre höher als in Nordfrankreich. Der Wirtschaft ginge es insgesamt besser, der Landwirtschaft sowieso. Das wäre günstig für die Ernährungssituation, denn man könnte die Landwirtschaft bis ins nördlichere Sibirien ausdehnen. Wie schon erwähnt, wäre für Afrika die Erwärmung ein Segen, weil es dort in wärmeren Zeiten mehr regnet. Daraus ergäbe sich also wohl kein Problem.
Es gibt eine enge Korrelation zwischen Temperatur und Sonnenaktivität. Ich bin zwar kein Spezialist dafür, aber die Korrelation ist eindeutig …
Media-Mania.de: So viel ich weiß, stimmt sie für die letzten Jahre aber nicht mehr.
Edgar L. Gärtner: Doch, in der Diskussion waren einige Leute wie Prof. Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) etwas voreilig, denn der Sonnenzyklus hat sich zwar schon eine Weile abgeschwächt, richtig, das läuft auseinander, aber man muss annehmen, dass es da eine Zeitverzögerung gibt. Das ist auch einsichtig, denn die Erde absorbiert den größten Teil der Sonnenenergie über die Meere, also über warmes Wasser. Der Löwenanteil der Sonnenstrahlen besteht ja aus Infrarotstrahlen, es sind also schon Wärmestrahlen, die ankommen. Und diese heizen die riesigen Ozeane auf. Wasser hat eine große thermische Trägheit, von der wir auch profitieren. Sonst würde es im Winter ja viel kälter. Manche Leute rechnen daher mit einer Verzögerung von zehn Jahren. Und dann wäre das stimmig, denn, wie schon erwähnt, haben sich die Ozeane in den letzten Jahren nicht mehr erwärmt.
Media-Mania.de: Ich komme kurz auf die Forscher zurück. Sie sagen, es gebe im IPCC sehr wenige Forscher – muss man denn dort nicht vor allem Leute haben, die weniger an vorderster Front forschen, sondern eher Forschungsergebnisse kompetent zusammenführen und interpretieren?
Edgar L. Gärtner: Als Wissenschaftsjournalist habe ich mich natürlich mit der Aggregierung von Wissen befasst, denn die meisten Forscher sind ja, wie man abwertend sagt, Fachidioten, weil man Hochleistungsforschung natürlich nur auf einem sehr engen Gebiet machen kann. Ein Generalist kann keine wirkliche Forschung betreiben. Wer an vorderster Front forscht, ist also stark spezialisiert und hat nicht mehr die Übersicht. Man muss irgendwelche Mechanismen finden, die diese Aggregierung leisten, das ist richtig, und das gilt auch nicht nur für die Wissenschaft. Es gibt ein Buch von James Surowiecki, „Die Weisheit der Vielen“, und das bezieht sich zum Beispiel auch auf die Wirtschaft. Der Autor leitet darin viele sauber aufgelistete Erkenntnisse ab, und er sagt sinngemäß: „Wenn man erreichen will, dass ein Kollektiv schlauer ist als ein Einzelner, muss gewährleistet sein, dass die Einzelnen, die ihre Meinungen kundtun, voneinander unabhängig sind.“ Das ist ja auch der Grund, weshalb man in Wahlkabinen und nicht öffentlich wählen lässt.
Eine andere Bedingung ist, dass es in der Aggregierung eine Art Marktmechanismus gibt, eine Art Wissensmarkt, ein Wechselspiel von Angebot und Nachfrage mit einer gewissen Auslese. Wenn man das IPCC sieht, beobachtet man, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, denn die Mitglieder des IPCC sind nicht voneinander unabhängig. Deren Karriere hängt extrem davon ab, was andere über sie denken, weshalb sie sich oft gar nicht leisten können, ihre Gedanken offen auszusprechen. Was eben auch dazu führt, dass eine Reihe von bekannten „Skeptikern“ alte Leute sind, denn die konnten ihren Mund erst aufmachen, als sie pensioniert wurden. Ein aktuelles Beispiel ist ein führender französischer Physiker, der vor kurzem pensioniert wurde und nun unter dem Pseudonym Jean Martin den Blog „Pensée unique“ betreibt. Er möchte seine Identität nicht preisgeben, um die Mitarbeiter des Instituts, das er geleitet hat, nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Die Gegenseite sagt: „Das sind alte Knacker, die haben nicht mehr die Kurve gekriegt, sind verkalkt“ und so weiter. Ich sehe das eher positiv, weil diese Menschen unabhängig sind, keine Karriereperspektiven mehr haben und deshalb sagen können, was sie wirklich denken und aufgrund ihrer reichen Erfahrungen einiges besser einschätzen können als junge Leute, die neu in der Materie sind.
