EU-Betrug mit „heißer Luft“

Nach Angaben von Europol gingen in den vergangenen 18 Monaten bis zu 90 Prozent der Transaktionen im Rahmen des europäischen CO2-Emissionshandelssystems ETS auf Mehrwertsteuerbetrug zurück. Politisch kreierte virtuelle Produkte wie CO2-Zertifikate laden eben zu Betrug und Korruption ein. So erhielt auf der Kopenhagener Klimakonferenz die Forderung nach einem kommunistischen Polizeistaat Auftrieb.

„ETS-Gate“

Heiße Luft ist kaum kontrollierbar

von Edgar L. Gärtner

Betrug mit CO2-Zertifikaten als Schritt zum kommunistischen Weltstaat

Während Vertreter der EU auf der Kopenhagener Klimakonferenz das Europäische CO2-Emissionshandelssystem ETS noch als Zauberformel für den „Klimaschutz“ anpreisen, schlägt die europäische Kriminalbehörde Europol Alarm: In den vergangenen 18 Monaten seien die europäischen Steuerzahler durch Mehrwertsteuerbetrug beim internationalen Handel mit CO2-Zertifikaten um über fünf Milliarden Euro erleichtert worden. Nach Schätzungen von Europol hängen bis zu 90 Prozent des gesamten Emissionshandelsvolumens von immerhin bereits 40 Milliarden Euro mit Mehrwertsteuerbetrug zusammen. Dabei haben betrügerische Kleinfirmen, die bislang im Computerchip- oder Mobilfunkhandel tätig waren, leichtes Spiel: Sie kaufen in einem anderen EU-Land angebotene freie Emissionsrechte ganz legal ohne Mehrwertsteuer für derzeit etwa 14 Euro je Tonne CO2 und verkaufen sie in einem anderen EU-Land mit Mehrwertsteuer-Aufschlag. Bevor die zuständigen Finanzämter sich um die Rückerstattung der einkassierten Mehrwertsteuer kümmern können, sind diese Firmen schon wieder vom Markt verschwunden. Nun schützen sich die am stärksten betroffenen EU-Mitgliedsstaaten Großbritannien, Frankreich, Spanien und die Niederlande durch die Verlagerung der Mehrwertsteuer-Erhebung vom Verkäufer auf den Käufer gegen dieses Abkassieren. Auch die deutsche Finanzverwaltung hat reagiert. Hier gibt es inzwischen Ermittlungen gegen 40 verdächtige Firmen.

Doch ist diese noch verhältnismäßig leicht kontrollierbare Form des Schwindels mit heißer Luft wohl nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt weitaus subtilere Betrugsmöglichkeiten im Rahmen des vom Kioto-Protoll vorgesehenen Clean Development Mechanism (CDM). Auf dessen Grundlage können Firmen in den Industrieländern Treibhausgas-Zertifikate beziehungsweise Gutschriften erwerben, wenn sie sich in armen Ländern an Energie und Treibhausgase sparenden Investitionen beteiligen. Damit solche Projekte als CDM-Maßnahme anerkannt werden können, müssen die Geschäftspartner allerdings nachweisen, dass die anstehenden Investitionen ohne CDM-Hilfe nicht getätigt würden.

Nichts leichter als das. Ein gerade von einem UN-Ausschuss abgelehntes Windparkprojekt bei Harbin in Nordostchina zeigt, wie leicht die Kostenvoranschläge in Richtung Förderungswürdigkeit manipuliert werden können. Die chinesische Regierung brauchte nur den Einspeisetarif des Windparks zu senken, um ihn als zuschussbedürftig erscheinen zu lassen. In Nigeria wurde der Verzicht auf die Abfackelung von Bohrloch- und Raffinerie-Abgasen hinausgezögert, um dafür CDM-Mittel kassieren zu können. Nach Schätzung des kalifornischen Professors David G. Victor sind bis zu zwei Drittel der knapp sieben Milliarden Dollar, die im letzten Jahr in CDM-Maßnahmen geflossen sind, Projekten zugute gekommen, die ohnehin realisiert worden wären.

Noch ist das nur der Anfang. Der Kopenhagen-Gipfel soll das Signal für eine sprunghafte Ausweitung des internationalen Emissionsrechtehandels geben. Dessen mögliches Volumen wird auf nicht weniger als zwei Billionen US-Dollar geschätzt. James Bone warnt in der Londoner „Times“ vom 7. Dezember vor kriminellen Machenschaften in großem Stil. Die Geldsummen, die auf dem Spiel stehen, lüden geradezu zum Aufbau von Korruptions-Netzwerken nach dem Vorbild des „Oil-for-Food“-Programms der UN ein. Schon wird IPCC-Chef Rajendra K. Pachauri verdächtigt, im großen Stil an dem vom IPCC geförderten CO2-Emissionshandel zu verdienen. Man kann hinzufügen: Wenn es schon kaum möglich ist, nicht nur den Handel mit Drogen, sondern auch den Ölhandel wirksam zu kontrollieren, dann wird sich der Handel mit virtuellen Produkten wie CO2-Zertifikaten erst recht der Kontrolle entziehen. Ein globaler Zertifikatehandel dürfte über kurz oder lang einen globalen Polizeistaat nach sich ziehen. Tatsächlich enthält nicht nur der im Frühsommer von diversen NGOs vorgestellte, sondern auch der offizielle Entwurf eines Kopenhagener Klima-Vertrages deutliche Bekenntnisse zur Errichtung eines kommunistischen Weltstaates, der allen Erdbürgern die gleiche Kohlenstoff-Ration zuteilt. Darauf hat Lord Christopher Monckton erst kürzlich auf der Zweiten Internationalen Klimakonferenz in Berlin hingewiesen. Niemand soll behaupten können, er sei nicht vorgewarnt worden. (11. Dezember 2009)

Internet

Europol: Carbon Credit fraud causes more than 5 billion euros dammage

The Climate Mafia: Fraudulent Emissions-Trading Schemes Rob German Tax Authorities

Climate Change or Hot Air?

Oil-for-Food scandal ‘a warning for all at Hopenhagen’

Pachauri verdient am Emissionshandel

All roads lead to Pachauri

Germanwatch: Copenhagen climate treaty version 1.0

Draft Copenhagen Treaty Download

Christopher Monckton on the Copenhagen Treaty

Zweite Internationale Klima-Konferenz, Berlin

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Europäischer Emissionshandel:

Chemie stärker betroffen als gedacht

Als die EU-Kommission am 23. Januar 2008 den Entwurf ihres „Klimapakets“ mit Vorgaben für die dritte CO2-Emissionshandelsperiode (2013 bis 2020) vorlegte, gingen etliche Akteure und Beobachter noch davon aus, dass energieintensiven Industriezweigen wie die Chemie-, Papier-, Glas-, Keramik-, Aluminium- und Stahlindustrie großzügig kostenlose Zertifikaten zugeteilt würden, um Nachteile gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern wettzumachen. Doch seit der ersten Lesung des „Klimapakets“ im Dezember 2008 zeichnet es sich immer deutlicher ab, dass diese Hoffnung auf einer Illusion beruhte.

Ziel des „Klimapakets“ ist die Senkung der Treibhausgasemissionen der dem Emissionshandelssystem ETS unterliegenden Produktionsanlagen gegenüber dem Basisjahr 2005 um 21 Prozent bis zum Jahre 2020. Diese im Anhang I der EU-Verordnung aufgelisteten Anlagen benötigen eine Emissionsgenehmigung, die alle fünf Jahre überprüft werden muss. Die Anlagenbetreiber müssen die zuständige Behörde laufend über Verfahrens- und Kapazitätsänderungen informieren. Schon in der Mitte der zweiten Handelsperiode (2008 bis 2012) beginnt die sukzessive Abschmelzung der einmal zugeteilten Emissions-Zertifikate um linear 1,74 Prozent jährlich. Zu Beginn der dritten Handelsperiode läge also die Zuteilungsmenge bereits um etwa 7 Prozent unter der durchschnittlichen Zuteilungsmenge der zweiten Handelsperiode. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Gesetzesfolgenabschätzung (Impact Assessment) erwartet infolge dieser Verknappung ein Ansteigen der Zertifikatpreise auf bis zu 6o Euro je Tonne CO2 gegenüber aktuell etwa 15 €/t. In dieser Studie wurden allerdings absehbare Auswirkungen der inzwischen infolge der Finanzkrise eingetretenen Produktionseinbrüche allerdings noch nicht berücksichtigt.

Grundsätzlich sollen die Zertifikate über Auktionen zugeteilt werden. Für die Stromerzeugung müssen ab 2013 alle Zertifikate ersteigert beziehungsweise anderen Zertifikate-Inhabern abgekauft werden. Betreiber anderer Industrieanlagen erhalten zunächst noch einen Teil der benötigten Zertifikate umsonst. Die Auktionserlöse, die in den Kassen der EU-Mitgliedsstaaten landen, müssen mindestens zur Hälfte in Klimaschutzprojekte investiert werden.

Außer Stromerzeugungskapazitäten unterliegen in der chemischen Industrie alle „Verbrennungsanlagen“ mit einer thermischen Leistung von über 20 MW (unabhängig von ihrem Zweck) dem Emissionshandel. Dazu zählen laut Anhang I Anlagen zur Herstellung von Ruß, Salpetersäure, Adipinsäure, Glyoxal beziehungsweise Glyoxalsäure, Ammoniak sowie Anlagen zur Herstellung organischer Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation mit einer Kapazität von über 100t/d. Weiter Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff und Synthesegas durch Reformieren oder partielle Oxidation mit einer Kapazität von über 25 Tonnen am Tag und schließlich Anlagen zur Herstellung von Soda und Natriumbicarbonat. Neben typischen Chemieanlagen können auch Hilfsanlagen wie Trockner und Destillationsanlagen unter die Verbrennungsdefinition der EU fallen und somit bei entsprechender thermischer Kapazität (über 20 MW) der Emissionshandelspflicht unterliegen. Vom Emissionshandel ausgenommen sind Anlagen, die ausschließlich Forschungszwecken dienen, ausschließlich Biomasse nutzen oder Abfälle verbrennen. Für Kleinanlagen mit Feuerungswärmeleistungen unter 35 MW gibt es nach Artikel 27 gesonderte Regelungen. Sie können vom Emissionshandel ausgenommen werden, wenn die zuständigen Mitgliedsstaaten bei diesen Anlagen durch Maßnahmen wie zum Beispiel Energiesteuern auf anderem Wege eine Emissionsminderung zu erreichen suchen. Deren Erfolg muss durch ein Monitoring dokumentiert werden.

Als problematisch erscheint die absehbare starke Belastung aller stromverbrauchenden Anlagen der chemischen Industrie. Denn die chemische Industrie ist bekanntlich die Branche mit dem höchsten Stromverbrauch. Besonders betroffen sind die Hersteller von Chlor und Industriegasen. Da die Stromerzeuger alle von ihnen benötigten Zertifikate ersteigern und deren Preis auf ihre Kunden abwälzen müssen, hängt die Gesamtbelastung der Industrie von „CO2-Gehalt“ des jeweiligen nationalen Strom-Mixes ab. Dieser liegt im EU-Durchschnitt bei 0,4 kg/kWh, in Deutschland jedoch bei 0,6 kg CO2/kWh, in Polen wegen des hohen Kohlestromanteils sogar bei 0,9 kg CO2/kWh, liegt aber im Nachbarland Frankreich wegen des hohen Atomstromanteils deutlich unter dem Durchschnitt.

Kraft-Wärme-Koppelungs-Anlagen, die in der Energieversorgung der chemischen Industrie eine bedeutende Rolle spielen, sind ebenfalls in den Emissionshandel einbezogen. Sie können aber, sofern sie bestimmte Effizienzkriterien erfüllen, von der Zuteilung kostenloser Zertifikate profitieren, und zwar bis 2013 bis zu einem Anteil von 80 Prozent. Dieser Prozentsatz wird dann bis 2020 auf 30 Prozent abgeschmolzen. Die EU-Kommission ist verpflichtet, bis Ende 2010 einheitliche Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten auf der Basis von Benchmarks zu veröffentlichen.

Besondere Zuteilungsregeln soll es für „exposed sectors“ der Industrie geben, d.h. für Branchen, die starkem Wettbewerbsdruck von außerhalb der EU ausgesetzt sind. Die Kriterien für die Klassifizierung als „exposed sector“ werden vom Inhalt eines Analyseberichts abhängig sein, den die EU-Kommission im Juni 2010 nach dem Abschluss der internationalen Klimaschutzverhandlungen vorlegen muss. Sofern diese Konferenz überhaupt zu greifbaren Ergebnissen (insbesondere hinsichtlich der Einbeziehung großer „Schwellenländer“ wie China, Indien oder Brasilien in CO2-Reduktionsverpflichtungen) gelangt, müssen diese in die Definition von „exposed sectors“ einfließen. Außer durch kostenlose Zertifikate-Zuteilungen auf der Basis von Benchmarks der CO2-Kosten je Euro Bruttowertschöpfung und der Handelsintensität können EU-Mitgliedsstaaten Benachteiligungen stromintensiver Produktionsanlagen auch finanziell kompensieren. Solche Maßnahmen gelten aber als Beihilfen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssen.

Vor dem Kopenhagener Klima-Gipfel ist es also nicht möglich, einigermaßen realistisch abzuschätzen, ob die Chemie bei der Zuteilung von Emissionszertifikaten von Ausnahmeregelungen wird profitieren können. Zumindest Dr. Jörg Rothermel, der im deutschen Chemieverband für den Klimaschutz zuständige Geschäftsführer, gibt sich optimistisch: „Das ‚Klimapaket‘ der EU ist zwar hastig und dilettantisch zusammengeschnürt worden. Wir gehen aber davon aus, dass wir letztlich damit werden leben können, zumal Günter Verheugen, der Vizepräsident der EU-Kommission, noch im Februar 2009 auf die Unverzichtbarkeit der Innovationskraft der Chemie für eine nachhaltige Entwicklung in Europa hingewiesen hat. Die EU muss den Emissionshandel so gestalten, dass ein ‚carbon leakage‘, ein Auswandern von Industrien in Regionen mit niedrigeren Umweltstandards, vermieden wird.“

Dagegen scheint es in der deutschen Wirtschaft noch kaum Überlegungen für den Fall eines völligen Scheiterns des Kopenhagener Klima-Gipfels beziehungseise einer krisenbedingten vorzeitigen Beendigung des CO2-Hype zu geben. Zumindest in England und in Schweden treffen sich aber inzwischen schon Parlamentarier und Industrielle bei informellen Seminaren zum Thema „Was tun, wenn die CO2-Blase platzt?“

Edgar Gärtner (erschienen in: CR-Chemische Rundschau Nr. 5/30. April 2009)

Emissionshandel vertreibt die Industrie

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Ärger beim Handel über REACh-Artikel 33

Die Industrie hat die neue EU-Chemikalienverordnung REACh, eine Ausgeburt bürokratischen Denkens, am Ende akzeptiert. Schon vor deren Inkrafttreten am 1. Juni 2007 hat sie begonnen, sich auf die Registrierung und Prüfung von ca. 30.000 Stoffen vorzubereiten. Weitgehend übersehen wurde bislang, was auf den Einzelhandel zukommt.

Erklärtes Ziel der REACh-Verordnung ist die Verbesserung des Verbraucherschutzes durch mehr Transparenz über die Inhaltsstoffe von Endprodukten. Nach Artikel 33 REACh ist jeder Lieferant eines Erzeugnisses, das in verschiedenen Anhängen der Verordnung aufgelistete „besorgniserregende“ Stoffe in einer Konzentration von mehr als 0,1 Masseprozent enthält, verpflichtet, seine Kunden darüber zu informieren. Gleichzeitig formuliert der besagte Artikel einen Anspruch privater Verbraucher, Anfragen über die stoffliche Zusammensetzung von Endprodukten binnen 45 Tagen kostenlos beantwortet zu bekommen. In welcher Form der Einzelhandel diesen Verpflichtungen nachkommen kann, hat der Gesetzgeber aber offen gelassen. Obendrein wird erst frühestens um die Jahreswende 2008/2009 feststehen, um welche „besorgniserregenden“ Stoffe es sich dabei im Einzelnen handelt. Denn dann endet die Frist für die Vorregistrierung der REACh unterliegenden Stoffe.

Erst von diesem Zeitpunkt an werden die Chemikalienhersteller in Zusammenarbeit mit der zentralen Agentur (EChA) der EU in Helsinki daran gehen können, systematisch Problemstoffe zu ermitteln, die den Kriterien des REACh-Artikels 57 entsprechen. Es handelt sich dabei um Substanzen, die sich in der Praxis oder in Tierversuchen mit höheren Dosen als krebserregend, erbgutverändernd oder die Fortpflanzung beeinträchtigend erwiesen haben (CMR-Stoffe). Hinzu kommen Stoffe, die zugleich persistent, bioakkumulierbar und toxisch sind (PBT-Stoffe), sowie sehr persistente und sehr bioakkumulierbare (vPvB) Substanzen. Darüber hinaus bezieht sich Art. 57 auch auf Stoffe, die zwar keines der angeführten Kriterien erfüllen, aber dennoch (nach wissenschaftlichen Erkenntnissen) wahrscheinlich „schwer wiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt haben“ und deshalb „ebenso besorgniserregend sind.“ Art. 59 zählt die Verfahren auf, nach denen diese Stoffe im Einzelfall ermittelt werden.

„Der Gesetzgeber hat leider keine Übergangszeiten vorgesehen“, beklagt sich Beat Alexander Spaeth vom Brüsseler Büro des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels e.V. (HDE). „Deshalb bemüht sich unser Verband schon heute darum, ein geeignetes Format für diese Informationen festzulegen. Wir müssen versuchen, Missverständnisse zu vermeiden. Denn die bloße Anwesenheit verdächtiger Stoffe bedeutet nicht automatisch, dass damit Gesundheitsrisiken verbunden sind.“ Spaeth gehört zu den Teilnehmern einer von Werner Preusker, dem Geschäftsführer der Bonner Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU), initiierten und in Zusammenarbeit mit der Chemie- und Kunststoffindustrie durchgeführten Gesprächsreihe über die praktische Umsetzung von REACh im Handel.

Im Einzelhandel herrscht, nach einigen bitteren Erfahrungen mit diffamierenden Veröffentlichungen des Magazins „Öko-Test“ und mit Kampagnen von Umwelt- und Verbraucherverbänden zur Verteufelung und Ächtung bestimmter Stoffgruppen, heute die Tendenz, Produkte mit verdächtigen bzw. verunglimpften Inhaltsstoffen vorsorglich auszulisten oder die Lieferanten in Form von Negativlisten zu drängen, in ihren Rezepturen auf die inkriminierten Substanzen zu verzichten. Ein solches Vorgehen, das wurde in den Gesprächen zwischen Vertretern der Kunststoffindustrie und des Einzelhandels schnell klar, erscheint angesichts der bei REACh zur Debatte stehenden großen Zahl von Stoffen von vornherein aussichtslos. Dann müsste man wohl auf ganze Produktgruppen verzichten. Denn schon heute ist absehbar, dass allein die frühestens am 1. Juni 2009 von der Chemikalienagentur in Helsinki erwartete „Kandidatenliste“ vordringlich („prioritär“) zu prüfender Stoffe für den REACh-Anhang XIV vermutlich weit über 1.000 Substanzen enthalten wird. Zudem stehen diese Stoffe, wie die inoffizielle Bezeichnung „Kandidatenliste“ schon andeutet, erst einmal nur unter Verdacht, gesundheits- oder umweltschädlich zu sein. Wieweit der Verdacht begründet ist, muss noch mithilfe mehr oder weniger aufwändiger Testverfahren (oft unter Einschluss teurer und langwieriger Tierversuche) überprüft werden.

