Edgar L. Gärtner
Das in den letzten Jahren in Mode gekommene Fact Checking hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Denn spätestens seit Immanuel Kant (1724-1804) sollten wir wissen, dass isolierte Beobachtungsdaten nichts besagen. Aussagekraft bekommen sie erst als Bestandteil eines nachvollziehbaren Erklärungsversuchs. Durch Real- und Gedankenexperimente testen und vergleichen können wir nur unterschiedliche Hypothesen bzw. Modelle über reale Zusammenhänge. Wir haben, außer in der begnadeten Mystik, keinen direkten Zugang zum „Ding an sich“.
In der nüchternen wissenschaftlichen Forschung arbeiten wir stattdessen mit mehr oder weniger übersichtlichen Modellen. Das können schlichte Gedanken-Konstrukte, aber auch mathematische Formeln, Versuchstiere oder Computersimulation sein, die mithilfe von Gedanken- und/oder physischen Experimenten überprüft werden können. Dabei geht es nicht primär um die naive Gegenüberstellung von Modell und Beobachtungsdaten, sondern um den Vergleich verschiedener Erklärungsversuche. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Themen
Dummheit ist unverzeihlich
Edgar L. Gärtner
Die Mehrheit meiner Zeitgenossen scheint Dummheit für ein fundamentales Menschenrecht zu halten. Ich selbst halte Dummheit (wie Neid) für eine schwere Sünde – in der Tendenz sogar für eine Sünde wider den Heiligen Geist. Bekanntlich gibt es für solche Sünden nach der Bibel keine Vergebung. Bei Matthäus 12,31 heißt es: „Sogar, wer den Menschensohn beschimpft, kann Vergebung finden. Wer aber den Heiligen Geist beleidigt, wird niemals Vergebung finden, weder in dieser Welt noch in der kommenden.“ Es fällt überdies auf, das Jesus, der unverschuldet in Not geratenen Menschen jede nur erdenkliche Hilfe zukommen ließ und sogar am Sabbat Kranke heilte, im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Matthäus 24,25) kein Wort des Bedauerns oder Mitleids gegenüber den leer ausgegangenen findet. Weiterlesen
Energiepolitik: Frankreich in der Falle des Sowohl-als-auch
Edgar L. Gärtner
Kernkraftwerk Cattenom an der Mosel (Wikipedia)
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Ministerpräsidentin Elisabeth Borne sind dabei, die Franzosen auf einen harten Winter vorzubereiten. Das staatliche TV-Programm „France 2“ stimmt sein Publikum tagtäglich auf rotierende Stromsperren („Brown Outs“) von jeweils zwei Stunden ein, mit deren Hilfe der monopolistische Netzbetreiber RTE den im Januar schon bei einer mittelschweren Kältewelle drohenden flächendeckenden „Blackout“ verhindern will. Etwa 60 Prozent der Franzosen werden davon betroffen sein. Relativ sicher können sich nur die Bewohner der Pariser Kernstadt fühlen, weil die dort angesiedelten Ministerien, Kommandanturen, Geheimdienstzentralen, Generaldirektionen usw. als unabkömmlich für die Aufrechterhaltung der Staatsmacht gelten. Die Franzosen mussten mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen, dass bei planmäßigen Stromabschaltungen selbst die Notruf-Systeme außer Betrieb sein werden. Wer dann verunglückt, hat einfach Pech gehabt. Der Grund der ganzen Aufregung: Kurz vor dem meteorologischen Winteranfang stehen dem Land, in dem überwiegend elektrisch geheizt wird, nur etwa 30 Gigawatt, das heißt weniger als die Hälfte seiner Kernkraft-Kapazität von insgesamt 61,4 GW zur Verfügung. Weiterlesen
Ist die Klimapolitik mit sozialer Marktwirtschaft vereinbar?