Man muss ja auch erwähnen, dass Klimaforscher nicht unbedingt Spezialisten sind, viele von ihnen kennen sich besser mit Computern aus als mit dem realen Wetter. In meinem Studium habe ich selbst Bioklimatologie betrieben: Wir haben anhand von Zeigerpflanzen Klimazonen festgelegt; anhand des Jahresgangs der Temperatur und der Niederschläge kann man eigentlich alles einteilen, und dann nimmt man Pflanzen, vorzugsweise Bäume, und kann damit Klimazonen auf den Kilometer, teils Meter, festlegen. Da habe ich also aktiv mitgearbeitet. Viele von den Leuten, die Modelle bauen, kennen das gar nicht. Die haben Mathematik oder Physik studiert und waren wahrscheinlich auch ganz gute Studenten, wissen aber zu wenig über das Klima.
Media-Mania.de: Es müssten also zum Beispiel mehr Meteorologen im IPCC sein.
Edgar L. Gärtner: Ja, es sind erstaunlich wenige Meteorologen dabei. Als Beispiel: Stefan Rahmstorf ist theoretischer Physiker und hatte ein Thema, das in Richtung Einstein ging. Damit hat er sich wohl nur geringe Karrierechancen ausgerechnet und sich noch im Rahmen seines Studiums umorientiert. Aber er hat nicht Meteorologie oder Klimatologie studiert.
Media-Mania.de: Haben Sie ein weiteres Buch in Planung oder in Arbeit, und wenn ja, worum wird es darin gehen?
Edgar L. Gärtner: Ich beschäftige mich sehr stark mit dem Problem des gesunden Menschenverstandes, was schon mit der Frage beginnt, ob es so etwas überhaupt gibt, denn manche streiten das ab. Ich habe im Moment nicht vor, darüber ein Buch zu schreiben, aber später vielleicht schon. Das ist auch ein sehr politisches Thema. Natürlich wird es auch ein paar Aspekte aus der Hirnforschung geben, weil sich da zurzeit viel tut, aber das wäre nicht die Hauptsache. Ich bin da sehr stark beeinflusst von der Philosophin Hannah Arendt. Es gibt nicht viele Philosophen, die über den gesunden Menschenverstand geschrieben haben. Dieses Projekt ist jedoch noch nicht so konkret.
Ich möchte aber gerne vorher ein Büchlein schreiben zum Thema „Achtung! Das funktioniert!“, ausgehend von der Beobachtung, dass heute etwas, das funktioniert, schon fast verdächtig wirkt. Die Leute sehnen sich ständig nach Dingen, die nicht funktionieren können. Ich möchte eine Art Lexikon machen – alphabetisch, nicht so verschachtelt, etwas leichter. Über mein Buch [„Öko-Nihilismus“, Anm. Media-Mania.de] haben viele Leute gesagt, es sei gut, aber nicht so leicht zu lesen, man brauche viel Zeit. Es ist in der Tat etwas dicht geschrieben, aber der Umfang war vom Verlag vorgegeben. Und da möchte ich nun etwas leichtere Kost bieten, ein Lexikon also, sozusagen Kraut und Rüben, Technik, aber auch Politik und Aspekte aus dem normalen Leben bis hin zur Religion, denn dort gibt es ja auch Dinge, die funktionieren.
Media-Mania.de: Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Edgar L. Gärtner: Danke.
(Dieses Interview wurde von Regina Károlyi am 04.04.2008 2008 in Frankfurt/Main geführt.)
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Besprechungen
Wenn ein ausgebildeter und versierter Ökologe die gängige Politik im Namen der Ökologie scharf angreift, so mag das auf den ersten Blick verwundern. Traut man sich, ein Buch zu lesen, das sich massiv gegen den “Mainstream“ der Publikationen zum Thema Klima- und Umweltschutz wendet, dann wundert man sich anschließend eher darüber, dass sich nicht mehr Fachkundige wie Edgar L. Gärtner kritisch bezüglich der aktuellen Politik und Stimmungsmache äußern.