Es besteht aber die Gefahr, dass die Ergebnisse dieser Prüfungen zu spät kommen. Denn die „Kandidatenliste kann von NGOs und den Massenmedien leicht als „schwarze Liste“ interpretiert werden. Nur mit großer Mühe kann es den Herstellern und Lieferanten dann noch gelingen, ihre Kunden davon zu überzeugen, das Ende des Verfahrens abzuwarten. Davon wissen die PVC- bzw. Weichmacher-Hersteller und –verarbeiter ein Lied zu singen. So verbannte die EU den derzeit gebräuchlichsten PVC-Weichmacher Di-Isononyl-Phthalat (DINP) im Jahre 2005 aus Baby- und Kleinkinder-Spielzeug, obwohl der Stoff fast zur gleichen Zeit in der amtlichen Risikobewertung der EU bei allen Anwendungen (einschließlich Spielsachen) als für Mensch und Umwelt unbedenklich eingestuft wurde. Während der jahrelangen wissenschaftlichen Untersuchung möglicher Beeinträchtigungen von Gesundheit und Umwelt durch DINP hatte es in den Medien, genährt durch eine Kampagne von Greenpeace, wilde Spekulationen über Gesundheitsgefahren durch synthetische Kunststoff-Weichmacher gegeben, wobei die Vielzahl unterschiedlicher Phthalate sozusagen in „Sippenhaft“ genommen wurde. Dem dadurch aufgebauten Druck hatten die Mitglieder des Europa-Parlaments (EP), mit wenigen Ausnahmen, am Ende nachgegeben. Das war dem öffentlichen Image des bewährten Weichmachers DINP sicher nicht förderlich – auch bei den nach wie vor erlaubten Standardanwendungen.

In den heißen Debatten vor der Verabschiedung von REACh hat die Mehrzahl der Europa-Parlamentarier dieses Risiko durchaus erkannt und in den Bestimmungen des Art. 59 einzugrenzen versucht. Da der vom Umweltausschuss des EP befürwortete Zwang zur Substitution bedenklicher Stoffe, das strenge „Substitutionsprinzip“, im harten Ringen zwischen EP, EU- Rat und Kommission („Trialog“) im letzten Moment gekippt wurde, scheinen etliche Parlamentarier nicht unglücklich über die nach wie vor bestehende Möglichkeit, mithilfe von Massenmedien Druck in Richtung einer gewünschten „Substitution“ ausüben zu können. So sieht es zumindest Werner Preusker.

Über eines wurden sich die Teilnehmer der Gesprächsreihe jedenfalls einig: Der Einzelhandel muss sich auf eine Phase der Unsicherheit vorbereiten, weil er sich erst nach der Veröffentlichung der „Kandidatenliste“ durch die EChA im nächsten Jahr im Detail mit Strategien einer angemessenen Verbraucherinformation befassen kann, dafür bislang aber keine Übergangsfrist eingeräumt bekam. Diskussionen gibt es noch über die Art dieser Vorbereitung: Soll jeder Lieferant eine Datenbank bereitstellen, damit Kunden bei Bedarf binnen 45 Tagen individuell informiert werden können? Oder sollen sich alle Lieferanten der gleichen Stoffe zu einem „Informationskonsortium“ zusammentun? Oder wäre es nicht besser, wenn sich unabhängige private Dienstleister um den Aufbau einer Datenbank kümmern, damit der Einzelhandel und kleinere Lieferanten entlastet werden? Soll jeder Endverkäufer die Informationen mit der Ware geliefert bekommen? Oder sollen mehrere Anbieter eine gemeinsame Datenbank für Verbraucherinformationen für alle Einzelhändler aufbauen? Fragen über Fragen.

In diesem Zusammenhang kam vom Vertreter der Düsseldorfer Metro-Gruppe, Holger Stappen, die Anregung, eine einheitliche, kompakte, die Handelshäuser übergreifende Datenbank zu entwickeln, in der die Lieferanten mit wenigen notwendigen Daten (z.B. EAN-Code, Produktname, Modellnummer, im Falle von Stoffen, die REACh Art. 33 unterliegen, die CAS-Nummer und CMR-Einstufung) darauf hinweisen, dass Erzeugnisse von REACh betroffen sind. Auf diese Datenbank würde exklusiv der Handel Zugriff haben, um nur im Falle einer Kundenanfrage schnell und unproblematisch reagieren zu können. „Diese Datenbank wäre eine enorme administrative Entlastung für alle Beteiligten – Handel und Industriepartner -, da das durch die Gesetzgebung forcierte ‚receive & forward’ der Kundenanfragen an den Industriepartner entfallen würde“, meint Stappen. Ebenfalls sollte nach Aussagen des Metro-Vertreters die fachliche Kommunikation zum Endkunden hin harmonisiert werden, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten und potentielle Angriffsflächen zwischen Handelspartnern zu reduzieren. Aus der chemischen Industrie kam die Anregung, sich dabei das bereits existierende weltweite Stoffregister der Automobilindustrie zum Vorbild zu nehmen.

Die Zeit drängt, da bekannt geworden ist, dass Greenpeace schon Postkarten-Vordrucke für massenhafte Kundenanfragen bereithält. „Es kann nicht sein, dass am Ende demokratisch nicht legitimierte Gruppierungen darüber entscheiden, welche Artikel noch angeboten werden dürfen, zumal die in Boykott-Kampagnen angepriesenen Alternativen oft noch problematischer, weil weniger intensiv geprüft sind“, unterstreicht Werner Preusker.

Ungeklärt ist vor allem das Problem, in welcher Form und wissenschaftlicher Tiefe die Informationen am besten bereitgestellt werden sollten. Angaben, die für eine sichere Verwendung eines Erzeugnisses erforderlich sind, gehören ohnehin zu einem ordentlichen Kaufvertrag und werden in Form von Gebrauchsanweisungen mitgeliefert. Wie die Anwender damit zurechtkommen, steht auf einem andern Blatt. Viel schwieriger ist es, den Verbrauchern zu erklären, warum sich auf der Zutatenliste von Endprodukten auch Stoffe finden können, die auf der „Kandidatenliste“ stehen. Das können zum Beispiel Phosphorverbindungen sein, die für sich genommen hoch giftig, als Flammschutzausrüstung aber unverzichtbar für den sicheren Gebrauch von Kunststoffartikeln sind und in dieser Form gesundheitlich unproblematisch sein können, weil sie nicht in bedenklicher Menge in den menschlichen Organismus gelangen können. „Gerade die Darstellung, dass ein besorgniserregender oder potenziell problematischer Stoff in einem Erzeugnis vorhanden, aber unbedenklich ist, wenn er beim Gebrauch nicht freigesetzt werden kann, wird sehr schwierig zu bewerkstelligen sein“, warnt Werner Preusker.

„Der Verbraucher hat Anspruch auf verständliche, zutreffende, weder verharmlosende noch Angst machende Darstellungen. Man muss hier den Mittelweg zwischen Laieninformation und wissenschaftlicher Vollständigkeit eines Sicherheitsdatenblatts finden“, fordert Preusker. Keine leichte Aufgabe, denkt man dabei nur an die zwiespältigen Erfahrungen mit den Beipackzetteln von Medikamenten. Viele Patienten lesen diese meist klein gedruckten Informationen gar nicht oder nur bis zur Einnahme-Anleitung. Wer sich aber die Mühe macht, zum Beispiel den Beipackzettel einer Allerwelts-Arznei wie Aspirin mit einer langen Liste nicht ausgeschlossener gefährlicher Nebenwirkungen ganz zu studieren, dem vergeht dann oft die Lust, die Arznei noch zu schlucken. Edgar Gärtner

(erschienen in: Chemische Rundschau Nr. 1-2/2008, VS-Medien, CH-Solothurn)

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H-FCKW-Ausstieg

Eiszeit für Kältemittel

Im September 2007 einigte sich eine internationale Konferenz in Montreal darauf, den Ausstieg aus der Verwendung teilhalogenierter Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (H-FCKW) als Kältemittel um 10 Jahre vorzuziehen. Schon jetzt zeigt es sich, dass dieser Beschluss Auswirkungen hat, die den hinter ihm stehenden Absichten zuwider laufen.

Im Vorfeld der vage ausgegangenen aufwändigen Klimakonferenz auf Bali im Dezember 2007 hatten sich anlässlich des 20. Jahrestages des Montréaler Protokolls über Stoffe, die die Ozonschicht schädigen (ODS), schon im September 2007 Vertreter von 191 Regierungen in Montreal getroffen. Im Unterschied zum Spesen-Spektakel auf Bali kam diese Veranstaltung zu einem Ergebnis, das Achim Steiner, der Direktor des UN-Umweltprogramms (UNEP) als „historische Einigung“ feierte. Die in Montreal getroffene Vereinbarung sei „vielleicht der wichtigste Durchbruch in einer internationalen Umweltverhandlung seit mindestens fünf oder sechs Jahren“, ließ er verlauten. Kern der Vereinbarung ist eine Vorverlegung des vollständigen Ausstiegs aus der Verwendung teilhalogenierter Fluorchlorkohlenwassserstoffe (H-FCKW) auf das Jahr 2020 in den Industrieländern und das Jahr 2030 in den Entwicklungsländern.

Im September 1987 hatten sich 24 Regierungen und die EU-Kommission darauf geeinigt, die als chemisch inerte und somit „langlebige“ Kälte- und Treibmittel seit Jahrzehnten bewährten Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) zu verbieten. In der Zwischenzeit haben 191 von 196 Staaten das Montréaler Abkommen ratifiziert. Grundlage dieser Übereinkunft waren theoretische Arbeiten der dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Wissenschaftler Sherwood Rowland, Mario Molina und Paul Crutzen, die den photolytisch aus den FCKW freigesetzten Chlor-Radikalen die Hauptschuld an der beinahe in jedem Winter beobachteten extremen Ausdünnung der Ozonschicht über der Antarktis (das sog. Ozonloch ) gaben. Wie weit das von Rowland, Molina und Crutzen vorgeschlagene Modell der Ozonzersetzung der Realität entspricht, konnte nie geklärt werden, zumal in der Zwischenzeit bedeutende natürliche Quellen langlebiger halogenierter Kohlenwasserstoffe entdeckt wurden.

Einmal in Gang gesetzt, war die UN-Bürokratie von der von den späteren Nobelpreisträgern gewiesenen Fährte aber nicht mehr abzubringen. So kamen konsequenterweise auch die nach dem Montreal-Beschluss zunächst massiv als FCKW-Ersatzstoffe eingesetzten teilhalogenierten Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (H-FCKW) immer mehr unter den Beschuss einflussreicher Umweltverbände wie vor allem Greenpeace. Deshalb wurde bereits im Mai 1991 eine deutsche FCKW-Halon-Verbots-Verordnung verabschiedet, die gegenüber dem Montréaler Protokoll deutliche Verschärfungen aufwies. Seit 1994 werden in Deutschland überhaupt keine vollhalogenierten FCKW mehr hergestellt. Entsprechend dieser Verordnung von 1991 wurde ab 1. Januar 1996 auch der Einsatz von H-FCKW als Kältemittel in nicht geschlossenen Direktverdampfungssystemen, in Haushaltskühl- und –gefriergeräten sowie in Straßenfahrzeugen verboten. 1998, 2000 und 2001 traten weitere Verbotsstufen in Kraft. Die später verabschiedete EU-Verordnung EG 2037/2000 ging in fast allen Teilen noch über die deutschen Vorschriften hinaus.

Das bis dahin wegen seiner hervorragenden volumetrischen Kälteleistung und Energieeffizienz mit Abstand gebräuchlichste halogenierte Kältemittel Chlordifluormethan (R 22) darf in Deutschland seit dem 1. Januar 2000 nicht mehr in neuen Erzeugnissen, wie z.B. Kälte-, Klima- und Wärmepumpenanlagen verwendet werden. Zwischenhändler und „Nichthersteller“ durften allerdings mit R 22 befüllte Anlagen, die vor diesem Datum hergestellt worden waren, weiterhin vermarkten. Das Nachfüllen von R 22 in Altanlagen sollte solange erlaubt bleiben, bis geeignete Ersatzkältemittel mit geringem Ozonabbaupotenzial (ODP) verfügbar sind. Nur für Produkte, die in Länder exportiert werden, in denen der Einsatz von H-FCKW noch uneingeschränkt erlaubt ist, sollten die Verwendungsbeschränkungen für H-FCKW bis zum 31. Dezember 2009 ausgesetzt bleiben. Denn außerhalb Europas (vor allem in den Boom-Ländern Asiens, aber auch in Amerika) wird R 22 in stationären Kälte- und Klimaanlagen wohl noch einige Zeit das Kältemittel der Wahl bleiben. Der europäische Kältemittelmarkt ist demgegenüber relativ klein. Die Frage nach geeigneten Alternativen für R 22 scheint übrigens noch nicht befriedigend beantwortet. Es wird befürchtet, dass sich vor allem in Südeuropa R 22-Anwender mit Schmuggelware aus China oder durch die Wiederverwendung nicht entsorgter Altware aus eigenen stillgelegten Anlagen behelfen werden. Ähnliches war bereits beim F 12-Ausstieg zu beobachten.

Weitere Regelungen brachte ab 4. Juli 2006 die EU-Verordnung EG 842/2006 über den Einsatz bestimmter fluorierter sog. Treibhausgase (F-Gase-Verordnung). Diese Verordnung, deren wesentliche Bestimmungen am 4. Juli 2007 in Kraft traten, zielt, wie ihr Name bereits andeutet, auf die Vermeidung bzw. Begrenzung der Emissionen von F-Gasen (H-FKW, SF6 und PFC). Dadurch geraten nun auch chlorfreie, teilfluorierte FCKW-Ersatzstoffe (H-FKW) wie vor allem das bislang insbesondere in mobilen Klimaanlagen (MAC), aber auch in stationären Kälteaggregaten als Ersatz für das klassische FCKW „Frigen“ oder „Kaltron“ (R 12) eingesetzte R 134a (Tetrafluorethan) ins Blickfeld der politischen Regulierung. Umweltverbände und nationale Behörden wie das deutsche Umweltbundesamt (UBA) in Dessau dringen allerdings bereits darauf, H-FKW unter Hinweis auf ihr Treibhauspotenzial vollständig durch „natürliche“ Kältemittel wie Propan, Isobutan, Ammoniak oder Kohlenstoffdioxid zu ersetzen, obwohl das nicht Ziel der F– Gase-Verordnung ist, die sich mit wenigen Ausnahmen hauptsächlich auf die Emissionsvermeidung (containment, recovery, etc.) bezieht.

Bei diesen Vorschlägen wird nicht berücksichtigt, dass der Einsatz von H-FKW wesentlichen Anteil bei der Vermeidung von indirekten CO2 Emissionen hat und damit ein wichtiger Beitrag zur CO2 Emissionsreduzierung insgesamt geleistet wird.

Im Detail werden die Durchführungsbestimmungen der Verordnung in den EU – Mitgliedsländern ausgearbeitet und sind noch nicht in allen Punkten eindeutig, weshalb die Diskussion über die Auslegung einzelner Bestimmungen anhält.

Für den Einsatz von H-FKW in mobilen Kälteanlagen wurde separat zur Verordnung 842/2006 eine EU – Direktive erstellt.

Die europäischen F-Gase-Hersteller haben im Rahmen des Chemiedachverbandes CEFIC im Oktober 2007 eine Internet-Plattform (www.figaroo.org) eingerichtet, um einen besseren Informationsaustausch zwischen Herstellern, Vertreibern und Anwendern fluorierter Kälte- und Treibmittel sowie den nationalen und internationalen Regulierungsbehörden zu ermöglichen und dadurch zu praktikablen Umsetzungsschritten der EU–Verordnung und der EU–Direktive zu gelangen.

Die in der „Multisectoral Initiative in Potent Industrial Greenhouse Gases (www.mipiggs.org/)“ zusammengeschlossenen Umweltinitiativen versuchen nach wie vor, das absehbare Wachstum des HFKW-Einsatzes zu einer neuen Gefahr für das Weltklima aufzubauschen. Die auf der Basis des Kyoto-Protokolls erzielbaren Fortschritte bei der Einsparung klassischer Treibhausgase würden angeblich durch die rasche Zunahme des Einsatzes von R 134a in Kfz-Klimaanlagen wieder zunichte gemacht. Doch unverdächtige Hochrechnungen, die Winfried Schwarz und André Leisewitz vom Frankfurter Ökorecherche-Büro (www.oekorecherche.de ) im Auftrag des UBA durchführten, gelangten zum Schluss, dass H-FKW-Emissionen selbst bei pessimistischen Annahmen bis zum Jahre 2010 weniger als 1,5 Prozent aller deutschen Treibhausgasemissionen ausmachen werden. Das hängt vor allem mit dem geringeren GWP von R 134a (1.430) im Vergleich zum ersetzten R 12 (8.500) zusammen.

Da R 134a als sehr gutes und energieeffizientes Kältemittel gilt, wäre es eigentlich vernünftig, es in stationären Anlagen weiter zu verwenden, dabei aber dafür zu sorgen, dass die Verluste durch Leckagen oder die unfachmännische Entsorgung von Altgeräten deutlich vermindert werden. Diese Meinung vertritt Richard Longden von Ineos Fluor in England. Er verweist dabei (wie die Frankfurter Öko-Recherche) auf die guten Erfahrungen, die die Niederlande mit ihrem STEK-System der Leckage-Kontrolle und Wartungspflicht gemacht haben. Die Leckagerate konnte damit von 30 Prozent zu Beginn der 90er Jahre auf unter 5 Prozent gesenkt werden. Über 90 Prozent der Geräte sind nun völlig dicht.

Auch bei nicht hermetisch geschlossenen mobilen Klimaanlagen könnte R 134a noch eine Zeit lang weiterverwendet werden. Denn die nun von der europäischen Automobilindustrie mehr oder weniger einvernehmlich verfolgte Politik der späteren Umstellung der Pkw-Klimaanlagen auf CO2 (R 744) hat sich als nicht ganz einfach erwiesen. Der beim Einsatz von CO2 notwendige hohe Betriebsdruck von 130 bis 150 bar erfordert schwerere Bauteile, was sich auf den Treibstoffverbrauch des Autos auswirkt. Diesen Nachteil konnte man inzwischen im Rahmen des gemeinsamen Forschungsprogramms europäischer Kfz-Hersteller und Klimaanlagenbauer mit dem Titel RACE (Refrigeration and Automotive Climate under Environmental Aspects) zwar im Prinzip durch eine Reduzierung des Volumens ausgleichen, doch bleibt die Kühlleistung von CO2-Systemen gerade bei hohen Außentemperaturen den 134a-Anlagen deutlich unterlegen.