Edgar L. Gärtner
Wie die gefährlichen Verkehrsblockaden durch Aktivisten der „Letzten Generation“ und deren moralische wie finanzielle Unterstützung durch das Habeck-Ministerium der von den Grünen dominierte Berliner Ampel-Regierung, die christlichen Kirchen und politisierte Großkonzerne demonstrieren, ist die politische Auseinandersetzung um die finanzielle Förderung von Wind- und Solarstrom und die Verlängerung der Laufzeit der letzten in Deutschland noch betriebenen Kernkraftwerke längst zu einem Glaubenskampf geworden, in dem Sach-Argumente kaum mehr zählen. Es geht in der Auseinandersetzung mit den „grünen Khmer“ um Leben oder Tod. Wie könnte man da eine dauerhafte und letztlich zerstörerische Spaltung der Gesellschaft noch verhindern?
Nils Goldschmidt und Arnd Küppers sehen hier in einem kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen hinter einer Bezahl-Schranke veröffentlichten Aufsatz Parallelen zu den Konflikten, die die Weimarer Republik zerrissen und Hitler an die Macht gebracht haben. Diese Konflikte wurden im Westen erst nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands zeitweilig überwunden – und zwar durch die Idee der „Sozialen Marktwirtschaft“, die der protestantische Ökonom Alfred Müller-Armack erstmals in seinem 1947 erschienenen Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ entwickelte. Müller-Armack war einer der engsten Berater Ludwig Erhards, der 1948 im Zuge der Währungsreform mit seinem mutigen Schritt der Abschaffung von Preiskontrollen und Rationierung den Weg zum westdeutschen „Wirtschaftswunder“ freimachte.
Ökonomie der Versöhnung
Müller-Armack schrieb sein wegweisendes Buch im katholischen Kloster Vreden in der Nähe der niederländischen Grenze. Dorthin war seine Forschungsstelle an der Universität Münster während des Krieges ausgelagert worden. Wie dem ebenfalls protestantischen Ludwig Erhard ging es Müller-Armack nicht vordergründig um eine ökonomische Wachstumsstrategie, sondern um ein gesellschaftliches Reformprojekt, das Aufbrechen der Kartellierung bzw. „Vermachtung“ der Wirtschaft durch die Stärkung des Wettbewerbs auf dem freien Markt. Das „Wirtschaftswunder“ war nicht primäres Ziel, sondern willkommene Nebenwirkung der von ihm angeregten ethischen Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Durch das Anfügen des Attributs „Sozial“ zur Marktwirtschaft, so Goldschmidt und Küppers, wollte Müller-Armack signalisieren, dass er die Renaissance der Marktwirtschaft als „Ökonomie der Versöhnung“ verstand, das die Grabenkämpfe, die zur Zerstörung der Weimarer Republik geführt hatten, überwinden sollte. Er bezeichnete das Schlagwort „Soziale Marktwirtschaft“ selbst als „irenische Formel“, als Friedensformel zur Überwindung des Ressentiments zwischen „arm“ und „reich“. Ludwig Erhard hingegen wies wiederholt darauf hin, dass die Marktwirtschaft gar nicht des Attributs „sozial“ bedurfte, da sie an und für sich sozial sei. „Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt“, betonte er im Jahre 1950 im deutschen Bundestag. Weiterlesen
Ingenieure und Wissenschaftler ziehen Bilanz aus 20 Jahren Energiewende
Kritiker auf verlorenem Posten?
