
Edgar L. Gärtner
Wie die gefährlichen Verkehrsblockaden durch Aktivisten der „Letzten Generation“ und deren moralische wie finanzielle Unterstützung durch das Habeck-Ministerium der von den Grünen dominierte Berliner Ampel-Regierung, die christlichen Kirchen und politisierte Großkonzerne demonstrieren, ist die politische Auseinandersetzung um die finanzielle Förderung von Wind- und Solarstrom und die Verlängerung der Laufzeit der letzten in Deutschland noch betriebenen Kernkraftwerke längst zu einem Glaubenskampf geworden, in dem Sach-Argumente kaum mehr zählen. Es geht in der Auseinandersetzung mit den „grünen Khmer“ um Leben oder Tod. Wie könnte man da eine dauerhafte und letztlich zerstörerische Spaltung der Gesellschaft noch verhindern?
Nils Goldschmidt und Arnd Küppers sehen hier in einem kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen hinter einer Bezahl-Schranke veröffentlichten Aufsatz Parallelen zu den Konflikten, die die Weimarer Republik zerrissen und Hitler an die Macht gebracht haben. Diese Konflikte wurden im Westen erst nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands zeitweilig überwunden – und zwar durch die Idee der „Sozialen Marktwirtschaft“, die der protestantische Ökonom Alfred Müller-Armack erstmals in seinem 1947 erschienenen Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ entwickelte. Müller-Armack war einer der engsten Berater Ludwig Erhards, der 1948 im Zuge der Währungsreform mit seinem mutigen Schritt der Abschaffung von Preiskontrollen und Rationierung den Weg zum westdeutschen „Wirtschaftswunder“ freimachte.
Ökonomie der Versöhnung
Müller-Armack schrieb sein wegweisendes Buch im katholischen Kloster Vreden in der Nähe der niederländischen Grenze. Dorthin war seine Forschungsstelle an der Universität Münster während des Krieges ausgelagert worden. Wie dem ebenfalls protestantischen Ludwig Erhard ging es Müller-Armack nicht vordergründig um eine ökonomische Wachstumsstrategie, sondern um ein gesellschaftliches Reformprojekt, das Aufbrechen der Kartellierung bzw. „Vermachtung“ der Wirtschaft durch die Stärkung des Wettbewerbs auf dem freien Markt. Das „Wirtschaftswunder“ war nicht primäres Ziel, sondern willkommene Nebenwirkung der von ihm angeregten ethischen Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Durch das Anfügen des Attributs „Sozial“ zur Marktwirtschaft, so Goldschmidt und Küppers, wollte Müller-Armack signalisieren, dass er die Renaissance der Marktwirtschaft als „Ökonomie der Versöhnung“ verstand, das die Grabenkämpfe, die zur Zerstörung der Weimarer Republik geführt hatten, überwinden sollte. Er bezeichnete das Schlagwort „Soziale Marktwirtschaft“ selbst als „irenische Formel“, als Friedensformel zur Überwindung des Ressentiments zwischen „arm“ und „reich“. Ludwig Erhard hingegen wies wiederholt darauf hin, dass die Marktwirtschaft gar nicht des Attributs „sozial“ bedurfte, da sie an und für sich sozial sei. „Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt“, betonte er im Jahre 1950 im deutschen Bundestag. Weiterlesen


Deutschland steht selbst verschuldet vor einem unlösbaren Problem. Um die (gedankenlos) begonnene „Energiewende“ fortzusetzen, braucht das Land dringend neue Gaskraftwerke als Backup für die witterungsabhängige Elektrizitätserzeugung durch Wind- und Solarkraftwerke. Um die von der Berliner Ampelkoalition gesteckten Ziele zu erreichen, müssten in Deutschland schon in den kommenden acht Jahren 20 bis 50 neue große Gaskraftwerke der 800-Megawatt-Klasse gebaut werden. Doch kein Investor hat sich bislang bereit erklärt, die dafür benötigten Milliardenbeträge zu mobilisieren. Die großen Vermögensverwalter wie BlackRock, Vanguard und andere haben sich in politisch korrekten Selbstverpflichtungen zum Net-Zero-Carbon-Ziel bekannt. Allein die Versechsfachung des Gaspreises gegenüber den Vorjahren (zeitweilig wurde eine Megawattstunde schon für 345 Euro gehandelt) dürfte aber schon ausreichen, um Investoren von der Finanzierung des Baus neuer Gaskraftwerke abzuhalten. 
Da es ein europäisches Staatsvolk nicht gibt, ist die Europäische Union ein Gebilde, das nur durch zwischenstaatliche Verträge (und mehr und mehr durch finanzielle Erpressung) zusammengehalten wird. Leider werden die Grundlagen-Verträge der europäischen Einigung immer seltener eingehalten, was die regierende EU-Kommission zu einem anomischen Dingsbums macht, das die augustinische Bezeichnung „Räuberbande“ tendenziell zum Euphemismus werden lässt. Die abnehmende Treue der Westeuropäer gegenüber feierlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen führt jetzt im Streit um russisches Erdgas und die Souveränität der Ukraine an den Rand eines heißen Krieges.
Am 2. Februar wurde die ab 1. Januar 2022 geltende EU-Verordnung 2020/852, bekanntgeworden als Taxonomie als „grün“ klassifizierter Energiequellen, nach langem Tauziehen zwischen zwei Gruppen von EU-Mitgliedsstaaten endlich verabschiedet. Wichtigster Streitpunkt war bekanntlich die Frage, ob auch die Kernenergie als nachweislich „saubere“, das heißt aus EU-Sicht kohlenstoffarme Energie sich mit dem grünen Label schmücken darf. Dieses soll dazu dienen, im Rahmen des „Green Deal“ der EU Investitionen anzulocken. Wie erwartet, kam der stärkste Widerstand gegen die von Frankreich im Verein mit einigen ost- und nordeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten eingebrachte Forderung von Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie auch Italien und Spanien, wo der „Atomausstieg“ seit längerem als unabänderliche „Beschlusslage“ gilt. Da Deutschland aber wegen des inzwischen ebenfalls beschlossenen „Kohleausstiegs“ auf Gaskraftwerke als Backup für die unsteten „Erneuerbaren“ angewiesen sein wird, drängte Berlin darauf, diese ebenfalls für eine Übergangszeit als „grün“ anzuerkennen, obwohl diese bis auf weiteres das Kriterium maximal 100 Gramm CO2 je erzeugter Kilowattstunde nicht erfüllen können. 