Noch im vergangenen Jahr widersetzten sich die Autohersteller Ford und Fiat einem einheitlichen Vorgehen im Rahmen der europäischen Kfz-Herstellervereinigung ACEA. Das hängt damit zusammen, dass es für Kältemittel in mobilen Klimaanlagen bislang nur in der EU einen strengen GWP-Grenzwert von 150 und bindende Termine für das Auslaufen der Zulassung von R 134a gibt: 2011 für neue Kfz-Baureihen, 2017 für alle Neuwagen. Außerhalb Europas können die Kfz-Hersteller sehr viel gelassener mit R 134a und möglichen Alternativen umgehen. Da sich die jüngste Vereinbarung von Montréal ausschließlich auf

ODS wie H-FCKW und nicht auf H-FKW bezieht, dürfte es noch relativ lange dauern, bis das bewährte R 134a vom Weltmarkt verschwunden sein wird.

Für die europäischen Hersteller halogenierter Kältemittel bedeutet das, dass sie sich auf gewichtige Umschichtungen ihrer Absatzmärkte einstellen müssen. Die inzwischen in China errichteten Kapazitäten reichen wahrscheinlich aus, um den gesamten Weltmarkt für R 134a konkurrenzlos billig zu versorgen. Folglich hat Solvay Fluor, der größte europäische 134a-Hersteller, Ende Oktober 2007 angekündigt, seine Kapazitäten durch die Schließung des italienischen Produktionsstandortes Porto Marghera zu halbieren. Die Produktion am Standort Frankfurt-Höchst (Kapazität schätzungsweise 10.000 Jahrestonnen) wird vorerst weiter laufen. Ähnlich wird Solvay mit der Produktion von R 22 verfahren: Der Standort Tarragona in Spanien wird stillgelegt, während die Kapazität von schätzungsweise 20.000 Jahrestonnen am deutschen Standort Bad Wimpfen bis auf Weiteres aufrecht erhalten bleibt. Insgesamt gehen dabei 250 Arbeitsplätze verloren. Bernd Wilkes, der Geschäftsführer von Solvay Fluor, stellte klar: „Wir verlagern keine Kapazitäten und verabschieden uns erst recht nicht von der Fluorchemie, sondern konzentrieren uns stärker auf fluorierte Spezialitäten, die mehr Know-how erfordern und eine größere Wertschöpfung ermöglichen. Mit billigen Massenprodukten aus Fernost, die den Weltmarkt überschwemmen, können wir wegen der hohen Energie- und Arbeitskosten in Europa sowie des starken Euro nicht konkurrieren.“

Edgar Gärtner

(erschienen in: Chemische Rundschau Nr. 1-2/2008, VS-Medien, CH-Solothurn)

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Über die politische Chemie des Kohlendioxids

Etliche deutsche Konzerne und Branchenverbände haben Broschüren veröffentlicht, große Anzeigen in Printmedien geschaltet, und sogar die Verbreitung von Al Gores Propaganda-Film „An Inconvenient Truth“ gesponsert, um Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm den Rücken zu stärken. Offenbar in der Hoffnung, ihren Konkurrenten in Amerika und Asien das Leben ebenso schwer machen zu können wie in Europa, fordern sie eine strenge hoheitliche Rationierung des CO2-Ausstoßes und einen weltweiten Emissionshandel. Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) beteiligt sich an der Kampagne, und zwar in Form einer gesponserten Beilage zur Juni-Nummer des Magazins „Bild der Wissenschaft“ mit dem Titel „Ran ans CO2-Problem.“ Darin schließen sich die angeheuerten Journalisten-Kollegen voll und ganz der Weltsicht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) an, nach der es als ausgemacht gilt, dass menschliche CO2-Emissionen für den in den letzten 100 Jahren registrierten leichten Anstieg der Durchschnittstemperatur über den Landmassen der Erde verantwortlich sind. Vor der Industrialisierung sei der Kohlensäuregehalt der Atmosphäre über 10.000 Jahre konstant geblieben.

In einem der Beiträge heißt es: „Die Lufthülle (der Erde) wirkt wie das Glasdach eines Treibhauses. Sie lässt die Sonnenstrahlung durch, aber hält die von der Erdoberfläche abgegebene Wärme zurück. Für diesen Effekt sorgt an erster Stelle das Kohlendioxid.“ Dieser Satz ist, gelinde gesagt, haarsträubend. Er beschreibt nicht den vermeintlichen „Treibhauseffekt“, sondern das Wärmespeicherungsvermögen der Atmosphäre. Dieses geht aber bekanntlich zu schätzungsweise 95 Prozent auf den Wasserdampf und dessen Kondensation zu Wolken und nur zu einem ganz geringen Teil auf CO2 zurück. Beim „Treibhauseffekt“ geht es hingegen um eine zusätzliche Aufheizung des Bodens und der unteren Luftschichten durch „Rückstrahlung“ von Wärme aus angeregten „Treibhausgas“-Molekülen in der Luft. Dieser (theoretisch nicht ausgeschlossene) Effekt ist nicht messbar. Das hält aber den IPCC nicht davon ab, rein numerische Computersimulationen, die auf diesem nur angenommenen Effekt beruhen, zur Basis seiner Warnungen vor einem „Klimakollaps“ durch Überhitzung zu machen. Der VCI, so muss man aus der Beilage in „Bild der Wissenschaft“ schließen, akzeptiert diese experimentell nicht gestützten Computersimulationen als wissenschaftlichen Standard. Wie will da der Chemieverband in Zukunft noch Tierversuche rechtfertigen?

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Zukunftsszenario

Durch REACh reif für die Insel von Edgar Gärtner*

Der Chemiker Albert Schäfer war reif für die Insel. Tatsächlich befand er sich nun, im Dezember 2012, auch auf einer Insel in der Karibik. Er konnte Weihnachten unter der subtropischen Sonne erleben, während seine Kollegen daheim in Frankfurt unter einem von Hochnebel verdüsterten Himmel des fernen Frühlings harrten. Insofern schien die Welt noch in Ordnung. Das Dumme war nur, dass Albert nicht recht wusste, wie er von dem Eiland wieder weg und zurück zu seinen Lieben kommen konnte. Bei der Insel, auf der er sich befand, handelte es sich nämlich nicht um eines jener bekannten Urlaubparadiese mit direkten Flugverbindungen zu wichtigen europäischen Großstädten, sondern um eine künstliche Plattform namens „Freedom Island“. Sie war von cleveren Geschäftsleuten chinesischer Herkunft errichtet worden, um der hohen Steuerbelastung in etlichen westlichen Wohlfahrtsstaaten zu entgehen. Inzwischen war sie aber wegen hoher Spritpreise und ihrer Ächtung als „Pirateninsel“ mit dem Hubschrauber kaum mehr erreichbar.

Immerhin fand Albert hier zum ersten Mal seit langem wieder einmal Zeit, über sich selbst nachzudenken und nicht mehr ausschließlich über die Umsetzung der REACh-Verordnung der EU, die für ihn zum Alptraum geworden war. Aber der Reihe nach. Albert war Ende der 80er Jahre aus der DDR gekommen, wo er ein solides Studium der organischen Chemie absolviert hatte. Als junger Student war ihm eines der raren Exemplare von Ulrich Plenzdorfs Kultroman „Die neuen Leiden des jungen W.“ in die Hände geraten. Dieses 1973 erschienene subversive Büchlein hatte eigenartigerweise die Hürden der Zensur überwinden können. Albert identifizierte sich stärker mit Plenzdorfs Hauptfigur Edgar Wibeau, als ihm zunächst bewusst war. Bei Edgar handelte es sich um einen eigensinnigen und eigenbrötlerischen, aber dennoch sympathischen Erfinder, der bei einem seiner Experimente ums Leben kam. Nachdem Albert 1982 mit Auszeichnung promoviert und in einem Kombinat im berüchtigten „Chemiedreieck“ angestellt worden war, hatte es sich immer deutlicher gezeigt, dass er für das Mittelmaß der Planwirtschaft nicht geschaffen war. Nicht ahnend, dass die Herrschaft der Sozialistischen Einheitspartei bald enden würde, hatte Albert noch im Juli 1989 einen Urlaub in Ungarn genutzt, um sich samt Freundin in den Westen abzusetzen.

Dass er in Westdeutschland mit offenen Armen empfangen wurde, konnte Albert freilich nicht behaupten. Die Ossis galten im Westen schon damals als eher naiv und technikgläubig, weil sie von dem Reaktorunglück von Tschernobyl nicht viel mitbekommen hatten. Immerhin gelang ihm mit seinen guten Zeugnissen der Eintritt in die Zentralforschung eines großen Chemie- und Pharmakonzerns im Rhein-Main-Gebiet. Dort beschäftigte er sich mit der Entwicklung von Katalysatoren. Dabei gelangte er an Fragestellungen und Methoden, die später unter dem Schlagwort „Nanotechnologie“ bekannt wurden. Bald kam Albert die Idee, seine in der Katalysatorforschung gesammelten Erfahrungen auch bei der Entwicklung von Produkten für den Massenmarkt zu nutzen.

Als viel versprechend erschien ihm die Entwicklung eines universell einsetzbaren Schmiermittels, das sich im Kontakt mit dem Chromstahl von Gleit-, Wälz- und Kugellagern gewissermaßen selbst erneuerte. Es konnte so mindestens ebenso lange halten wie die Teile, die es zu schmieren galt. Albert brauchte nicht lange, um von seinen Vorgesetzten grünes Licht für sein Vorhaben zu bekommen. Ideen wie seine wurden in der zuletzt ziemlich behäbig arbeitenden Zentralforschung nicht alle Tage geboren. Und wenn doch mal welche auftauchten, traten meist Bedenkenträger auf den Plan. Sie taten alles in ihrer Macht stehende, um die Marktchancen neuer Produkte klein zu reden, denn sie hatten nicht richtig mitbekommen, dass es ihre über Jahrzehnte so erfolgreiche Chemie inzwischen fast überall auf der Welt mit Märkten zu tun hatte, auf denen nicht mehr die Verkäufer, sondern die Käufer am längeren Hebel saßen. In der Konzernleitung sahen manche durchaus, dass das nicht mehr lange so weiter gehen konnte. Es gab bereits Gerüchte, die Zentralforschung solle aufgelöst und durch kleinere Einheiten ersetzt werden. Diese sollten besser geeignet sein, neue Ideen rasch in marktfähige Produkte umzusetzen, um die plötzlich erstarkte asiatische Konkurrenz zumindest eine Zeit lang abhängen zu können.

Albert bekam jedenfalls alles, was er brauchte, um sein Vorhaben in Angriff nehmen zu können. Nachdem die Zentralforschung gegen Ende der 90er Jahre im Zuge der unabwendbar gewordenen Zergliederung des Konzerns tatsächlich aufgelöst worden war, gelang es Albert mit seinem Team, bei einem der Nachfolgekonzerne seine Arbeit unter noch besseren Bedingungen fortsetzen zu können. Die Umsetzung der Produktidee war bis dahin schon so weit gediehen, dass der Name OmegaLube als Warenzeichen eingetragen und ein Patent beantragt wurde.

Zwar kam die Arbeit an dem als revolutionär gepriesenen Schmiermittel nicht geradlinig voran. Hin und wieder verloren die Forscher Zeit und Geld, weil sie sich nächtelang stritten oder monatelang falschen Fährten folgten. Außerdem stellte es sich bald heraus, dass Albert keineswegs der einzige war, der auf die Idee gekommen war, mithilfe nanotechnologischer Verfahren ein extrem haltbares Schmiermittel zu entwickeln. Doch schien es, als habe OmegaLube die Nase vorn. Der Sprung in die Großproduktion schien nur noch eine Frage der Zeit.

Doch in den folgenden Jahren drängten sich immer häufiger die fünf Buchstaben REACH in die Agenda der Forscher. Zwar war es gelungen, das Europa-Parlament davon abzuhalten, in den harten Auseinandersetzungen zwischen der ersten und der zweiten Lesung des Entwurfs der REACH-Verordnung, wie nicht nur von der Fraktion der Grünen gefordert, für die „Nanotechnik“ besonders strenge Vorschriften einzuführen. Dafür setzten sich bei der Formulierung des Substitutionsprinzips – der Pflicht, wo immer nur möglich, gefährliche durch weniger gefährliche Stoffe zu ersetzen – jene Europa-Abgeordneten durch, die dem Markt und dem freien Unternehmertum grundsätzlich misstrauten. Und dieses juristisch alles andere als eindeutige Prinzip hing fortan wie ein Damoklesschwert nicht nur über einer Vielzahl von Altstoffen, sondern auch über OmegaLube. Denn wichtige Bestandteile des neuen Schmiermittels waren nicht nur, wie gewünscht, extrem beständig, sondern standen auch im Verdacht, sich obendrein in Nahrungsketten anzureichern.

Deshalb entschied der Vorstand Ende 2006, die Weiterentwicklung von OmegaLube zu stoppen, um alle Ressourcen der Forschungsabteilung auf die Verteidigung solcher Altstoffe zu konzentrieren, die sich als Umsatzbringer bewährt hatten. Für Albert Schäfer brach eine Welt zusammen. Er war wütend und begann sogleich darüber zu grübeln, wie er sein Projekt vielleicht auf eigene Faust doch noch zu Ende bringen könnte. Seit er im Westen war, hatte er, noch immer tief beeindruckt von den „neuen Leiden des jungen W.“, die Beschäftigung mit den Abenteuern bekannter Erfinder zu seinem Hobby gemacht. Wenn andere Krimis lasen, verschlang er die Biografien von Thomas Alva Edison und anderen Helden der Technikgeschichte. Besonders hatte es ihm die tragische Geschichte des amerikanischen Chemikers Charles Goodyear angetan. Dieser hatte in unzähligen Versuchen zur Herstellung haltbaren Gummis nicht nur seine Gesundheit ruiniert und den letzten Cent geopfert, sondern sogar seine Kinder verhungern lassen. So weit würde Albert nicht gehen. Da er zwei Töchter hatte, die noch zur Schule gingen, und seine Frau einen Ortswechsel nicht in Kauf nehmen wollte, blieb ihm fürs erste kaum etwas anderes übrig, als auf das Ansinnen seines Vorgesetzten einzugehen.

Da sonst niemand frei war, bekam Schäfer die Aufgabe, gemeinsam mit den Verantwortlichen für Produktsicherheit im ganzen Konzern eine Übersicht über potentiell durch REACh gefährdete Stoffe und Produkte zu erstellen und bei den jeweils zuständigen Produktmanagern und Abteilungsleitern zu sondieren, welche davon es unbedingt zu verteidigen galt, welche man besser zu ersetzen versuchte und welche man am besten gleich vergaß, weil sie künftig ohnehin nur noch in Asien hergestellt würden. Das war eine verantwortungsvolle Aufgabe, mit der er sich aber dennoch nicht von heute auf morgen anfreunden konnte.

Um sich auf die ihm ungewohnte Arbeit vorzubereiten, begann er, zunächst widerwillig, sich mit dem über 1200-seitigen Text der Verordnung zu beschäftigen. Vieles blieb ihm zunächst unklar, zumal die noch weit umfangreicheren technischen Leitfäden (RIP) zur Umsetzung der EU-Verordnung noch nicht vorlagen. Er dachte sich aber, auch in der Chemikalienpolitik würde wohl am Ende nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Kollegen jenseits des Atlantik hatten immer die Meinung vertreten, REACh werde sich als „unworkable“, als undurchführbar, da viel zu kompliziert erweisen. Erhebliche Zeitverzögerungen beim Inkrafttreten der Verordnung schienen ihnen recht zu geben. So zog sich der Aufbau der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki über Jahre hin, weil es sich als schwierig erwies, auf dem europäischen Arbeitsmarkt genügend Toxikologen und andere Experten der Chemikaliensicherheit zu finden und ins abgelegene Helsinki zu locken. Ohne die Einschaltung zahlreicher externer Berater wäre die Agentur wohl überhaupt nicht arbeitsfähig geworden.

Doch es zeigte sich, dass REACH im europäischen Norden durchaus ernst genommen wurde. Die wichtigsten Abnehmer der chemischen Industrie wie große Konsumgüter- und Automobilkonzerne hatten angekündigt, nur noch Produkte mit dem Label „REACh approved“ abzunehmen, weil sie so Verbrauchervertrauen zurück zu gewinnen und nebenbei der US-Konkurrenz das Leben schwer zu machen hofften. Einige beschleunigten die schon vor REACh begonnene Auslagerung der Produktion von „Commodities“ nach China und Indien, um sich in Europa auf die Herstellung anspruchvoller Stoffe mit höherer Wertschöpfung zu konzentrieren. Die Verordnung war noch gar nicht richtig in Kraft getreten, da kündigten erste größere Lieferanten bereits die Einstellung der Produktion wichtiger Hilfsmittel an, da es sich nicht lohne, diese registrieren zu lassen. Kleinere Hersteller lieferten zwar zunächst weiter. Man wusste aber nicht, ob sie die fraglichen Substanzen wirklich registrieren wollten oder ob sie vielleicht die für kleinvolumige Stoffe vorgesehene lange Registrierungsphase nur als Gnadenfrist vor der Geschäftsaufgabe betrachteten. Andere Hilfsmittel gerieten auf die „Kandidatenliste“ besorgniserregender Stoffe.

Wie schon vor der Verabschiedung von REACH befürchtet, wurde diese Liste nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von großen Vermarktern von Konsumgütern und selbst von manchen Herstellern als „Schwarze Liste“ interpretiert. Es bedurfte großer Überredungskünste, um Hersteller und Importeure davon abzuhalten, Stoffe aus dem Sortiment zu nehmen, bevor diese überhaupt vorschriftsgemäß geprüft worden waren.

So wurde Albert Schäfer noch vor dem Beginn der Vorregistrierungsphase klar: Sein Unternehmen musste sich möglichst rasch an den vorgesehen Foren für den Austausch von Stoffinformationen (SIEF) beteiligen, um zu vermeiden, Stoffe nicht mehr geliefert zu bekommen oder ihre Anwendungen alleine registrieren zu müssen. Über Langeweile brauchte er sich fortan nicht mehr zu beklagen. Zum Teil waren die SIEF durchaus anregende und produktive Veranstaltungen. Viele Teilnehmer kannten sich bereits aus Geschäftsbeziehungen oder aus Diskussionen in Ausschüssen von Industrie- und Fachverbänden. Gehörte es doch zu den Eigenheiten der chemischen Industrie, dass viele Konkurrenten gleichzeitig auch Kunden waren. Es konnte dabei aber auch zu Konflikten zwischen Zulieferern und Verarbeitern von Stoffen kommen. Viele kleinere Anwender scheuten sich, den Stoffherstellern zu verraten, was sie mit den gelieferten Substanzen alles anstellten. Andere SIEF-Teilnehmer hüteten sich, ihren schärfsten Konkurrenten zu verraten, womit sie sich gerade beschäftigten. Nicht selten gab es Streit um die Aufteilung der Kosten von Tierversuchen, die nach dem Willen des Gesetzgebers nur einmal durchgeführt werden durften, um den missliebigen Versuchstierverbrauch in Grenzen zu halten. Es gab auch gerichtliche Auseinandersetzungen um Eigentumsrechte an Test-Daten.