Denn, so vermag der Autor schlüssig und unkompliziert nachzuweisen, die Klimadebatte und die damit verbundenen Restriktionen für den Einzelnen beruhen größtenteils nicht auf Daten, die mittels naturwissenschaftlicher, eindeutiger Methoden gewonnen wurden, sondern auf Computersimulationen, die auch heute noch extrem fehlerbehaftet sind und sich an Größen orientieren, die nach dem aktuellen Wissensstand so nicht stimmen und im Grunde jedes gewünschte Ergebnis liefern können.
Schritt für Schritt analysiert Edgar L. Gärtner die Umweltschutzpolitik der letzten Jahrzehnte. Er zeigt, dass Nachhaltigkeit, von der Idee her durchaus klug, in der von Politikern propagierten Form nur zu Verarmung eines Großteils der Bevölkerung und zu einem wirtschaftlichen Rückschritt führen kann. Vor allem geht es ihm darum, deutlich zu machen, dass die von oben verordnete und logisch nicht nachvollziehbare Klimaschutzpolitik auf einen massiven Verlust des Einzelnen an Freiheit, einem demokratischen Grundrecht, abzielt. Dazu gehören nicht einmal so sehr die Versuche, die Mobilität des Bürgers durch unmäßiges Verteuern und Verleiden des Autofahrens einzuschränken, sondern sondern durch regelrechte Planwirtschaft (beispielsweise Reduktion eines erheblichen Teils der Kohlendioxidemissionen in kürzester Zeit, obwohl mittlerweile vieles gegen das Kohlendioxid als wesentlicher Faktor im Klimageschehen spricht). Politiker versuchen, ein neues, die Bevölkerung in ihrer Angst einigendes Feindbild zu kreieren, das Kohlendioxid, nachdem der alte Feind “Kommunismus“ mit dem Ende des Kalten Kriegs abhanden gekommen ist.
Die Ökologie hat sich dem Autor und seinen Argumenten zufolge zum Ökologismus gewandelt, einer Religion oder einem Religionsersatz zur Erzeugung eines schlechten Gewissens und eines Heilsgedankens; diese Religion hält sich allerdings für die allein verbindliche und stellt somit unser Recht auf Religionsfreiheit infrage.
Gärtner spürt vielen Aspekten des Ökologismus seit seinen Anfängen nach, die etwa bei Rousseau anzusiedeln sind: dem Nachhaltigkeitsgedanken, dem “Vorsorgeprinzip“, das vor lauter Sorge um die Zukunft die Gegenwart brachliegen lässt, und dem eigenartigen Demokratieverständnis der Anhänger des Ökologismus.
Wer sich ausschließlich an den Massenmedien orientiert, ohne den gesunden Menschenverstand einzusetzen, wird diesem Buch wenig abgewinnen können, denn es fordert den berühmt-berüchtigten “Common Sense“ ein und dazu den Willen, sich auf naturwissenschaftliche Zusammenhänge einzulassen und anzuerkennen, dass es keineswegs die viel propagierte Übereinstimmung unter den so genannten Klimaforschern gibt, sondern vor allem eine Jagd nach ziemlich willkürlich verteilten Fördergeldern. Warum sonst würden Klimaforscher, lange Zeit dem “Mainstream“ angehörig, nach ihrer Pensionierung plötzlich gegen diesen angehen?
Der Autor als Naturwissenschaftler kritisiert nicht zu Unrecht, dass in den zum Klimaschutz berufenen Gremien hauptsächlich Computerspezialisten sitzen, nicht jedoch, wie anzunehmen, Naturwissenschaftler, vor allem auch Geologen und Astronomen. Angesichts dieser Tatsachen fällt es Gärtner leicht, Aussagen nicht nur des “Club of Rome“ in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, sondern auch aus populärwissenschaftlichen oder Fachartikeln zum Thema ad absurdum zu führen.
Gärtner untersucht die Ursachen des aktuellen Verlustes an Freiheit (Meinungsfreiheit eingeschlossen, denn wer sich kritisch-fundiert zur politisch motivierten Ökologie äußert, muss, wie auch die Rezensentin weiß, ein starkes Rückgrat haben), der von einem nicht geringen Teil der Bevölkerung schweigend mitgetragen wird, und damit einhergehende Phänomene auf ihre Relevanz für die künftige Wirtschaft.