Edgar L. Gärtner
Diskussion vor dem CO2-freien Kamin im IBZ der Universität Stuttgart
Ingenieure sieht man so gut wie nie in deutschen TV-Talk Shows. Dabei gibt es unter den führenden Köpfen ingenieurwissenschaftlicher Fachbereiche durchaus Leute (inzwischen oft im Rentenalter), die mit Witz und Verve vortragen können. Das zeigte sich vom 8. bis zum 10. Juli 2022 im Internationalen Begegnungszentrum IBZ des Uni-Campus Stuttgart-Vaihingen. Dort hatte Prof. Dr. André Thess, Inhaber des Lehrstuhls für Energiespeicherung am Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) für den 8. bis zum 10. Juli zu einer Fachtagung zum Thema „20 Jahre Energiewende“. Als Schirmherrn und Moderator der Veranstaltung gewann Prof. Thess (der in Dresden zu Hause ist) den bekannten Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt. So war gewährleistet, dass die Diskussionen nicht in Fachsimpelei versandeten. Weiterlesen
Das Ende einer moralischen Wunschwelt
von Edgar L. Gärtner
Ich weiß nicht, ob Wladimir Putin ein Werkzeug der Vorsehung ist oder sich als solches empfindet. Jedenfalls hat er mit seinem nicht völlig überraschenden Angriff gegen das ehemalige russische Bruderland Ukraine gewisse in Wunschträumen gefangene Angehörige des westlichen polit-medialen Komplexes mit einem Schlag zurück in die harte Realität geschleudert. Im Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, ist es völlig offen, wem die vom Westen unter Führung der US-Regierung unter Joe Biden als Antwort gegen die Invasion der Ukraine verhängten wirtschaftlichen Sanktionen am meisten schaden werden. Klar ist hingegen, dass die auf Illusionen beruhende westliche Kultur des Hedonismus bald ein jähes Ende finden wird. Schon ist vom Anbruch eines neuen Zeitalters die Rede. Doch dahinter verbergen sich gleich neue Illusionen. Wie ist es überhaupt zum Realitätsverlust westlicher Eliten gekommen? Sicher gibt es dafür nicht die eine, sondern verschiedene Ursachen. Eine davon – und sicher nicht die unwichtigste – ist die Verdrängung der vorbehaltslosen Wahrheitssuche durch den subjektivistischen Konstruktivismus.
Man muss nicht Immanuel Kant oder Karl R. Popper gelesen haben, um verstehen zu können, dass Konstruktivismus in jedem menschlichen Erkenntnisprozess eine Rolle spielt. Wir sehen die Natur nicht einfach wie sie ist. Vielmehr arbeiten Auge und Hirn beim Sehvorgang eng zusammen. Wer nicht weiß, was er sehen will, dem fällt zunächst wenig bis gar nichts auf. Man findet nur, was man sucht (was Zufallsfunde nicht ausschließt). Unsere Beobachtung ist von Emotionen und Theorien geleitet. Die Konstruktion der Bilder, an denen wir uns orientieren, sind Ergebnis von Denkprozessen, die genaugenommen sogar außerhalb des Körpers stattfinden. Weiterlesen
Her mit der Kohle
Am sofortigen Stopp des „Kohleaussiegs“ führt wohl kein Weg vorbei
Deutschland steht selbst verschuldet vor einem unlösbaren Problem. Um die (gedankenlos) begonnene „Energiewende“ fortzusetzen, braucht das Land dringend neue Gaskraftwerke als Backup für die witterungsabhängige Elektrizitätserzeugung durch Wind- und Solarkraftwerke. Um die von der Berliner Ampelkoalition gesteckten Ziele zu erreichen, müssten in Deutschland schon in den kommenden acht Jahren 20 bis 50 neue große Gaskraftwerke der 800-Megawatt-Klasse gebaut werden. Doch kein Investor hat sich bislang bereit erklärt, die dafür benötigten Milliardenbeträge zu mobilisieren. Die großen Vermögensverwalter wie BlackRock, Vanguard und andere haben sich in politisch korrekten Selbstverpflichtungen zum Net-Zero-Carbon-Ziel bekannt. Allein die Versechsfachung des Gaspreises gegenüber den Vorjahren (zeitweilig wurde eine Megawattstunde schon für 345 Euro gehandelt) dürfte aber schon ausreichen, um Investoren von der Finanzierung des Baus neuer Gaskraftwerke abzuhalten. Weiterlesen