Diese sich manchmal länger hinziehenden Auseinandersetzungen setzten Albert ganz schön zu, zumal es ihm seine pubertierenden Töchter oft verwehrten, sich zu Hause vom REACh-Stress zu erholen. Aber er wollte sich nicht beklagen. Immerhin hatte er gelernt, Forscherteams zu führen und galt bei seinen Mitarbeitern trotz einer gewissen Halsstarrigkeit als eher pflegeleichter Kumpel, der auch mal etwas einstecken konnte. In der DDR hatte er auch gelernt, wie man mit dem Hochmut bornierter Bürokraten oder mit Qualitätsmängeln und Lieferengpässen zurecht kam. Er wusste aus seinem Leben in einem Obrigkeitsstaat, die immer wieder entstehenden kleinen Freiräume zu nutzen. Aber er tat sich schwer im Umgang mit politischen Netzwerken in den westeuropäischen Mediendemokratien.

Darauf aber kam es an bei der Verteidigung oder Abwicklung von Produkten, die auf die Abschussliste so genannter Nichtregierungsorganisationen (NGO) geraten waren (deren Kampagnen in Wirklichkeit oft zu über 50 Prozent von der EU-Kommission finanziert wurden). Um „Problemstoffe“ weiterhin im Sortiment halten zu können, musste die Firma überzeugend nachweisen, dass es dafür keine praktikablen Alternativen gab und dass ihre Handhabung und Anwendung „angemessen“ kontrolliert wurde. Gelang der Nachweis nicht, mussten Substitutionspläne vorgelegt werden. Die Anerkennung mit rein technischen Argumenten zu erlangen, erwies sich rasch als unmöglich. Er musste sich mit Vertretern der zentralen Genehmigungsagentur sowie externen Beratern und NGO in so genannten Stakeholder-Foren zusammensetzen.

Dort schien weniger fachliche Kompetenz, sondern vielmehr diplomatisches Geschick und Konsensfähigkeit um beinahe jeden Preis gefragt zu sein. Was die Endkunden, das heißt die „schweigende Mehrheit“ über die heftig diskutierten „Innovationen“ dachten, schien die wenigsten zu interessieren. Albert Schäfer hatte den Eindruck, dass es oft gar nicht darum ging, bedenkliche Stoffe durch etwas Besseres zu ersetzen. Eher schien ausschlaggebend, Stoffe und Problemlösungen als politisch korrekt anerkannt zu bekommen. Er musste zusehen, wie immer mehr Köche im Brei herumrührten. Das kostete ihn beinahe den letzten Nerv.

Obendrein musste Albert auch noch zur Kenntnis nehmen, dass vor allem im Süden Europas vieles ganz anders lief, als es sich die Eurokraten ausgedacht hatten. Kleine Textilunternehmen, denen infolge von Reach wichtige Hilfsmittel für ihre Produktion fehlten, fanden bald heraus, dass sie die nur in kleinen Mengen benötigten Stoffe über die Häfen von Neapel oder Piräus aus China beziehen konnten. Und zwar ohne teure Registrierungen und nahezu unbehelligt von Kontrollen. Als er eines Tages auch noch aus einem Fachblatt erfuhr, dass die Konkurrenten von OmegaLube ihr Produkt unbeeindruckt von REACh zielstrebig zur Marktreife gebracht hatten, sah er sein Lebenswerk verloren.

An diesem Abend fand er sich verstört am Tresen einer rauchfreien Kneipe wieder (wohin ihn sein Weg sonst nur sehr selten führte). Dort lauschte Albert mehr oder weniger freiwillig dem angeregten Gespräch zweier Gäste, die sich als Berufskollegen zu erkennen gaben. Sie schwärmten von einer Plattform namens „Freedom Island“, auf der man unbehelligt von Stakeholder-Foren und Finanzämtern neue Produkte entwickeln konnte. In seinem Zustand bemerkte Albert nicht, dass die beiden ihm einen Bären aufbanden. Die Freiheitsinsel gab es zwar. Aber außer einigen halb vergammelten Aussteigern lebte dort inzwischen niemand mehr. Sie hatte sich nach einer kurzen Blüte als überflüssig erwiesen, weil US-Bürger so ihrer Steuerpflicht nicht entgehen konnten und weil es sich bald zeigte, dass man Erfindungen andernorts unter besseren Bedingungen vorantreiben konnte. Albert aber dachte gar nicht daran, dass etwas mit der Freiheitsinsel nicht stimmen könnte, sondern malte sich aus, wie er sein Lebenswerk unter Palmen und blauem Himmel zu einem guten Ende führen konnte. Kurz entschlossen packte er seine Koffer, um zur Trauminsel aufzubrechen und sich die Arbeitsmöglichkeiten auf der Plattform etwas genauer anzusehen. Nebenbei konnte er dadurch dem Vorweihnachts-Stress mit seinen nörgelnden Töchtern entfliehen. Allerdings konnte er die künstliche Insel nur über Umwege erreichen. Das letzte Stück musste er in einem altersschwachen Schiff zurück legen.

Erst als er auf „Freedom Island“ angekommen war, wurde Albert bewusst, dass er hereingelegt worden war. Da saß er nun und dachte darüber nach, was in den letzten Jahren alles falsch gelaufen war. Albert fragte sich, ob es nicht abwegig war, Innovationen an runden Tischen vorantreiben zu wollen. Hätten sich auf diese Weise jemals revolutionäre Neuerungen wie die Anti-Baby-Pille oder das Internet durchsetzen lassen? Die wichtigste Frage, die ihm durch den Kopf ging, war aber, wie er schnellstmöglich wieder von dieser gottverlassenen Plattform wegkommen konnte.

*) Bei diesem Text handelt es sich um die Langfassung eines Beitrags, der zuerst in Nr. 1/2007 von „Clartext“, des Mitgliedermagazins der Clariant Deutschland, und danach im Magazin NOVO Nr. 88/5-6/2007 erschien.

Was taugen Bio-Pestizide?

Die Landwirtschaft braucht dringend neue Pestizide. Doch deren Entwicklung ist sehr aufwändig. Auch große Agrochemie-Konzerne setzen deshalb neuerdings auf kostengünstigere Bio-Pestizide, die auf der originellen Kombination bekannter Pflanzenextrakte beruhen. Gerade im Hinblick auf das Resistenz-Management dürfte die Zukunft der Kombination sehr unterschiedlicher Wirkstoffe gehören.

Die Landwirtschaft braucht dringend neue Pestizide. Doch deren Entwicklung ist sehr aufwändig. Auch große Agrochemie-Konzerne setzen deshalb neuerdings auf kostengünstigere Bio-Pestizide, die auf der originellen Kombination bekannter Pflanzenextrakte beruhen.

Neue umweltverträgliche Techniken und Hilfsmittel zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität gelten nach dem Platzen der US-Immobilienblase für Kapitalanleger auf der Suche nach zukunftsträchtigen Investitionsmöglichkeiten als besonders interessant. Denn es gibt nach dem Auslaufen der Zulassung einer Reihe mehr oder weniger bewährter Pflanzenschutzmittel seit dem Inkrafttreten der neuen, strengeren Pestizidrichtlinie der EU einen wachsenden Markt für ökologisch sichere und gesundheitlich unbedenkliche Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel. Gewässerbelastungen infolge der Ausschwemmung von überschüssigem Stickstoffdünger mahnen die Entwicklung neuer Methoden der Pflanzenernährung an. Schließlich führt der Klimawandel zu wachsender Nachfrage nach widerstandsfähigeren Kulturpflanzen. Dabei ist Trocken- beziehungsweise Kälteresistenz ebenso gefragt wie Hitze- und Mangelernährungstoleranz. Weiterlesen

Kommunistische Ursprünge der Öko-Bewegung

Torsten Mann: Rote Lügen im grünen Gewand. Der kommunistische Hintergrund der Öko-Bewegung. Kopp Verlag, Rottenburg 2009. 240 Seiten. € 19,95

Der aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen in Süddeutschland lebende Autor Torsten Mann wurde vor zwei Jahren mit dem provokativen Buch „Weltoktober. Wer plant die sozialistische Weltregierung?“ bekannt. Er vertritt dort die These, das durch Michail Gorbatschows „Perstroika“ eingeleitete Ende des „realen Sozialismus“ sei planmäßiges Resultat einer nach dem Tod Stalins eingeleiteten Wende in der Strategie des Weltkommunismus mit dem Ziel, statt durch stalinistischen Terror durch eine Charmeoffensive zur Weltrevolution zu gelangen. Mann stützte sich dabei hauptsächlich auf die Schriften einer Reihe von Überläufern östlicher Geheimdienste wie Michail Goleniewski, Anatoliy Golitsyn, Jan Sejna, Ladislav Bittman, Ion Pacepa, Victor Suworow, Stanislav Lunev, Yuri Bezmenov und Kanatjan Alibekow, von denen einige allerdings im Verdacht stehen, Doppelagenten gewesen zu sein. Weiterlesen

Green’s Communist Origins

One year after Chernobyl, Mikhail Gorbachev announced the creation of “Green Cross International”, an organisation whose president he is still today. It is fighting for the worldwide adoption of the “Earth Charter”, a document drafted in close cooperation with the Rockefellers. Torsten Mann shows in his new book that the real aim of this charter is promoting world communism under the new “global sustainable community” label.

Critical Review:

Red Lies in Green Clothes

Torsten Mann: Rote Lügen im grünen Gewand. Der kommunistische Hintergrund der Öko-Bewegung. Kopp Verlag, Rottenburg 2009

(Torsten Mann: Red Lies in Green Clothes. The Communist Origins of the Green Movement)

Torsten Mann, a young German author, living for medical reasons retired somewhere in Southern Germany, became known in 2007 when he published the book “Weltoktober. Wer plant die sozialistische Weltregierung?” (World October. Who is Preparing the Socialist World Government?). In this book, Mann demonstrates that Mikhail Gorbachev’s “Perestroika”, the break down of the Berlin Wall and the collapse of the Soviet economy is anything but a proof of the victory of Western ideas over collectivism but in reality is the result of a long term communist plan, a consequence of the basic strategic turn that the communist leaders decided in the fifties after Stalin’s death. Mann founded this conclusion mainly on the analysis of testimonials from a series of Eastern secret service deserters, namely Mikhail Golenievski, Anatoly Golitsyn, Jan Sejna, Ladislav Bittman, Ion Pacepa, Victor Suvorov, Stanislaw Lunev, Yuri Bezmenov and Kanatjan Alibecov. These sources must certainly be exploited with precaution for some of these persons are suspected to be double agents. But other accessible official government documents as well as declarations of Soviet Union’s communist party and alleged dissenter’s writings like especially Andrej Sakharov’s “Manifesto” published in 1968 seem to confirm this point of view.

There is a direct link between Sakharov’s “Manifesto” and Gorbachev’s “Perestroika” policy in the eighties as well as in his green “Manifesto for the Earth” published after the end of his reign, Torsten Mann asserts in his recently published book on the communist origins of green ideology. Sakharov who received the peace Nobel Prize in 1975 was wrongly considered as dissenter in the West, Mann says. In order to justify his call for ending the Cold War by global governance, Sakharov introduced in his programmatic book already all types of ecological scares that became common arguments for a global environment and climate policy by redistribution of wealth and resources later on in the nineties. Long before the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) was created, Sakharov already focussed on the growing greenhouse effect supposed to be caused by human made carbon dioxide (CO2). He subsequently pleaded for an eco-tax equivalent to 20 percent of the GDP in all wealthy countries.

Yet Torsten Mann himself points out that American leftist author Murray Bookchin had published similar thoughts already four years before Sakharov. This could demonstrate that there are intrinsic factors in the West leading to collectivist problem definitions and that the green movement could well have been started without the underground work of Eastern secret services. Mann mentions namely the Rockefeller foundations in the USA, which sponsored socialist and green projects all over the world, as well as David and Steven Rockefeller’s intimate friend Maurice Strong who directed the UN environment summits of Stockholm in 1972 and Rio de Janeiro in 1992. There are also personalities like William D. Ruckelshaus, William K. Reilly or Richard E. Benedick who appear as pure products of autochthon US bureaucracy.

Mann shows that Mikhail Gorbachev never changed his communist convictions. He simply replaced Stalinist terror methods by a charming offensive that was launched in February 1986 with the 27th congress of the U.S.S.R.’s Communist Party. The big nuclear accident of Chernobyl that intervened only two month later did not affect the new green image of the soviet leaders. In the year after Chernobyl, Gorbachev announced for the first time the creation of “Green Cross International”, an organisation officially founded in 1992, whose president is still today Gorbachev. “Green Cross International” is fighting for the worldwide adoption of the “Earth Charter”, a document drafted by a special commission in close cooperation with Maurice Strong and Steven Rockefeller and formally presented with the support of Queen Beatrix of the Netherlands on June 29, 2000 at the Peace Palace in The Hague. This event was hardly mentioned in the mass media.

Mann is convinced that the real aim of this charter is promoting world communism under the new “global sustainable community” label. He outlines a series of quotations from Gorbachev’s books and speeches that could prove he is right. In 1987, Gorbachev wrote in a book published in several languages: “In October 1917 we have definitely broken with the old world. We are approaching a new world, the communist world. We will never leave this road.” Worldwide ecological menaces, Gorbachev said in 1988, show that all nations are interdependent and that the world needs an incontestable authority and an international ecological court of justice. “We need a planetary ecological revolution of our minds”, Gorbachev said in 2007. This is also the program of the German Greens. Their aim is an “ecological revolution” that puts an end to the era of cheap energy and wealth growth. The program of the German Greens reproduces the plan of Henry Morgenthau drafted by Soviet secret agent Harry Dexter White in 1944 in order to destroy the German economy, Mann says. He refers to books from Green leaders Joschka Fischer and Jürgen Trittin who claim “sufficiency” and “global equity”, i.e. high prices for fuel and other commodities as well as “sustainable mobility” by car sharing and heavy road pricing must become the guiding principles of the economy. These propositions were integrated already in 1997 in Angela Merkel’s government program.

Yet there is no real scarcity of raw materials, no real climate crisis and no necessity of resource rationing, Mann underlines. In spite of the “Peak Oil” projections published by the Club of Rome and others crude oil and coal supplies continue growing. And there is absolutely no scientific proof of a negative effect of the carbon dioxide produced by the combustion of these fuels. On the contrary: More CO2 in the atmosphere is pushing plant growth and is leading to better crop yields and thus more cheap food for poor people, Mann points out.

Mann supposes that the strong disarmament and anti-nuclear movement in Germany was organized by soviet agents in order to weaken the NATO and to maintain Germany’s dependence on Russian gas and oil supplies. He mentions that Iwan T. Frolow, Gorbachev’s chief ideologue, was participating in 1989 together with the Green leader Jutta von Ditfurth and the Maoist physicist Jens Scheer in a big anti-nuclear meeting in Northern Germany. (But there are other conspiracy theories asserting that Petra Kelly, one of the founders of the German Greens, was specially trained for her job by the Ford and the Rockefeller Foundations in order to weaken American industry’s strongest competitors.)

One chapter of Mann’s book is entirely dedicated to Maurice Strong and his NGO infantry fighting against free enterprise. Canadian Strong who was since 1971 trustee of the Rockefeller Foundation, secretary general of the two main UN environment conferences in Stockholm 1972 and Rio 1992, Vice president of the Worldwide Fund for Nature (WWF), special adviser of the World Bank, president of the World Resources Institute (Washington), vice president World Economic Forum (Davos, Switzerland) and so on, has never hidden his profound Maoist convictions. He was always engaged in favour of the People’s Republic of China and against US interests all over the world. (For this reason China is still excepted from Kyoto obligations.) He is one of the principal promoters of the “ecological footprint”, an index for measuring man’s environment impact which is leading to blame the wealthy Western nations of all sorts of sins and claiming their impoverishment by global wealth redistribution in order to save the world.

“Agenda 21” adopted on the Rio summit in 1992 was the first fruit of the close cooperation between Maurice Strong, Mikhail Gorbachev and NGOs sponsored by the Ford and the Rockefeller Foundations. Torsten Mann reports that “Agenda 21” was preceded in 1977 by a much more radical program under the title “The unfinished Agenda” (Ed. Gerald O. Barney). The drafting of this document by William D. Ruckelshaus, William O. Reilly, Dennis Meadows (Club of Rome) and Murray Bookshin was sponsored by the Rockefeller Brothers Fund. “Agenda 21” appears as a light version of the older Agenda which presented clearly the aims of global birth control, global rationing of energy, food and fresh water, and reduction of private consumption by socialist planning. Strong birth control and an important overall shrinking of the world population, defended by John D. Rockefeller III himself in 1974 at the third world population conference in Bucharest (Romania), is another goal of “Agenda 21”. Instead of open coercion, “Agenda 21” is proposing rather subtle methods like the erosion of the family and other proven institutions by “Gender Mainstreaming” and the growing transformation of women from housewives into wage-earners (which was already claimed by Marx and Engels in the “Communist Manifesto”).

In “Agenda 21” attacks on free enterprise remain rather mild. The Climate Framework Convention adopted in 1992 and the Kyoto Protocol from 1997, viewed with regard to the older hidden agenda, can nevertheless be considered as first steps to a global planned economy, Mann says. In the global governance system installed by the Kyoto treaty NGOs can act like a private police of a virtual world state. In order to confirm this conclusion, Mann mentions an older study published in 1973 under the title “The Use of Land: A Citizen’s Policy Guide to Urban Growth” which was worked out by a commission presided by Laurence D. Rockefeller and was also financed by the Rockefeller Brothers Fund. This document says private land ownership, protected by the US constitution, appears obsolete with regard to biodiversity conservation and pleads for public restrictions of owners’ rights on the basis of the precautionary principle which implies a reversal of proof. This abolition of an important legal principle was reproduced later on in the UN biodiversity convention. But fortunately the Rockefellers, Mikhail Gorbachev and Maurice Strong didn’t manage to get their “Earth Charter” project adopted in 1992. They had to rewrite their copy. So there is still no legal basis for world communism.

