Bild: KKW Fessenheim (Tagesschau)
Edgar L. Gärtner
Auch wenn Teile Frankreichs gerade unter einer Kältewelle bibbern, haben die Franzosen in diesem Winter zum ersten Mal seit Jahren keinen Grund, sich Sorgen um einen möglichen Blackout infolge von Strom- und Wassermangel zu machen. Die Talsperren für die Wasserkraftwerke sind trotz der langen Trockenperiode im vergangenen Jahr durch die ergiebigen Regenfälle gegen Jahresende bis zum Rand voll. Auch die Gasspeicher sind trotz der Unterbrechung der Versorgung aus Russland zu 100 Prozent gefüllt – und zwar überwiegend mithilfe von teurem Flüssiggas aus den USA. Nicht zuletzt ist der französische Nuklearpark nach dem reparatur- und wartungsbedingten monatelangen Ausfall von fast der Hälfte der Kernreaktoren jetzt wieder überwiegend im Betrieb. Aktuell gilt eine gesicherte Leistung von 300 bis 330 TWh abrufbar. Ein Problem bleibt die von den Grünen erwirkte Abschaltung des mit anderthalb Milliarden Euro frisch ertüchtigten Kernkraftwerks Fessenheim im Elsaß. Dessen ausgefallene Leistung muss durch Stromimporte aus Deutschland kompensiert werden. Aber dennoch: „Das französische Energiesystem ist zur Normalität zurückgekehrt,“ meldet der Top-Ingenieur Philippe Charlez auf der regierungskritischen Plattform „Boulevard Voltaire“.
Im letzten Winter blieben die französischen Stromkunden allerdings nicht nur durch Importe aus Deutschland, Italien, Spanien, der Schweiz und Belgien vor dem Blackout bewahrt, sondern auch durch das außerordentlich milde Wetter. Der elektrische Leistungsbedarf überschritt höchstens für Augenblicke die Marke von 70 GW, während er bei der letzten großen Kältewelle im Februar 2012 wegen der weiten Verbreitung von Elektroheizungen 100 GW und mehr erreichte. Außerdem ist der Strombedarf Frankreichs im letzten Jahr um fast 10 Prozent gesunken. Verantwortlich dafür waren aber weniger bewusste Energiesparmaßnahmen, für die die Regierung Macron/Borne mithilfe ermüdend oft ausgestrahlter TV-Spots über „sobriété énergétique“ (am besten zu übersetzen mit Energie-Knausrigkeit) warb, sondern eher eine Welle von Konkursen vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen. Nicht weniger als 55.000 Unternehmen sollen nach ersten Schätzungen im vergangenen Jahr ihren Betrieb eingestellt haben. Das bedeutet eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2021, in dem bereits die wirtschaftlichen Auswirkungen des Covid-Lockdowns spürbar waren.
Inzwischen hat Frankreich wieder in seine Rolle als klassisches Elektrizitäts-Exportland zurückgefunden. Es exportiert jeden Tag zwischen 5 und 10, an manchen Tagen sogar 15 Gigawattstunden. So sorgen die Franzosen dafür, dass die deutschen Stromkunden nach der Abschaltung des letzten Kernkraftwerkes immerhin etwas „klimaneutral“ erzeugten Strom bekommen. Glück hatten die Franzosen auch mit der Entwicklung des Gaspreises, der in der EU bis zum Ende dieses Jahres aufgrund des in der EU geltenden Merit order Systems der Strompreisbildung noch immer indirekt die Strompreise beeinflusst. Der Gaspreis ist seit November 2022 von 150 € je Megawattstunde auf 32 €/MWh gefallen. Der Gestehungspreis für Strom bewegte sich in Frankreich im vergangenen Jahr zwischen 50 und 100 €/MWh. Um die Jahreswende 2021/22 war der Strompreis schon vor dem Stopp der Gasimporte aus Russland wegen des Ukraine-Krieges über 400 €/MWh geschossen und hatte viele Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht. Allerdings kommen die Endverbraucher kaum in den Genuss dieser beeindruckenden Verbilligung, denn die französische Regierung setzt seit Anfang 2023 streng nach Plan die schrittweise Aufhebung des Tarif-Schutzschildes (bouclier tarifaire) um. So werden die Strompreise in Frankreich noch bis Anfang 2025 kräftig ansteigen. Aber Dank der Renaissance der Kernenergie haben die Franzosen zumindest keinen Blackout zu fürchten.
