Vielleicht ist es besser, von Menschenpflichten zu sprechen
Edgar L. Gärtner

Simone Weil (1909-1943) Bildquelle: Wikimedia Commons {{PD-1996
Dieser Titel mag angesichts der Infragestellung der am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung im Pariser Palais Chaillot verabschiedeten (völkerrechtlich nicht verbindlichen) Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch den Islam beziehungsweise deren Unterordnung unter die Scharia abwegig, wenn nicht hochgefährlich erscheinen. Zudem war die der UN-Resolution von 1948 zugrundeliegende Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, verabschiedet am 26. August 1789 durch die französische Nationalversammlung, eindeutig ein Meilenstein im Kampf für die Anerkennung der Legitimität des Widerstands gegen despotische Unterdrückung. Es war der aus dem französischen Zentralmassiv stammende Marquis de Lafayette, ein im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu Ruhm gelangter militärischer Führer, der 1789 als Mitglied der französischen Generalstände der Nationalversammlung einen auf der Virgina Bill of Rights von 1776 und der politischen Philosophie von Montesquieu und Rousseau fußenden Entwurf der Allgemeinen Menschenrechterklärung vorlegte.
In Artikel 2 des schließlich angenommenen Textes heißt es: „Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese sind das Recht auf Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.“ Frankreich wurde damit zu einer der ersten Nationen, die sich zumindest vordergründig nicht durch eine lange Tradition, sondern durch einen historischen Bruch definierte. Denn von Rechten für Normalsterbliche war vorher kaum die Rede.
Doch inzwischen ist die Berufung auf Rechte, die die Menschen sich selbst geben beziehungsweise zu Naturrechten erklären, längst ins Absurde abgeglitten. Da werden wie das Selbstverständlichste der Welt Rechte wie das Recht auf „Ehe für alle“, das Recht auf Kinder, das Recht auf Abtreibung, das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Recht auf grenzenlose Einwanderung, das Recht auf Sezession und als dickes Ende das Recht des Fiskus, freie Bürger in Steuersklaven zu verwandeln, proklamiert. Diese Reductio ad absurdum zeigt schon, dass allgemeine Menschenrechte logisch unmöglich sind. Simone Weil, jene hochintelligente, klassisch gebildete französische Philosophin jüdischer Herkunft, die zur republikanischen Widerstandskämpferin und christlichen Mystikerin wurde, ist deshalb in ihrem im britischen Exil geschriebenen und 1949 posthum veröffentlichten Werk „L’enracinement“ (Die Verwurzelung) kategorisch: Rechte gibt es nur, soweit ihnen Verpflichtungen, Obligationen gegenüberstehen. Das Primat kommt also nicht den Rechten, sondern den Pflichten zu. Es gibt deshalb keine allgemeinen Menschenrechte, sondern nur Pflichten gegenüber sich selbst und gegenüber den Mitmenschen. (Das Buch wurde übrigens von keinem Geringeren als Albert Camus im bekannten Pariser Verlag Gallimard herausgegeben.) Weiterlesen
Wohl um eine Wiederholung des unglücklichen Falles Galilei zu vermeiden, haben sich die großen Kirchen bei Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Zuchtwahl mit Urteilen zurückgehalten. Einige Theologen gingen gar so weit, Darwins Theorie zu einer sinnvollen Ergänzung der biblischen Erzählung der Genesis zu erklären. Danach soll die Evolutionstheorie für die sichtbare, die Bibel jedoch für die unsichtbare Welt zuständig sein. Ingo Resch, bekannt geworden als liberal-konservativer Verleger der Kult-Bücher Roland Baaders, ist da ganz anderer Meinung: Die weltanschaulichen Konsequenzen des Darwinismus stehen im schroffen Gegensatz zur biblischen Botschaft der Liebe: „Die biblische Lehre befreit vom eigenen Ich, die Evolutionslehre vom Du.