But the stable coalition between big finance as well as red and green revolutionaries against small and medium enterprises and against individual freedom continues its zealous work. The draft charter presented in 2000 has still many chances to be adopted by the UN one day. Torsten Mann notes that some passages of the “Earth Charter” sound like totalitarian hubris or even like blackmail. For instance this part of the preamble: “To move forward we must recognize that in the midst of a magnificent diversity of cultures and life forms we are one human family and one Earth community with a common destiny. We must join together to bring forth a sustainable global society founded on respect for nature, universal human rights, economic justice, and a culture of peace. Towards this end, it is imperative that we, the peoples of Earth, declare our responsibility to one another, to the greater community of life, and to future generations.” This approach, Mann is supposing, will not lead the world to ever lasting peace but to the Apocalypse described in the New Testament of the Bible. (11 August 2009)

Edgar L. Gärtner

Quantenphysik erklärt Evolution und Bewusstsein

 
Rolf Froböse: „Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele.“ Lotos Verlag (Random House), München (2009), ISBN 978-3-7787-8211-8, 160 Seiten, Preis: EUR 14.95.

Wir sind Zeitzeuge eines fundamentalen Paradigmenwechsels in den Naturwissenschaften. Einsteins Dogma von der Unübertrefflichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist im Sommer 2008 in Genf experimentell ins Wanken gebracht worden. Ein Physiker-Team unter Nicolas Gisin konnte zeigen, dass das von Einstein nur als absurde Konsequenz gegnerischer Auffassungen postulierte Verschränkungsprinzip in der Quantenphysik real existiert. Dieses Prinzip besagt, dass zwei Teilchen A und B, die einmal zusammen gehörten, nach der Trennung wie durch Spuk miteinander verbunden bleiben und mit unendlich hoher Geschwindigkeit Information austauschen, selbst wenn der Zeitpunkt der Trennung weit in der Vergangenheit liegt oder die Teilchen mittlerweile Lichtjahre voneinander entfernt sind. Es ist somit auch nicht ausgeschlossen, dass Wirkungen in der realen Welt manchmal ihren Ursachen vorauszugehen scheinen und vielleicht tatsächlich vorangehen. Scheinbar überirdische Phänomene wie Hellsehen oder Liebe auf den ersten Blick werden vermutlich bald erklärbar, ohne dabei etwas von ihrem Zauber zu verlieren. Weiterlesen

Empfehlung: Handbuch für Skeptiker

Die australische Kollegin Joanne Nova hat ein sehr nützliches Handbuch für Skeptiker erarbeitet und im pdf-Format zum Herunterladen auf ihren Blog gestellt. Eine deutsche Übersetzung findet sich auf der Internet-Präsentation des Europäischen Instituts für Klima und Energie (EIKE). Der Kollege Robert Grötzinger hat das Handbuch auf ef-online.de besprochen.

German energy deadlock

The German Renewable Energies Act (EEG) is not supported by the country’s leading economists. They are pointing out that billions of Euros invested in the “renewables” sector would only lead to marginal CO2 savings. It would be easier to create much more jobs with less money. All and above the EEG incompatible with the European Emissions Trading Scheme (ETS). Consumers will pick up the tab through high energy costs and and less supply security.

Some Facts about Renewables & Green Jobs in Germany

By Edgar L. Gärtner

The Renewable Energy Act (EEG) is leading to net job losses

When competition on the German power market was established in order to comply with EU’s power market directive, the mean power price for industrial consumers dropped to some 6 ct/kWh and the mean price for end consumers to 14 ct/kWh. But after 2000, the consumer prices began to rise continually. In 2008, industrial clients had already to pay nearly 13 ct/kWh and private clients nearly 22 ct/kWh. The main reason for this turn is the German Renewable Energy Act (EEG) which was passed in March 2000. The EEG guarantees high feed-in prices for any quantity of power generated by wind turbines, biomass converters or photovoltaic panels for a period of 20 years.

This guarantee was the key vehicle to the recent investment-boom in the German “renewables” sector, especially in wind power. Currently, some 20,000 wind turbines are generating 23,312 MW, i.e. 6.3 % of Germany’s total power supplies (639 TWh) for the guaranteed price of 9 ct/kWh. These remunerations are charged to power consumers. Weiterlesen

Ökologie der Hoffnungslosigkeit

Derrick Jensen: Endgame. Zivilisation als Problem. Pendo Verlag. München und Zürich, 2008. 540 Seiten. € 22,90 (D)/€ 23,60 (A)/sFr 41,50. ISBN: 978-3-86612-192-8

„Ich will in diesem Buch untersuchen, wie moralisch machbar es ist, nicht nur Staudämme einzureißen, sondern die gesamte Zivilisation abzuschaffen.(…) Jeden Morgen, wenn ich aufwache, frage ich mich, ob ich schreiben oder einen Staudamm sprengen soll.“ Das gesteht Derrick Jensen, ein nordkalifornischer Öko-Aktivist und Bestseller-Autor in seinem nun auf Deutsch vorliegenden programmatischen Buch „Endgame“. Immerhin räumt er im gleichen Atemzug ein, er sei selbst zu feige und technisch zu ungeschickt, um das Programm seines in den USA als „das wichtigste Buch der letzten zehn Jahre“ ausgezeichneten Wälzers auch umzusetzen. Dieser gewährt einen einzigartigen Einblick in die Denkart der in Nordamerika immer zahlreicher werdenden Öko-Fundamentalisten, die den Untergang von Milliarden von Menschen in Kauf nehmen, um ihrem Ziel, der Zerstörung der industriellen Zivilisation, näher zu kommen. Weiterlesen

Chemikaliensicherheit

Die systematische Bestimmung von Schadstoffen in menschlichen Körperflüssigkeiten ist ein wichtiges Kontrollinstrument sowohl der Arbeitsmedizin als auch der Gesundheits- und Umweltpolitik. Human Biomonitoring kann aber auch missbraucht werden, um die Öffentlichkeit zu täuschen.

Human Biomonitoring:

Oft nützlich, mitunter aber auch irreführend

Die systematische Bestimmung von Schadstoffen in menschlichen Körperflüssigkeiten ist ein wichtiges Kontrollinstrument sowohl der Arbeitsmedizin als auch der Gesundheits- und Umweltpolitik. Human Biomonitoring kann aber auch missbraucht werden, um die Öffentlichkeit zu täuschen.

Als EU-Kommissarin Margot Wallström noch für die Vorbereitung und Durchsetzung der neuen, dem „Vorsorgeprinzip“ verpflichteten Chemikalienpolitik der EU (REACH) zuständig war, ließ sie sich vor laufender Kamera Blut abnehmen. Analytiker fanden darin Spuren von über 50 Chemikalien (darunter DDT und andere Pestizide), die da offenbar nicht hingehörten. Die Presse hatte wieder einmal eine Sensationsmeldung, mit deren Hilfe die EU-Kommission ihren Druck auf die damals noch widerständige Industrie zu verstärken dachte. Dabei war den meisten der Beteiligten schon damals klar, dass der bloße Nachweis von Fremdstoffen im menschlichen Blut oder Urin mit einem seriösen Human Biomonitoring (HBM) nichts gemein hat. Da es die chemische Analytik wegen ihrer früher kaum vorstellbaren Empfindlichkeit heute ermöglicht, in Körperflüssigkeiten selbst extrem geringe Mengen von Fremdstoffen bestimmen, ist es absehbar, dass man bald bei beliebigen Erdenbürgern das ganze Periodensystem der Elemente, wenn nicht beliebige Verbindungen aus dem europäischen EINECS-Verzeichnis der Altstoffe nachweisen könnte, sobald dafür anerkannte Analysemethoden verfügbar sind. Um zu verhindern, dass Ergebnisse des HBM irreführend interpretiert, wenn nicht politisch missbraucht werden, haben das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und der deutsche Chemieverband (VCI) Ende Januar 2009 in Bonn gemeinsam eine breite Diskussion von Fachwissenschaftlern über Möglichkeiten und Grenzen des HBM für Politik und Gesellschaft organisiert.

Historisch geht HBM auf die präventive Arbeitsmedizin, insbesondere in der chemischen Industrie zurück. Schon in den 50er Jahren hatte HBM, definiert als systematische Bestimmung von Schadstoffen bzw. deren Metaboliten in biologischem Material (insbesondere Urin oder Blut) mit dem Ziel, die Belastung und das Gesundheitsrisiko exponierter Individuen im Vergleich zu Referenzwerten zu erfassen und, falls notwendig, Gegenmaßnahmen einzuleiten, in Deutschland bereits große Bedeutung erlangt. Im Jahre 1980 legte die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe neben Grenzwerten für die Maximale Arbeitsplatzkonzentration luftgetragener Schadstoffe (MAK-Werte), erstmalig weltweit, auch Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte (BAT-Werte) für die innere Schadstoffbelastung fest.

Etwa seit dieser Zeit gewinnt HBM auch in der Umweltmedizin an Bedeutung. Auslöser war die EU-Richtlinie 77/312/EEC vom 29. März 1977 über das biologische Screening der Bleibelastung der Bevölkerung. Da hierbei deutlich wurde, dass der Zusatz von Bleitetraäthyl als Anti-Klopfmittel in Ottokraftstoffen die Hauptursache hoher Blutbleiwerte war, wurde Blei im Benzin in den 80er Jahren sowohl in den USA als auch in Deutschland und in der EU schrittweise verboten, sobald bleifreie Kraftstoffe verfügbar waren. Mithilfe von HBM konnte nachgewiesen werden, dass die Politik damit an der richtigen Stelle angesetzt hatte. In den USA beispielsweise sank der durchschnittliche Blutbleispiegel vom Ende der 70er bis zum Beginn der 90er Jahre von etwa 160 auf unter 20 µg/l.

Oft begnügt sich die Umweltpolitik demgegenüber mit einem Ambient-Monitoring (AM) von Schadstoff-Konzentrationen in der Luft, im Wasser, im Boden oder in Nahrungsmitteln und rechtfertigt kostspielige Gegenmaßnahmen mit Worst-Case-Annahmen über möglicherweise davon ausgehende Gesundheitsgefahren. Der Nutzen solcher Maßnahmen erschöpft sich aber oft in Propaganda-Effekten, solange mithilfe von HBM nicht nachgewiesen wurde, dass es tatsächlich einen engen Zusammenhang zwischen Schadstoffkonzentrationen in Umweltmedien und Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit gibt. Prof. Jürgen Angerer von der Universität Erlangen-Nürnberg, einer der Pioniere des HBM in Deutschland, zitierte das Beispiel der Georg-Ledebour-Schule in Nürnberg, in deren Atemluft PCB (vermutlich aus Fugendichtungen) nachgewiesen worden war. Die Schule wurde sehr aufwändig von Handwerkern in Ganzkörper-Schutzanzügen saniert. Die Ergebnisse des von Angerer und Mitarbeitern durchgeführten HBM wurden von der Politik ignoriert. Diese zeigten, dass die PCB-Belastung des Blutes der Schüler der Ledebour-Schule mit durchschnittlich 0,44 µg/l deutlich unter dem im Umweltsurvey 1998 des Umweltbundesamtes (UBA) ermittelten Referenzwertes von 0,56 µg/l lag. Eine Sanierung der Schule wäre überhaupt nicht nötig gewesen.

Immerhin hatte HBM bereits zu Beginn der 90er Jahre für eine Versachlichung der politischen Auseinandersetzung um die Sanierung zahlreicher Sportplätze beigetragen, in deren Belägen dioxinhaltige Schlacke („Kieselrot“) von der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg verwendet worden war. Die damals erhobenen HBM-Daten zeigten eindeutig keine besondere Dioxinbelastung der betroffenen Menschen. Worst-Case-Szenarien konnten als völlig unrealistisch verworfen und kostspielige Sanierungsmaßnahmen „auf Verdacht“ vermieden werden, da die im „Kieselrot“ enthaltenen Dioxine offenbar, wenn überhaupt, nur in geringem Maße in den menschlichen Organismus gelangten.

Von daher besteht Hoffnung, mithilfe von HBM auch andere durch Worst-Case-Annahmen emotional aufgeladene Auseinandersetzungen um Verdachtsstoffe versachlichen zu können. Zurzeit gilt das insbesondere für die seit etlichen Jahren schwelende Kontroverse um einige Phthalate, die in großen Mengen als Kunststoff-Weichmacher eingesetzt werden. Allen voran der bis vor einigen Jahren noch führende PVC-Weichmacher Diethylhexylphthalat (DEHP). Dieser Standard-Weichmacher ist zwar seit der Jahrtausendwende durch den längerkettigen Weichmacher Diisononylphthalat (DINP) wegen dessen günstigeren Preis-Leistungs-Verhältnisses sukzessive aus den meisten Anwendungen verdrängt worden. Doch erwies sich DEHP gerade in sensiblen medizinischen Anwendungen wie Infusions- und Dialyseschläuchen, Magensonden oder Blutbeuteln wegen besonderer Materialeigenschaften (Flexibilität auch noch bei sehr niedrigen Temperaturen) bis vor kurzem als schwer oder gar nicht ersetzbar.

Wie andere Phthalate gilt DEHP aufgrund von Tierversuchen mit hohen Dosen als endokrin wirksam und wurde von der EU offiziell als potenziell die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigend eingestuft. Umso bedenklicher erscheint die außerordentlich hohe DEHP-Exposition künstlich ernährter Frühgeborener. Bei ihnen wird, wie Prof. Angerer betonte, die tolerierbare tägliche Höchstmenge (TDI) von DEHP zum Teil um mehr als das Zehnfache überschritten. Jürgen Angerer hat mithilfe eines heroischen Selbstversuches, bei dem er etwa 50 mg Deuterium-markiertes DEHP auf einem Butterbrot aß, erst die Grundlagen für ein HBM von DEHP gelegt. Durch die Untersuchung seines Urins in den zwei Tagen nach der DEHP-Aufnahme konnte er quantitativ bestimmen, in welchem Maße DEHP zu MEHP metabolisiert wird. Mithilfe des ermittelten Konversionsfaktors lässt nun leicht vom MEHP-Gehalt im Urin auf die DEHP-Belastung eines Organismus zurückschließen.

Das UBA in Dessau und Berlin hat auf dieser Grundlage in seinem Kinder-Umwelt-Survey (KUS) ermittelt, dass in Deutschland bei 1,4 Prozent der drei- bis vierzehn-jährigen Kinder der TDI für DEHP (50 µg/(kg KG.d) überschritten wird. Als weitaus bedenklicher erscheint die Quote der TDI-Überschreitungen beim problematischeren Weichmacher Dibutylphthalat (DBP), die bei DnBP 11,7 und bei DiBP 9,1 Prozent erreichen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der TDI von DBP nur ein Fünftel des TDI von DEHP beträgt. Nach Ansicht von Marike Kolossa-Gehring vom UBA ist das jedenfalls Grund genug, DEHP und DBP auf die Liste der „Kandidaten“ zu setzen, die nach REACH einer behördlichen Zulassung bedürfen.

Auch bei betrieblichen Störfällen in der chemischen Industrie oder bei Unfällen mit Chemikalien hat sich HBM bewährt. Michael Nasterlack, Arbeitsmediziner bei der BASF, illustrierte auf der Bonner Veranstaltung anhand konkreter Beispiele, auf welche Weise HBM helfen kann, chemiebezogene Gesundheitsgefahren realistisch einzuschätzen. So erkannte man erst mithilfe des HBM, dass o-Toluidin nicht in normalen Kesselwagen transportiert werden sollte. Denn diese lassen sich nicht sauber genug von Produktrückständen befreien und können deshalb nicht ohne Vollschutzanzug begangen werden. Nachdem Vergiftungssymptome beim Rangier- und Reinigungspersonal mithilfe von HBM eindeutig auf o-Toluidin und andere aromatische Amine zurückgeführt werden konnten, dürfen diese Stoffe heute nur noch in Kesselwagen aus Edelstahl transportiert werden und das betroffene Personal unterliegt Nachsorgeuntersuchungen im Rahmen des ODIN-Programms der Berufsgenossenschaften.

Noch in den Anfängen steckt die Anwendung von HBM bei der Ermittlung schichtenspezifischer Umwelt- und Gesundheitsbelastungen. Die Annahme, Kinder aus der Unterschicht seien generell höher belastet als Kinder aus der Mittelschicht, wird vom KUS nicht bestätigt. Vielmehr sind Kinder aus wohlhabenderen Elternhäusern in Deutschland eindeutig stärker durch PCB und andere Rückstände chlororganischer Verbindungen belastet als Kinder aus der Unterschicht. Ursache dafür ist nach Ansicht der Sozialmedizinerin Prof. Claudia Homberg von der Universität Bielefeld die in den Mittelschichten übliche längere Stillzeit.

Uwe Lahl vom BMU wies allerdings darauf hin, dass HBM mangels geeigneter Analyseverfahren bislang nur für etwa 200 Substanzen anwendbar ist. So sei zum Beispiel die beinahe ubiquitäre Verbreitung von Rückständen perfluorierter Verbindungen in der Umwelt lange übersehen worden, weil die üblichen Screening-Verfahren nicht darauf ausgelegt waren. Lahl machte sich für ein gemeinsames Programm der chemischen Industrie und der Politik für die systematische Entwicklung von Analysemethoden für bedenkliche Stoffe stark. Rückendeckung erhielt er dabei von Matthias Machnig, Staatssekretär im BMU. „Wir brauchen eine umfassende Kenntnis und Bewertung von Stoffen“, unterstrich Machnig. Damit wiederholte er den hinter REACH stehenden (illusionären) Anspruch. Schon der Start von REACH lässt allerdings ahnen, wohin dieses Streben nach Allwissen führt.

Edgar Gärtner

(veröffentlicht in: CR-Chemische Rundschau, Heft 3/2009, VS-Medien, CH-Solothurn)

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Es geht auch mit weniger Versuchstieren

Auch Industrie-Toxikologen sind in der Regel keine herzlosen Tierquäler. Sie bemühen sich schon lange darum, den „Verbrauch“ von kleinen wie großen Versuchstieren auf das Notwendigste zu beschränken, zumal Tierversuche als Kostentreiber gelten. Dennoch werfen ihnen Tierschützer vor, den Einsatz von tierfreien Testverfahren unnötig hinauszuzögern. Noch immer sind im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) nur zwei alternative toxikologische Testverfahren, der 3T3-NRU (Neutral Red Uptake)-Phototoxizitätstest (OECD Testguideline 432) und 3-D-Modelle menschlicher Haut aus Zellkulturen für die Untersuchung der Korrosivität und der Penetrationsfähigkeit von Stoffen (Episkin- und Epiderm-Test nach OECD 431 und 428) weltweit validiert. Hinzu kommt der Ersatz des schmerzhaften Haut- und Augenreizungstests an den Augen lebender Kaninchen (Draize-Test) durch gröbere Tests wie den vor allem in der Kosmetikindustrie gebräuchlichen HET-CAM-Test an angebrüteten Hühnereiern (OECD 405) oder Tests an den herausoperierten Augen toter Kaninchen oder Kücken. Diese gelten in der Kosmetikindustrie aber nur als Vorstufe für Tests an freiwilligen Versuchspersonen.

