Martin Mosebach: DIE 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018. 270 S. € 20,-
Der Katholik Martin Mosebach, bekannt als Autor erfolgreicher Romane wie auch als scharfer Kritiker der Liturgie-Reform seiner Kirche nach dem II. Vatikanum, sieht im Bluts-Zeugnis der im Februar 2015 am libyschen Strand von vermummten IS-Terrorsten hingerichteten 21 christlichen Wanderarbeiter einen Anlass, um der Frage nachzugehen, wie die römische Kirche die Unterwerfung unter die relativistische Zivilreligion beziehungsweise die Islamisierung noch verhindern könnte. Das ägyptische Urvolk der Kopten hat 1.400 Jahre unter der Herrschaft des Islam – offenbar geistig unbeschadet – überstanden. Heute ist die Zahl der Kopten größer als je zuvor. Wie groß genau, verheimlicht die ägyptische Regierung allerdings. Die koptische Kirche, deren Zeitrechnung mit der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Diokletian beginnt (sie schreiben heute das Jahr 1800), verstand sich von Anfang an als Kirche der Märtyrer. Die römische Kirche hingegen ermöglichte ihren Mitgliedern nach der konstantinischen Wende weltlichen Erfolg. Gestützt auf das römische Recht, bekämpfte sie Häresien wie Manichäismus oder Millenarismus und nicht zuletzt den Islam zum Teil auch militärisch und war dabei zeitweise erfolgreich. Heute droht dem Christentum in Westeuropa trotzdem das Ende. Die Kopten hingegen haben die islamische Eroberung Ägyptens widerstandslos ertragen und dennoch ihren Glauben bewahrt. Das wirft die Frage nach dem Sinn unseres Geschichtsbildes auf: „Unser historisches Bewusstsein ist stark von den Rupturen und Traditionsbrüchen geprägt, welche die Epochen der europäischen Geschichte scharf voneinander abheben“, stellt Mosebach fest. „Darüber ist unser Sinn für die Kontinuitäten der Geschichte geschwächt worden, das Gefühl dafür, dass die Vergangenheit die Geschichte unserer Herkunft ist und in uns, bewusst oder unbewusst, fortdauert. (…) Nach Jesu Himmelfahrt lebte die Welt in einem ständigen Jetzt.“
Wie das von dem IS im Internet veröffentlichte Video der kunstvoll in Szene gesetzten Enthauptung der 21 Christen zeigt, nahmen diese ihr Abschlachten mit großer Würde und Gelassenheit hin. Der als Propaganda für den Dschihad gedachte Film wurde dadurch im Gegenteil zum eindrucksvollen Zeugnis für einen besonders festen christlichen Glauben. Die 21 Christen hätten ihr Leben durch ein knappes Bekenntnis zu Allah retten können. Stattdessen bekannten sie sich zu Jesus Christus. Martin Mosebach interpretiert diesen Heroismus so: „Was sie in Gestalt des Glaubens besaßen, war unendlich viel kostbarer für sie als alles, was sie hätten erwerben können, wenn sie ihn aufgaben. Das nackte Leben wäre ohne den Glauben wertlos für sie gewesen, es wäre ein bloßes Existieren, noch unter dem der Tiere, denn die Tiere sind in sich vollkommen, aber die Menschen sind unvollkommen, sie bedürfen zu ihrer Vollständigkeit der göttlichen Ergänzung.“
Das veranlasste Mosebach, sich über die Lebensumstände der Märtyrer in deren oberägyptischen Heimatdorf El-Or zu erkundigen. Statt Trauer fand er bei den Hinterbliebenen nur die Freude, echte Heilige in der Familie zu haben. Mosebach vermutet daher bei den Kopten „eine mit innerer Unabhängigkeit verbundene Stärke“. Kurz: Er traf Menschen, die nach mehr trachten als dem Erfolg im Kampf ums Dasein, nämlich nach Freiheit vom eigenen Ich. Edgar L. Gärtner