“ Auf diese kurze Formel bringt Resch den Gegensatz zwischen beiden Weltanschauungen. Dieser lässt sich nicht dadurch aufheben, dass man beide für wahr erklärt. In der Bibel folgt die Entwicklung des Universums und der lebenden Organismen einer Information, dem Wort Gottes. Nach der darwinistischen Theorie soll jedoch im Laufe der Zeit Information durch das Wechselspiel von Zufall und Selektion neu entstehen. Nach der biblischen Offenbarung liegt der Sinn der Geschichte im Vollzug der Erlösung der durch die Ursünde von Gott getrennten Menschen. Nach Darwins Selektionstheorie ist die Evolution hingegen prinzipiell ziellos. Doch nährt sie die Hoffnung, durch die Eliminierung der Schwachen beziehungsweise die Bevorzugung der Angepassten irgendwann den „Übermenschen“ hervorzubringen. Wenn Theologen die darwinsche Evolutionstheorie als wahr akzeptieren, müssen sie logischerweise das Evangelium verfälschen. Das vorliegende Buch ist der zweite Band einer Reihe mit philosophisch-theologischen „Denkanstößen“. Neben der Evolutionstheorie werden darin auch die weltanschaulichen Konsequenzen theologischer Irrtümer und der Quantenphysik behandelt. Eine in jeder Hinsicht lobenswerte Initiative. Edgar L. Gärtner

Die Ursprungs-Mythen aller Völker spielen darauf an, dass unsere Urahnen in grauer Vorzeit Kannibalen waren. Die wissenschaftliche Anthropologie konnte diese Auffassung weitgehend bestätigen. Auch Hans-Herrmann Hoppe schließt sich in seiner kurzen Geschichte der Menschheit dieser Auffassung an. Manche Anthropologen sehen in rituellen Menschenopfern sogar die Wurzel der Staatenbildung. Erst unter dem Einfluss der Juden und Christen am Berg Horeb im Sinai geoffenbarten Zehn Gebote haben die Menschen diese unschöne Lebens- und Ernährungsweise nach und nach überwunden. Bis heute lebt der Kannibalismus in Teilen der Welt, insbesondere in muslimisch beherrschten Ländern, in Form der Steinigung oder Enthauptung von Ehebrecherinnen, aber auch in Form der faktischen Versklavung von Ehefrauen, Arbeitern und Hausangestellten fort. Selbst im christlichen Abendland drohen ständig Rückfälle in archaische Verhaltensweisen. Gläubige Christen können sich dagegen im Prinzip durch die Eucharistie wappnen. Diese stellt zumindest nach der Theorie des vor anderthalb Jahren verstorbenen französisch-amerikanischen Anthropologen René Girard nichts anderes dar als religiös sublimierten Kannibalismus.
50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erleidet die katholische Kirche eine der schrecklichsten Krisen ihrer Geschichte. Verwirrung und Anarchie greifen nicht erst seit der Amtsübernahme von Papst Franziskus um sich. Der sizilianische Historiker Roberto de Mattei ist in Deutschland bekanntgeworden durch seine 2011 erschienene Geschichte des Zweiten Vatikanum, in der er Anhaltspunkte für eine kommunistische Unterwanderung des Konzils sah. Der vorliegende knappe Abriss der Geschichte des Papsttums mit seinen Höhen und Tiefen versteht sich als Ergänzung zur Geschichte des Zweiten Vatikanum. Er ist im italienischen Original schon 2011, also noch während der Amtszeit Benedikts XVI. erschienen. Damit möchte de Mattei begründen, warum katholische Laien in bestimmten Situationen den Papst durchaus kritisieren dürfen. De Mattei beruft sich in der Hauptsache auf das 1562 anlässlich des Tridentinischen Konzils erschienene Werk „De locis theologicis“ des Dominikaner-Theologen Melchior Cano. Dort und in den Dokumenten dieses Konzils wird gegenüber der protestantischen Häresie ein für alle Mal der logische und chronologische Primat der Tradition vor der Schrift festgehalten, denn die Kirche existierte schon Jahrzehnte vor der Niederschrift des ersten Evangeliums. Unfehlbar ist ein Papst nur im Rahmen der apostolischen Tradition. Er kann nichts Neues verkünden. Denn mit dem Tod des letzten Apostels Christi endete die göttliche Offenbarung. Das stellte das Erste Vatikanum im 19. Jahrhundert klar. Das Zweite Vatikanum schuf ein Jahrhundert später Verwirrung, weil es der Behauptung einer Eigenständigkeit des päpstlichen Lehramtes gegenüber der Tradition nicht klar entgegentrat. Einfache Menschen können nach Thomas von Aquin kraft ihres gesunden Menschenverstandes der übernatürlichen Wahrheit manchmal näherkommen als hochgelehrte Theologen. („Lumen fidei facit videre ea quae credentur.“) Deshalb ist der Glaubenssinn (sensus fidei) einfacher Gläubiger ein wichtiger Träger der Tradition. Wenn das Lehramt irrt, kann und muss der Glaubenssinn der Ordensleute und des Kirchenvolkes die Tradition verteidigen. Das erscheint angesichts des verwirrenden Gebarens von Papst Franziskus nötiger denn je.