Dass sich im Sinne der Unterbindung der Freiheit abseits der öffentlich zugänglichen Räume einiges tut, ist unbestritten, und der liberale Autor zeigt zudem auf, wie die zunehmende Freiheitsbeschneidung sich gerade auf die abhängig Beschäftigten auswirkt. Denn jeder einzelne Mitarbeiter sollte, meint Gärtner, seinen Grundrechten entsprechend, seine Zukunft und die seiner Kinder und Enkel weitestgehend selbst gestalten dürfen, was schon allein aufgrund der exorbitanten Einkommensbesteuerung zunehmend schlechter möglich ist.
Kaum ein Aspekt zum Thema, den Gärtner sich nicht vornimmt, und die Parteienlandschaft kommt durch die Bank schlecht weg. Ob sich der Leser nun über den wirklich notwendigen Umweltschutz oder den Sinn und Nutzen einer Gelben Tonne informiert, der Autor argumentiert immer logisch. Allerdings setzt er gelegentlich mehr angelesenes oder an der Hochschule erworbenes Sachwissen voraus, als der Leser unter Umständen mitbringt, und sein Stil wirkt streckenweise zu gedrängt. Er zeigt jedoch schonungslos auf, woran etliche Menschen heute auf Kosten der Mehrheit verdienen, und gibt allen anderen die Chance, dies zu unterbinden. Man muss nicht unbedingt in jedem Detail mit Gärtner übereinstimmen, sollte aber im Sinne einer differenzierten Meinungsbildung Bücher wie dieses gelesen haben.
Regina Károlyi, Media-Mania.de
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Eine philosophische Abrechnung mit der Politischen Ökologie
von Dr. Gerhard Voss
Einen nicht ganz einfachen Lesestoff präsentiert der studierte Hydrobiologe und Umweltjournalist Edgar L. Gärtner mit seinem fast 300 Seiten umfassenden Buch über die Hintergründe der weltweiten umwelt- und klimapolitischen Entwicklungen. Als früherer Akteur der „grünen“ Bewegung gehört Gärtner heute zu den selteneren kritischen Geistern in der Umweltdiskussion. Sein Buch ist deshalb auch nicht nur eine distanzierte Würdigung aktueller umweltpolitischer Daten und Fakten, sondern mehr eine engagierte, mit vielen historischen Bezügen und philosophischen Argumenten gespickte Abrechnung mit der politischen Ökologie.
In einer Gesellschaft, die gerade auch in der Umwelt- und Klimapolitik auf political correctness Wert legt, wirkt schon der Titel des Buches provozierend. Um die Studie richtig einordnen zu können, muss man sich unvoreingenommen auf die Suche nach dem Wertegerüst begeben, von dem aus der Autor die politischen Entwicklungen beurteilt. So lässt er gleich zu Beginn in einer persönlichen Vorbemerkung den Leser wissen, dass er sich politisch bei den “Radikal-Liberalen“ oder “Libertären“ und „Konservativen mit mehr oder weniger engen religiösen Bindungen“ verortet. Unmissverständlicher könnte seine Positionsbestimmung auch lauten: Liberal mit religiösen Bindungen. Märkte sind für ihn nicht von sich aus frei, sondern bedürfen „der politischen Gestaltung einer universal-moralisch begründeten Rahmenordnung“ (S. 230). Dabei beruft Gärtner sich auch auf Friedrich August von Hayek, der wiederholt auf Bezüge zwischen Marktwirtschaft und christlicher Religion hingewiesen hat.
Wichtig für den Standpunkt des Autors ist aber auch seine Definition von Nihilismus, die im ersten Kapitel auf Seite 22 erfolgt. Nihilist sein bedeutet nicht, an nichts zu glauben, sondern nicht zu glauben an das, was ist. Der Realitätsverlust so mancher Politiker ist ein Symptom dieser Haltung. Am Schluss des Buches, im Abschnitt „Ein amerikanischer Traum von Europa“, wird Gärtners Weltsicht nochmals komprimiert beschrieben: Das Argumentationsmuster, mit dem Albert Camus seinerzeit totalitäre und nihilistische Entwicklungen im 20. Jahrhundert gegeißelt hat, bildet den anspruchsvollen politischen, philosophischen und letztlich auch religiösen Hintergrund des Buches. Öko-Nihilismus steht bei Gärtner für Verachtung der „unveränderlichen menschlichen Natur“, für „Ersatz individueller Freiheitsrechte durch Wertekataloge, die Gesinnungsterror rechtfertigen“ wollen. In diesen Kontext ist auch der „gesunde Menschenverstand“ einzuordnen, dem der Autor mit Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre sozusagen die Rolle eines generellen Problemlösers zuweist.
