Das Ende der Antibiotika

Das Ende der Antibiotika

Im Jahre 1944 begann mit der Zulassung des vom schottischen Mediziner Alexander Fleming entdeckten Antibiotikums Penicillin, wie es schien, eine neue Ära, an deren Höhepunkt der endgültige Sieg des Menschen über die Infektionskrankheiten stehen würde. Heute wissen wir, dass das, wie so viele mit dem wissenschaftlichen Fortschritt verbundene Hoffnungen, eine gefährliche Illusion war. Diese Feststellung soll freilich nicht die Nützlichkeit der wissenschaftlichen Forschung in Frage stellen, sondern nur darauf hinweisen, dass jede Problemlösung neue Probleme aufwirft. Christen sehen darin eine Nachwirkung der Ursünde. Aber es steht uns frei, das zu glauben. Hinter dem immer rascheren Auftreten gegen mehrere Antibiotika resistenter Krankheitskeime braucht jedenfalls kein Fluch zu stehen. Es genügt der Hinweis auf den jahrelangen unbesorgten Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Allein im Jahre 2011 bezogen deutsche Viehzüchter über Tierärzte sage und schreibe 1.734 Tonnen Antibiotika. Eine schätzungsweise fast ebenso große Menge Antibiotika schluckten die Menschen.

Nach Ansicht der meisten Fachleute geht das Auftreten multiresistenter Stämme des normalerweise auf der Haut lebenden Bakteriums Staphylococcus aureus (MRSA) und ESBL-Enzym-tragender Stämme des Darmbakteriums Klebsiella größtenteils auf die unsachgemäße Antibiotika-Anwendung beim Menschen zurück wie zum Beispiel durch mangelhafte Krankenhaus-Hygiene, durch vorzeitiges Absetzen verordneter Medikamente oder die Einnahme von Antibiotika bei Erkältungskrankheiten. Diese werden meist durch Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika unwirksam sind. Antibiotika können nach heutigem Erkenntnisstand Resistenzen nicht direkt verursachen, sondern nur die nicht resistenten Keime abtöten und dadurch zufällig resistenten Keimen bessere Vermehrungsmöglichkeiten schaffen. Über die Massentierhaltung beziehungsweise deren Abfälle und Abwässer können sich die multiresistenten Keime dann vervielfältigen.

Jedes Jahr sterben in Europa etwa 25.000 Menschen an multiresistenten Krankenhauskeimen. Denn immer öfter versagen so gut wie alle verfügbaren Antibiotika ihren Dienst und es kommen seit der Jahrtausendwende immer seltener neue Antibiotika auf den Markt, weil sich deren Entwicklung kaum lohnt. Die Auswahl und das Testen viel versprechender Substanzen sowie deren anschließende klinische Erprobung und schließlich das bürokratische Zulassungsverfahren können leicht zehn Jahre in Anspruch nehmen und mehrere Hundert Millionen Euro verschlingen. Dem stehen meist nur bescheidene Umsatz-Erwartungen gegenüber, weil Antibiotika nur kurze Zeit eingenommen werden und wegen aufkommender Resistenzen rasch unwirksam werden und wieder vom Markt verdrängt werden. Deshalb haben sich große internationale Pharma-Konzerne wie Bayer, Bristol-Myers-Squibb und Eli Lilly schon vor über einem Jahrzehnt vollständig aus der Antibiotika-Entwicklung zurückgezogen. Von den 25 größten Pharma-Unternehmen arbeiten zurzeit nur noch vier an der Entwicklung neuer Antibiotika: MSD, GlaxoSmithKline, Otsuka und die Roche-Tochter Genentech. Es ist also absehbar, dass sich bald niemand mehr auf dieses unsichere Geschäftsfeld wagen wird.

Das muss aber keine katastrophalen Konsequenzen haben. Denn jetzt entsinnen sich Mediziner und Bakteriologen wieder Problemlösungen, die während des Siegeszuges der Antibiotika verdrängt wurden. Dieser Siegeszug fand ohnehin nur im Westen statt. Die Länder des kommunistischen Ostblocks konnten sich die Entwicklung von Antibiotika in den meisten Fällen ohnehin nicht leisten. Neben älteren antibakteriellen Wirkstoffen wie den Sulfonamiden setzten diese Länder stattdessen auf den Einsatz von Bakteriophagen. Phagen greifen nur ihr spezifisches Wirtsbakterium an, das sie so sicher wie Antikörper erkennen. Ihr Einsatz bleibt deshalb ohne bekannte Nebenwirkungen. Bislang ist der Einsatz von Phagen im Westen allerdings nur vereinzelt bei der Konservierung Lebensmitteln zugelassen (etwa für die Bekämpfung von Listerien in Weichkäse). Aber das könnte sich bald ändern.

 

Zuerst veröffentlicht in: European Scientist am 10. Januar 2020)