Wie die CR (in Nr. 6/2004) schon vor vier Jahren berichtet hat, gibt es inzwischen sowohl auf nationaler Ebene wie im Rahmen der Europäischen Union erhebliche finanzielle Annstrengungen, um alternative Testverfahren anwendungsreif zu machen. Da die Prüfung der Reproduktionstoxizität von Stoffen nach bisherigen Schätzungen etwa 70 Prozent des gesamten mit REACh verbundenen Bedarfs von etwa 40 Millionen Versuchstieren verursachen würde, fördert die EU im Rahmen ihres 6. Forschungs-Rahmenprogramms das integrierte Forschungsprojekt „ReprProTect“, an dem Labors aller 27 Mitgliedsländer beteiligt sind, mit 9 Millionen Euro. Ein weiteres EU-Programm mit dem Namen „AcuTox“ zielt auf die Verminderung des Versuchstierbedarfs bei Prüfungen auf akute Toxizität (LD50-Tests). Dafür ging bis vor kurzem noch etwa ein Drittel aller eingesetzten Versuchstiere drauf. In den letzten Jahren wurden hier aber durch die konsequente Anwendung des 3R-Prinzips – Reduce, Refine, Replace – von Russel und Burch (1959) ohnehin bereits erhebliche Fortschritte erzielt. Der Versuchstierbedarf je Prüfung sank von 150 in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf gerade noch 8 im Jahre 2002. Nun geht es vor allem darum, auf der Basis der Ergebnisse standardisierter in-vitro-Cytotoxizitätstests zu entscheiden, wieweit klassische LD50-Tests überhaupt noch notwendig sind.

Nach wie vor gibt es gerade für die teuren und langwierigen Tests auf Reproduktionstoxizität keine tierversuchsfreien Alternativen und es stehen auch keine in Aussicht. Wie Prof. Horst Spielmann vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Mitte Februar 2008 auf einem Kolloquium der DECHEMA in Frankfurt am Main ausführte, zeichnet es sich jedoch ab, dass schon bald bei den 18 Monate in Anspruch nehmenden Zwei-Generationen-Tests auf Fortpflanzungsschäden auf die zweite Generation verzichtet werden kann. Dadurch könnte die Hälfte der für diese Studien bislang erforderlichen großen Zahl von Versuchstieren eingespart werden. Denn das niederländische Bundesgesundheitsamt RIVM konnte anhand der Analyse der Bewertung von 140 Stoffen zeigen, dass die Untersuchung einer zweiten Generation von Versuchstieren keine zusätzlichen für die Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe relevanten Erkenntnisse zutage förderte. Im Rahmen des European Partnership for Alternatives to Animal Experiments (EPAA) arbeiten maßgebliche europäische Industrieverbände seit 2005 zusammen mit der EU-Kommission in einem dialogischen Lernprozess daran, die Zwei-Generationen-Studien durch erweiterte und intelligentere Ein-Generationen-Studien zu ersetzen. Der Validierungsprozess für die abgespeckte Form von Reproduktionstoxizitätstests ist angelaufen.

Der Ersatz von Tierversuchen durch in-vitro-Testverfahren wirft eine Reihe grundsätzlicher Probleme der Eichung auf, die nicht leicht zu lösen sind. So können alternative Methoden zu aussagefähigen Testergebnissen im Hinblick auf Gesundheitsgefahren für Mensch und Umwelt gelangen, die aber unzureichend mit den Ergebnissen von Tierversuchen überlappen. Welche Ergebnisse können als „Goldstandard“ verwendet werden, wenn eine Eichung durch Versuche an Menschen aus ethischen Gründen unmöglich ist? Welche in-vitro-Testverfahren kommen für schwierige Aufgaben wie die Untersuchung der Kanzerogenität und der Reproduktionstoxizität von Stoffen überhaupt in Frage? Die geltenden Gesetze geben bis heute gerade bei der Untersuchung chronischer Belastungen Tierversuche als „Goldstandard“ vor, auch wenn deren Ergebnisse gerade bei den von REACh geforderten Kanzerogentitätsprüfungen alles andere als eindeutig sind. Es ist bekannt, dass Krebstests an Ratten mit hohen Dosen von Testsubstanzen im Schnitt zur Hälfte positiv ausgehen. Von diesen positiven Ergebnissen erweisen sich aber 90 Prozent als falsch. Hier helfen nur die Kombination verschiedener Testverfahren und die Auswertung von Erfahrungen mit Schadstoffexpositionen in der Arbeitswelt und der Ergebnisse epidemiologischer Studien weiter. Dennoch gelten dabei bis heute aus Tierversuchen gewonnene Daten als unverzichtbar.

Wenn heute das dritte R (Replace) des 3R-Konzepts gegenüber der Planung intelligenterer, Versuchstiere sparender Tierversuche zu kurz kommt, liegt das eher an solchen Problemen und nicht an fehlenden Forschungsmitteln. Darauf wies auf dem Frankfurter Kolloquium sogar Marcel Leist, der Inhaber des von der Schweizer Doerenkamp-Zbinden-Stiftung geförderten Lehrstuhls für Alternativmethoden zum Tierversuchsersatz an der Universität Konstanz, hin. Leist betont aber auch: „Betrachtet man nur die Zahl erfolgreicher internationaler Validierungen, unterschätzt man die Fortschritte, die bei der Implementierung des 3R-Prinzips schon erreicht wurden.“

Einen ebenso intelligenten wie originellen Weg der Anwendung des 3R-Konzepts scheinen Toxikologen der BASF gefunden zu haben: Die systematische Analyse des Einflusses von Testsubstanzen auf das Metabolom (die Gesamtheit der niedermolekularen Stoffwechselprodukte) der Testorganismen durch Hunderte von Chromatographen und deren Auswertung mithilfe der Bioinformatik. Dabei nutzt der Chemieriese seine langjährigen Erfahrungen und sein Equipment aus der Pflanzenschutzforschung. Wie der BASF-Toxikologe Karsten Müller in Frankfurt darlegte, leistet die BASF bei der Einführung dieser bislang nur in der Grundlagenforschung angewandten Methode in Routine-Stoffprüfungen Pionierarbeit. Deshalb sucht der Konzern den engen Kontakt zu den zuständigen nationalen und europäischen Behörden wie auch zu Meinungsbildnern, um die neue Testmethode international als Standardverfahren der Stoffprüfung nach REACh anerkannt zu bekommen. „Mangelnde Akzeptanz bei Behörden könnte sich als Engpass für die international ausgerichtete chemische Industrie erweisen“, warnt Karsten Müller. „Leider bedeutet auch das Vorhandensein einer OECD-Richtlinie noch nicht, dass ein nach dieser Vorschrift durchgeführter Test von Behörden in OECD-Ländern auch anerkannt wird.“

Selbst bei der Qualitätskontrolle von Medikamenten und Blutprodukten kommt der Ersatz von Tierexperimenten nur schleppend voran. Ein Beispiel ist der Pyrogentest für Medikamente, die gespritzt oder infundiert werden. Dabei geht es darum, herauszufinden, ob die flüssigen Medikamente oder Infusionslösungen bakterielle Endotoxine enthalten, die schweres Fieber auslösen können. Endotoxine, d.h. Zerfallsprodukte gramnegativer Bakterien stellen ein besonderes Problem dar, weil sie erst bei 250 Grad Celsius zerstört werden und folglich auch in handelsüblichem Aqua dest. enthalten sein können. Seit 1942 schreibt die US-Pharmakopöe (USP) vor, Chargen der fraglichen Flüssigkeiten an Kaninchen zu testen. Bekommen die Versuchstiere dadurch Fieber, müssen die Chargen verworfen werden. Schon in den 50er Jahren fand der US-Biologe James F. Cooper aber einen eleganten Weg, ohne Kaninchen auszukommen: Der jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit an verschiedenen Küsten des Ozeans massenhaft auftauchende urtümliche Pfeilschwanzkrebs Limulus reagiert sehr sensibel auf das Eindringen von Endotoxin in seinen Blutkreislauf durch die Bildung sogenannter Amöbozyten. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis entwickelte Cooper den heute weltweit gebräuchlichen Limulus-Amöbozyten-Lysat-Test (LAL). Dafür wird den vorübergehend gefangenen Wildtieren nur ein wenig Blut abgenommen. Danach werden sie wieder ausgesetzt.

Seit 1977 wird dieser Test, zunächst in Form des qualitativen Gelklot, von der US Food and Drug Administration (FDA) empfohlen. Inzwischen wurden auf dieser Basis quantitative turbidimetrische und chromogene Testmethoden entwickelt. Nach der Übernahme von Coopers Firma Endosafe durch Charles River Laboratories, den weltgrößten Anbieter von Versuchstieren, wurde die chromogene Methode zu einem Schnelltestsystem weiterentwickelt, das heute weltweit unter dem Namen Endosafe PTS™ angeboten wird. Es liefert in nur 15 Minuten quantitative Messergebnisse.

Ein Nachteil des LAL-Tests ist seine Begrenzung auf den Nachweis von Endotoxin. Auf (weniger bedeutsame) andere Pyrogene spricht er nicht an. Aus diesem Grund werden Biologica und Blutprodukte vor allem in Europa nach wie vor an Kaninchen getestet. Deshalb entwickelten junge Forscher der Universität Konstanz, darunter Thomas Hartung, der heutige Leiter des European Center fort he Validation of Alternative Methods (ECVAM) in Ispra am Lago Maggiore, schon vor Jahren in Zusammenarbeit mit der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen (ZEBET) des BfR einen Test, bei dem eine geringe Blutmenge von gesunden menschlichen Spendern mit der Testsubstanz vermischt werden. Sind darin Pyrogene enthalten, bilden die Leukozyten den Botenstoff Interleukin-1. Dieser lässt sich mithilfe der Immun-Fluoreszenz (ELISA) nachweisen. Auch dieser inzwischen von ECVAM validierte und seit Dezember 2007 der European Medicines Agency (EMEA) als Richtlinienentwurf für die Europäische Pharmakopöe vorliegende „PyroCheck“-Test wird von Charles River in Europa angeboten. Nach Aussage von Beate Knörzer, der zuständigen Verkaufsleiterin, ist dieses Testsystem jedoch, im Unterschied zu Endosafe PTS™, bislang alles andere als ein kommerzieller Renner. Noch immer werden Tests an Kaninchen durchgeführt, weil Hersteller der betroffenen Produkte auf Nummer sicher gehen möchten. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht am guten Willen der Toxikologen und der Behörden hängt, wenn der Ersatz von Tierversuchen nur langsam voran kommt.

Walter Aulmann, leitender Toxikologe der Henkel KGaA in Düsseldorf, sieht deshalb kaum Chancen, die in der EU-Kosmetik-Richtlinie und von REACh vorgegebenen Fristen einzuhalten, zumal der von der EU beschlossene gleichzeitige Übergang zum Globally Harmonised System (GHS) der Chemikalieneinstufung zusätzliche Arbeit bedeutet. Aber er sieht durchaus Möglichkeiten, durch intelligente Testplanung, die Nutzung bereits vorhandener Produktdaten und gewisse Tricks den durch REACh erzeugten Versuchstierbedarf von 40 Millionen auf etwa 9 Millionen Exemplare zu reduzieren, sofern die zuständigen Zulassungs- und Aufsichtsbehörden mitspielen.

Werde im Sinne des in REACh Anhang XI verwendeten Begriffs „Weight of Evidence“ auch auf bereits vorhandene ältere Testdaten und Ergebnisse von neuen in-vitro-Tests zurückgegriffen, könne man sich viele langwierige Tierversuche sparen. Dabei dürften aber nur positive Befunde verwertet werden. Voraussetzung dafür wäre die Veröffentlichung aller bis dato verfügbaren toxikologisch relevanten Stoffdaten. Im Einklang mit der EU-Zubereitungsrichtlinie von 1988 sei es überdies möglich, die Registrierung von Komplexestern zu vereinfachen, indem man auf die Testdaten ihrer Hydrolyseprodukte zurückgreift. Schließlich erübrigten sich viele Tierversuche, wenn beweisbar sei, dass die Exposition mit bestimmten bedenklichen Stoffen niedrig bleibe.

Auch Aulmann betont: „Alle diese Vereinfachungen erfordern eine Abstimmung mit den zuständigen Behörden und internationale Konventionen. Nur so können international tätige Unternehmen die für sie unabdingbare Planungs- und Rechtssicherheit erlangen.“ Da trifft es sich gut, dass nunmehr auch bislang gegenüber REACh eher skeptisch eingestellte US-Behörden wie die National Institutes of Health (NIH), das National Human Genome Research Institute (NHGRI), das National Chemical Genomics Center (NCGC) und die Environment Protection Agency (EPA) den europäischen Zulassungsbehörden eine enge Kooperation bei der Entwicklung und Verbesserung tierfreier Testmethoden anbieten.

Edgar Gärtner

(erschienen in: Chemische Rundschau Nr. 3 vom 17. März 2008, VS-Medien, CH-Solothurn)

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Vorsicht beim Transport von Peressigsäure

Die zu recht oder zu unrecht an die Wand gemalte Gefahr einer Vogelgrippe-Pandemie lässt in der Geflügelzucht den Bedarf am Desinfektionsmittel Peressigsäure (PES) hochschnellen. Doch dieses als besonders umweltfreundlich geltende organische Peroxid erfordert besondere Sorgfalt bei Verpackung und Transport.

Gegenüber kostengünstigen chlorierten Desinfektionsmitteln wie Kalium- oder Natrium-Hypochlorit („Eau de Javelle“) haben halogenfreie Desinfektionsmittel auf der Basis von Peressigsäure (PES) den Vorteil, weder dauerhaft die Gewässer zu belasten noch Rückstände in Nahrungsmitteln wie etwa Chloroform in Butter zu hinterlassen. Von Vorteil ist auch, dass PES bereits in niedriger Konzentration auch schon bei kühlen Temperaturen zwischen 4 und 20 °C mit hoher Sicherheit Viren, Bakterien sowie Pilze und deren Sporen abtötet. Das macht PES zum Mittel der Wahl für die Desinfektion von Geflügelmästereien, Molkereien, Brauereien, Feinkost- und Süßgetränkebetrieben sowie Großküchen.

Doch diese Vorzüge haben ihren Preis. Peroxyessigsäure (CH3CO-OOH) ist akut alles andere als harmlos. Die handelsüblichen Konzentrate von 5 bis 15 % PES, die aufgrund des chemischen Gleichgewichts gleichzeitig Wasserstoffperoxid (H2O2), Essigsäure, Wasser und manchmal einen für die Konzentrationsmessung nötigen Schwefelsäurezusatz enthalten, sind stark ätzend und brandfördernd. Oberhalb einer Konzentration von 17 % unterliegt PES dem Sprengstoffgesetz. Denn PES ist von Natur aus instabil. Sie zerfällt schon bei Zimmertemperatur langsam unter Freisetzung von Sauerstoff und Wärme in Essigsäure (CH3COOH). Dieser Zerfall kann bei höheren Temperaturen und/oder bei Anwesenheit von Katalysatoren gefährlich beschleunigt werden. Dann kann der frei werdende Sauerstoff in fest verschlossenen Transportgebinden rasch ein Druckpolster aufbauen und das Gefäß zum Bersten bringen. Das kann bei größeren Gebinden dramatische Folgen haben. Als Katalysatoren genügen schon Spuren von Zigarettenasche, Rost, Metallspänen oder Staub und Fasern von Putzlappen.

Deshalb hatten die Mitglieder des Industrieverbandes Hygiene und Oberflächenschutz für industrielle und institutionelle Anwendung (IHO) im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung bis 2004 darauf verzichtet, PES-Konzentrate in Großgebinden von über 220 Litern anzubieten und allen, die PES transportieren oder anwenden, dringend die folgenden Sicherheitsvorkehrungen empfohlen:

• PES-Produkte grundsätzlich kühl lagern.

• PES nur aus Originalgebinden dosieren.

• Tanklagerung vermeiden.

• Keine Verunreinigungen in die PES-Behälter gelangen lassen (z.B. durch das Einbringen ungeeigneter Sauglanzen).

• PES nur mit ausdrücklich zugelassen Materialien wie Glas und Porzellan bzw. den Kunststoffen PTFE, HDPE oder Hart-PVC in Kontakt bringen. (Da auch bei diesen grundsätzlich zugelassenen Kunststoffen Versprödungsgefahr besteht, ist bei PES-Konzentrationen über 5 % eine rezepturspezifische Prüfung der Gebinde erforderlich.) Kontakt mit Metallen wie vor allem Eisen, Aluminium und Kupfer absolut vermeiden.

• PES nicht in Leitungen und in Anlagen einschließen.

• Auf manuelles Umfüllen und Herstellen von Gebrauchslösungen verzichten.

Ende April 2004 hat der IHO diese Selbstverpflichtung dahingehend abgeändert, dass er nun wegen inzwischen erzielter Fortschritte auch Großpackmittel (IBC) bis zu einem Nennvolumen von 1.000 Litern akzeptiert, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

• Das Gewicht der Innenblase muss über 23 Kilo liegen.

• Im Gebinde muss eine Sauglanze mit Entnahmeadapter aus HDPE fest integriert sein. Es darf aber keinen Auslaufhahn am Boden haben.

• Das Gebinde muss einen Warmlagertest von 4 Tagen bei 55 °C und einen Falltest bestanden haben.

• Es muss eine verplombte Befüllöffnung mit Entgasungsventil aufweisen.

• Die Entgasungskapazität muss bei einem Druck von 0,2 bar höher als 220 Liter in der Stunde sein.

• Über der Belüftung muss eine zusätzliche verplombte Sicherheitsabdeckung mit dem Warnhinweis „Nicht öffnen!“ angebracht sein.

• Für sicher erachtet werden nur stabilisierte Produkte mit einen PES-Gehalt unter 17 und einem Gesamtaktivsauerstoffgehalt unter 16,5 Prozent.

• Diese Produkte müssen zweifelsfrei der Gefahrgruppe IV (schwer entzündbar) der Unfallverhütungsvorschrift „Organische Peroxide“ (BGV B4) zugeordnet werden können.

Seit dem 30. Juli 2004 unterliegt die Kennzeichnung von PES-Desinfektionsmitteln den in der EU-Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozidprodukten enthaltenen detaillierten Etikettierungsvorschriften, die in der deutschen Gefahrstoffverordnung (§ 12, Abs. 11 und § 54, Abs.7) umgesetzt wurden. Neben der Bezeichnung des Wirkstoffes und dessen Konzentration, der Zulassungsnummer, der Zubereitungsart (Flüssigkeit, Granulat, Pulver usw.), dem Verwendungszweck und den zugelassenen Anwenderkategorien muss nach deren Artikel 20, Absatz 3 auf beigefügten Merkblättern oder direkt auf der Verpackung nun auch die Chargennummer und das Verfallsdatum der Formulierung angegeben sein.