Vor dem Hintergrund des beschriebenen Wertegerüstes entwickelt der Autor seine harsche Kritik am Wohlfahrtsstaat und an der politischen Ökologie, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Aufgrund seiner intimen Kenntnisse über die Entwicklung der Umweltbewegung in Deutschland werden die verschiedensten polit-ökologischen Strömungen sowie umweltpolitische Aktionsprogramme und Maßnahmen unter die Lupe genommen. Kritik wird vor allem am Vorsorgeprinzip geübt. Wie in der Sozialpolitik des Wohlfahrtsstaates würden auch in der Umweltpolitik mit diesem Prinzip Maßnahmen, Programme, Gesetze und Verordnungen begründet, die dem Einzelnen die Luft zum Atmen rauben würden. Die Wurzeln dieser Entwicklung liegen nach Ansicht des Autors bei dem heute dominierenden „jakobinschen“ Primat der Politik, „bei dem das Recht auf Freiheit hinter das Recht auf Existenz durch staatliche Fürsorge zurücktritt“ (S. 173). Nicht zuletzt auch die Programme und Pläne für eine nachhaltige Entwicklung hätten nichts anderes zum Inhalt, als dass sie die Menschen zu ihrem Glück zwingen wollten. Nachhaltigkeit ist für Edgar Gärtner, so wie es auch die Enquete-Kommission des Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ formuliert hat, kein planbarer, wissenschaftlich begründbarer Zustand, sondern eine „regulative Idee“ im Sinne Kants, „ein offenes erkenntnistheoretisches Konstrukt, das dem menschlichen Verstand bei Such- und Lernprozessen die Richtung weist“ (S.193).
Allerdings ist auch der Autor selbst nicht gefeit vor Polemik und überzogenen Positionen. Das ist beispielsweise bei den an vielen Stellen des Buches fast ideologisch anmutenden Ausführungen zu den klimapolitischen Zusammenhängen der Fall. Die Einordnung von Theorien über eine drohende Klimakatastrophe – so fragwürdig sie auch sein mögen – als „von selbsternannten Hohepriestern frei erfunden“ (S. 243), überschreitet nicht nur das Gebot der political correctness, sondern schneidet auch den Weg ab für eine bessere politische Bewertung von Erkenntnissen der Klimaforschung. Insgesamt fehlt die konstruktive Würdigung der Existenz globaler politischer Gestaltungsaufgaben, gerade auch in der Umwelt- und Klimapolitik. Auch so mancher vernünftige Ansatz in der Wirtschaft und Gesellschaft für den Umwelt- und Klimaschutz sowie die internationale Zusammenarbeit gehen im Kritikhagel des Autors unter. Zudem erscheint die Beschreibung der Umwelt- und Klimapolitik als ein Werkzeug der Kalten Krieger sehr eigenwillig. Auch so manche Problemgewichtung und Kritik ist unverhältnismäßig. Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. So wird beispielsweise die Agenda 21 sehr einseitig ausgelegt und in ihrer Bedeutung weit überschätzt. Das gilt auch für den Emissionshandel. Für den im Umwelt- und Klimaschutz engagierten Bürger, Wissenschaftler und Politiker bietet das Buch dann auch für den Alltag nur begrenzte Hilfestellungen. Aber es provoziert und zwingt den Leser zur Überprüfung seiner eigenen Position oder Vorurteile.
Unabhängig von seiner umwelt- und klimapolitischen Einordnung ist das Buch aber ein eindrucksvolles Plädoyer für eine freiheitliche Wirtschaft und Gesellschaft, die nicht einfach dem Laissez-faire frönt, sondern in der die individuelle Freiheit und Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund gestellt wird. Lesenswert ist das Buch vor allem auch deswegen, weil das Plädoyer für die Freiheit mit vielen originellen historischen Bezügen und philosophischen Darstellungen verknüpft wird. Dabei erfolgt auch eine lehrreiche, zum Teil recht eigenwillige Auseinadersetzung mit einschlägigen Philosophen, Soziologen, Historikern und politischen Strömungen.