Die EU war nicht hilfreich
Die Franzosen können sich glücklich schätzen, dass sie ihren überaus EU-freundlichen Staatschef Emmanuel Macron dazu gebracht haben, in der Energiepolitik nicht auf Brüssel zu hören. Macron musste sich (wahrscheinlich à contre-coeur) dafür einsetzen, dass die Kernenergie in der EU-Taxonomie zur Umsetzung des „Green Deal“ als „klimaneutral“ anerkannt wird. Er musste sich dabei gegen eine mächtige, von Berlin gesteuerte Lobby für 100 Prozent „Erneuerbare“ durchsetzen. Wie es seine Art ist, versuchte Macron den Konflikt zu entschärfen, indem er beides versprach: Kernkraftwerke und „Erneuerbare“. Dabei liegt es auf der Hand, dass Kernkraftwerke Anlagen zur Gewinnung von „Zappelstrom“ wie Windräder, Photovoltaik-Anlagen u. ä. völlig überflüssig machen und deren Ausbau durch Kapitalverschwendung obendrein beeinträchtigen.
Sicher wäre es weit verfrüht, davon auszugehen, dass Frankreich die Energiekrise dauerhaft überwunden hat, zumal sich auch dort die grüne Unvernunft ausbreitet. Aber es ist klar, dass Frankreich sich nun in der Energiepolitik auf seine nationalen Stärken besinnt. Dem trug Macron in seiner Neujahrsansprache Rechnung, in der er zwar, wie gewohnt, mit schönen Worten so gut wie nichts sagte, sich aber auch auf den Nationalstolz und das „Interesse der Nation“ berief. Gleichzeitig sprach er aber von „europäischer Souveränität“. Er weiß sehr wohl, dass bei den bevorstehenden Debatten vor den Wahlen zum Europa-Parlament am 9. Juni die Frage der Umwandlung der EU in einen Föderalstaat großen Raum einnehmen wird. Denn die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen und ihre Getreuen werben nun schon seit Monaten für die Ablösung des heute im EU-Rat noch geltenden Prinzips der Einstimmigkeit durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen.
Die Rückkehr der Nation
Für die meisten Franzosen ist ein europäischer Bundesstaat hingegen ein rotes Tuch, denn sie gehen davon aus, dass die Nation das größte politische Gebilde ist, mit dem ein normaler Mensch sich noch identifizieren kann. So sieht denn auch der französische Politologe Christophe Boutin im neuen Jahr die „Rückkehr der Nation“ auf der Tagesordnung. In Asien, Afrika und Amerika bekennen sich immer mehr Völker, die in den globalen Wettbewerb eintreten, zum Konzept der Nation als Solidargemeinschaft zum Schutz der eigenen Bevölkerung gegenüber Angriffen von außen. Nur in der EU versucht man, die Vertretung nationaler Interessen durch eine mächtige Bürokratie zu hemmen und einzuhegen. Staatspräsident Macron weiß, dass die herrschende Kaste der EU und er selbst mit diesem Ansinnen bei den Franzosen auf heftigen Widerstand stößt. Er hatte nie die Mehrheit des französischen Volkes hinter sich und konnte im Jahre 2017 die Wahl gegen den favorisierten letzten seriösen bürgerlichen Präsidentschaftsanwärter François Fillon nur mithilfe schäbiger Manipulationen gewinnen. Heute hat er auch im Parlament keine Mehrheit mehr. Macron ist heute also oft gezwungen, gegen seine eigene globalistische Überzeugung das Richtige zu tun.