Neben der Biozidrichtlinie müssen auch die EU-Richtlinie 1999/45/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen und die ältere EG-Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (umgesetzt im deutschen Chemikaliengesetz) auf den Produktetiketten beachtet werden. Deutlich les- und unverwischbar müssen auf jeder Verpackung die Bezeichnung bzw. der Handelsname der Zubereitung, der Name und die vollständige Anschrift mit Telefonnummer der in der EU niedergelassenen Person, die für deren Inverkehrbringen verantwortlich ist, die chemische Bezeichnung der in der Zubereitung enthaltenen Stoffe, ein Hinweis auf deren besondere Gefahren (R-Sätze), Sicherheitsratschläge und Erste-Hilfe-Anleitungen (S-Sätze) sowie ausreichend große Gefahrensymbole an mehreren Stellen angebracht werden. Hinzu kommen zusätzliche Gefahrenkennzeichen und -zettel entsprechend dem ADR mit der UN-Nummer des verpackten Produkts.

Die ADR-Vorschriften für den Transport von PES-Produkten unterscheiden sich je nach der PES-Konzentration. Bestimmte gebrauchsfertige Desinfektionsmittel mit einem PES-Gehalt von lediglich 0,35 und einer Wasserstoffperoxid-Konzentration von unter 8 Prozent in wässriger Lösung unterliegen gar nicht dem ADR. Produkte mit einem PES-Gehalt von unter 5 Prozent, die mithilfe von mindestens 20 und höchstens 60 Prozent Wasserstoffperoxid stabilisiert sind, unterliegen dem ADR (UN-Nr. 3149). Sie gelten nur dann als thermisch stabil, wenn ihre Selbstzersetzung im Laborversuch erst oberhalb von 60 Grad Celsius beginnt. Sie werden der Gefahrenklasse 5.1 (entzündend wirkende Stoffe) zugerechnet können in geeigneten Versandstücken von 50 Kilogramm von Endanwendern relativ problemlos transportiert werden.

Produkte mit einem PES-Gehalt zwischen 5 bis 15 Prozent (UN 3109) werden jedoch der speziellen Gefahrstoffklasse 5.2 (organische Peroxide) zugeordnet. Solche Produkte gehören nicht in die Hand von Laien. Die für ihren Transport verwendeten Großpackmittel (IBC) müssen den Anforderungen der Verpackungsgruppe II (mittlere Gefahr) entsprechen. Für diese gelten die oben aufgezählten Selbstverpflichtungen und Hinweise des IHO. Nicht stabilisierte organische Peroxide (Typ A) sind überhaupt nicht zur Beförderung zugelassen und tragen folglich auch keine UN-Nummern.

Bei dieser Vielzahl von Sicherheitsinformationen und Ratschlägen zu einer Produktgruppe ist es leicht vorstellbar, dass insbesondere Anwender im ländlichen Raum manchmal die Übersicht verlieren. Wie wenig ernst die Warnungen mitunter genommen werden, zeigt ein Unfall mit Todesfolge, der sich im Sommer 2005 bei Garrel im Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen ereignete. Ein kleinerer Putenmäster, der nebenbei gewerblich Dienstleistungen wie die Stalldesinfektion anbot, transportierte in einem Lieferwagen mehrere 50-Liter-Kanister mit Desinfektionsmitteln unbekannter Zusammensetzung. Dabei zerbarst einer der Kanister. Sein Inhalt ergoss sich über den Fahrer, der später in einer Spezialklinik in Hannover seinen schweren Verätzungen erlag. Auch Passanten auf einem vorbeiführenden Radweg, die sich als Ersthelfer betätigten, wurden zum Teil schwer verletzt. Intensiver Essiggeruch an der Unfallstelle und an den Trümmern des Gebindes, das in der Berliner Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) untersucht wurde, kann als untrügliches Zeichen für die Beteiligung von PES gelten.

Doch scheint das Unfallopfer PES regelwidrig umgefüllt und mit einer weiteren ätzenden Flüssigkeit (Ameisensäure oder Formaldehyd) gemischt zu haben. Jedenfalls transportierte er die Zubereitung nicht in den vom regionalen Chemikalienhandel einzig vertriebenen blauen Rücknahmegebinden, sondern in grünen Behältern. Ob die für diesen Zweck geeignet waren, ist fraglich. Zumindest die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die dem Verdacht nachging, das Unfallopfer könne vom Chemikalienhandel mit unsachgemäß verpackten oder etikettierten PES-Konzentraten beliefert worden sein, schloss in ihren im März 2006 abgeschlossenen Ermittlungen ein Fremdverschulden am beschriebenen Gefahrgutunfall aus.

Dass der Verdacht auf Fremdverschulden nicht ganz abwegig war, zeigt das kürzlich veröffentlichte Ergebnis einer vom nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzministerium (MUNLV) durchgeführten Schwerpunktuntersuchung über die Kennzeichnung potenziell gefährlicher Biozid-Produkte. Nur bei acht von insgesamt 94 untersuchten Produkten (darunter 14 Stalldesinfektions- oder Heimtiersprays) gab es keine Beanstandungen! Um zu vermeiden, dass sich tödliche Unfälle mit Biozidprodukten im Zuge der Vorbeugung oder Bekämpfung der Vogelgrippe häufen, wäre es nun an der Zeit, besser auf die Umsetzung der Etikettierungsvorschriften der EU-Biozidrichtlinie zu achten.

Edgar Gärtner

(veröffentlicht in: Chemische Rundschau, VS-Medien, CH-Solothurn, Nr. 6/2006)

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Verunsicherung über PVC-Weichmacher in der EU

Das von der EU Ende 2005 ausgesprochene Verbot von 6 Phthalaten in Baby-Spielzeug beeinflusst auch die Risikobewertung von PVC-Anwendungen in Medizinprodukten.

Im April 2006 veröffentlichte die EU-Kommission endlich drei von insgesamt fünf seit den 90er Jahren bei Instituten verschiedener EU-Mitgliedsstaaten erarbeiteten Risikobewertungen von Phthalaten auf der Basis der EU-Altstoffrichtlinie 793/93/EWG im Amtsblatt der EU (C90/04). Darunter befand sich zum einen Di-butyl-phthalat (DBP), das als „fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2“ eingestuft wird. Dieses Phthalat wird ohnehin nur in sehr geringen Mengen eingesetzt. Dagegen sind die beiden anderen Phthalate, die Gegenstand der Risikobewertungen waren, seit der Jahrtausendwende zu den am häufigsten verwendeten Weichmachern in PVC-Produkten wie Kabeln, Fußbodenbelägen, Planen, Folien, Regenbekleidung, Verpackungen und Spielsachen geworden. Es handelt sich um Di-isononyl-phthalat (DINP) und Di-isodecyl-phthalat (DIDP), die den bisherigen Standardweichmacher Di(2-ethylhexyl)-phthalat (DEHP) entthront haben.

Gerade DINP hat in einer 2003 vom EU Joint Research Institute (IRC) in Ispra/Italien veröffentlichten Risk Assessment Report der auf einer seit 1995 von drei französischen Instituten erarbeiteten Risikoabschätzung beruht, beste Noten erhalten. Es heißt dort: “The end products containing DINP (clothes, building materials, toys and baby equipment) and the sources of exposure (car and public transport interiors, food and food packaging) are unlikely to pose a risk for consumers (adults, infants and newborns) following inhalation, skin contact and ingestion.” Das hat das Europäische Parlament und den EU-Rat nicht davon abgehalten, auch diesen Weichmacher in das am 14. Dezember 2005 durch die 22. Änderung der Richtlinie 76/769/EWG ausgesprochene Verbot der Verwendung von Phthalaten in Kleinkinder-Spielzeug und Babyartikeln einzubeziehen.

Ausgelöst wurde die Konfusion durch eine emotionale Kampagne der Organisation Greenpeace in den 90er Jahren. Darin ging es nicht um DINP, sondern fast ausschließlich um DEHP. Dieses wurde mit verkümmerten Penissen und anderen Missbildungen in Zusammenhang gebracht und galt geradezu als Prototyp einer hormonell wirksamen Chemikalie. DEHP stand ursprünglich auch im Mittelpunkt des nun ab Januar 2007 geltenden Phthalatverbots in Babyartikeln, dem insgesamt 19 provisorische Verbote vorausgingen. Neben DEHP, das längst nicht mehr in Spielsachen verwendet wird, stehen aber auch DBP und BBP sowie DINP und DIDP auf der Verbotsliste, was einer Sippenhaft gleichkommt. Schließlich wird in der Liste auch Di-n-octylphthalat (DNOP) aufgeführt, obwohl es schon seit über einem Jahrzehnt gar nicht mehr produziert wird.

DEHP war schon in den 80er Jahren in Verruf geraten, weil es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Zeitlang aufgrund voreilig interpretierter Rattenexperimente als möglicherweise Leberkrebs auslösend eingestuft worden war. Nachdem diese Fehleinschätzung korrigiert war, konnten G.W. Wolfe und K.A. Layton im Jahre 2003 den Verdacht, DEHP beeinträchtige die Fortpflanzung, durch Rattenexperimente erhärten. In Mehrgenerationen-Studien zeigten männliche Ratten der 2. Generation ein deutlich niedrigeres Hodengewicht, eine verringerte Spermienzahl, fortbestehende Milchleisten usw. Auf der Basis dieser Befunde, über deren Ursachenkette es bislang nur Vermutungen gibt, ermittelte Wolfe einen NOAEL (No Oberserved Adverse Effect Level) von 4,8 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht. Daraus lässt sich für den Menschen ein TDI (Tolerable Daily Intake) von 48 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht am Tag ableiten.

Wie die Auswertung von Urinproben zeigt, wird dieser Vorsorge-Grenzwert im Allgemeinen problemlos eingehalten. Das gilt aber nicht für Risikogruppen wie künstlich ernährte Frühgeborene oder Dialysepatienten, die mithilfe von Weich-PVC-Schläuchen mit einem DEHP-Anteil von bis zu 50 Prozent versorgt werden. Da sich DEHP als lipophile Substanz leicht im Blut löst, können bei der Blutwäsche beträchtliche Mengen des Weichmachers in das Blut übertreten. Dialysepatienten können über die Jahre leicht einen halben Liter DEHP aufnehmen. Ob das negative Auswirkungen auf ihren Organismus hat, lässt sich wegen ihrer im Schnitt noch immer kurzen Lebenserwartung aber nicht ermitteln. Viel problematischer erscheint der DEHP-Einsatz in Infusions- und Intubationsbestecken für die Versorgung von Frühchen oder in gastrointestinalen Sonden für die enterale Ernährung von Kleinkindern. Diese kommen mit der vermutlich hormonell aktiven Substanz zu einem Zeitpunkt in Berührung, an dem ihre Geschlechtsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.

Ausgerechnet bei solchen PVC-Anwendungen konnte DEHP aber nicht durch das günstigere DINP ersetzt werden, da dieses nicht die dort geltenden Anforderungen an die Flexibilität und Tieftemperaturzähigkeit erfüllt. Insbesondere in Blutbeuteln erwies sich Weich-PVC aber als alternativlos, da es als einziger Kunststoff so haltbar verschweißt werden kann, dass die Nähte dem Zentrifugieren und dem Einfrieren standhalten. Nicht zuletzt verhindert PVC die Blutgerinnung an den Beutelwänden und verlängert so die Haltbarkeit von Blutkonserven beträchtlich. Deshalb hat auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn noch im Mai dieses Jahres lediglich Risikominimierungsmaßnahmen wie bessere Kennzeichnungen und Gebrauchsanweisungen für DEHP-haltige Artikel sowie verstärkte Anstrengungen zur Entwicklung risikoärmerer Weichmacher gleichwertiger Qualität für besonders belastete Patientengruppen, aber keinen Verzicht auf PVC in Medizinprodukten empfohlen.

Inzwischen gibt es für diese sensiblen Anwendungen erste gut untersuchte Alternativen zu DEHP. In Deutschland hat die BASF in Ludwigshafen seit 1997 gezielt nach einem Molekül gesucht, das DEHP so weit ähnelt, dass es ohne aufwändige Verfahrensumstellungen als DEHP-Ersatz verwendet werden kann. Dabei kamen die Forscher darauf, die Phthalsäure mit ihrem verdächtigen planaren aromatischen Kohlenstoffring durch das sesselförmige Cyclohexan zu ersetzen. Das Ergebnis war Di-isononylcyclohexan-1,2-dicarboxylat (DINCH). Es zeichnet sich gegenüber DEHP durch eine etwa achtmal geringere Migrationsrate aus, ist aber nur unwesentlich teurer. Als einziger ernst zu nehmender Konkurrent gilt derzeit der US-Konzern Eastman, der Di(2-ethylhexyl)terephthalat (DEHTP) anbietet.

In Deutschland ist DINCH bereits für den Nahrungsmittelkontakt zugelassen. Die Anerkennung durch die EU-Agentur für Nahrungsmittelsicherheit (EFSA) in Parma/Italien steht bevor. Bislang hat aber nur ein Hersteller von Magensonden (Pfrimmer-Nutricia) seine Produkte auf DINCH umgestellt. Die andern zögern, da es noch immer keine Evidenz für adverse Effekte von DEHP beim Menschen gibt. Dagegen wird der Einsatz von DINCH infolge des Phthalatverbots in Baby-Spielsachen nun in der Spielwarenindustrie zum Standard.

Edgar Gärtner

(veröffentlicht in: Kunststoffe-Synthetics, VS-Medien, CH-Solothurn, Nr. 9/2006)

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REACh funktioniert wahrscheinlich nur auf dem Papier

Die umstrittene EU-Verordnung über die Registrierung, Bewertung und Zulassung von Stoffen wird voraussichtlich schon im Juni 2007 in Kraft treten. Aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten sind Startschwierigkeiten und volkswirtschaftliche Verluste programmiert.

Am 27. Juni 2006 hat der Europäische Rat seine bereits vor Weihnachten 2005 skizzierten Gemeinsamen Standpunkt zur REACh-Verordnung in ausformulierter Form angenommen und dem Europäischen Parlament für die Zweite Lesung unterbreitet. Diese wird im Herbst stattfinden. Da es vor allem über die Genehmigung problematischer, d.h. krebserregender, erbgutschädigender und schwer abbaubare Stoffe nach Anhang VII noch Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rat und dem Parlament gibt, werden die Fraktionen des EP versuchen, noch Veränderungen am Text der Verordnung durchzusetzen. Doch vermutlich wird eine deutliche Mehrheit der Parlamentarier nicht so lange darauf beharren, dass nach der Zweiten Lesung ein Vermittlungsausschuss eingesetzt werden müsste. Denn dadurch würde sich die endgültige Verabschiedung der Verordnung um weitere 12 Wochen verzögern.

Da es sich bei REACh um das ambitionierteste Regulierungsvorhaben handelt, das jemals in Angriff genommen wurde, gibt es nun einen enormen politischen Druck, fünfeinhalb Jahre nach der Veröffentlichung des „Weissbuches zur Chemikaliensicherheit“ durch die EU-Kommission endlich zu einer Einigung zu gelangen. Da haben auch die insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen weiter bestehenden Zweifel an der Rechtfertigung und Durchführbarkeit wichtiger Bestimmungen der bis jetzt im Parlament und im Rat ausgehandelten Regelungen kaum noch Chancen, berücksichtigt zu werden. Der REACh-Zug ist abgefahren. Ob das inzwischen immerhin um einiges abgespeckte Regulierungsvorhaben auch zur Verbesserung des Umwelt- und Gesundheitsschutzes wird beitragen können, erscheint hingegen als wenig wahrscheinlich.

Finden EP und Rat noch vor Weihnachten einen Kompromiss, dann tritt die REACh-Verordnung schon im Frühjahr 2007 in Kraft. Ihre Umsetzung kann aber erst nach einem Jahr mit der Vorregistrierung der zirka 30.000 „Altstoffe“, die in Mengen von über einer Jahrestonne verwendet werden, beginnen, wenn die Europäische Chemikalienagentur (EChA) in Helsinki ihre Arbeit aufgenommen haben wird. Noch immer bestehen erhebliche Zweifel, ob es gelingen wird, für diese nun mit großen Machtbefugnissen bei der Bewertung und Zulassung von Stoffen ausgestattete Behörde rechtzeitig genügend qualifiziertes Personal zu finden. Für die Vorregistrierung selbst stehen dann nur sechs Monate zur Verfügung. Für die junge Agentur und für das ganze REACh-System dürfte dieser knapp bemessene Zeitraum zur ersten großen Belastungsprobe werden, auch wenn das Europäische Chemikalienbüro (ECB) am Joint Research Center der EU in Ispra/Italien inzwischen modernste Software erarbeitet hat, mit deren Hilfe Vorregistrierung und Registrierung in standardisierter Form über das Internet abgewickelt werden können.

Zur Erinnerung: Am 17. November 2005 hatten sich unterschiedliche Koalitionen im EP einerseits für gewisse Erleichterungen bei der Registrierung kleinvolumiger Stoffe, andererseits aber für eine Erschwerung der Zulassung genehmigungspflichtiger Substanzen und eine Substitutionspflicht für als problematisch erachtete Stoffe ausgesprochen. Der Europäische Rat hat am 13. Dezember 2005 diese Verschärfung der Zulassungsbedingungen übernommen und gleichzeitig die vom EP vorgeschlagenen Erleichterungen der Registrierung größtenteils wieder rückgängig gemacht.

Die Vorregistrierung von Phase-in-Substanzen erfordert nach dem Votum des EP lediglich die Angabe des Namens und der Adresse des Herstellers (oder eines Vertreters), sowie der Bezeichnung der Substanz, eine kurze Beschreibung der bekannten Verwendungen und Expositionskategorien sowie eine Liste der Verwendungen, die registriert werden sollen. Der Rat fordert zusätzlich Informationen über vorliegende quantitative Struktur-Wirkungs-Abschätzungen (QSAR) und die Angabe des voraussichtlichen Zeitpunktes der Registrierung. Firmen, die das Zeitfenster für die Vorregistrierung verpassen und die Verwendung REACh unterworfener Stoffe nicht anmelden, verlieren die „Altstoffen“ zugestandene Vorzugsbehandlung und müssen ihre Roh- und Hilfsstoffe, sobald ihr Gesamtbedarf eine Tonne übersteigt, wie Neustoffe registrieren lassen. 18 Monate nach Beendigung der Vorregistrierung veröffentlicht die EChA alle in ihrer Datenbank registrierten Angaben im Internet.

Die Registrierung beginnt parallel zur Vorregistrierung mit den „Großstoffen“, deren Jahresproduktion 1000 Tonnen überschreitet, sowie den als „prioritär“ eingestuften kleinvolumigen Stoffen. Diese soll nach drei Jahren abgeschlossen sein. In den folgenden drei Jahren stehen die Stoffe mit einer Jahresproduktion zwischen 100 und 1000 Tonnen zur Registrierung an. Für die Registrierung der Stoffe, die nur in der Größenordnung zwischen einer und 100 Jahrestonnen hergestellt oder importiert werden, stehen weitere fünf Jahre zur Verfügung. Vor allem mittelständische Unternehmen, die kleinvolumige Spezialitäten und Zubereitungen anbieten, haben also noch bis Mitte 2018, um die Verordnung umzusetzen. Wie zu hören ist, betrachten etliche von ihnen die verbleibenden 11 Jahre als Gnadenfrist vor der Geschäftsaufgabe, weil sie sich schlecht vorstellen können, mit ihren bescheidenen finanziellen und personellen Ressourcen den neuen Anforderungen nachkommen zu können.