Dr. Gerhard Voss
Langjähriger Leiter der Forschungsstelle Ökonomie/Ökologie im IW Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
(erschienen in: Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht (ZfU), Nr. 4/2008)
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DIE WELT vom 1. September 2007
Buchtipp
Jungks Atomstaat geht, Gabriels Karbonstaat kommt
Von Ulli Kulke 1. September 2007, 13:00 Uhr
Edgar L. Gärtner plädiert dafür, in der Klimadebatte einen kühlen Kopf zu bewahren. Nicht der Islamismus ist für den Autoren der Nachfolger des Kommunismus als Gefahr für den Westen, sondern der ökologische Totalitarismus. Die Naturwissenschaft wird zur Umweltwissenschaft.
Öko-Nihilismus
Im Jahre 1977 veröffentlichte der Sachbuchautor Robert Jungk seinen Klassiker „Der Atomstaat“. Ein düsteres Szenario. Jungk stellte neben die damals um sich greifende Angst vor atomarer Strahlung, vor dem GAU, vor der Jahrtausendlast Atommüll, auch noch die Furcht vor dem totalen Überwachungsstaat. Durch diesen, so lautete die Lesart Jungks, werde die Bundesregierung die nuklearen Risiken der geplanten rund 50 Atomkraftwerke einzudämmen versuchen – mit ungewissem Ausgang, versteht sich.
Jungks Szenario blieb ein Horrorgemälde, der GAU im Lande kam nicht, auch Big Brother war weiterhin Science fiction. Wenn sich heute Totalitäres abzeichnet, so aus einer ganz anderen Richtung, platt gesagt aus der Gegenströmung heraus. Auch wenn es abermals um den Energiebereich im Lande geht, die Grundlage der Volkswirtschaft. Edgar Gärtner warnt in seinem neuen Buch „Öko-Nihilismus“ vor den einschneidenden Konsequenzen, die die aus seiner Sicht mehr als fragwürdig verlaufende, aber dennoch verhängnisvolle Klimadebatte auf unser Leben haben wird.
Gerade auch dieser Tage, lange nach Drucklegung des Buches, wird deutlich, wie einschneidend sich im Zuge des neuen Diskurses die Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft verändern wird. Die mit viel Aplomb und professioneller Medienarbeit im Frühjahr vorgestellten Weltklimaberichte waren da nur der publicityträchtige Überbau, jetzt aber wird es ernst.
Der „Klimacent“ ist in die Debatte geworfen. Auch wenn seine Einführung sogleich dementiert wurde: Die Steuer wird kommen, und sie wird gewaltig ausfallen, schließlich soll die Energie aus dem Markt genommen und in eine staatlich bestallte Branche überführt werden, in dem nicht mehr die 2,5 Cent teure Kilowattstunde aus der Kernkraft dominiert, sondern die viermal so teure aus Wind und Sonne – gespeist aus Steuermitteln. Der Staat wird auch das andere Ende der Stromleitung beherrschen: Niemand soll mehr Strom und Wärme nach Gutdünken ins eigene Haus holen dürfen. Baden-Württemberg macht den Anfang und schreibt vor, welche Aggregate im Keller oder auf dem Dach zu installieren sind. Bundesweit schließlich wird kein Haus mehr privat verkauft werden dürfen, ohne dass es einem staatlichen Klimacheck unterworfen wurde, vom First bis zum Fundament.
Die immer anspruchsvolleren Klimaziele, die sich nicht nur die Bundesregierung, sondern alle Parteien, alle gesellschaftlichen Gruppierungen gesetzt haben, zeigen: Dies ist nur der Anfang. Sehr verhalten nur beginnt es nun den Wirtschaftsverbänden zu dämmern, wohin der mit erneuerbaren Energien getriebene Zug im Lande hinrollt: Werden die Verbände, ja wird die ganze Marktwirtschaft obsolet wie bei der letzten großen Umwälzung der Heizer auf der E-Lok? Wird der unheimliche Lenin wiederauferstehen und seinen alten Spruch „Sozialismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ nun etwas abgewandelt unter die Leute bringen: „Sozialismus ist Grüne Macht plus Solarstrom?“
Kein Zufall ist es jedenfalls: Die Energiewirtschaft, die Schlüsselbranche, scheint nur allzu verlockend zu sein als Hebel für politische Umbrüche, ob gewaltsam oder auf leisen Sohlen. Sie ist gut