Der Begriff der Nation hat nichts mit Blut-und-Boden-Ideologie zu tun. Es handelt sich dabei vielmehr (wie auch beim Begriff der Heimat) um einen transzendentalen Bezug. So verstehe ich die in Frankreich immer noch gültige klassische Definition der Nation durch den französischen Philologen Ernest Renan (1882). Ob Emmanuel Macron sich dieser Definition anschließt, wage ich zu bezweifeln. Denn er verdankt seinen Aufstieg der Wahl zum „Young Global Leader“ durch das World Economic Forum (WEF) von Klaus Schwab. Renan, der mit dem Habitus des Aufklärers auftrat, bekannte sich übrigens als Linker. Sein oft zitiertes Diktum „La nation, c’est un plébiscite de tous les jours“ (Die Nation ist eine tägliche Volksabstimmung) drückt aus, dass sich Menschen aufgrund ihrer gemeinsamen Herkunft und/oder gemeinsam erlebter bzw. erlittener historischer Ereignisse spontan zusammengehörig fühlen. Es geht dabei nicht nur um verklärte Erinnerungen an Siege und Feste, sondern ebenso sehr um die mentale Bewältigung, wenn nicht schlicht das Vergessen von Niederlagen und Enttäuschungen. „Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip“, sagt Renan. Sie hat nichts mit der biologischen Konstitution, d.h. der Rasse zu tun. (Allerdings wissen wir heute, dass verschiedene Mentalitäten sich durchaus in der Genstruktur einer Bevölkerung niederschlagen können.) Fazit: „Eine Nation ist eine große Solidargemeinschaft, getragen vom Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen bereit ist.“ Eine gemeinsame Sprache, Religion oder Hautfarbe hielt der polyglotte Bretone, der lange im Nahen Osten tätig war und die Erfahrungen der Schweiz und der USA vor Augen hatte, dagegen für die Konstitution einer Nation für nicht so wichtig.
Die Globalisten des WEF stören sich an der Transzendenz
Der vom technokratischen WEF angeregte bzw. geforderte „Great Reset“ richtet sich vor allem gegen die Fähigkeit zur Transzendenz, die die Menschen vor anderen Kreaturen auszeichnet. Der israelische Bestseller-Autor Yuval Harari lieferte dafür als „Chefideologe“ des WEF eine evolutionstheoretische Begründung für die Ablösung der Transzendenz durch den Transhumanismus. Mit Begriffen wie „Nation“ oder „Heimat“ können die im WEF versammelten Sozialingenieure deshalb wenig anfangen. Sie sehen in den Menschen lediglich besonders intelligente Tiere. Die Menschen sind aber keine eindimensionalen, seelenlose Körper oder reine Vernunftwesen, sondern im Abendland definiert als dreifaltige Wesen, das heißt als Einheit von Geist, unsterblicher Seele und Körper. Hinter der vom WEF verfochtenen Ideologie des Transhumanismus steht also in Wirklichkeit der Wunsch nach Verwandlung der in verschiedenen Religionen und Kulturen verwurzelten Menschen in gesichts- und geschichtslose Strichmännchen. Ihrer Fähigkeit zur Transzendenz entkleidet, wären die Menschen beinahe grenzenlos manipulierbar, denn die unterdrückten Dimensionen ihres dreifaltigen Wesens wären nicht einfach weg, sondern gehörten dann denen, die Herrschaft über sie ausüben. Es fragt sich allerdings, wie weit es den „Erleuchteten“ des WEF gelingen wird, von den Seelen der Menschen Besitz zu ergreifen.
Die Entwicklung in Frankreich zeigt, dass es nicht ratsam ist, den aktuellen energiepolitischen Herausforderungen mit dem in Deutschland verbreiteten und vom WEF geförderten Tabula-Rasa-Denken zu begegnen. Es ist besser, an nationalen Traditionen anzuknüpfen. Das sind in der französischen Nuklearwirtschaft die Traditionen der Résistance gegen den Nazismus und des eigensinnigen Gaullismus. Wird es möglich sein, in Deutschland etwas Gleichwertiges zu finden, woran eine vernünftige Politik anknüpfen könnte? (7. Januar 2024)