Das gilt zum Beispiel für die Verpflichtung der Mitarbeit in Substance Information Exchange Foren (SIEF), die vor allem dazu dienen sollen, die Zahl von Tierversuchen zu minimieren und zu einer einheitlichen Klassifizierung und Etikettierung von Stoffen zu gelangen. Die SIEF-Teilnehmer müssen in den 20 Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung Informationen über bereits vorhandene Stoffuntersuchungen austauschen, um erkennen zu können, welche Studien noch benötigt werden, um den REACh-Anforderungen zu genügen. Studien auf der Basis von Versuchen mit Wirbeltieren sollen allen SIEF-Teilnehmern auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden. Deren Eigentümern bleiben nach einer an sie gerichteten Anfrage nur zwei Wochen, um die Kosten ihrer Studie zu belegen. Die Teilung der Kosten innerhalb eines SIEF soll „fair, transparent und nicht diskriminierend“ erfolgen. Nach den Vorstellungen des Rates soll die EChA sogar die unentgeltliche Herausgabe von Testdaten verlangen können, wenn im SIEF keine finanzielle Einigung erzielt wird. In der Praxis dürfte, wie die Umsetzung der bereits in Kraft getretenen EU-Biozidrichtlinie zeigt, die Kostenteilung je Kopf und nicht nach Umsatz zum Regelfall werden, was umsatzschwache SIEF-Teilnehmer aus dem Mittelstand benachteiligen würde. Neue Tests, die Versuche an Wirbeltieren erfordern, müssen gemeinsam durchgeführt werden. Bei Tests mit wirbellosen Tieren sieht das EP, im Unterschied zum Rat, Opt-Out-Klauseln vor.

Die für die Registrierung von Stoffverwendungen notwendigen Informationen müssen in technischen Dossiers zusammengefasst werden. Bei den etwa 20.000 kleinvolumigen Altstoffen zwischen einer und 10 Jahrestonnen sind detaillierte Angaben über die akute Toxizität, die biologische Abbaubarkeit usw. nur dann nötig, wenn sie als „prioritär“ bzw. „of very high concern“ (VHC) eingestuft werden, d.h. wenn die begründete Vermutung besteht, dass es sich dabei um krebserregende, fruchtschädigende bzw. „vergleichbar Besorgnis erregende Stoffe“ handelt. Soweit bereits vorhanden, sollen die Firmen solche Daten aber auch für die übrigen Stoffe vorlegen. Ansonsten genügen Angaben über die physikalisch-chemischen Eigenschaften (spezifisches Gewicht, Schmelzpunkt, Dampfdruck, Flammpunkt usw.). Diese Daten liegen in Deutschland aufgrund einer schon 1997 vom VCI gegenüber dem Bundesumweltministerium (BMU) abgegebenen Selbstverpflichtung bereits vor. Auf welche Weise sie dem Mittelstand zugänglich gemacht werden, wird noch diskutiert.

Bei Stoffen, deren Produktion bzw. Import 10 Jahrestonnen übersteigt, müssen zusätzlich Daten über die akute und Algentoxizität, die biologische Abbaubarkeit und weitere Angaben nach Anhang VI der Verordnung beschafft bzw. generiert werden. Diese Daten bilden die Grundlage für die ab dieser Stufe vorgeschriebenen Stoffsicherheitsberichte (CSR). Für Stoffe ab 100 bzw. 1000 Jahrestonnen gelten zusätzlich die im Anhang VII bzw. in den Anhängen VII und VIII aufgelisteten aufwändigeren Testanforderungen wie 28- bzw. 90-Tage-Tests usw. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium hält sich zugute, durchgesetzt zu haben, dass nur ein Teil der vorgesehenen Tests den aufwändigen GLP-Standards der OECD genügen muss.

Um die Kosten zu begrenzen und die Zahl der Tierversuche gering zu halten, sind Hersteller, Importeure und Verarbeiter, die die gleiche Stoffverwendung registrieren lassen wollen, nach dem Prinzip „One Substance, One Registration“ (OSOR) verpflichtet, sich zu Konsortien zusammenzuschießen. Es gibt aber die Möglichkeit eines „Opt-out“ – und zwar, wenn eine gemeinsame Registrierung für einzelne Konsortienteilnehmer unverhältnismäßig kostspielig wäre, wenn sie Geschäftsgeheimnisse preisgeben müssten oder wenn sie sich mit dem Konsortienführer nicht über die Auswahl kritischer Informationen einigen können. Hier liegt ein großes Konfliktpotential, zumal ungeklärt ist, wie Unternehmen zu behandeln sind, die sich zu einem späteren Zeitpunkt bereits arbeitenden Konsortien anschließen möchten.

Es ist zu befürchten, dass etliche kleinvolumige, aber schwer ersetzbare Additive und Hilfsstoffe der Kunststoff-, Textil-, Leder- oder Papierindustrie völlig vom Markt verschwinden werden, weil sich ihre Hersteller den großen Aufwand für die Registrierung nicht leisten können. Wie viele Stoffe das sein werden, vermag aber derzeit niemand realistisch abzuschätzen. Erhardt Fiebiger, der Geschäftsführer der Zschimmer & Schwarz GmbH & Co KG (Lahnstein) hat kürzlich an Hand konkreter Beispiele auf diese Gefahr hingewiesen. Auf der diesjährigen Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU) im Juni in Bonn berichtete Dr. Gabriele Brenner von der Konrad Hornschuch AG (Weißbach), einem bekannten mittelständischen Hersteller von Selbstklebefolien (d-c-fix) und Kunstleder (skai), erste Vorprodukte würden der Firma unter Hinweis auf REACh bereits nicht mehr geliefert. Da die Suche nach Alternativen aber Jahre in Anspruch nehmen kann, ist nicht auszuschließen, dass in naher Zukunft verschiedene kleinvolumige und daher unauffällige Additive und Hilfsstoffe auf Grau- oder Schwarzmärkten gehandelt werden.

Deshalb ist die Einbeziehung der Verarbeiter (downstream users) in den Prozess der Expositionsabschätzung, Risikobewertung und die Abfassung der CSR besonders konfliktträchtig. Die Konsortienführer können kaum Interesse daran haben, in den CSR auch in ihren Augen „nebensächliche“ und unverhältnismäßig teure Stoffanwendungen zu berücksichtigen. Werden REACh-pflichtige Stoffe verwendet, die nicht im Expositionsszenario berücksichtigt wurden, das dem CSR zugrunde liegt, müssen die Anwender eigens einen CSR erstellen, sofern ihr Einsatz eine Jahrestonne übersteigt. Andererseits bekommen Hersteller oder Importeure von Stoffen von ihren Kunden oft keine Auskunft über deren Verwendung. So berichtete zum Beispiel ein Vertreter der Henkel KGaA auf einer von Ciba Expert Services (Basel) gesponserten Konferenz über REACh und die Verpackungsindustrie Anfang Juli in Madrid, dass Anwender von Produkten der Klebstoffsparte Fragebögen über deren vorgesehene Verwendung oft nicht beantworten. Durch die Einführung breiterer Expositionskategorien, die schon vor Jahren vom deutschen Chemieverband und vom Freiburger Öko-Institut vorgeschlagen worden war, wurde dieser Konfliktherd nur teilweise entschärft.

An solchen Beispielen zeigt sich, dass wichtige Informationen oft nicht dort verfügbar sind, wo man sie braucht. Darauf weist auch in aller Deutlichkeit der Abschlussbericht des strategischen Partnerschaftsprojekts PRODUCE (Piloting REACH On Downstream Use and Communication in Europe) hin. Auf Anregung des Unilever-Konzerns wurde PRODUCE gestartet, um zu testen, ob die Kommunikation zwischen den Chemikalienherstellern bzw. -importeuren und den Herstellern von Produkten für den Endverbrauch funktioniert. Partner des Projekts waren drei Generaldirektionen der EU-Kommission, vier EU-Mitgliedsstaaten sowie einige Lieferanten und Anwender von Chemikalien. Beobachtet von einer Multi-Stakeholder-Steuerungsgruppe unter Vorsitz des niederländischen Grünen Europa-Abgeordneten Alexander de Roo, führten die Partner des Projekts ein realitätsnahes Planspiel durch. Die Bilanz de Roos, eines glühenden Verfechters von REACh, fiel ernüchternd aus: „REACH is extremely time-consuming and hard to grasp in its entirety but it is not unworkable.” Insbesondere weist der Abschlussbericht von PRODUCE darauf hin, dass die Verarbeiter in der Regel nicht das Gesamtvolumen eines von ihnen verwendeten Stoffes kennen können und daher gar nicht wissen, ob er im konkreten Fall REACh unterworfen ist. Charles Laroche, Vice President von Unilever (Brüssel) erwartet deshalb einen schwierigen Start von REACh: „Consumer trust will get worse before getting better“, erklärte er auf der Konferenz über REACh und die Verpackungsindustrie in Madrid.

Auch der Umgang mit Geschäftsgeheimnissen wurde im Rahmen des PRODUCE-Projektes kritisch eingeschätzt. Das gelte insbesondere für Bestandteile von Zubereitungen. Für deren adäquate Behandlung in Expositionsszenarios und Risikoabschätzungen gebe es keinen Königsweg. Der Bericht verweist hier auf die Möglichkeiten, die Branchenverbände der Wirtschaft bzw. Wertschöpfungsketten übergreifende Initiativen wie HERA bieten. Ob es dadurch gelingen wird, den Ängsten kleinerer Unternehmen vor Know-how-Klau die Grundlage zu entziehen, bleibt dahin gestellt. Sobald Stoff- und Produktdaten erst einmal im Internet stehen, scheint es extrem schwer, Neugierige davon abzuhalten, ihre Nase mithilfe von Suchmaschinen tiefer in die Materie zu stecken. Das räumte auch Dr. Uwe Lahl, der im deutschen Bundes-Umweltministerium (BMU) für REACh zuständig ist, in einem im März vom VCI und der IG BCE in Berlin veranstalteten Workshop der Reihe „Gesprächsstoffe“ ein.

Wegen der Marktmacht großer Konsumgüter-Anbieter wie Procter & Gamble oder Unilever besteht überdies die reale Gefahr, dass mittelständische Unternehmen ihre Rolle als eigenständige Innovationsmotoren verlieren und zu passiven Auftragnehmern großer Konzerne werden – sofern sie nicht von billigeren Konkurrenten aus Fernost ganz aus dem Markt gedrängt werden. Nur große Konsumgüterkonzerne wären dann noch in der Lage, durch ihren kurzen Draht zur EU-Kommission bzw. ihr Gewicht in Stakeholder-Foren oder Steuerungsgruppen Neuerungen durchsetzen zu können bzw. als politisch korrekt anerkannt zu bekommen. Immerhin bringt REACh denen, die es sich in Zukunft noch leisten können, neue Stoffe zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, deutliche Vorteile gegenüber bisherigen Regelungen. Darauf wies Sue Anderson, die Chefin von Ciba Expert Services, auf der erwähnten Konferenz in Madrid hin. Vor allem werde sich die Zeitspanne bis zur Markteinführung neuer Stoffe deutlich verkürzen und Neuerungen würden durch eine fünfjährige Freistellung (mit Verlängerungsmöglichkeit) von der Registrierungspflicht ermutigt.

Die Begünstigung großer Marktteilnehmer dürfte noch deutlich verstärkt werden durch die Verschärfung der Stoffzulassungs-Bedingungen, für die das EP sich am 17. November 2005 ausgesprochen hat. Nach der vom EP verabschiedeten Version des Artikels 52 der REACh-Verordnung sollen VHC-Stoffe nur noch dann zugelassen werden, wenn keine Alternativen verfügbar sind und wenn ihr gesellschaftlicher Nutzen die Risiken ihres Einsatzes rechtfertigt. Nicht der sichere Umgang mit potentiell gefährlichen Stoffen, sondern ihre durch das Vorsichtsprinzip begründete Substitution um beinahe jeden Preis wird als das Ziel von REACh hingestellt.

Der vom EP formulierte Artikel 56 fordert, die in Art. 54 definierten VHC-Substanzen, die einer Zulassung bedürfen, in einem neuen Anhang (Annex XIII, jetzt: XIV) aufzulisten. Diese „Kandidatenliste“ wurde inzwischen zum Gegenstand heftiger Polemik. Denn es besteht die reale Gefahr, dass dieses Verzeichnis verdächtiger Stoffe sowohl von Umweltgruppen als auch von reputationsgefährdeten Konsumgüterherstellern als „Schwarze Liste“ interpretiert wird. So erklärte die amerikanische Handelskammer in Europa (AmChamEU) in einem im April 2006 veröffentlichten Positionspapier: “It is expected/feared that this list will be used by Green NGOs and their Governmental supporters to force companies to not use these substances before they have an opportunity to be authorised and while REACh allows for their lawful use.” AmChamEU sieht in der “Kandidatenliste” ein ungerechtfertigtes Handelshemmnis und hat bereits Klagen bei der WTO angekündigt. Der deutsche Chemieverband schloss sich in einem am 22. Mai veröffentlichten Statement zum EP-Votum den Befürchtungen der Amerikaner an. Dennoch hat der EU-Rat in seiner Gemeinsamen Position am Anhang XIV festgehalten.

Dagegen hat der Rat die vom EP in Art. 59 (früher: 57) eingeführte Befristung der Zulassung auf höchstens fünf Jahre zurückgenommen. Nun soll die EChA von Fall zu Fall entscheiden, in welchen Abständen die jeweilige Zulassung überprüft werden soll. Ob die Unternehmen damit an Rechts- und Investitionssicherheit gewinnen, bleibt dahingestellt. Ohnehin ist es offen, ob die Mehrheit des EP in Zweiter Lesung aufgrund schwieriger Kompromisse bzw. Kuhhändeln zwischen den Fraktionen und wegen des starken Drucks durch Umweltverbände wie Greenpeace oder WWF nicht doch auf ihrer in Erster Lesung eingeschlagenen harten Linie bleibt und auf der Pflicht zur Substitution besonders besorgniserregender Stoffe beharrt. Weil er offenbar Schlimmes ahnt, hat deshalb Bundeswirtschaftsminister Michael Glos Anfang Juli bei einem Gespräch mit EP-Präsident Joseph Borrell angekündigt, dass er weder im Rat noch in einem eventuell eingerichteten Vermittlungsausschuss einem Kompromiss zustimmen werde, der eine Befristung der Stoffzulassung und eine Substitutionspflicht enthält.

Ob die REACh-Verordnung zu den von ihren Befürwortern erhofften Ergebnissen führen wird, hängt nicht nur davon ab, wie sie selbst gestrickt ist. Vielmehr kommt es auch darauf an, wieweit sie sich mit bereits geltenden Regelungen verträgt. Um Reibungen zu minimieren, haben EP und Rat den Geltungsbereich von REACh bereits deutlich eingeengt. Der Rat hat entschieden, neben Lebensmitteln, Pharma- und Kosmetikprodukten auch „natürliche Substanzen“ wie Papierbrei, Erze und Mineralien und sogar Zementklinker aus dem Geltungsbereich von REACh herauszunehmen. Nicht betroffen von REACh sollen auch Abfälle und Recyclingprodukte sein. So liegt es für Unternehmen nun nahe, Artikel zu Abfällen bzw. Recyclingprodukten zu erklären, um REACh zu entgehen. Deshalb hat der Rat bereits angekündigt, als nächstes stehe eine entsprechende Novellierung der EU-Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG an.

Ungelöst sind auch Konflikte zwischen REACh und den bestehenden nationalen Arbeitsschutzregelungen. Während REACh auf eine totale Harmonisierung der stoffbezogenen Vorschriften abzielt, werden die Arbeitgeber durch die geltende deutsche Gefahrstoffverordnung und ähnliche Regelungen in andern EU-Staaten eher dazu angehalten, Gefährdungen in Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung eigenverantwortlich zu beurteilen und entsprechende Schutzmaßnahmen einzuleiten. Durch REACh drohen also Eingriffe in eingespielte Systeme betrieblicher Mitbestimmung und Selbstverwaltung, deren Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind.

Die Tatsache, dass südeuropäische Unternehmen im europäischen Einspruch-Aktionsbündnis des Chemie-Mittelstandes gegen Existenz bedrohende Bestimmungen von REACh kaum vertreten sind, weist nach Dr. Alex Föller, Geschäftsführer von TEGEWA, des Verbandes der Hersteller von Textil-, Leder-, Papier- und Kosmetikhilfsmitteln usw., darauf hin, dass diese wie selbstverständlich davon ausgehen, sie könnten weiterwursteln wie bisher. Vieles weist in der Tat darauf hin, dass wesentliche Vorschriften von REACh nur auf dem Papier funktionieren werden. Denn niemand kann sich vorstellen, wie die Umsetzung der etwa 700 Druckseiten umfassenden Vorschriften bis zum kleinsten Anwender kontrolliert werden könnte. „Für uns zählt ohnehin nur, dass die Papiere in Ordnung sind“, bekennt ein Vertreter des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums freimütig.

(veröffentlicht in: CR-Chemische Rundschau (VS-Medien, CH-Solothurn) Nr. 8/2006)

Anti-Grün ist lustig

Lars Niedereichholz: Unknorke. Roman. Piper Verlag, München 2008. 236 Seiten. € 12,- ISBN 978-3-492-27159-2

UnknorkeDer bekannte Mundstuhl-Comedian Lars Niedereichholz (Jahrgang 1968) schwimmt mit seinem bösartig anti-grünen Roman-Erstling mit dem verheißungsvollen Titel „Unknorke“ auf einer Woge des Erfolgs. Auch seine gut besuchten Lesungen, von denen ich eine während der Buchmesse in der Frankfurter Bar „Nachtleben“ genossen habe, sind Kabarettreif. „Unknorke“ bedeutet, wie man sich denken kann, das Gegenteil des im Multikulti-Alternativ-Newspeak für „gut“ stehenden Berlinerischen „knorke“. Es handelt sich beim vorliegenden Roman um die Geschichte des nicht mehr ganz so jungen Volkswirtschaftlers Marc, der nach einem wenig zielstrebigen Studium in der Chefetage der Alternativen Multikulturellen Ökologie Bank (kurz AMÖB) anheuert und gleichzeitig mit seiner hochschwangeren Frau Nadja in ein nagelneues, aber leider undichtes Reihenhaus einzieht. Bald stellt es sich heraus, dass es sich bei der AMÖB um eine chaotisch gemanagte Schwindelfirma handelt, die die Weltverbesserungs-Sehnsucht grüner Naivlinge zu Geld macht. Mehr möchte ich hier von dem pointenreichen und ausgesprochen lustigen Büchlein nicht verraten. Manches erscheint mir allerdings etwas zu dick aufgetragen. Weiterlesen