EU-Ideologen steuern uns mit Farm2Fork in die Hungerkatastrophe
Edgar L. Gärtner
Bereits im letzten November, also Monate vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges, habe ich an dieser Stelle auf drohende Hungersnöte wegen einer sprunghaften Erhöhung der Gas-, Stickstoffdünger- und Getreidepreise hingewiesen. Nach den Statistiken der Welternährungsorganisation FAO sind deshalb die Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr weltweit schon um etwa 20 Prozent gestiegen. Eine Lebensmittel-Verteuerung in dieser Größenordnung hat im Jahre 2010 schon ausgereicht, um in nordafrikanischen Ländern die Revolte des „arabischen Frühling“ auszulösen. Schon in der ersten Woche nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ist der Futures-Preis für Weizen um 40 Prozent gestiegen und ist danach noch weiter gestiegen, bevor der Markt sich wieder etwas beruhigte. Weiterlesen
Monika Hausammann: Die große Verkehrung
Unter dem zunächst harmlos oder zumindest rätselhaft erscheinenden Titel „Die große Verkehrung“ verbirgt sich Explosives. Denn die in Südwestfrankreich lebende Schweizer Schriftstellerin Monika Hausammann zeigt in ihrem Büchlein, dass der im Westen herrschende humanistische bzw. humanitaristische Zeitgeist die am Berg Sinai verkündeten Zehn Gebote der Bibel schlicht auf den Kopf stellt, indem er den Menschen statt zur wahren Freiheit in die Scheinfreiheit von Stallvieh führt, das heißt in verantwortungslose und triebhafte Konsumfreiheit. Das Büchlein eignet sich nicht zum raschen Verschlingen. Man muss es durcharbeiten, zurückblättern und wichtige Stellen wiederholt lesen, um sie auf sich einwirken zu lassen. Dem kommt entgegen, dass der Essay solide gebunden und auf kräftigem Papier gedruckt ist. Weiterlesen
Die Ukraine-Krise droht zum Offenbarungseid der EU-Energiepolitik zu werden
Grundsätzlich könnte die Energie eine Friedensbrücke sein
Edgar L. Gärtner
Da es ein europäisches Staatsvolk nicht gibt, ist die Europäische Union ein Gebilde, das nur durch zwischenstaatliche Verträge (und mehr und mehr durch finanzielle Erpressung) zusammengehalten wird. Leider werden die Grundlagen-Verträge der europäischen Einigung immer seltener eingehalten, was die regierende EU-Kommission zu einem anomischen Dingsbums macht, das die augustinische Bezeichnung „Räuberbande“ tendenziell zum Euphemismus werden lässt. Die abnehmende Treue der Westeuropäer gegenüber feierlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen führt jetzt im Streit um russisches Erdgas und die Souveränität der Ukraine an den Rand eines heißen Krieges.
Nach der Implosion des Sowjetreiches im Jahre 1991 schien die Marschrichtung zunächst klar. Kaum war der Kalte Krieg zu Ende, setzten sich Technokraten und Diplomaten aus West und Ost an den Verhandlungstisch, um den Energie-Charta-Vertrag (ECT) auszuhandeln. Dieser wurde im Jahre 1994 in Lissabon unterzeichnet und trat 1998 in Kraft. (Ich habe hier darüber berichtet.) Dieses weitreichende Vertragswerk mit einem permanenten Sekretariat in Brüssel sollte es erleichtern, die Energiewirtschaft der Ex-Sowjetrepubliken und der osteuropäischen Staaten in die europäischen und globalen Märkte zu integrieren. Um Investoren in Länder mit noch unsicherer Rechtslage zu locken, gewährt der Vertrag Auslandsinvestitionen in Kraftwerke und anderen Energie-Infrastrukturen einen besonderen Schutz. Bis 20 Jahre nach seinem eventuellen Austritt aus dem Vertrag kann ein Staat von privaten Energieproduzenten mithilfe nicht öffentlich tagender Schiedsgerichte noch zu hohen Schadensersatzzahlungen verpflichtet werden.
Doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte am 2. September 2021 die Energiecharta für unwirksam. Weiterlesen